„Das Wunder von Serednje“ und die „Büßer“: Ein „Papst“ im ukrainisch-katholischen Untergrund

aus OWEP 4/2015  •  von Roman Skakun

Dr. Roman Skakun ist als Historiker an der Ukrainischen Katholischen Universität (UCU) in Lwiw tätig. Er befasst sich mit der Geschichte sozialer und religiöser Bewegungen in der Ukraine im 19. und 20. Jahrhundert.

Zusammenfassung

Die Unterdrückung der griechisch-katholischen Kirche in der Ukraine nach 1945 führte zur Bildung einer Untergrundkirche, deren Gläubige ihr unter großen Opfern die Treue bewahrten. Wie der folgende Beitrag zeigt, mündete die ständige Gefährdung häufig in Endzeitvorstellungen ein und konnte, wenn charismatische Persönlichkeiten auftraten, sogar die Trennung kleiner Gruppen von der Kirche auslösen.

Geistesgeschichtlicher Hintergrund

Die von der Oktoberrevolution 1917 bewirkten sozialen, kulturellen und politischen Umbrüche waren von apokalyptischem Ausmaß. Angesichts einer Unterbindung des religiösen Lebens und des Zusammenbruches des sozialen Gefüges reagierte die größtenteils vormoderne osteuropäische Landbevölkerung oft mit Vorstellungen vom Ende der Welt. Eine solche Interpretation der revolutionären Ereignisse wurde von einem Teil des orthodoxen Klerus unterstützt, der im sowjetischen Regime den Antichrist sah. So erlebten die 1920er- und 1930er-Jahre die Entstehung vieler religiöser Gruppen, die die sowjetische Propaganda als krasnodrakonowzy, also (wegen der Gleichsetzung des neuen gottlosen Regimes mit dem roten Drachen der Offenbarung) als „Anhänger des roten Drachens“ bezeichneten. Aus Angst, unbewusst das Siegel des Antichrist aufgedrückt zu bekommen, weigerten sich Teile der Landbevölkerung, sich den Kolchosen, dem Komsomol (kommunistischer Jugendverband) oder dem Militär anzuschließen, zogen ihre Kinder aus öffentlichen Schulen zurück, mieden die wenigen verbliebenen zugelassenen Kirchen, versteckten stattdessen Wanderpriester und -mönche, akzeptierten weder sowjetische Dokumente noch Geld usw. Da es keine zentrale institutionelle Kontrolle gab, wichen diese Gruppen erheblich von der offiziellen orthodoxen Lehre ab und ließen viele selbsternannte spirituelle Führer, Propheten oder sogar Messiasse entstehen. Nach der sowjetischen Expansion in die Westukraine 1939/1944 fand dieser Typ von religiösem Widerstand gegen die Sowjetisierung hier eine auffallende Parallele.

Galizien, das nach einem erfolglosen Unabhängigkeitskrieg von Polen annektiert worden war, erlebte das kurze Intermezzo der 1920er- und 1930er-Jahre in einer Atmosphäre sozialer und nationaler Frustration und wachsender Angst vor der kommenden Expansion der Kommunisten nach Westen. In manchen Teilen der griechisch-katholischen Bevölkerung steigerten sich solche Ängste und Frustrationen zu einem intensiven Mystizismus; es gab Marienerscheinungen, spektakuläre übersinnliche Phänomene, Stigmatisierungen, Prophezeiungen, geistige Reisen zu weit entfernten Ländern, Wunderheilungen usw. – all das verstärkte sich noch während des Zweiten Weltkriegs. Metropolit Andriy Scheptytsky empfand es sogar als notwendig, in einem Hirtenbrief vor „so genannten Privatoffenbarungen oder Prophezeiungen, die aufgrund des Krieges in der Welt an fast jedem Tag in großer Zahl erscheinen“, zu warnen. Nach der endgültigen Etablierung des sowjetischen Regimes in der Westukraine 1944 wurden die „Wunder“ als eindeutige antisowjetische Andeutungen angesehen, als Vorzeichen eines bevorstehenden Krieges der Westmächte gegen die Sowjets und der nationalen Wiederbelebung der Ukraine ebenso wie als Beweis für Gottes Wohlwollen für verfolgte Christen und seinen Zorn gegen die Gottlosen.

Das „Wunder von Serednje“ und seine Folgen

Von allen „antisowjetischen“ Wundern der 1940er- und 1950er-Jahre war das „Wunder von Serednje“, das eng mit der Person des Untergrundpriesters Vater Ignatiy Soltys und seiner seherisch begabten Schwester Hanna Kusminska verbunden ist, am weitreichendsten und führte zur Gründung eines apokalyptischen Kults, der sich auf einen Hügel in der Nähe des Dorfes Serednje im heutigen Gebiet von Iwano-Frankiwsk konzentrierte. Der 1912 geborene Soltys zeigte sich seit seiner Schulzeit als äußerst fromm und wollte Mönch werden. Wegen schwacher Gesundheit und der Kriegsereignisse konnte er jedoch seine Studien nicht abschließen. 1948 erfuhr er vom Aufenthaltsort seines Professors im Priesterseminar, Bischof Latyschewsky, der nach Kasachstan verbannt worden war, und suchte ihn auf, um die letzten Prüfungen zu absolvieren und die Priesterweihe zu empfangen. So war er einer der ersten griechisch-katholischen Priester, die im Untergrund ordiniert wurden. Diejenigen, die ihn während seiner frühen Amtszeit kannten, erinnern sich an seinen ungewöhnlichen pastoralen Eifer, den tiefgründigen Eindruck, den seine Predigten hinterließen, und an seine auffallend asketische Lebensweise. Im Gegensatz zu vielen Untergrundpriestern, die ihre Aktivitäten auf ihre Dörfer beschränkten, reiste er umher und baute ein verborgenes Netz von Anhängern auf. Er predigte erbittert gegen die gottlosen Behörden und diejenigen, die mit ihnen durch den Eintritt in die Partei oder den Komsomol zusammenarbeiteten. Mitten in der schwierigen Situation für die Kirche entwickelte Vater Soltys schnell einen Sinn für seine eigene Mission. Er konnte eine Liste von drei Untergrundpriestern, die ihn einschloss, ins Ausland bringen lassen, aus denen ein neuer griechisch-katholischer Bischof vom Papst ernannt werden sollte. Die Namen der Nominierten sollten durch verschlüsselte Wendungen übermittelt werden. Bald darauf hörten einige seiner Anhänger über Radio Vatikan angeblich eine Verschlüsselung, die sich auf Vater Soltys bezog. Er glaubte dies ohne Weiteres, da er sich selbst der bischöflichen Würde für würdig hielt. Eine Prüfung seines Anspruches war im Lande nicht möglich, aber bald verbreitete sich das Gerücht, dass er Bischof oder sogar Exarch der griechisch-katholischen Kirche der Ukraine sei.

Das Konzept von Vater Soltys besonderer Sendung wurde von seiner Schwester Hanna Kusminska, die eine heftige Abneigung gegen die Sowjets hegte und zum Mystizismus neigte, unterstützt. Am 20. Dezember 1954 behauptete sie während eines geheimen Gottesdienstes, die Jungfrau Maria über einer Quelle auf einem Hügel in der Nähe ihres Geburtsortes Serednje stehen gesehen zu haben. Ihren Worten zufolge sagte die Jungfrau: „Dies ist ein Jubeljahr1, und ich will eine große Befreiung der armen Sünder ankündigen, weil das Unheil genauso nah ist, wie es in Noahs Zeiten war. Die Zerstörung wird durch Feuer, nicht durch Wasser eintreten. Eine Flut aus Feuer wird die Menschen zerschlagen, weil sie gegen Gott gesündigt haben … Ich werde auf diesem Hügel bleiben. Von hier aus sehe ich das ganze Universum, eine Vielzahl von Sündern, und ich werde meine Gnade durch diese Quelle erweisen .... Diejenigen, die kommen, um ihre Sünden zu bereuen und dieses Wasser im Glauben zu sich nehmen, werden in der Zeit der Zerstörung nicht untergehen.“

Maria verlangte gemäß Hannas Vision außerdem, dass die Quelle auf dem Hügel geweiht und dort eine Statue der Jungfrau errichtet werden sollte, was Vater Soltys am 22. Dezember in der Nacht tat. Am nächsten Tag begann sich das Gerücht von der Erscheinung zu verbreiten und wurde in ganz Galizien und sogar in Transkarpatien kolportiert. Der Hügel mit der „wunderbaren Quelle“ begann Scharen von Pilgern anzuziehen. Bis 1958 spielte die Wunderstätte eine bedeutende Rolle für die Untergrundkirche. Verschiedene Untergrundpriester feierten regelmäßig Gottesdienste, umherziehende Mönche und Nonnen der aufgelösten Klöster verbreiteten die Nachricht von der Erscheinung und der wunderbaren Heilquelle. Die Texte von Hannas Offenbarungen wurden unter den Gläubigen verbreitet und sogar ins Ausland geschmuggelt, um in Kanada veröffentlicht zu werden.

Problematisch war, dass diese Offenbarungen, die seit Dezember 1954 ununterbrochen andauerten, immer eschatologischer wurden und sich deutlich auf die Person von Vater Ignatiy konzentrierten. Sie sagten voraus, dass der Papst vom Klerus betrogen und ermordet und dass Rom fallen und der Sitz des Antichrist werden würde, aber dass ein Priester – bislang ungenannt, aber der Hinweis war eindeutig genug – von Gott gerufen werden würde, um die Kirche in ihre letzten Mühsale zu führen. Nach dem Tod Papst Pius XII. im März 1958 verkündete Hanna, dass die Prophezeiung erfüllt, Rom den Kommunisten und Freimaurern zum Opfer gefallen und der Heilige Stuhl nach Serednje überführt worden sei, wo der neue und letzte Papst Peter Emmanuel II., auch bekannt als Ignatiy Soltys, ins Amt gerufen worden sei. Zufällig wurde die Glaubwürdigkeit dieser Ansprüche durch den Verzicht von Papst Johannes XXIII. auf die antikommunistische Rhetorik seines Vorgängers und seine Wende in der Ostpolitik, die, durch die Sowjetpresse verzerrt, viele griechisch-katholische Christen im Untergrund verärgerte, unterstützt.

Abspaltung der Bewegung um Vater Soltys

Vater Soltys’ messianische Ansprüche führten zu seiner raschen Entfremdung vom Rest des Untergrundklerus, der den Marienkult in Serednje nicht mehr unterstützte und die Gläubigen davon abhielt, dorthin zu gehen. Vater Soltys, der sich seit Dezember 1954 versteckte, wurde seit 1956 aktiv vom KGB gesucht und Mitte des Jahres 1958 entdeckt; am 3. Dezember 1958 wurde er als „parasitäres Element“, das keiner „gesellschaftlich nützlichen Arbeit nachging“, zu fünf Jahren Verbannung in Sibirien verurteilt.

Vater Ignatiy Soltys als Häftling (Quelle: Archiv des ukrainischen Sicherheitsdienstes, Abzug vom Autor zur Verfügung gestellt)

Die Verbannung endete jedoch viel früher. Vater Ignatiy wurde Mitte des Jahres 1961 auf Bewährung entlassen und kehrte in seine Heimat zurück. In der Stadt Stryj traf er hier einen anderen Untergrundpriester, Antony Potochnyak (1912-1984), der unlängst aus seiner zweiten Haftstrafe wegen „antisowjetischer Tätigkeit“ entlassen worden war und an die Offenbarungen von Serednje glaubte. Die Verbreitung des Wunders von Serednje verstärkte sich wieder und erreichte ein noch höheres Maß an Apokalyptik. In ihren Predigten griffen Soltys und Potochnyak die Orthodoxie an und kritisierten heftig die griechisch-katholischen Priester, die zur Orthodoxie übertraten. Auch beklagten sie die vom sowjetischen Regime geförderte massenhafte Gottlosigkeit und kündigten eine unverzügliche Erneuerung des Glaubens und der Welt an, da die aktuellen Zustände ihrer Meinung nach nicht lange andauern könnten. Das Zentrum der Erneuerung sollte die Ukraine als die am härtesten leidende Nation sein, wo die Sünde des Atheismus ihren Höhepunkt erreicht hatte. Von hier aus würde die Jungfrau Maria mit der Rettung der Menschheit beginnen, denn hier war nach dem Willen Gottes der neue Heilige Stuhl errichtet worden.

In den Jahren 1961-1962 begannen die Wallfahrten zum Berg von Serednje erneut eine Eigendynamik zu entwickeln. Unter den griechisch-katholischen Gläubigen verbreitete sich eine „Kundgebung“ mit dem Aufruf, an die Offenbarung von Serednje zu glauben, zum „Gesegneten Berg“ zu kommen und das heilige Wasser, das Körper und Geist der Gläubigen heilen würde, zu trinken. Überall in Galizien und Transkarpatien – selbst in der Nähe der Sankt-Georgs-Kathedrale in Lwiw – kursierten handgeschriebene Briefe über die Errichtung des Heiligen Stuhls in der Ukraine und den bevorstehenden Jüngsten Tag, der auf unterschiedliche Tage im Frühling oder Sommer des Jahres 1962 datiert wurde. Laut Hannas Offenbarungen sollten alle Sünder – in erster Linie Junge Pioniere, Mitglieder der Komsomol und Kommunisten – bis in die dritte Generation zugrunde gehen und nur diejenigen, die die Offenbarung angenommen und ihre Sünden auf dem Berg von Serednje bereut hatten, überleben. Alle Gläubigen wurden ermutigt, von den beiden Priestern gesegnete Kreide zu nehmen und Kreuze an ihre Türen und Fenster zu malen, weil die so markierten Häuser am Tag des Gerichts von Gottes Zorn verschont bleiben würden.

All dies geschah vor dem Hintergrund von Chruschtschows antireligiösem Feldzug 1958-1963, dem ersten groß angelegten Einsatz, der auch die Westukraine betraf und bei dem Hunderte von Kirchen geschlossen und viele Schauprozesse gegen „Kleriker und Sektenmitglieder“ veranstaltet wurden. Am 2. Juli 1962 wurde Vater Soltys verhaftet und wegen „antisowjetischer Propaganda“ und „Übertretung der Gesetze unter dem Vorwand von religiösen Ritualen“ zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Er verbüßte seine Strafe in einem speziellen Lager für politische Gefangene in Mordwinien, wo religiöse Aktivisten festgehalten wurden.

Radikalisierung der Bewegung – Repressionen durch die Staatsmacht

Die Festnahme des Anführers und die Verfolgungen der Pilger führten zu einer weiteren Radikalisierung des Kults von Serednje. In einer von Hannas Offenbarungen wurde die Forderung erhoben, „dass die rechte Seite endlich von der linken getrennt werde“, was einen eindeutigen Bruch mit der vom Antichrist beherrschten Welt meinte. Die Pilger fingen an, alle Dokumente, die ihre Zugehörigkeit zum gottlosen Regime nachwiesen, zurückzugeben: Pässe, Einberufungsbescheide, Rentenausweise usw. Sie kündigten ihre Stellen in Kolchosen, staatlichen Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen und lebten von ihren kleinen Beeten, eigenem Handwerk oder kleinen Gewerben. Sie ließen ihre Kinder keine Schulen besuchen oder behielten sie zumindest an kirchlichen Feiertagen zu Hause und verboten ihnen, das Halstuch der Jungen Pioniere zu tragen. Sie mieden die so genannten „kulturellen und erzieherischen Einrichtungen“ des sowjetischen Regimes (Kinos, Dorfclubs usw.), hielten sich von der Teilnahme an Wahlen oder anderen eigentlich verpflichtenden Bürgeraktivitäten zurück, lehnten es ab, Zeitung zu lesen, Radio zu hören oder fernzusehen. Sie hörten auf, jene zu grüßen, die nicht an die „Wiederkunft“ glaubten und „die die Wahrheit Gottes nicht erkannten“. Sie machten außerdem ein Kreuzzeichen auf alles, was sie benutzen oder sogar anfassen mussten (z. B. bevor sie etwas aßen, bevor sie in den Bus stiegen), um es vom Zeichen des Antichrist zu reinigen.

In einer der Offenbarungen wurde den Anhängern von Vater Soltys der Name „Büßer“ (pokutnyky) gegeben, da sie gerufen worden waren, um in diesen letzten Zeiten Buße für ihre eigenen Sünden und die ihrer Familien und der ganzen Menschheit zu tun. Ihr Leben fokussierte sich zunehmend auf die Wallfahrten nach Serednje, wo sie intensiv Novenen beteten und trotz Razzien und Gewaltmaßnahmen durch die Polizei Tag und Nacht verbrachten. Die „Büßer“ widersetzten sich offen allen Anordnungen der Behörden und antworteten, wenn sie inhaftiert wurden, auf Vernehmungen mit standardisierten Sätzen: „Mit welcher Macht fragst du mich: Mit der Gottes oder des Teufels? Mein Vorname ist ‚Büßer‘. Mein Nachname ist ‚Auserwählter‘. Ich wurde auf dem Berg von Serednje im Jahr meiner ersten Wallfahrt geboren – vor dieser Zeit habe ich nicht gelebt, sondern war in Sünde verfault. Ich arbeite auf Gottes Weide.“

Der antisowjetische Widerstand der „Büßer“ war bewusst demonstrativ, sodass sie nicht mehr länger im Untergrund lebten. In Lwiw waren im Jahr 1965 über 150 „Büßer“ (also bis zu 50 Haushalte) von der Regierung verzeichnet, während es 1971 in Iwano-Frankiwsk ungefähr 160, davon allein 64 im Dorf Perehinsk, waren. In Transkarpatien gab es 1977 81 „Büßer“ und in Ternopil 1973 23. Allerdings gab es auch eine große Anzahl von Sympathisanten, die an die göttliche Mission von Vater Soltys glaubten und gelegentlich Serednje besuchten, ohne ihre Arbeit aufzugeben, ihre Kinder aus Schulen fernzuhalten oder auf andere Weise in Schwierigkeiten mit der Regierung zu geraten. Insgesamt dürfte die Zahl der Personen, die auf die eine oder andere Weise mit der Büßerbewegung verbunden waren, zwischen 800 und 1.000 Personen umfasst haben.

Natürlich konnte das Aufkommen einer so heftigen antisowjetischen Bewegung staatlichen Unterdrückungen nicht entgehen. Pilger wurden in Serednje auseinandergetrieben und von der Polizei brutal geschlagen, in den nahegelegenen Fluss geworfen (vor allem im Winter), auf entfernte Felder und in Wälder geführt oder festgenommen und zu mehreren Jahren Haft wegen „Landstreicherei“ oder „Schmarotzertum“ verurteilt. Im Dezember 1972 wurde auf Beschluss der regionalen Behörden die „wundersame Quelle“ in Serednje umgegraben, mit Beton versiegelt und das Wasser unter dem Hügel zum Kuhstall der Kolchose umgeleitet. Das Haus von Hanna Kusminska im Dorf Kolodiwka, ein anderes Heiligtum der „Büßer“, wurde ebenfalls zerstört.

Nach Chruschtschows Entmachtung wurde Vater Soltys’ Gefängnisstrafe auf fünf Jahre reduziert. Er wurde 1967 entlassen, kehrte in die Westukraine zurück und lebte dort heimlich unter seinen Anhängern. Während der 1970er-Jahre verringerte sich die Radikalität der „Büßer“ etwas. Im Januar 1981 wurde Vater Soltys, nachdem eine neue Welle von Einsätzen gegen „religiöse Extremisten“ begonnen hatte, wieder verhaftet und erst 1986 entlassen. Über sein späteres Leben ist wenig bekannt. Er wohnte vermutlich in Ternopil, erlebte noch den Zerfall der Sowjetunion, den er lange vorausgesagt hatte, und die Entstehung der unabhängigen Ukraine, die er so gewünscht hatte. Er soll 2001 noch gelebt haben, als Papst Johannes Paul II. (für die „Büßer“ der „Antipapst“) nach Lwiw und Kiew kam, und soll die ukrainischen Behörden gedrängt haben, den Besuch des Papstes abzusagen, damit das Land nicht von Gott gestraft werde. Die „Büßer“ deuteten den tragischen Unfall während einer Flugshow in Lwiw im Juli 2002 als Konsequenz der Ignoranz der Regierung gegenüber ihren Warnungen. Laut einigen Zeugen soll Soltys 2002 oder 2003 gestorben und in Sambir begraben worden sein. Seine Anhänger weigern sich jedoch, das genaue Datum seines Todes oder die Stelle seines Grabes preiszugeben, da sie behaupten, dass „er noch lebt“ – weil „Gott niemals stirbt“.

Die gegenwärtige Situation der Gemeinschaft

Versammlung der „Büßer“ auf dem Hügel von Serednje (Aufnahme des Autors)

Heute wird die Gesamtzahl der „Büßer“ in Galizien und Transkarpatien auf 200-300 geschätzt. Die meisten von ihnen waren Vater Soltys in den 1960er- und 1970er-Jahren gefolgt oder es sind ihre Kinder und Enkel; aber es gibt auch später Konvertierte, in der Regel ältere Menschen, die den „Büßern“ nach dem Zerfall des Kommunismus beitraten und oft von den nationalistischen Tendenzen des Serednjekults angezogen wurden. Sie werden von drei älteren Priestern betreut, die von Vater Soltys ordiniert wurden (u. a. sein Neffe Myroslav). Auf dem Berg wurde in den frühen 1990er-Jahren eine kleine Kapelle und später eine beeindruckende Statue der Jungfrau Maria errichtet. An Kirchenfesten nach dem neuen Kalender der „Büßer“ – in dem der Sonntag durch den Mittwoch ersetzt2 und einige neue Feste eingeführt wurden – feiern zwei oder drei Priester einen vier Stunden langen Gottesdienst. Diese Feierlichkeiten folgen dem alten griechisch-katholischen Ritus, wie er in den 1930er-Jahren praktiziert wurde, mit vielen so genannten „Latinismen“ wie dem Läuten der Glocken vor der Kommunion, dem Kommunionempfang im Knien, Bittgebeten nach dem Gottesdienst, Maiandachten usw. Der Ritus der Serednje-Gottesdienste beinhaltet jedoch auch Änderungen wie liturgische Lesungen „vom Heiligen Geist“ (z. B. aus einem „neuen Evangelium“ für die Zeit des Heiligen Geistes, das aus Hannas Offenbarungen und Reden von Vater Soltys zusammengestellt wurde), Bezüge auf die „erfolgte Wiederkunft“ oder die „Maria-Hanna von Serednje“ oder – am auffälligsten – die Kommunion mit „heiligem Wasser“ aus der Serednjequelle anstelle von Brot und Wein. Auch bei Regen, Schnee, großer Hitze oder Kälte finden sich zu diesen Gottesdiensten ungefähr 80-100 meist ältere Leute ein.

In den letzten Jahren haben viele der verbliebenen „Büßer“ ihren Besitz anderenorts verkauft und Häuser in Serednje erworben, um auf dem „heiligen Land“ sesshaft zu werden. Mehrere nicht verwandte ältere Männer und Frauen teilen sich hier oft ein einziges Haus. Am Rand des Dorfes, in der Nähe des „Heiligen Berges“, wurde ein großes Haus gebaut, das die „Büßer“ ihr „Kloster“ nennen und wo Priester und andere Pilger Aufnahme finden. Auf dem Hügel wurde ihnen von den Behörden des Dorfes ein kleiner Friedhof zugewiesen (normale Friedhöfe betrachteten die „Büßer“ als entweiht). Die Spannung, die zwischen den „Büßern“ und der sowjetischen Gesellschaft bestand, hat nun abgenommen.

Heute bildet der Serednjekult ein Überbleibsel aus der Epoche der massiven Verfolgungen, die die griechisch-katholische Kirche der Ukraine unter dem sowjetischen Regime erleiden musste. Außerdem ist die Gemeinschaft ein lebendiges Zeugnis für die Tatsache, dass die Existenz im Untergrund nicht nur von standhaftem Bekenntnis zum Glauben und heroischem Martyrium zeugte. In den Untergrund getrieben zu werden, war ein tiefes psychologisches Trauma, das manchmal unwiderrufliche Veränderungen in Weltsicht und Lebensweise hervorrief. Hinter dem Eisernen Vorhang isoliert, sahen einige Gläubige die Tragödie ihres Landes und ihrer Kirche als ein Ereignis von weltgeschichtlicher und sogar eschatologischer Bedeutung. Von Verfolgungen und Entbehrungen verhärtet, begannen sie, jeden Widerstand, der weniger radikal als ihr eigener war, als einen trügerischen Kompromiss anzusehen. Angesichts der Machenschaften des sowjetischen Geheimdienstes und der sowjetischen Propaganda entwickelten sie Misstrauen und Verschwörungsdenken. Ohne institutionelle Führung suchten sie Unterstützung und Trost in Wundern und fanden einen neuen Führer in der Person eines eifrigen und asketischen Priesters, der eine klare Vorstellung von seiner besonderen Mission hatte.

Die „Büßer“ stehen stellvertretend für den eigentümlichen Fall von zutiefst entschlossenem und selbstverleugnendem Widerstand gegen das sowjetische Regime, verpackt in phantastische messianische Illusionen. Ihre entschiedene und tief empfundene Treue zur katholischen Kirche führte ironischerweise zur Gründung einer kleinen Sekte mit ihrem eigenen „Apostolischen Stuhl“. In gewisser Hinsicht gehören sie zu den tragischsten Opfern der sowjetischen Herrschaft – nicht nur im Sinne der Unterdrückungen und Verfolgungen, die sie erlitten haben, sondern in erster Linie und hauptsächlich in dem Sinn, dass sie für einen trügerischen Zweck auf einen Pfad mit enormen Opfern gedrängt worden sind.

Aus dem Englischen übersetzt von Sonja Rotgeri.


Fußnoten:


  1. Eine Anspielung auf die Verkündigung des Dogmas von der unbefleckten Empfängnis 1854, also 100 Jahre zuvor. ↩︎

  2. Der Name „Serednje“ bedeutet in etwa „Mitteldorf“ und ist mit dem Wort für Mittwoch („sereda“) verwandt. ↩︎