Die Kirche in Tschechien – Gestärkt aus der Verfolgung?

(Diskussion 2)
aus OWEP 2/2000  •  von Jiři Kaplan

Jiři Kaplan war ursprünglich Gymnasiallehrer für Mathematik und Physik. Er arbeitete früher als Übersetzer technischer Literatur und übersetzt jetzt vorwiegend religiöse Literatur.

Ja, ich bin überzeugt davon, dass die Kirche in Tschechien gestärkt aus der Verfolgung hervorgegangen ist und ich will einige erklärende Worte dazu sagen.

Seit den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts sind wir, die gläubigen Laien, durch einen besonderen Prozess gegangen. Am Anfang war es eine Schreckenszeit, das Grauen vor den härtesten Eingriffen der kommunistischen Macht. Nach einigen Jahren haben wir vorsichtig festgestellt, dass es doch irgendwie Möglichkeiten gibt zu überleben. Zum Beispiel, wenn wir in der Kirche – alles wurde auf die bare Sonntagsliturgie reduziert – eine ähnliche Familie wie die unsere, mit kleinen Kindern, getroffen haben. Das hat zu regelmäßigen Treffen der Familien geführt. Für uns Eltern war es ein bedeutsames Erlebnis, zu sehen wie unsere Kinder zusammen mit den anderen glücklich gewesen sind. Der Kreis wurde im Lauf der Zeit größer. Uns verband die Überzeugung, dass es an uns Eltern lag, was wir unseren Kindern weitergeben werden.

Am Ende der sechziger Jahre haben wir, die Prager katholischen Familien, uns entschlossen, beim Staatskirchenamt eine bessere Ausbildung unserer Kinder in Religion an den Grundschulen zu beantragen. Das Amt hat damals – übrigens zum ersten Mal – geantwortet. Natürlich ablehnend mit der Begründung, dass die offizielle Kirche keine solche Ansprüche erhebe. Es war für uns bedeutsam, dass wir überhaupt eine Antwort bekommen haben. Wir haben sofort zurückgeschrieben, dass wir, die Laien, auch Kirche sind und dass wir mit der ablehnenden Antwort nicht einverstanden seien.

Seit dem Prager Frühling 1968, nach der Okkupation der sowjetischen Armee, haben wir trotz der harten Konsequenzen einige illegale Aktivitäten zur Stärkung und Aufmunterung der Gläubigen organisiert: Vervielfältigung von Literatur, geheime Treffen zu Gebets-, Katechese- und Exerzitienwochenenden und –tagen. Man muss daran erinnern, dass dies alles während einer wachsenden Polarisierung der Gemeinden geschehen ist. Denn die Mehrheit der Gläubigen hatte sich zurückgezogen – aus Angst vor möglicher Verfolgung. Die Initiative wurde von den Laien und Familien ergriffen, die diesen Kampf um das Überleben der Glaubensgemeinschaft für etwas Wesentliches gehalten haben. Es ging ihnen um die Vorbereitung der Kinder für ein Leben in schwierigen Umständen und um die Bildung und Erziehung zu einem christlichen Standpunkt. Diese Menschen waren bereit jedes Opfer auf sich zu nehmen.

Diese Bewegung wurde immer stärker und führte zuletzt zum Verlegen von Samizdat-Texten, zu Bulletins und Berichten, auch zur Übersetzung von eigener Literatur. Es wurde auch christliche Literatur aus dem Ausland sowie dort gedruckte tschechische Literatur illegal eingeführt. In verschiedenen Wohnungen hielten ausländische Theologen Seminare und Vorträge (u.a. Metz, Greinacher, Küng). Das war alles nicht so einfach. Aber es war vielfältig. Man kann kaum alle Formen der Aktivierung des christlichen Lebens nennen. Es war wirklich ein Aufbruch. Dieses Bewusstsein, etwas Sinnvolles gegen die harte Unterdrückung des Regimes zu unternehmen, wurde zum kostbaren Wert, zur Quelle der lebendigen Teilnahme am Leben der Kirche.

Wenn die Staatsmacht zur Unterdrückung gegriffen hat, wurde zwar ein Teil der Aktivisten ertappt. Aber sofort danach sind neue und weitere angetreten, so dass dieses Unternehmen nie gestoppt, sondern immer stärker fortgesetzt wurde. Allmählich verbreitete sich die Überzeugung, dass unsere Sache gerecht war.

Am Ende der siebziger Jahre, besonders seit der Erklärung der Charta 77, zeigte sich eine neue Tendenz. Die anderen Initiativen des Widerstands gegen den Normdruck der kommunistischen Macht, obwohl sie überwiegend atheistisch ausgerichtet waren, beobachteten aufmerksam die Bemühungen der Christen, ihren Glauben und ihre Religion lebendig zu erhalten. Sie haben mit ihnen sympathisiert und haben sie unterstützt. So entwickelten sich allmählich Kontakte zwischen der Charta 77 und aktiven Christengruppen. Das führte auch dazu, dass die Namen von Christen immer häufiger in den Protestdokumenten der Charta 77 und anderer Widerstandsgruppen erschienen.

Parallel dazu ist auch der Respekt vor den Christen und vor den Kirchen auf Seiten der oppositionellen Öffentlichkeit gewachsen. Im Jahre 1989 hat die katholische Kirche eine ganz ungewöhnliche Aufmerksamkeit dadurch gefunden, dass Kardinal Tomašek, damals schon mehr als achtzig Jahre alt, mit einer harten Kritik an der Partei- und Staatsmacht hervorgetreten ist. Zum wachsenden Respekt vor der Kirche hat weiter beigetragen, dass an der Spitze der Oppositionsinitiativen viele christliche Persönlichkeiten standen, die sich für die allgemeinen Bürgerrechte eingesetzt und die Freiheit gefordert haben. In den Jahren 1989/90 hat die Kirche die größte Anerkennung in der damaligen tschechischen Gesellschaft gefunden.

Zu den positiven Folgen der Verfolgung zähle ich vor allem die Glaubwürdigkeit – nach und trotz einer vierzigjährigen massiven atheistischen Propaganda. Dann aber auch die Hunderte von Lebensopfern, meistens von Priestern und Ordensleuten, die, wie wir glauben, sicher zur Quelle neuen Mutes und zur lebendigen Quelle des Glaubens werden können. Das ist ein Goldschatz der Kirche. Weiter ist es die ökumenische Annäherung der Kirchen. Dazu hat vorwiegend der harte Druck in der kommunistischen Zeit beigetragen. Und vielleicht auch die Vertiefung des Gefühls für die mystische Dimension der Kirche. In der Situation der grausamen Unterdrückung haben viele der Verfolgten, denen es um das Überleben in der Hoffnung ging, gerade diese Dimension intensiv wahrgenommen.

Aber bald nach der Befreiung haben sich Tendenzen durchgesetzt, die ich für unselig halte, weil sie die Glaubwürdigkeit wieder sehr geschwächt, wenn nicht ganz zunichte gemacht haben. Es handelt sich, unter anderem, um die Versuchung des Triumphalismus, um das Bestreben alles wiederherzustellen, was in der Kirche vor fünfzig Jahren gewesen ist, ohne verstehen zu können und zu wollen, dass wir heute viel weiter sind: die Bemühungen um die Rückgewinnung des beschlagnahmten Kircheneigentums; die Wiedererrichtung von vielen Bauten und Häusern wie auch der Aufbau von neuen; die strikte Ablehnung der offiziellen Kirche gegen die während der Verfolgung geheim geweihten Priester, von denen manche jetzt wieder in die Illegalität vertrieben wurden; die ungelösten Probleme mit den Priestern, die sich damals zur Zusammenarbeit mit der Staatsmacht bereit erklärt haben und die jetzt die Konsequenzen aus diesem Fehlverhalten nicht anerkennen wollen.

Insgesamt kann man sagen: Die katholische Kirche wurde in der Zeit der Verfolgung sicher gestärkt durch zwei Tatsachen: einmal durch die Vertiefung des Glaubens der zum Handeln entschlossenen Priester und Laien, zum anderen durch die wirklichen Opfer, die sie gebracht haben. Und sie wurde gestärkt im Einsatz zur Verteidigung der Gesellschaft gegen die kommunistische Willkür. Leider wurde während der ersten zehn Jahre nach der Wende vieles verwirtschaftet. Wie viel genau, wage ich noch nicht einzuschätzen.