Mein Rumänien

aus OWEP 3/2002  •  von Cornelius R. Zach

Dr. Cornelius R. Zach war lange Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für ost- und südosteuropäische Geschichte der Universität München und ist publizistisch im Bereich Südosteuropa (Schwerpunkt: Nationalismus im 20. Jahrhundert) tätig.

Der Personenzug fuhr langsam durch das Hügelland der Nordmoldau. Es dämmerte. Durch das Fenster, das lange nur vom Regen gewaschen wurde, schaute ich in die noch unklare Landschaft, die mir früher bekannt, sogar sehr bekannt gewesen war, wie mit anderen Augen. „Früher“ lag über zwanzig Jahre zurück, eine weite Zeitspanne. Die Sonne kam langsam hinter dem Horizont hervor, aus den entfernten Steppen Russlands, aus dieser Weite, von der die Rumänen nie etwas Gutes erwartet haben. Die Felder waren jetzt besser durch die feuchte Mailuft zu sehen. Getreide, Mais, Rüben und andere Pflanzen, die ich nicht erkennen konnte, aber auch viele brach liegende Felder folgten aufeinander. Zu wenig Bauern? Zu wenig Gewinn von der Feldarbeit? Ich erinnerte mich, dass man sogar vom Flugzeug, im tiefen Anflug auf Bukarest, in der fruchtbaren Bărăgan-Ebene viele unbebaute Felder sehen konnte. Ich habe darüber nicht wenig gestaunt, Rumänien noch ein „Agrarland?“ Die Mehrheit der Rumänen leben immer noch von der Landwirtschaft auf dem Lande und von der „kleinen“, vorstädtischen Agrarwirtschaft, obwohl manche der Letztgenannten längst in Städten wohnen. Es heißt jetzt, sie würden davon besser leben als die Arbeiter und Angestellten.

I.

Linker Hand sah ich durch das Zugfenster einen Hirten und seine Schafe. Unbeweglich stützte er sich auf seinen langen Stock. Er war mit einem grauen Übergang bekleidet und trug eine Schaffellmütze, wie im Klischee. So wie schon Grigorescu Hirten vor 1900 gemalt hatte. Ich konnte sein Alter nicht erraten, denn er drehte dem Zug gleichgültig den Rücken zu. Sah er sich den Sonnenaufgang an oder die ruhigen Schafe? Was dachte er dabei? Er verschwand aus meinem Blickfeld, ein fast skythisches Bild, das Bild einer anscheinenden Unbeweglichkeit – einer technischen, aber nicht einer sozialen – auch ein Bild unveränderter Sitten? Ich erinnerte mich an einen anderen Bauern, den ich 1985, in den Jahren der berüchtigten Diktatur von Ceauşescu, gesehen hatte. Ich fuhr mit dem Wagen über die Berge, es war bei Kronstadt. In der Ebene des Burzenlandes, nicht weit von der Straße, pflügte ein Bauer ein Feld. Sein eigenes Feld, in der Zeit der Kollektivwirtschaft? Und vor den Pflug waren ein Pferd und ... eine Kuh gespannt. Ich hielt an. Ich erinnerte mich, früher gehört zu haben, dass es ein Zeichen größten Elends auf dem Lande sei, wenn man die Kühe zur Feldarbeit heranzieht. Ich bat den Bauern um Erlaubnis, sein Gespann zu fotografieren, und fragte ihn danach aus. „Wenn es kein Öl für Traktoren gibt ...“ kam die lakonische Antwort. Betrübt fuhr ich damals weiter. Das skythische Bild des Hirten bereitete mir Unbehagen, das Unbehagen der Unzeitmäßigkeit? Ein Urbild Rumäniens? Zahlreiche, unnütze Fragen über das Zivilisationsgefälle – haben sie etwas mit dem subjektiven Zufriedenheitsgefühl des Hirten, der dortigen Menschen zu tun?

Die Entfernung, die geographische wie die zeitliche, zeugt Entfremdung. Nicht nur zu den Menschen, sondern auch zu den Landschaften. Ich fuhr nach 1990, nach einigen Jahrzehnten der Abwesenheit, mit dem Auto durch das Prahovatal, die bergige Strecke zwischen Ploieşti und Kronstadt. Dort in den Karpaten hatte ich als Schüler mit meinen Eltern oft die Sommerferien verbracht. Orte wie Predeal oder Sinaia (mit dem Königsschloss Peleş) galten damals in Rumänien als ein non plus ultra für die Sommerfrische, ein Gstaad der Karpaten. Und jetzt? Die Landschaft schien mir genau so wie immer, schön und doch nicht zu wild, aber die Suprastruktur fehlte, es war für mein entfremdetes Auge deutlich, es gab dort zu wenig Interventionen des Menschen, es war fast zu ursprünglich. Der neue Eindruck deckte sich nicht mit der Erinnerung, und auch das war unbehaglich.

II.

Die Menschen sind mir vertrauter als die Landschaften. In Bukarest, auf der Straße, sieht man dieselbe sich schnell bewegende, schnell redende, anscheinend unbesorgt wirkende Masse. Wenn man aber mit Bekannten spricht, hört man Töne einer neuen Unruhe, neuen Kummers. Der politischen Unsicherheit hat die Sorge um die Arbeit, um die viel schneller als die Gehälter und die Pensionen steigenden Preise und um die Zukunft Platz gemacht. Die graue Masse niedergedrückter Bürger, die die städtische Landschaft in Ceauşescus Rumänien belebte, ist einer unruhiger, jünger wirkenden Bevölkerung gewichen. Die Menschen scheinen hinter etwas her zu laufen. Ein Vergleich aus dem Wald wirkt hier, in der Hauptstadt, skurril: Sie suchen nach Nahrung. Auf meine Frage nach Neuigkeiten antwortet mir ein junger Universitätsprofessor: „Ach, diese Veränderungen ...“. Ich weiß, dass nicht die politischen ihm zu schaffen machen. Ich habe oft in den letzten Jahren mit rumänischen Intellektuellen gesprochen. Ich bewundere ihre Bildung, die bei vielen vorhandene all-round-Bildung, die Beweglichkeit des Geistes, die Eleganz der Sprache, das sympathische Auftreten, die Gastlichkeit. Etwas charakterisiert aber die meisten von ihnen: eine Gleichgültigkeit den theoretischen Fragen der Existenz gegenüber. Oft höre ich den Satz: „Prinzipien, hohe Moral, Ökologie können wir uns noch nicht leisten. Das ist Luxus, das könnt ihr haben.“ Die politischen Witze sind inzwischen verschwunden; das würde ich als gutes Zeichen bewerten. Die alte Leichtigkeit des Seins ist aber geblieben, die meisten von meinen Bekannten haben ihren Humor nicht verloren. Das war Jahrzehnte lang – unter den drei Diktaturen zwischen 1938 und 1989 – für sie gemüts- und manchmal lebensrettend. Ein alter rumänischer Philosoph sagte einmal zu mir: „Ich hasse diese Witze. Alles auf die kalte Schulter nehmen. Wie soll man dabei noch ernsthaft nach Lösungen suchen?“ Jetzt hört man kaum neue Witze, ich kenne auch keine über Armut und Mangel in Rumänien.

Nichts scheint veränderlicher als die Bukarester Straßen nach der Wende von 1989. Neue Geschäfte werden gegründet und verschwinden genau so schnell wieder, Verkaufstheken auf den elegantesten Straßen erinnern lebhaft an Istanbul oder Kairo. Darauf haben früher Straßenkinder in der Nacht geschlafen. Jetzt sehe ich sie nicht mehr. Das Warenangebot in den besten Geschäften unterscheidet sich kaum vom Westen, die Preise auch nicht. Es wird trotzdem gekauft, es gibt anscheinend genug kaufkräftige Kunden, mindestens in Bukarest. Die Fassaden der Häuser werden nach Jahrzehnten kommunistischer Vernachlässigung zögernd renoviert. Es mangelt offensichtlich an Geld. Finanzielle Schwäche wird am schnellsten am Straßenbild erkannt. Doch die Spielkasinos florieren. Man sieht sie zu oft, manchmal in altehrwürdigen Gebäuden, wie dem Haus Vernescu, in dem lange Zeit das Haus der Schriftsteller untergebracht war. Ich konnte von niemandem erfahren, wer dort verkehrt. Meine Neugierde reicht nicht so weit, um selbst hinein zu schauen.

Die eigenen Erinnerungen an der Realität wieder zu erkennen, ist problematisch. Unvorsichtigerweise bin ich im Jahre 1995 in ein berühmtes Restaurant in Bukarest zu Mittag essen gegangen. Es war damals schon über 120 Jahre alt, ein ehemaliges Klein-Maxim, beliebt schon zu einer Zeit, als Bukarest selbst – zu Recht oder zu Unrecht – als „Klein-Paris“ des Balkans galt. Es war Capşa, auf der Calea Victoriei, mit kirschfarbenem Samt und vergoldeten Spiegeln, mit schönem Besteck und kompetentem Personal. Bei meinem vorletzten Besuch (in der Zeit von Ceauşescu) staunte ich nicht wenig, als mitten in einem verarmten Land bei Capşa über sechzig Speisen auf der Karte angeboten wurden. Auf meine Frage antwortete mir der alte Kellner: „Sie sind alle vorhanden". Der Saal war voll, trotz Diktatur und hoher Preise. Um 22 Uhr musste man – laut polizeilichen Anordnungen – den Strom abschalten. Nicht aus moralischen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen, um Energie zu sparen. In dem Jahr bin ich nachts in Bukarest Kilometer lang durch unbeleuchtete Straßen gegangen und habe stolz mein Hotel wieder gefunden. Eine für junge Leute reizvolle Erfahrung, mindestens ein wenig Mittelalter. Aber 1985, im kommunistischen Rumänien, war der Saal von Capşa voll. Die Kellner brachten Kerzenleuchter und man konnte sich dabei weiter bis ein Uhr unterhalten. Die Kerzen passten zum Ambiente, sie hatten etwas Subversives, als hätte man die Regierung hintergangen. Zehn Jahre später aß ich allein zu Mittag in dem großen Raum. Etwa zehn Kellner „tapezierten“ die Wände, wie man zur Zeit des Hausgründers gesagt hätte. Alles war stilvoll, das Essen genau wie immer. Ich habe nicht gefragt, warum der Saal leer war. Ich bin früher als beabsichtigt gegangen, als hätte ich dort etwas Unanständiges getan.

Capşa und einige andere Adressen mehr waren die Lieblingstreffpunkte der rumänischen Elite, nicht nur bis 1944, sondern bis 1989. Diese – nach dem Krieg nur intellektuelle – Elite konnte sich während der ganzen kommunistischen Periode über Wasser halten. Es waren die Professoren, die Mitglieder der Rumänischen Akademie, die bekanntesten Ärzte und Schriftsteller, Künstler, Wissenschaftler und ihre Familien. Sie gewährleisteten eine gewisse Kontinuität zwischen der Vor- und der Nachkriegszeit. Sie waren Wissensträger, sie trugen auch ein zweites, nichtberufliches, sehr kostbares Gut weiter: das Wissen, wie es „früher“ gewesen war. Diese Elite erneuerte sich zwar wie jede andere auch. Die Erneuerung wurde durch den Kommunismus forciert, aber die Neuen drangen trotz ihren beruflichen Positionen nicht bis zum harten Kern der alten Elite vor. Diese alte Elite relativierte kommunistische Revolution und höhlte sie aus. Hinsichtlich Bildung, Wissen und Lebensstil stand sie weit höher als die Masse des Volkes – auch das im Europa des 20. Jahrhunderts ein Anachronismus, Zeichen der „Zeitverschleppung“, der mangelnden Demokratie. Der Kommunismus hat die Elite unbeabsichtigt wie eine „Konserve“ erhalten. Für diejenigen, die sie wahrnahmen, wurde diese Elite zusammen mit den später auftretenden Dissidenten gleichsam zu einem intellektuellen, politischen und sozialen Silberstreif am Horizont in der Diktatur. Allerdings wollten einige Fundamentalisten der alten Garde nicht dazu gehören. Für sie waren ihre in Amt und Ehren wirkenden Kollegen Kollaborateure. Ihre Prinzipientreue ehrt sie gewiss, doch waren sie wenig bekannt, jedenfalls in der Jugend. Die Anonymität tötet die Beispielhaftigkeit. Diese alte Elite ist heute fast verschwunden. Eine technokratische Gruppe, auch unter den Geisteswissenschaftlern, hat ihren Platz eingenommen. Die neue rumänische Elite wird der westlichen immer ähnlicher, ein untrügliches Zeichen für den Fortschritt des Landes. Der Existenzkampf wird dort seit 1989 immer härter. Es gibt kaum mehr Platz für die Werte der Großeltern.

III.

Die Kirchen sind in Rumänien wieder voll. Den Satz habe ich oft gehört. Sie waren auch vor 1989 nicht leer. Nach zwei Jahrzehnten strengsten Kampfes gegen die Kirchen, ganz im Stil der Bolschewiken der zwanziger Jahre, hat sich die Bekämpfung des Christentums in Rumänien ab 1965 in Grenzen gehalten. Und unter Ceauşescu wurde dieser Kampf zur Leerformel. Schließlich hatte der kommunistische Staat von der Orthodoxen Kirche kaum etwas zu befürchten. Manchmal galt sogar das Gegenteil. Parteiaktivisten, Erziehern und einigen Gruppen mehr war es im Prinzip untersagt, die Kirchen zu besuchen. Die Anonymität der Großstadt führte das Verbot ad absurdum. Und die großen Feiertage – Weihnachten, Ostern – enthielten ohnehin soviel Bräuche, dass eine „nationale“ Führung sie nicht von ganzem Herzen hätte bekämpfen können. Deshalb würde ich die vollen Kirchen heute nicht als Politikum, als Zeichen des Antikommunismus bewerten. Der orthodoxe Glaube ist nicht unbequem, er fordert kein Martyrium und erlaubt eine fast folkloristische Form von Religion, die sich noch immer in heidnisch anmutenden Begräbnisriten und Ähnlichem offenbart. „Das Dorf gewinnt die Oberhand“, sagte mir unlängst eine skeptische Rumänin. Bedeutet aber nicht Folklore allein die Verwässerung des Dogmas? Vor vielen Jahren hat mir die Tochter eines Nomenklaturisten gesagt: „Wir haben im Dezember zwei Tannenbäume, der eine bleibt sichtbar auf der Terrasse bis zum 31. Dezember, der zweite wird heimlich am 24. Dezember vom Keller nach oben gebracht und geschmückt. Danach haben wir eine ganze Woche keine Gäste, aber unsere Freunde machen es genauso.“ Die christlichen Bräuche haben den Kommunismus überlebt, aber nicht besiegt. Inzwischen gibt es immer mehr orthodoxe Priester, die sich selbst als Fundamentalisten entlarven. Sie sind aber Fundamentalisten der Bräuche. So dürfen Frauen manche Kirche nicht ohne Kopfbedeckung betreten. Von einem Fundamentalismus der Moraltheologie habe ich bis heute noch nichts gehört. Die fundamentalistischen Priester polemisieren aber auch gegen die anderen Konfessionen im Land, ja praktizieren oft einen konfessionellen Nationalismus, der heute wieder problematisch für die mit Rom Unierten und für die Katholische Kirche ist. Wenn bis vor Kurzem die Evangelische Landeskirche Augsburgischen Bekenntnisses Rumäniens fast ausschließlich eine Kirche der Deutschen im Lande war, die sich nach deren Auswanderung immer mehr anderen Nationalitäten öffnen musste, so sind die meisten Unierten und Katholiken Rumänen. Trotzdem gibt es unter den Orthodoxen eine starke, diskriminierende Ablehnung der unierten Sprachbrüder, die man als „abtrünnig“ ansieht. Diese Abtrünnigkeit wird als ein Abfall vom Rumänentum rezipiert, was einer Ignoranz der Fakten, einer Vermischung der nationalen und theologischen Ebenen gleich kommt, die wiederum als wenig demokratisch, ja unzeitgemäß gelten muss, aber kaum auszurotten sein wird. Denn diese Sichtweise ist nicht nur dem einfachen orthodoxen Klerus eigen.

Vor einigen Jahren wollte ich dem katholischen Bischof von Iaşi ein Buch über einen Amtsbruder aushändigen, der Anfang des Jahrhunderts Erzbischof von Bukarest gewesen war. Ich dachte, das Ganze würde sich in zehn Minuten bei einer Tasse Kaffee erledigen lassen. Zu meinem Erstaunen lud mich der Prälat zum Mittagessen ein. Leicht verlegen, wegen der vermuteten Zeremonien, betrat ich die bischöfliche Residenz. Nach einem erfrischenden Gespräch speiste ich mit dem Bischof in einer Runde von etwa zwanzig Priestern. Alles verlief nicht förmlich, aber würdig, mit einer Note von Humor, aber ohne Familiarität, sodass ich nach über zwei Stunden mit dem Bedauern ging, zu weit von dieser Stadt zu wohnen. Unter den älteren Pfarrern habe ich noch einige getroffen, die die alte Generation der verfolgten katholischen Kleriker erlebt hatten. Ich erwähnte Namen von Priestern, die man in den Fünfzigern eingesperrt hatte. Die Anwesenden konnten mir Manches über sie berichten. Und ich erinnerte mich, dass es in den schwersten Jahren des Kommunismus – vor 1964, aber auch danach – ein Politikum, ein Zeichen des Widerstands war, in die katholische Kirche zur Messe gehen, besonders für Nichtkatholiken.

Eine der prägnantesten Veränderungen der letzten Jahrzehnte in Rumänien ist die Ausreise von zwei ethnischen Gruppen: Juden und Deutsche sind aus dem Land fast verschwunden. Die Deutschen hinterlassen einige der schönsten gotischen und barocken Kirchen des Landes, wie die Schwarze Kirche in Kronstadt und den Dom in Temesvar. Nur kann man sich fragen, wie viele der Normalbesucher wissen, dass es sich um eine Kirche der Deutschen handelt? Man kann auch diese Frage als gleichgültig betrachten, nur würden mich einige Zeichen der Erinnerung an die verschwundenen Gruppen, mehr als die Anerkennung ihrer vergangenen Tüchtigkeit, freuen. Die mosaischen Denkmäler sind noch weniger präsent, wenn man von einigen (neuen) Synagogen und von drei oder vier sehr schönen, sehr alten Friedhöfen absieht. Die neologische Synagoge in Temesvar soll durch die Umgestaltung zum Konzertsaal vor dem Verfall bewahrt werden. In meiner Kindheit waren die meisten meiner Freunde in der Moldau Juden. Sie sind alle ausgewandert – ich auch. Ethnische Vielfalt ist eine Bereicherung, dafür hat aber die Mehrheit, in Rumänien wie anderswo auch, wenig Verständnis. Nichts ist so langlebig wie das xenophobe Klischee. Eine Neuerung in dieser Hinsicht habe ich allerdings nach 1990 beobachtet, man kann darin auf eine Rückkehr zur Tradition sehen: malerisch angezogene Roma, in den Städten und auf dem Lande, oft auf ihren unverwechselbaren Pferdewagen. Sie waren früher unter Ceauşescu unsichtbar. Man kann das Ethnische, wie das Konfessionelle unterdrücken; für seine Ausrottung braucht man allerdings länger als fünfzig Jahre Diktatur.

Erinnerungen kann man schwer verlieren. Man kann sie als entfernt, in einer immer weiter zurückliegenden Vergangenheit behalten, man kann sie auch durch die erneuerte Betrachtung der Realität auffrischen und dadurch verändern oder sie durch Verklärung verschönern. Die Göttin Memoria war immer untreu. Mein altes Bild von Rumänien wandelt sich nach jedem Besuch ein bisschen mehr. Das freut mich nur mäßig, das Schönste an den Erinnerungen ist eben, dass sie beständig bleiben.