Der Kaukasus in der russischen Geschichte

Christian Dettmering ist Osteuropahistoriker und promoviert am Osteuropainstitut der Freien Universität Berlin.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die darauf folgenden gewaltsamen Konflikte in Berg-Karabach, Georgien und besonders Tschetschenien haben den Kaukasus im letzten Jahrzehnt wiederholt in die Schlagzeilen gebracht. Meist verbindet man diese Konflikte mit der (Wieder-)Geburt von Nationalbewegungen in einem multiethnischen Raum. In letzter Zeit rückte aber auch die Frage nach islamistischem Extremismus im Kaukasus immer mehr ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit. So nutzte die Regierung in Moskau die Gunst der Stunde, den laufenden tschetschenischen Krieg in den „Kampf gegen den Terrorismus“ einzuordnen, zumal auch die Anschläge in Moskau für Verunsicherung gesorgt hatten.

Der folgende Blick zurück auf 200 Jahre Geschichte soll einige Charakteristika der russisch-nordkaukasischen Beziehungen erhellen. Der Nordkaukasus sticht nicht nur wegen des Konflikts in Tschetschenien aus der postsowjetischen politischen Landschaft hervor, sondern auch, weil in dieser Region mehr Ethnien als irgendwo sonst in der ehemaligen Sowjetunion auf engstem Raum leben und weil der Nordkaukasus im Gegensatz zu den neu- oder wiedererstandenen Staaten des eigentlichen Kaukasus (Transkaukasus) – Aserbaidschan, Georgien und Armenien – bei Russland verblieben ist. Dadurch ist der Einfluss der Moskauer Politik auf die lokalen Prozesse wesentlich größer.

Mehr nach historischen als nach topographischen Gesichtspunkten teilt man den Kaukasus in drei Teile: Der Nordostkaukasus umfasst Dagestan und Tschetschenien, im Zentralkaukasus befinden sich Inguschetien und Nordossetien, zum Nordwestkaukasus gehören Kabardino-Balkarien, Karatschajewo-Tscherkessien und schließlich der Krasnodarskij Kraj mit der Enklave Adygien. Dagestan ist die ethnisch vielfältigste Republik mit über 30 verschiedenen Nationalitäten. Die größte autochthone nordkaukasische Ethnie bilden die Tschetschenen.

Russische und sowjetische Politik im Nordkaukasus

Als sich Russland 1801 Ostgeorgien einverleibte, verlief der einzige Verbindungsweg nach Tbilisi/Tiflis durch die Darielschlucht. Deswegen wollte Russland die nordkaukasischen Völker unterwerfen und so die Verbindung in den Transkaukasus sichern. Außerdem konnte die Unterwerfung auch die neuen russischen Siedler im Nordkaukasus vor Überfällen schützen und die Erschließung der nordkaukasischen Rohstoffe erleichtern. Der Oberkommandierende der Kaukasustruppen Alexej Jermolow setzte die Eroberungspolitik um, verlegte die Grenze weit in die Berge und raubte den dortigen Völkern die besten Weiden und Ackerböden, zu denen sie nur bei vollständiger Unterwerfung wieder Zugang erhalten sollten. Damit entbrannte der Kaukasuskrieg, der im Nordostkaukasus bis 1859 und im Westen bis 1864 dauerte. Noch zu Kriegszeiten berief Zar Nikolaus I. mit Michail Woronzow einen Statthalter im Ministerrang, der durch besondere Befugnisse flexibel auf die spezifischen Probleme reagieren sollte.

Nach dem russischen Sieg durchlief der Nordkaukasus Phasen der beschleunigten gesellschaftlichen Modernisierung: Von den sechziger bis in die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts fand die Einbindung in das Russische Reich statt. Die zwanziger und dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts standen im Zeichen der „Sowjetisierung“; von den fünfziger bis in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts schließlich herrschten die „doppelten Standards“, als infolge der „Tauwetterperiode“ nach und nach die Kontrolle über viele Bereiche des Alltags nachließ, wodurch viele traditionelle Institutionen der Kaukasusvölker wieder erstanden.

Die Reaktionen auf die sowjetische Verwaltung und das sowjetische Rechtssystem waren je nach Ethnie sehr unterschiedlich. Den größten Widerstand leisteten die Tschetschenen, den geringsten die Osseten. Beide Völker gehörten zunächst zur neugebildeten „Bergrepublik“ (1921-1924). Im Jahre 1944 ließ Stalin einige Bergvölker (Balkaren, Tschetschenen, Inguschen und andere) nach Mittelasien deportieren. Unter Chruschtschows „Tauwetter“ band man die nationalen Traditionen der Völker Russlands in die sowjetische Ideologie ein, sodass auch viele Elemente des traditionellen Regierungssystems der Bergvölker eine Wiedergeburt erlebten. So entstanden in ländlichen Verwaltungsbezirken des Nordkaukasus Ältestenräte, die administrativ den Dorfsowjets zugeordnet waren. „Nützliche“ gewohnheitsrechtliche Normen (Ehrung von Alten, Schiedsgerichtsbarkeit, Dorfversammlungen, Schutz der öffentlichen Ordnung und des Eigentums) wurden propagiert, „schädliche“ gewohnheitsrechtliche Normen (Rechtlosigkeit der Frau, Blutrache) bekämpft.

Konfliktherde

Als Russland in den Nordkaukasus vordrang, verlangte es zunächst Unterwerfung unter seine Gesetze und seine administrativen Vorstellungen, die teilweise den örtlichen Sitten grundlegend widersprachen. In der Folgezeit bildete sich im Nordostkaukasus unter dem Banner des Islam eine Gegenbewegung, die den Dschihad gegen die Ungläubigen ausrief. Russland gelangte zu der Ansicht, der Islam sei der gefährlichste Feind in der Region, und versuchte, dessen Einfluss durch Deportation vieler Muslime in das Osmanische Reich möglichst weit einzugrenzen.

In der Sowjetzeit und noch mehr heute ersetzt der Nationalismus den Islam. So kann man gegenwärtig zwei Tendenzen im Nordkaukasus beobachten. Zum einen findet eine Suche nach neuen Identitäten statt, auf deren Grundlage sich nationale Bewegungen mit dem Ziel der Eigenstaatlichkeit zu gründen versuchen. Die Führer der Nationalbewegungen der Kabardiner und Balkaren wollten in der ersten Hälfte der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts zwei Staaten begründen und ihr jeweiliges Territorium unter Bezug auf verschiedene historische Epochen verändern. Zum anderen versucht man, die gegenseitigen Beziehungen der Republiken des Nordkaukasus mit dem Moskauer Zentrum neu zu gestalten.

Im Ostkaukasus führte der tschetschenische Nationalismus zum organisierten Widerstand gegen die russischen Streitkräfte, jedoch ist er, wie die Erfahrung der faktischen tschetschenischen Unabhängigkeit zeigte, bisher noch nicht kräftig genug, um auf ihm einen funktionierenden Staat aufzubauen und zusammen zu halten. In Dagestan spielten nationale Gedanken zwar in der politischen Rhetorik eine wichtige Rolle, doch zeigen Allianzen zwischen Vertretern verschiedener Ethnien gegen die Vertreter der eigenen (in denen häufig alte Gemeindebindungen eine wichtigere Rolle spielen als die abstrakteren nationalen) die Grenzen des Nationalismus auf, sodass es weder zur Segregation Dagestans noch zur Abspaltungsbewegung von Russland kam.

Im Zentralkaukasus, dessen Ethnien schon im 19. Jahrhundert kaum an den Kriegen gegen Russland teilnahmen, ist die Position des russischen Zentrums nicht ernsthaft in Frage gestellt worden. Die Inguschen erreichten die Abspaltung Inguschetiens von Tschetschenien und traten mit Gebietsforderungen gegenüber Nordossetien auf, die 1992 zu bewaffneten Auseinandersetzungen führten. Jedoch hat die in den letzten Jahren aktiv verfolgte Nationalgeschichtsschreibung einen prorussischen Unterton. Sowohl Inguschen als auch Osseten suchen traditionell bei Russland Schutz vor den Ansprüchen anderer Kaukasusvölker.

Rechtssysteme

Im Nordkaukasus galten und gelten drei verschiedene Rechtssysteme: das Gewohnheitsrecht (Adat), die Scharia und das staatliche russische Recht. Der Hauptcharakterzug der Rechtspraxis nach Adat besteht im Fehlen einer Staatsgewalt, die durch Verwandte und Gesellschaftssanktionen ersetzt wird. Entweder gleichen erfahrene Mediatoren Konflikte in Kompromissen aus, wobei es zur finanziellen und rituellen Entschädigung für entstandene Verluste kommt (Ausgleichsprinzip), oder sie werden mit Gewalt zwischen den beteiligten Seiten nach strengen Regeln entschieden (Racheprinzip). Das Adat kennt keinen Unterschied zwischen Zivil- und Strafrecht. Die Scharia ist ein religiös-moralisches Regelwerk für Muslime, in dem u. a. auch Rechtsnormen enthalten sind. Diese überprüft der Kadi anhand von Koran und Lehren Mohammeds.

In Dagestan, das über alte islamische Traditionen verfügt, waren Scharia und Adat eine Symbiose eingegangen; der Kadi urteilte nach beiden Rechtssystemen. Imam Schamil kämpfte im 19. Jahrhundert für eine reine Scharia in Dagestan und Tschetschenien, um den Islam zu stärken. In Tschetschenien selbst spielte die Scharia bis dahin eine untergeordnete Rolle. Meist wird angenommen, dass die Scharia dabei in familienrechtlichen und Religionsfragen galt, während Grundbesitzfragen und das Strafrecht nach Adat behandelt wurden. Jedoch hatte die Scharia möglicherweise einen viel weiteren Aufgabenbereich, zumindest in Dagestan.

Die russische Verwaltung führte schließlich mit dem „Militär-Völkischen System“ ein zweischichtiges System ein. Unter der allgemeinen Gültigkeit des russischen Rechts konnten die Bergvölker in „Mündlichen Gerichten“ nach Adat- und Scharia-Regeln verfahren. Einige Adatregeln wurden jedoch sofort verboten, etwa die Blutrache. Außerdem sollte in diesen Gerichten nach Möglichkeit das Adat gegenüber der Scharia bevorzugt werden. In Dagestan konnte die russische Verwaltung teilweise unter Nutzung von Versöhnungsnormen des Adats alte Blutracheauseinandersetzungen beilegen. Solche Erfolge wurden in Tschetschenien kaum erzielt. Im Zentralkaukasus scheiterten Versuche der russischen Administration, die Inguschen und Osseten in einem Gericht zusammen zu fassen, am Protest der Inguschen. So blieben die Osseten die einzigen, bei denen keine „Mündlichen Gerichte“ eingeführt wurden, und die in das russische Gerichtssystem einbezogen wurden. Allerdings waren damit natürlich die Adatnormen von Rache und Versöhnung im Alltagsleben nicht sofort beendet.

In das sowjetische Gerichts- und Rechtssystem im Nordkaukasus haben die Bergvölker einige kaukasische Spezifika zur Regulierung von Konflikten geschickt eingeflochten. Die Sowjetunion kämpfte von 1926 an gegen die Scharia und die „schädlichen Überbleibsel“ des Adat, konnte jedoch nicht alle alten Vorstellungen ausrotten. Mit der Zeit unterlagen sie unter sowjetischem Einfluss einem Veränderungsprozess, sodass heute Schiedsgerichte in Dagestan bereits neue juristische Normen verwenden. In Tschetschenien verfügen Schiedsgerichte häufig nicht mehr über die ehemalige Autorität, auch wenn ihre Veränderungen weniger erforscht sind. Wahrscheinlich hat sich aber die tschetschenische Regierung zwischen 1996 und 1999 nicht nur aufgrund der islamischen Ideologie, sondern auch wegen des Autoritätsverlusts der Schiedsgerichte in der Gerichtspraxis auf Schariagerichte gestützt. Gleichzeitig hat die nie ausgerottete Blutrache hier im Gegensatz zu vielen anderen Gegenden des Nordkaukausus aufgrund des gegenwärtigen Krieges eine Renaissance erfahren.

Zur Rolle der Religion

Im Nordostkaukasus diente der Islam seit Ende des 18. Jahrhunderts den verschiedenen Ethnien als einigende Kraft gegen die russischen Eindringlinge. Zur Zeit Schamils (1834-1859) blühte die Naqschbandiyya – eine Sufibewegung, die auch in anderen Gegenden der islamischen Welt im 19. Jahrhundert eine scharf antikoloniale Ideologie verfolgte. Von ihrem „Fanatismus“ erschreckt, hat die russische Leitung vergeblich versucht, jede sufitische Bewegung und mit ihr die Scharia einzudämmen. So konnte sie auch die Verbreitung der Qaddiriyya, einer anderen Sufibewegung, unter den Tschetschenen nach dem russischen Sieg über Schamil nicht verhindern. Die Sowjetunion unterdrückte aus ideologischen Gründen religiöse Bewegungen. Allerdings reichten die sowjetischen Maßnahmen nicht, um den Islam in der Bevölkerung zu bekämpfen. Er lebte als „Parallelislam“ weiter. Während der Deportationszeit diente der Sufismus sogar dem Zusammenhalt der Tschetschenen und garantierte ihr Überleben als Volk. Er half auch der Wiedergeburt des Islam nach dem Fall der Sowjetunion in Tschetschenien und Dagestan. In Tschetschenien einigte der erste Präsident Dschochar Dudajew die Tschetschenen gegen russische Forderungen. Wie weit sich der aus Saudi-Arabien stammende äußerst konservative Wahabismus in Tschetschenien verbreitet hat, ist umstritten. Russlands Warnungen werden zumeist als übertrieben betrachtet; in Dagestan zumindest hat Moskau durch ein Bündnis mit den Sufibewegungen einer Verbreitung des Wahabismus Einhalt gebieten können.

Versuche, die Osseten und Inguschen zu islamisieren und in den islamischen Modernisierungsprozess einzubeziehen, trafen im 19. Jahrhundert auf aktive orthodoxe Missionstätigkeit, die seit 1771 mit kurzen Unterbrechungen in der „Ossetischen Geistlichen Kommission“ organisiert war. So sind die meisten Osseten orthodox, nachdem der größte Teil der islamisch-ossetischen Minderheit in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts ins Osmanische Reich deportiert worden war. Anfängliche Missionserfolge unter den Inguschen konnten bei ihnen allerdings nicht die Verbreitung des Islam stoppen, der sich mit der Qaddiriyya endgültig in Inguschetien durchsetzte. Allerdings politisierte sich der inguschische Islam im Gegensatz zum nordostkaukasischen bis heute nicht.

Die Veränderungen in Russland in den neunziger Jahren erlaubten dem Islam, als eine der Hauptreligionen Russlands anerkannt zu werden. Im Nordwestkaukasus entwickelte sich seither der Islam in drei Richtungen: als traditioneller Islam, als dogmatischer und als radikale Bewegung unter dem Einfluss Saudi-Arabiens. Die gegenseitige Beeinflussung und Adaption von islamischen Normen, Bräuchen und kaukasischen Traditionen fügten dem Islam in den letzten Jahrhunderten ursprünglich nichtislamische Züge hinzu, die heute aber als islamisch gelten. Die Anhänger des nichttraditionellen Islam (neue oder Jungmuslime) rekrutieren sich ausschließlich aus der Jugend (bis 35 Jahre). Sie kämpfen für einen bereinigten kanonischen Islam, frei von kaukasischen Charakterzügen.

Clansysteme

Ein Charakterzug aller Kaukasusvölker ist die Ehrung von autoritativen Alten, die eine große Zahl von politischen und juristischen Funktionen ausüben. Diese Ehrung der Alten steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Bedeutung, die Verwandtschaftsbeziehungen bei der Regulierung von ökonomischen, politischen und anderen Problemen spielen.

In Dagestan war nach der Abschaffung der Fürstentümer durch Russland nach dem Kaukasuskrieg die einzige funktionstüchtige politische Struktur das Dschamaat, eine politische Einheit, die aus einem oder mehreren nahe beieinandergelegenen Dörfern besteht. Sie verfügt über ein eigenes politisches Regelwerk, klare territoriale Grenzen sowie eine klar abgegrenzte Mitgliedschaft. Nur innerhalb dieser Dschamaate existierten Tochume (Geschlechter), die als Verwandtschaftsgruppen die Entscheidungen des Dschamaat an ihre Mitglieder vermittelten. Die Dschamaate setzten sich auch in der Sowjetunion in Form von Kolchosen und sogar politischen Formen fort. Heute sind sie die Einheiten, auf die sich dagestanische Politiker stützen.

In Tschetschenien und Inguschetien vereinten sich große Familien in komplexen Clansystemen, deren bekanntestes Element der Tajp (Clan) ist. In den Bergen hatten große Tajps ihr eigenes Territorium und ihren eigenen Tajpberg. In der tschetschenischen Ebene lebten dagegen Vertreter mehrerer Tajps gemeinsam in Großdörfern. Tajps verfügen über keine klare politische Führung. Russland versuchte häufiger, Tajps im Sinne des „divide et impera“ gegeneinander auszuspielen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bildeten sich wieder Tajp-Räte. Ihre heutigen Funktionen sind aber umstritten, und eine baldige Klärung ist aufgrund der sehr politisierten Diskussion in der russischen Wissenschaft nicht zu erwarten. Während manche davon ausgehen, dass sich die tschetschenischen Kämpfereinheiten entlang von Tajplinien bilden, verweisen andere darauf, dass Mitglieder einer Tajp in verschiedenen Gruppierungen kämpfen oder sogar zwischen Anhängern Russlands und eines unabhängigen Tschetschenien gespalten sein können. Wahrscheinlich haben die Tajps eine wichtige Rolle in traditionellen juristischen Fragen und Bräuchen bewahrt. Wirtschaftsstrukturen werden eher entlang enger begrenzter Verwandtschaftsbeziehungen gebildet.

Die gegenwärtigen Verwandtschaftsstrukturen der nordwest- und zentralkaukasischen Völker bilden eine Mischung aus Blutsverwandtschaft und Formen künstlicher Verwandtschaft. Viele erinnern sich gut an ihre Vorfahren und kennen Legenden über ihr heldenhaftes Leben und ihre historischen Wurzeln. Solche Verwandtschaftsverbindungen haben einen hohen sozialen Status und beeinflussen die Art des Kampfes um die Macht auf Republikebene. Die Nähe zu Familien, die eine hohe soziale Stellung und hochgestellte Vertreter in der Republikadministration haben, ist für die gesamte Gesellschaft von Bedeutung. So haben Familienmitglieder auf ihre Verwandten während der Wahlkampagnen in Adygien und der Kabardino-Balkarischen Republik zwischen 1996 und 2001 Einfluss zugunsten des einen oder anderen Präsidentschaftskandidaten ausgeübt.

Ausblick

Der Versuch radikaler Tschetschenen, ihren Krieg gegen Russland auf andere Bergvölker auszuweiten, hat nur geringe Erfolgschancen. Dagestan fand nach einigen Unruhen ein stabiles politisches System, in dem nationale Konflikte kanalisiert werden können. Inguschische Intellektuelle neigen zu einem prorussischen Nationalismus. Am loyalsten zeigen sich traditionell die Osseten. Die Republiken des Nordwestkaukasus sind am Finanzzufluss aus Moskau interessiert und hüten sich daher vor antirussischer Politik.

Eine gewisse Gefahr bildet aber der radikale Islam, der einen Teil der Jugend erfasst und in Tschetschenien auf fruchtbaren Boden fällt. Die Entwicklung des Islam im Nordkaukasus ist von einer Radikalisierung bedroht, die von lokalen islamischen Gelehrten gebremst und auf einen kanonischen Weg gebracht werden muss. In vielerlei Hinsicht hängt seine weitere Ausbreitung von der zukünftigen ökonomischen Entwicklung des Nordkaukasus ab. Die große Zahl arbeitsloser Kaukasier beinhaltet ein hohes Risiko im Hinblick auf zukünftige Konflikte.