Zur Tätigkeit der OSZE in Weißrussland.

Gespräch mit dem Leiter der Mission, Botschafter Dr. Eberhard Heyken
aus OWEP 2/2004  •  von Thomas Bremer

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) unterhält seit 1997 eine „Beratungs- und Beobachtungsgruppe“ in Weißrussland, deren Mandat mit „Unterstützung der weißrussischen Behörden in der Förderung demokratischer Institutionen“ umschrieben ist. In der Vergangenheit hat es jedoch immer wieder Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit dieser Mission mit den weißrussischen Behörden gegeben, die den Diplomaten zum Teil keine Aufenthalts- bzw. Einreiseerlaubnis erteilen wollten. OWEP sprach mit dem Leiter der Mission, Botschafter Dr. Eberhard Heyken. Die Fragen stellte Thomas Bremer.

Herr Botschafter, wie würden Sie jetzt, gut ein Jahr nach Ihrem Amtsantritt, die Zusammenarbeit mit den weißrussischen Behörden beschreiben?

Botschafter Dr. Eberhard Heyken. (Das Foto wurde freundlicherweise von ihm zur Verfügung gestellt)

Ich kann hierauf keine eindeutige Antwort geben. Das OSZE-Büro in Minsk tritt unter anderem ein für den Aufbau von demokratischen Institutionen, für rechtsstaatliche Verhältnisse und für die Entwicklung der Zivilgesellschaft. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Aufgaben zu einem Spannungsverhältnis mit der Regierung führen können, da Erwartungen und Forderungen in den genannten Bereichen gerade an die stattlichen Organe gerichtet sind und deren Interessen unmittelbar berühren. Auf politisch neutraleren Gebieten wie Wirtschaft und Umwelt, die ebenfalls zum Mandat des OSZE-Büros gehören, ist die Sache einfacher.

Zwischen der Regierung und dem OSZE-Büro ist ein Konsultationsmechanismus eingerichtet worden. Es gibt vier Arbeitsgruppen, an denen auf belarussischer Seite eine Reihe von Ministerien und staatlichen Einrichtungen vertreten sind. Hier findet die praktische Zusammenarbeit bezüglich der Projekte statt, die das OSZE-Büro durchführt. Im letzten Jahr waren es 13 Projekte. Diese regelmäßigen Zusammenkünfte haben die Grundlage für die Entwicklung sachlicher Beziehungen und zur Schaffung von Vertrauen gelegt. Wir stehen mit vielen Behörden in Verbindung und praktizieren so die uns im Mandat auferlegte Verpflichtung zu enger Kooperation und zu Transparenz. Es wäre auch äußerst unklug, auf eine Zusammenarbeit mit der Regierung zu verzichten, denn dann würden wir uns unser Handlungs- und Einflussmöglichkeiten weitgehend begeben.

Können Sie einige Fortschritte nennen, die in der letzten Zeit erreicht wurden?

Wir müssen realistisch sein. Man darf vom OSZE-Büro in Minsk keine Wunder erwarten, d. h. niemand sollte glauben, dass wir den Kurs der Führung des Landes in eine andere Richtung lenken könnten. Vielmehr sehe ich unsere Aufgabe darin, langfristig zu wirken: in Richtung auf die Demokratisierung von Staat und Gesellschaft und zur allmählichen Schaffung rechtsstaatlicher Verhältnisse. Wir leisten Beiträge im Verfolg dieser Ziele. aber es ist schwer abzuschätzen, wie weit sie erfolgreich sind. Das wird die Zukunft zeigen. Zu Beginn der Arbeit habe ich mir nicht vorstellen können, dass die Kluft zwischen Regierung und Zivilgesellschaft so groß ist. In den anderen Ländern der Region, in denen ich tätig war, habe ich ein weitaus höheres Maß an Tolerierung und Anerkennung der Zivilgesellschaft erlebt als in Belarus. Das offizielle Belarus sieht anscheinend weite Teile der Zivilgesellschaft als in Gegnerschaft befindlich an und sucht sie an der Entfaltung von Autonomie durch strenge Regeln und strikte Kontrolle zu beschränken. Dies ist ein grundsätzliches Problem für das gegenwärtige Belarus. Wir bemühen uns im Rahmen unserer Möglichkeiten, die Zivilgesellschaft zu unterstützen. Wir pflegen engen Kontakt und reagieren auf beunruhigende Signale.

Ich halte diese Seite unserer Tätigkeit für besonders wichtig. Die Zivilgesellschaft betrachtet die OSZE als Anwalt westlicher bzw. europäischer Werte, was zutreffend ist, wenn das nicht in einem engen geografischen Sinne verstanden wird. Die Arbeit des OSZE-Büros in Minsk stärkt das Bewusstsein dafür, dass der Westen, dass Europa sich um Belarus kümmert und Belarus als Teil Europas akzeptiert. Ich denke, hier liegt zu einem guten Teil die Rechtfertigung für die Präsenz der OSZE-Mission in Belarus.

In der letzten Zeit waren mehrfach Berichte über die Einschränkung der Pressefreiheit in Belarus zu lesen. Wie beurteilen Sie die Lage hinsichtlich des Grundrechts der Meinungsfreiheit heute?

Die Pressefreiheit ist in Belarus in der Tat stark gefährdet. Die Geschehnisse um die „Belarussische Geschäftszeitung“ vermitteln einen Eindruck davon. Sie ist eine qualitätsvolle Tageszeitung für einen gehobenen Leserkreis, gewissermaßen das Flaggschiff der nichtstaatlichen Presse. Im Mai 2003 wurde sie durch Gerichtsbeschluss für drei Monate suspendiert; für jeden unvoreingenommenen Beobachter waren die in der Entscheidung herangezogenen Gründe nicht überzeugend. Zwar konnte die Zeitung nach Ablauf der Frist wieder erscheinen; sie muss aber in Smolensk, also im Ausland, gedruckt werden und hat viele Abonnenten verloren. Zu Beginn des Jahres 2004 lehnte die Post unter Kündigung des Vertrages den weiteren Postversand ab, so dass die Zeitung einen neuen Vertriebsweg finden musste. Die Zeitung kämpft um das Überleben, und es ist bewundernswert, mit welchem Mut und Engagement sich die Redaktion bis heute behauptet.

Viele andere Zeitungen, auch in den Regionen, stehen ebenfalls unter großem Druck. Nach glaubwürdigen Angaben existieren nur noch etwa 40 nicht-staatliche Zeitungen. Die staatlichen Zeitungen werden straff kontrolliert. Das Fernsehen ist völlig in staatlicher Hand, während beim Radio die Lage noch etwas freier ist. Viele Beobachter sprechen deshalb von einem Informationsmonopol der Regierung. Dieser Zustand ist sicherlich noch nicht erreicht. Aber im Herbst werden Parlamentswahlen in Belarus stattfinden, und die Tendenz ist unübersehbar, die Verbreitung oppositioneller und kritischer Meinungen auf ein Minimum zu reduzieren.

Belarus liegt ist in einer wichtigen Position zwischen Russland und Mittel- und Westeuropa. Trotz der eindeutigen Aussagen und Handlungen von Präsident Lukaschenko gibt es auch Äußerungen von ihm, die auf eine stärkere Orientierung zur EU hin deuten. Wie sehen Sie den außenpolitischen Kurs des Landes, wo sehen Sie seine Zukunft?

Präsident Lukaschenko, der seit fast zehn Jahren im Amt ist, vertraut auf eine Außenpolitik, in deren Mittelpunkt Russland und die GUS stehen. Gemeinsamkeiten kann er nur dort finden. Zwar sind in den letzten zwei Jahren nicht unerhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Minsk und Moskau aufgetreten, aber diese Entwicklung sollte nicht zu dem Schluss führen, dass Belarus einen grundsätzlichen Kurswechsel in Richtung auf den Westen vornehmen würde. Es wäre gewiss viel gewonnen, wenn Lukaschenko Schritte zur Überwindung der selbstverschuldeten Isolierung, die im Verhältnis zum Westen seit der Verfassungskrise vom Herbst 1996 besteht, in die Wege leiten würde. Er könnte mit Entgegenkommen des Westens rechnen. Aber eine ernsthafte Bereitschaft zu Maßnahmen im Bereich Pressefreiheit, Erweiterung der Rechte des Parlaments, Einrichtung des Amtes eines Menschenrechtsbeauftragten, Abschaffung der Todesstrafe usw. ist bislang nicht erkennbar geworden. Das ist um so bedauerlicher, als die belarussische Öffentlichkeit eine Politik der Öffnung gegenüber dem Westen, ohne Vernachlässigung des Verhältnisses zu Russland, begrüßen und mittragen würde.

Ab Mai wird Weißrussland ein direkter Nachbar der Europäischen Union sein. Welche besonderen Herausforderungen kommen hierdurch auf die EU, welche auf Belarus zu?

Nach meiner Einschätzung wird die Lage für Belarus zunächst schwieriger werden. Denn die bislang relativ offenen Grenzen Polens, Litauens und Lettlands zu Belarus werden in eine EU-Außengrenze umgewandelt sein; dadurch wird der Verkehr zwischen Hüben und Drüben erschwert. Der neue Zustand hat auch psychologische Folgen – das Gefühl, von „Europa“ abgeschnitten zu sein, wird stärker werden. Man kann nur hoffen, dass eine baldige Anpassung in Gang kommt und die Dinge sich einpendeln. Darüber hinaus ist jedoch damit zu rechnen, dass die EU-Nachbarschaft für Belarus längerfristig Vorteile mit sich bringt. Zum Beispiel dürfte der als Folge der EU-Mitgliedschaft wachsende Lebensstandard in den westlichen Nachbarländern nach und nach eine Ausweitung der Handelsbeziehungen dieser Länder mit Belarus bewirken.

Was die EU anbelangt, so wird das Interesse an dem „neuen Nachbarn“ zunehmen. Sie wird mehr denn je wünschen, dass Belarus stabil bleibt, aber ebenso, dass die Menschen dort besser leben und demokratische und rechtsstaatliche Verhältnisse an Boden gewinnen. Die EU wird sich mehr engagieren. Das „Konzept der neuen Nachbarschaft“ der EU vom März 2003, welches Belarus einbezieht, bildet dafür einen konzeptionellen und praktischen Rahmen.