Der Fänger im Roggen

Marta und Vida Grković sind zwei Schwestern aus Zagreb (Kroatien). Marta besucht das Gymnasium für Mathematik und Informatik im 10. Schuljahr, Vida ist Studentin der Fakultät für Elektrotechnik und Computerwesen im ersten Jahr.

„Lieber Gott, wo bin ich hingeraten, hier allein in der Fremde …“, das sind die Worte vieler junger Intellektueller, die, mit dünnem Idealismus und frisch erworbenem Wissen bewaffnet, in die Welt hinaus gegangen sind, um dort ihr Brot zu verdienen. Die Wirklichkeit hat den Idealismus in kurzer Zeit mit Vergnügen zerbrochen, und das Wissen genügt nicht zum Überleben …

Indem ich die Stufen der Ausbildung durchlaufe, verwandle ich mich bewusst in eine Akademikerin. Werde ich in meinem eigenen Umkreis überleben können? Warum, Gott, muss das Leben so kompliziert sein?

Ich bin Person. Mich bilden meine Gedanken, der Verstand, die Gefühle, der Geist, das Gewissen, meine Talente. Warum habe ich keine Möglichkeit zur Selbstverwirklichung?

Warum fühle ich mich wie ein Fremder in meinem Raum, in meiner Zeit? Warum habe ich den Eindruck, dass mein Ruf nach Veränderung im Vakuum der zwischenmenschlichen Beziehungen verschwindet? Wir Jungen sind der empfindlichste Teil der gesellschaftlichen Struktur, doch statt so behandelt zu werden, fühlen wir uns oft wie ein Fußball, für den man sich nur während des Spiels interessiert, und wenn das Flutlicht erlischt, ist wieder alles wie früher, d. h. wir werden wieder die Hauptschuldigen an der Niederlage des frustrierten Menschen gegen sich selber.

Wir wollen nicht mehr die Protagonisten von Sensationsmeldungen in den Zeitungen und in tiefgründigen Straßenbahngesprächen sein. Von nun an wollen wir ohne unehrliche Etikettierung und ohne die entmutigenden Prognosen für unsere Zukunft leben. Aber wir haben ein kleines Problem … wir wissen nicht wie. Das Leben wurde uns in einem Päckchen ohne Gebrauchsanleitung geschenkt. Wir hoffen auf Wegweiser, die oft mit Verspätung und mit dem Beigeschmack von Kritik kommen.

Ein wenig verwirren uns auch diejenigen, die wir mit Bewunderung und Ehrfurcht betrachten, wenn sie ihre eigenen Regeln durchbrechen. Dann lehren sie uns, unsere Fehler zu bekennen, doch ihnen selbst fehlt die Selbstkritik, das auch zu tun, so als würden sie „den Splitter im Auge des Bruders sehen, aber nicht den Balken im eigenen Auge“. Leider gibt es keinen Spiegel, der das Problem lösen könnte, und die Brillenstärke wächst mit den Jahren immer mehr. Die Regierung versucht, die Probleme der jungen Leute mit Kampagnen gegen Rauchen, Alkohol und Drogen zu lösen, aber dabei vernachlässigt sie den auf den ersten Blick eher unbedeutenden Faktor der Ursache. Die Kirche konzentriert sich zwar auf die Ursache, aber ihr Wirkungsgrad ist wegen des Gewichts der Probleme und der Tatsache, dass sie nicht zu jedem Einzelnen mit seiner je unterschiedlichen Weltanschauung vordringen kann, beschränkt.

So komme ich also heute zur Probe des Kirchenchores, in dem ich seit Jahren singe, und fange ein Gespräch über eine Fahrt zum Weltjugendtag nach Köln an. Wissen Sie, was die erste Gegenfrage war? Ich bin mir sicher, dass Sie ohne langes Nachdenken die richtige Antwort sofort wussten. Man hat nämlich gefragt, wieviel Geld das kosten wird. Sie würden genauso fragen, nicht wahr? Das Bewusstsein der Welt hat den Dollar, den Euro und ihre Kollegen auf das Niveau von Gottheiten erhoben. Das sind die Maßstäbe von Erfolg und Standard. Die jungen Leute sehen das Paradox, aber sie wissen nicht, wie sie sich aus dem Strudel heraus ziehen sollen, der sie nach unten zieht. Sie jagen nach Diplomen, welche ihr Selbstvertrauen schützen sollen, denn dauernd bekommen sie Kritik von jenen, die vergessen haben, dass ein Lob von Herzen die Batterien für die Fortsetzung auffüllen kann.

Diejenigen jedoch, die Geld verdienen, nehmen täglich ihr Portemonnaie in die Hände und bedienen sich mit Hochachtung der Geldscheine; sie richten ihren Blick und ihre Aufmerksamkeit auf das Symbol der Vergänglichkeit der materiellen Welt. Die Denker entwickelter Länder sagen, dass der Mensch die Hälfte seines Lebens arbeitet, um so viel wie möglich zu verdienen, und dass er die andere Hälfte seines Lebens damit verbringt, das verdiente Geld auszugeben, um die Gesundheit, die er durch seine Arbeit verbraucht hat, wieder herzustellen. Da haben wir es gut, wir kleine Länder in der Entwicklung, die wir die Hilfe vor allem in der Form von konstruktiven Ratschläge der „Älteren und Erfahreneren“ bekommen, denn sie sprechen über die Lebensqualität, und es klingt wie Reklame für eine Fast-Food-Kette oder wie eine verdummende Seifenoper, wie das Leben nach dem Muster der Sterne vom amerikanischen Unterhaltungshimmel. Dabei darf ich den Begriff der Globalisierung nicht auslassen, der mich jedes Mal neu durch seine Breite und seine Anpassungsbereitschaft an jeden, der ihn benutzt, beeindruckt. Als objektiver Beobachter habe ich den Eindruck, dass man uns dem Idealtyp eines treuen Verbrauchers so ähnlich wie möglich machen möchte, durch Vereinheitlichung des Geschmacks, Verminderung von Unterschiedlichkeit, Gleichschaltung von Originalität und Vernachlässigung der Identität … Gefühle sind auch nicht erwünscht. Der Kult eines solchen Idealismus macht uns zu Sklaven der modernen Routinen, von denen man glaubt, sie müssten immer wieder realisiert werden.

In all dem deutet sich die Sinnlosigkeit des modernen Lebens an. Der Mensch versucht, aus allem das Beste heraus zu ziehen und alles soweit wie möglich seinem eigenen Einfluss zu unterwerfen, als habe Gott bei der Erschaffung der Welt nicht ohnehin alles so geschaffen, dass es gerade dem menschlichen Wesen dient. Adam und Eva haben das sofort ausgenutzt, genau wie der heutige Mensch, der alles aufs Spiel setzt, was ihm gegeben ist. Die Gesellschaft tendiert zu sehr zur Vollendung, die es in dieser Welt nicht geben kann. Aber dafür versucht der Mensch hartnäckig, die Natur zu verwalten. Der Lohn ist das vollendete Bild der entarteten Manipulierung des Verstandes. Eine Tomate mit dem Genom von einem Fisch ist die Spezialität des Labors im 21. Jahrhundert. Der Kampf gegen die Zeit, der sich im ewigen Wunsch nach Jugend zeigt, endet im Wachstum des Prozentanteils von Silikon und anderen nicht natürlichen Stoffen im menschlichen Körper, der nach der biblischen Definition „Tempel des Heiligen Geistes“ ist. Die pränatale Mortalität ist größer denn je, und die Menschen wollen weiterhin die Euthanasie und die Abtreibung gesetzlich zulassen, unter der Ausrede des Rechts auf Auswahl. Die Altersgrenze von schwangeren Kindern ist bis zu erschreckenden zwölf Jahren herab gesunken, dennoch spricht man sich für die Einführung von Sexualunterricht in den Schulen aus, als weitere Form der Promotion von Sex ohne Liebe und Verantwortung. Wenn es so weiter geht, entwickelt sich das alles noch intensiver, als herrsche nicht jetzt schon genug Öde in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Statt den Prozess des Baus von Brücken des Verständnisses und der gegenseitigen Hilfe zu beginnen, werden die Abstände vergrößert.

Wir jungen Leute haben einerseits eine zu große Freiheit der Auswahl zwischen all dem, aber gleichzeitig sind wir durch die Erwartungen unserer Umgebung gebunden. Die Medien propagieren mehr als das oben Angeführte, und wir können uns nicht einfach isolieren und vor allem davon laufen. Wohin wir uns auch wenden, immer hören wir eine Stimme, die uns in die Richtung unseres eigenen Verderbens ruft, aber auch die Stimme des Gewissens, die oft übertönt wird. Verstand und Herz lassen sich oft nur schwer in Übereinstimmung bringen. Es braucht Zeit, dass sich das Herz von den jetzigen Wünschen befreien kann und wir Gott gestatten, der einzige Genetiker der Welt zu sein. Er weiß doch am besten, was seine Kinder brauchen. So könnten wir das erreichen, wonach die Jungen in der ganzen Welt verlangen, wenn sie um den Altar versammelt sind: die Einheit von Zielen und Gegensätzen, die Gemeinschaft in der Unterschiedlichkeit.

Von der Welt erwarte ich Unterstützung beim Ausbau einer Zivilisation der Liebe. Ich erwarte, dass das Lächeln und die weit geöffneten Arme ein international anerkannter Reisepass in eine lichtere Zukunft werden. Jeder von uns hat als Kind Gottes das Recht auf Erfüllung des Ziels seiner Existenz, und dieses Recht darf ihm niemand wegnehmen. Jeder muss Gelegenheit haben, seinen eigenen Beitrag zu leisten, um durch Zusammenarbeit und bessere Kommunikation Gemeinschaft zu erlangen, mit gegenseitiger Bereicherung als einziger Nebenwirkung.

Worauf warten wir noch? Schon jetzt gibt es viele Gebetsbewegungen, Gemeinschaften von jungen Menschen, verschiedene Formen von Religionsunterricht, Vorträge, es gibt Wallfahrten und Workshops, Begegnungen und geistliche Erneuerungen. Mir fehlt vor allem aber die Beichte, nach der ich mich tatsächlich besser fühle. Während der Beichte werde ich etwas ganz Besonderes hören, was Gott mir direkt durch den Beichtvater sagt, oft tröstlich und mild, denn so ist er als Vater, etwas Nützliches, das anwendbar und absolut wahrhaftig ist, etwas, woran ich mich halten kann, wenn alle anderen Hilfsmittel versagen. Wenn junge Leute auf ein Problem stoßen, dann brauchen sie jemanden, der ihnen geduldig und hundertprozentig konzentriert zuhört, der ihnen endloses Verstehen entgegen bringt und eine Mischung aus Hoffnung und Tapferkeit eingießt, der sie an Jesus erinnern und dabei nicht versuchen wird, eigene Standpunkte aufzudrängen oder die Situation für die Aufrichtung von Autorität zu missbrauchen.

Junge Leute haben oft einen sechsten Sinn für die Erkenntnis von wahrhaften Autoritäten, die auf Wissen und Lebenserfahrung basieren, nicht auf Gewalt. Wir sollten die Autorität nicht von vornherein verwerfen, denn sie ist gut, wenn sie nicht missbraucht wird. Wir sollten uns der fachmännischen Leitung des Heiligen Geistes überlassen.

Ich glaube, dass es ausgezeichnet wäre, wenn es in den Gemeinden Priester gäbe, die speziell für die Jugendlichen zuständig wären. Sie sollten nicht von anderen alltäglichen Verpflichtungen belastet sein, sich vielmehr den jungen Leuten gänzlich widmen können, um ihnen zu helfen, damit ihnen Gottes Plan für ihr Leben offenbar wird. Denn man verspürt, dass Führungspersönlichkeiten mit katholischer Grundhaltung fehlen, die bereit wären, dem Übermaß der Gefühle von Schuld, von Verworfenheit, von der Furcht, unverstanden zu bleiben, von Minderwertigkeit, von Ängsten und anderem entgegen zu treten – den Problemen, die den jungen Leuten zu eigen sind. Merkwürdig, aber gerade die einfachsten Lösungen sind unserem so kompliziert verfassten Geist oft am fernsten …

Deutsch von Thomas Bremer.