Von der Diplomatie zum Dialog

Zum Stand der ökumenischen Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem Moskauer Patriarchat
aus OWEP 2/2005  •  von Johannes Oeldemann

Dr. Johannes Oeldemann ist Direktor am Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik in Paderborn und Mitglied der Arbeitsgruppe „Kirchen des Ostens“ der Deutschen Bischofskonferenz.

Als Walter Kardinal Kasper in seiner Funktion als Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen dem Moskauer Patriarchat im Februar 2004 einen offiziellen Besuch abstattete, signalisierte diese Reise das Ende einer zweijährigen „Frostperiode“ in den Beziehungen zwischen der Russischen Orthodoxen Kirche und dem Vatikan, die mehr von zwischenkirchlicher Diplomatie als vom offenen Dialog zwischen Schwesterkirchen geprägt war. Bereits ein halbes Jahr später reiste Kardinal Kasper erneut nach Moskau, um im Auftrag von Papst Johannes Paul II. eine Ikone der Gottesmutter von Kasan der russischen Kirche zurückzugeben, die nach der Oktoberrevolution über Umwege in den Westen gekommen und zuletzt in den Privatgemächern des Papstes bewahrt und verehrt worden war. Die feierliche Überreichung der Ikone an den Patriarchen von Moskau am 28. August 2004, an dem die Orthodoxe Kirche in Russland nach Julianischem Kalender das Fest des Entschlafens der Gottesmutter feierte, war ein deutliches Zeichen für den Willen der katholischen Kirche zum Dialog und zur Versöhnung. Eine solche Geste war von großer Bedeutung nach einer Periode, die mehr von Konfrontation und Spannungen als von Versöhnungsbereitschaft gekennzeichnet war.

Das Krisenjahr 2002

Als der Vatikan am 11. Februar 2002 seine Entscheidung bekannt gab, die vier Apostolischen Administraturen auf dem Territorium der Russischen Föderation in den Rang von Diözesen zu erheben und eine diese vier Diözesen umfassende Kirchenprovinz in Russland zu errichten, löste dies in Moskau eine Welle von Protesten aus. Was war geschehen? Formell hatte der Vatikan nichts anderes getan, als die katholischen Kirchenstrukturen in Russland von der provisorischen Form der Apostolischen Administraturen in die reguläre Form der Diözesen zu überführen. Ungeschicklichkeiten in der vatikanischen Informationspolitik gegenüber dem Moskauer Patriarchat und Fehleinschätzungen hinsichtlich der Bedeutung dieses Schrittes auf russischer Seite führten dann zur Eskalation eines seit Jahren latenten Konfliktes, der auf einer unterschiedlichen Bewertung der Tätigkeit der katholischen Kirche in Russland basiert. Die Tatsache, dass der Konflikt in den folgenden Monaten vor allem in Form von Presseerklärungen beider Seiten ausgetragen und nicht durch persönliche Gespräche bereinigt wurde, trug dazu bei, dass sich die Fronten auf beiden Seiten rasch verhärteten. Verschärft wurde die Lage zusätzlich noch dadurch, dass ein katholischer Bischof und mehrere katholische Priester aus Russland ausgewiesen wurden bzw. ihnen die Wiedereinreise verweigert wurde, wogegen der Vatikan scharfen Protest bei den russischen Staatsorganen einlegte.

Neben einigen orthodoxen Priestern und Bischöfen, die unverhohlen zu antikatholischen Aktionen aufriefen, waren auch die bereits erwähnten Ungeschicklichkeiten in der vatikanischen Informationspolitik gegenüber dem Moskauer Patriarchat nicht ohne Schuld an dieser Entwicklung: Als Papst Johannes Paul II. am 25. Januar 2002, also weniger als drei Wochen vor dem Termin der Bekanntgabe, eine offizielle Delegation der Russischen Orthodoxen Kirche empfing, wurde die bevorstehende Erhebung der Administraturen in den Rang von Diözesen mit keinem Wort erwähnt. Die Tatsache, dass die „andere Seite“ schlicht über getroffene Entscheidungen informiert und nicht zuvor das Gespräch mit ihr darüber gesucht wurde, widersprach den Prinzipien, die in einem 1993 verabschiedeten Dokument der Internationalen orthodox-katholischen Dialogkommission1 gemeinsam vereinbart worden waren. Mangelnde Kommunikation war somit der Hauptgrund für den im Jahr 2002 eskalierenden Konflikt zwischen Rom und Moskau.

Die Ursachen der Krise

Die Ursachen für die Spannungen zwischen dem Moskauer Patriarchat und dem Vatikan sind jedoch weit vielschichtiger, als dass man allein die gescheiterte Kirchendiplomatie für die Krise verantwortlich machen könnte. Viele der Faktoren, die eine Belastung für das orthodox-katholische Verhältnis darstellen, hängen eng mit der jahrzehntelangen kommunistischen Herrschaft in Russland zusammen. In dieser Zeit waren die Ausbildungsmöglichkeiten sowohl für den orthodoxen als auch für den katholischen Klerus sehr eingeschränkt. Auf orthodoxer Seite hatte dies zur Folge, dass das Niveau der theologischen Lehranstalten sehr niedrig war und das Bild der katholischen Kirche, das in ihnen vermittelt wurde, bis in die neunziger Jahre hinein auf vorkonziliaren Darstellungen beruhte. Nach dem Fall des Sowjetregimes verschärfte sich das Problem, insofern zahlreiche orthodoxe Priester innerhalb kürzester Zeit geweiht wurden, die praktisch nur auf das Zelebrieren der Gottesdienste vorbereitet worden waren, ohne eine fundierte theologische Ausbildung zu erhalten. Viele dieser Priester sind daher nicht fähig zu einem kritischen Umgang mit der antikatholischen Propaganda, die von so genannten „orthodoxen“, de facto aber vor allem nationalistisch geprägten Bruderschaften in zahlreichen Pamphleten in Russland verbreitet wird.

Dass das in diesen Schriften vermittelte Zerrbild der katholischen Kirche in Russland auf einen fruchtbaren Boden fällt, hat verschiedene Ursachen. Ein Grund ist beispielsweise der relativ hohe Anteil ausländischer Seelsorger im katholischen Klerus, der wiederum eine Folge der mangelnden Ausbildungsmöglichkeiten in kommunistischer Zeit ist. Von den knapp 300 römisch-katholischen Priestern in Russland besitzen weniger als 20 die russische Staatsangehörigkeit. Die meisten Geistlichen der katholischen Kirche in Russland stammen aus Polen, was aufgrund der historisch bedingten Differenzen zwischen Polen und Russen ein nicht zu unterschätzendes Hindernis für den Dialog zwischen Orthodoxen und Katholiken in Russland darstellt.

Im Zusammenhang mit der Tätigkeit katholischer Priester in Russland erhebt das Moskauer Patriarchat immer wieder den Vorwurf des Proselytismus, also des Abwerbens orthodoxer Gläubiger zur katholischen Kirche durch unlautere Mittel. Obwohl der Proselytismus auf katholischer Seite mehrfach von höchster Stelle verurteilt wurde, sind entsprechende Vorwürfe bisher nicht verstummt. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Zum einen gibt es heute in Folge der stalinistischen Zwangsumsiedlungen von Deutschen, Polen und Litauern, die den ursprünglichen Kern der katholischen Kirche in Russland bildeten, katholische Gemeinden in der gesamten Russischen Föderation. Pastoral und Caritas der katholischen Kirche beschränken sich daher nicht mehr auf geschlossene katholische Siedlungsgebiete, sondern strahlen auch auf das orthodoxe und atheistische Umfeld aus. Die Anziehungskraft der vergleichsweise gut organisierten caritativen Einrichtungen der katholischen Kirche, die mangelnde Sensibilität einiger katholischer Priester und Nonnen im Umgang mit orthodoxen Gläubigen und die nicht selten zu beobachtende Weigerung orthodoxer Priester, mit ihren katholischen Amtsbrüdern zusammenzuarbeiten, schufen ein Klima des Misstrauens, in dem die Proselytismus-Vorwürfe sich rasch ausbreiten konnten.

Auch in der orthodoxen Kirche gibt es eine verhältnismäßig große Zahl von „Neugläubigen“, die sich erst nach der Wende der orthodoxen Kirche zugewandt haben, ihre neue „Konfession“ – oft unbewusst – als Ersatz für die Ideologie des Kommunismus betrachten und dementsprechend „ideologisch“ mit dem orthodoxen Glauben umgehen. Schließlich muss man bedenken, dass die kommunistische Kirchenpolitik ökumenische Kontakte bewusst dazu nutzte, um dem Westen ein bestimmtes Bild ihrer Religionspolitik zu vermitteln. Diese Ausnutzung der Ökumene für Propagandazwecke hat das Wort „Ökumenismus“ und alle davon abgeleiteten Wortbildungen bis heute in den Augen vieler orthodoxer Gläubiger diskreditiert. Wenn daher in westlichen Medien immer wieder von einer antiökumenischen Stimmung in breiten Schichten des orthodoxen Klerus und Volkes in Russland die Rede ist, so sollte man sich bewusst machen, dass dies kein Spezifikum des orthodoxen Glaubens, sondern eine späte Folge der jahrzehntelangen kommunistischen Herrschaft ist.

Vielschichtige Lösungsansätze

Trotz der Spannungen und Konflikte riss der Gesprächsfaden zwischen der Russischen Orthodoxen Kirche und der katholischen Kirche auch im und nach dem Krisenjahr 2002 nicht völlig ab. Persönliche Gespräche einzelner katholischer Bischöfe, vor allem aus Italien und Deutschland, die guten Beziehungen der Brüdergemeinschaft von Taizé und der Gemeinschaft von Sant’Egidio zum Moskauer Patriarchat sowie die jährlichen Symposien mit Vertretern der russischen Kirche im italienischen Bose boten den Raum für Kontakte, durch die Voreingenommenheiten und Missverständnisse auf beiden Seiten allmählich abgetragen werden konnten.

Nach mehreren inoffiziellen Begegnungen mit Metropolit Kyrill, dem Leiter des Kirchlichen Außenamtes des Moskauer Patriarchats, konnte im Februar 2004 der anfangs erwähnte offizielle Besuch Kardinal Kaspers in Moskau stattfinden. Dabei wurde die Einsetzung einer Gemeinsamen Arbeitsgruppe vereinbart, in der künftig Problemfälle besprochen werden sollen, um eventuelle Missverständnisse von vornherein ausräumen zu können. Von großem Vorteil ist, dass es über die Mitglieder der Arbeitsgruppe nun einen „kurzen Draht“ zwischen Katholiken und Orthodoxen in Russland gibt, weil manche Dinge nun informell viel schneller als auf offizieller Ebene geklärt werden können. Einen wesentlichen Beitrag zur Schaffung eines neuen Dialogstils zwischen Orthodoxen und Katholiken in Russland leistete auch Erzbischof Antonio Mennini, der im November 2002 zum Nuntius in Moskau ernannt wurde. Die Nuntiatur in Moskau ist heute nicht mehr ein „Bollwerk des Vatikans“ in feindlicher Umgebung, sondern ein offenes Haus, in dem orthodoxe Bischöfe ohne Probleme ein- und ausgehen können.

Die Überreichung der Ikone der Gottesmutter von Kasan, die Papst Johannes Paul II. ursprünglich selbst auf einer von ihm seit langem gewünschten Reise nach Russland bringen wollte, war ein weiteres Signal der Versöhnungsbereitschaft. Die hochgesteckten Erwartungen, die der Vatikan mit dieser symbolischen Geste verband, wurden jedoch nicht ganz erfüllt, da das Moskauer Patriarchat immer wieder betonte, dass es sich nicht um das Original, sondern um eine Kopie aus dem 18. Jahrhundert handele, und so die Bedeutung der Rückgabe herabzustufen suchte.

Dennoch entwickelten sich die Beziehungen auch in der zweiten Jahreshälfte 2004 weiterhin zum Positiven. Die Kontakte des Vatikans mit dem Moskauer Patriarchat wurden nach den beiden Reisen Kardinal Kaspers im Februar und August durch zwei Reisen von Kardinal Paul Poupard, dem Präsidenten des Päpstlichen Kulturrates, fortgeführt, der im November die von Katholiken und Orthodoxen gemeinsam getragene „Geistliche Bibliothek“ in Moskau mit eröffnete und im Dezember an einer theologischen Konferenz in Minsk teilnahm. Ende November reiste eine offizielle Delegation der Deutschen Bischofskonferenz unter der Leitung des Vorsitzenden der Ökumenekommission, Bischof Dr. Gerhard Ludwig Müller, nach Moskau. Bei einem mehrstündigen Gespräch mit Metropolit Kyrill signalisierten beide Seiten ihr Interesse an einer Fortführung des Dialogs zwischen beiden Kirchen.

Im Blick auf die konkreten Probleme in Russland sind neben diesen Kontakten auf internationaler Ebene die Beziehungen zwischen den katholischen Bischöfen in Russland und dem Moskauer Patriarchat von entscheidender Bedeutung. Auch hier wurden inzwischen neue Verfahrensregeln vereinbart: Die katholischen Bischöfe informieren ihre orthodoxen Amtsbrüder schriftlich, wenn eine neue Pfarrei gegründet oder andere pastorale Projekte begonnen werden sollen. Die mit diesen Schreiben in der Regel verbundene Bitte um ein persönliches Gespräch wird von orthodoxer Seite zwar nicht immer aufgegriffen, doch die vereinbarte Zusendung einer Kopie des Schreibens an das Außenamt des Moskauer Patriarchats verhindert, dass ein orthodoxer Ortsbischof, der nicht zu einem Treffen bereit war, anschließend behaupten kann, er sei nicht informiert worden. Auch wenn dieses Verfahren bei weitem nicht dem Ideal eines vom ökumenischen Geist geprägten zwischenkirchlichen Dialogs entspricht, stellt es doch eine pragmatische Lösung im Umgang mit den aktuellen Schwierigkeiten in Russland dar.

Bleibende Probleme

Dass es trotz der vielschichtigen Ansätze zur Etablierung eines neuen Dialogstils noch nicht zu einer substanziellen Verbesserung der Beziehungen zwischen Rom und Moskau gekommen ist, hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen, die das orthodox-katholische Verhältnis nach wie vor belasten. Zu den bleibenden Problemen zählt vor allem die „Last der Geschichte“, die in der jahrhundertelangen Trennung zwischen Ost und West begründet ist und durch die jahrzehntelange Unterdrückung der Orthodoxie im kommunistischen Machtbereich noch nicht aufgearbeitet werden konnte. Der allmähliche Entfremdungsprozess zwischen Ost und West, der schon in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends christlicher Zeitrechnung durch divergierende politische und jurisdiktionelle Interessen ausgelöst und später durch unterschiedliche liturgische und dogmatische Entwicklungen vertieft wurde, führte dazu, dass sich im Laufe der Zeit in der lateinischen und der byzantinischen Kirche unterschiedliche Denkansätze entwickelten, die den Graben zwischen Ost und West weiter vertieften.2 Negative Erfahrungen aus vergangenen Jahrhunderten, wie beispielsweise die Eroberung Konstantinopels durch lateinische Kreuzfahrer im Jahr 1204 oder die Teilunionen östlicher Christen mit Rom auf Kosten der Einheit der jeweiligen Ortskirchen, belasten das orthodox-katholische Verhältnis bis heute. Der Grund hierfür ist das orthodoxe Geschichtsbewusstsein, das historische Ereignisse nicht einfach als etwas Vergangenes, Abgeschlossenes betrachtet, sondern sie als etwas empfindet, das bis in die Gegenwart hinein wirkt.

In engem Zusammenhang mit der historischen Problematik steht die Frage des „kanonischen Territoriums“3. Das Moskauer Patriarchat hat gegen die Errichtung katholischer Diözesen in Russland vor allem mit der Begründung protestiert, dass dadurch Parallelstrukturen auf dem kanonischen Territorium der Russischen Orthodoxen Kirche errichtet würden. Dies widerspreche dem altkirchlichen Prinzip, dass es in einer Stadt nur einen Bischof geben solle, um die Einheit der Kirche vor Ort zu wahren. Sowohl in der orthodoxen als auch in der katholischen Kirche hält man bis heute theoretisch an diesem Territorialprinzip fest, auch wenn es auf beiden Seiten in der Praxis inzwischen längst unterlaufen wird. Auf orthodoxer Seite geschieht dies vor allem durch die starke Betonung des ethnischen Prinzips (eine Nation – eine Kirche), was u. a. dazu führt, dass es in der orthodoxen Diaspora nicht eine, sondern mehrere parallele orthodoxe Jurisdiktionen gibt. Angesichts der Tatsache der Kirchenspaltung, die dem Wesen der Kirche zutiefst widerspricht, kann es letztlich keine ekklesiologisch befriedigende Lösung dieses Problems geben. Daher kann die Lösung nur eine pragmatische sein, die einerseits die historisch gewachsene Erstverantwortung der orthodoxen Kirche für die Verkündigung des Evangeliums in Russland berücksichtigt und andererseits die Notwendigkeit der seelsorglichen Betreuung der katholischen Gläubigen in Russland ernst nimmt.

Ein bleibendes Problem ist auch die künftige Entwicklung der kirchlichen Strukturen in der Ukraine, die das Moskauer Patriarchat zu seinem kanonischen Territorium zählt. Die Tatsache, dass sich nach 1990 zahlreiche Gemeinden, die während der kommunistischen Herrschaft zur orthodoxen Kirche gehörten, wieder der mit Rom unierten Ostkirche zuwandten, belastet das orthodox-katholische Verhältnis bis heute. Um die Lage richtig einzuschätzen, muss man sich bewusst machen, dass zur Sowjetzeit fast ein Drittel der Gemeinden des Moskauer Patriarchats in der Ukraine lag. Der Wechsel zahlreicher Priester und Gemeinden zur griechisch-katholischen Kirche war daher ein bedeutender Aderlass für das Moskauer Patriarchat, der manche Ängste erklärt, die hinter den Protesten der russischen Seite gegen die Aktivitäten der katholischen Kirche in Russland und der Ukraine stehen. Verschärft wird die Problematik in der Ukraine auf orthodoxer Seite durch die Existenz dreier konkurrierender Jurisdiktionen, auf katholischer Seite durch das Streben der griechisch-katholischen Kirche nach dem Patriarchatsstatus, dessen Anerkennung vom Papst im Jahr 2004 mit Rücksicht auf scharfe Protestnoten von orthodoxer Seite erneut verweigert wurde.

Zu den bleibenden Problemen zählt schließlich, dass es sowohl auf katholischer als auch auf orthodoxer Seite unterschiedliche Tendenzen im Episkopat beziehungsweise in der Kurie gibt. Die dialogbereiten Kreise auf beiden Seiten sehen sich daher immer wieder gezwungen, ihr Verhalten gegenüber denjenigen zu rechtfertigen, die auf der „anderen Seite“ nur Negatives wahrnehmen. So wirkt bei manchen orthodoxen Bischöfen offenbar immer noch das von den Kommunisten propagierte Bild vom „Imperialismus“ des Vatikans nach, als dessen neue Erscheinungsform der Aufbau katholischer Kirchenstrukturen in Russland betrachtet wird. Umgekehrt ist in den Köpfen mancher katholischer Bischöfe offenbar immer noch das kommunistische Feindbild lebendig, das die orthodoxe Kirche als ein vom Geheimdienst geleitetes Organ staatlicher Religionspolitik betrachtet und hinter jeder freundlichen Geste eine verborgene Absicht vermutet. Solange solche Stereotypen noch wirksam sind, wird es schwierig sein, die ökumenischen Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem Moskauer Patriarchat auf eine breitere Basis zu stellen.

Perspektiven für die Zukunft

Der Weg in die Zukunft setzt daher in erster Linie voraus, dass Orthodoxe und Katholiken bereit sind zur kritischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten in Vergangenheit und Gegenwart. Die Spaltung der Kirchen wie auch die gegenwärtigen Spannungen sind „nicht ohne Schuld der Menschen auf beiden Seiten“ entstanden, wie das Ökumenismus-Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils betont (Unitatis redintegratio, 3). Die darauf beruhenden Prinzipien des ökumenischen Dialogs hat Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika „Ut unum sint“ (1995) benannt: „Liebe gegenüber dem Gesprächspartner, Demut gegenüber der Wahrheit, die man entdeckt und die Revisionen von Aussagen und Haltungen erforderlich machen könnte“ (UUS, 3). In einem solchen „Dialog der Bekehrung“, wie der Papst den ökumenischen Dialog in derselben Enzyklika nennt, „muss jeder nach dem eigenen Unrecht suchen, seine Schuld bekennen und sich in die Hände dessen begeben, der der Fürsprecher beim Vater ist, Jesus Christus“ (UUS, 82). Der Dialog ist somit der einzige Weg zur Überwindung der Gegensätze.

Im ökumenischen Dialog zwischen den Kirchen stehen in der Regel theologische Fragen im Mittelpunkt. Diese dürfen jedoch nicht losgelöst von den Problemen des kirchlichen Alltags diskutiert werden. Der orthodox-katholische Dialog ist seit den neunziger Jahren auf die Fragen des Proselytismus und des Uniatismus fixiert. In diesen Streitfragen wird es nur dann eine substanzielle Annäherung geben können, wenn die ihnen zugrunde liegenden dogmatischen Prämissen thematisiert werden, um so eine Einigung über die theologischen Grundlagen zu erzielen. Konkrete Ansatzpunkte für das Gespräch mit dem Moskauer Patriarchat bieten zwei Dokumente, die von der Bischofssynode der Russischen Orthodoxen Kirche im August 2000 verabschiedet wurden: zum einen die „Grundlagen der Soziallehre der Russischen Orthodoxen Kirche“4, zum anderen die Erklärung über „Das Verhältnis der Russischen Orthodoxen Kirche zu den Nicht-Orthodoxen“5. Beide Dokumente verdienen im Blick auf die ökumenischen Beziehungen sowie auf das Verhältnis von Kirche und Gesellschaft eine breitere Diskussion, als dies bisher geschehen ist.

Die Spannungen zwischen dem Moskauer Patriarchat und dem Vatikan werden jedoch kaum ausgeräumt werden können, solange der Dialog zwischen der katholischen Kirche und der Weltorthodoxie weiterhin blockiert ist. Die Arbeit der Internationalen orthodox-katholischen Dialogkommission ist seit der Verabschiedung des Dokuments von Balamand (1993) praktisch zum Erliegen gekommen. Ein Versuch zur Wiederbelebung des Dialogs auf dem jüngsten Treffen der Kommission in Baltimore im Jahr 2000 ist gescheitert. Umso wichtiger ist es daher derzeit, den Dialog auf anderen Ebenen fortzuführen. Eine bemerkenswerte Initiative stellt in diesem Zusammenhang die Gründung eines internationalen orthodox-katholischen Arbeitskreises dar, der sich im Juni 2004 unter dem Vorsitz des serbischen orthodoxen Bischofs Ignatije (Midić) von Braničevo und des katholischen Weihbischofs in Magdeburg Gerhard Feige in Paderborn konstituiert hat. Dem „Gemeinsamen orthodox-katholischen Arbeitskreis St. Irenäus“, wie sich die Gruppe nennt, gehören orthodoxe Theologen aus Bulgarien, Griechenland, Rumänien, Russland, Serbien, Frankreich und den USA sowie katholische Theologen aus Belgien, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Österreich, Polen und den USA an. Der Arbeitskreis sieht seine Aufgabe darin, die den gegenwärtigen Problemen zugrunde liegenden, tiefergehenden Unterschiede in den Mentalitäten, Denkformen und der Art, Theologie zu treiben, zu erforschen und nach Wegen zu einem besseren gegenseitigen Verständnis zu suchen.

Die Dialogbemühungen der Theologen wie auch der Kirchenleitungen werden allerdings nur dann von Erfolg gekrönt sein, wenn es gelingt, den Dialog auch auf eine breitere Basis zu stellen. Das auf beiden Seiten durchaus vorhandene Interesse gilt es zu fördern und durch persönliche Kontakte und Gemeindepartnerschaften auf eine stabile Basis zu stellen. Nur so wird es gelingen, überkommene Stereotypen allmählich zu überwinden und die Unterschiede zwischen den Konfessionen nicht als Gefährdung der eigenen Identität, sondern als Bereicherung innerhalb des einen christlichen Erbes wahrzunehmen.


Fußnoten:


  1. Gemeinsame Internationale Kommission für den theologischen Dialog zwischen der Katholischen und der Orthodoxen Kirche: Der Uniatismus – eine überholte Unionsmethode – und die derzeitige Suche nach der vollen Gemeinschaft (Balamand 1993), in: Una Sancta 48 (1993), S. 257-264; jetzt auch in: Dokumente wachsender Übereinstimmung, Bd. III (1990-2001), Paderborn, Frankfurt am Main 2003, S. 560-567. ↩︎

  2. Vgl. Johannes Oeldemann, Orthodoxe Kirchen im ökumenischen Dialog. Positionen, Probleme, Perspektiven. (Thema Ökumene, Bd. 3). Paderborn 2004, S. 117-146. ↩︎

  3. Dazu Metropolit Filaret von Minsk und Sluzk, Eine orthodoxe Stimme zum Konzept des „kanonischen Territoriums“, in: OST-WEST. Europäische Perspektiven 3 (2002), H. 4, S. 294-300↩︎

  4. Vgl. dazu Thesing, Josef/Uertz, Rudolf (Hrsg.): Die Grundlagen der Sozialdoktrin der Russisch-Orthodoxen Kirche. Deutsche Übersetzung mit Einführung und Kommentar. St. Augustin 2001; außerdem Uertz Rudolf/Schmidt, Lars Peter (Hrsg.): Beginn einer neuen Ära? Die Sozialdoktrin der Russisch-Orthodoxen Kirche von August 2000 im interkulturellen Dialog. St. Augustin 2004. ↩︎

  5. Deutsche Übersetzung: Grundlegende Prinzipien der Beziehung der Russischen Orthodoxen Kirche zu den Nicht-Orthodoxen, in: Orthodoxie aktuell 4 (2000), H. 9, S. 6-15. ↩︎