Die Folgen von Traumata durch politische Verfolgungen. Einige Fallstudien

Prof. Dr. med. Krzysztof Rutkowski ist Direktor des Zentrums für die Behandlung von politisch Verfolgten, das dem Institut für Psychiatrie der Jagiellonen-Universität in Krakau angegliedert ist.

Zusammenfassung

Der folgende Beitrag beschreibt die Traumata und ihre Folgen, an denen viele Polen aus politischen Gründen während der kommunistischen Herrschaft litten. Die Fallstudien konzentrieren sich auf den Zeitraum zwischen 1939 und 1956, was rechtliche Gründe hat; zudem würde eine Darstellung aller Methoden und Folgen der politischen Verfolgungen zwischen 1939 und 1989 die Möglichkeiten dieses Artikels überschreiten.

Einführung

Entgegen der verbreiteten Meinung begannen die kommunistischen Verfolgungen in Polen nicht nach Ende des Zweiten Weltkriegs, sondern bereits mit seinem Ausbruch als Folge des Hitler-Stalin-Pakts vom 23. August 1939. Dieser Pakt teilte die Gebiete der unabhängigen Staaten Polen, Litauen, Lettland, Estland, Finnland und Rumänien zwischen der Sowjetunion und Hitler-Deutschland auf. Die geheimen Arbeiten an dem Abkommen hatten im April 1939 begonnen; für Polen bedeuteten sie einen Vertrag zwischen Deutschland und der Sowjetunion über die Teilung Polens. Er wurde am 17. September 1939 umgesetzt, als die Rote Armee nach Polen einmarschierte und dadurch die deutsche Offensive unterstützte. Von diesem Augenblick an begannen die kommunistischen Verfolgungen in Polen.

Nach Kriegsende blieben Abteilungen der Roten Armee und des sowjetischen Innenministeriums (NKWD) in Polen, wo sie de facto als Besatzungsmacht agierten. Die größten Verfolgungen gab es bis 1956; nach Stalins Tod 1953 gingen sie allerdings allmählich zurück. In dieser Zeit wurden Personen, die sich für den Kampf gegen den Kommunismus engagierten oder lediglich anderer politischer Ansichten verdächtigt wurden, zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt, außerdem wurden rund 1.000 Todesurteile offiziell vollstreckt; die Zahl der ohne Urteile Ermordeten und der durch Folter Getöteten ist nicht bekannt. Noch nach dem Krieg gab es Verschleppungen von Polen in sibirische Lager, für die sowjetische Einheiten verantwortlich waren.

Die massenhaften antikommunistischen Demonstrationen im Juni 1956 sowie die ungarische Revolution führten zu einigen Veränderungen. So wurde eine Amnestie erlassen und die Verfolgungen in den nächsten Jahren waren weniger umfangreich, richteten sich nun aber gegen konkrete Personen und wurden während der antikommunistischen Proteste 1968, 1970, 1976 und 1980 wieder intensiviert. Im August 1980 begann die Solidarność-Bewegung, der durch die Verhängung des Kriegsrechts im Dezember 1981 ein Ende gesetzt wurde. Trotz der fortgesetzten politischen Verfolgungen führten das antikommunistische Engagement und die politische Lage zu Gesprächen der Opposition des Solidarność-Lagers mit der Regierung. Sie ermöglichten am 4. Juni 1989 die ersten freien Wahlen in einem Ostblockland. Der Senat bestand nun in seiner Gesamtheit aus Personen, die der antikommunistischen Opposition verbunden waren; Ministerpräsident wurde Tadeusz Mazowiecki. Diese Veränderungen hatten Einfluss auf weitere Länder und ermöglichten u. a. den Fall der Berliner Mauer im November 1989.

Mit der Erforschung der Nachwirkungen der Verfolgungen begann man in Polen schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die ersten Veröffentlichungen über kriegsbedingte Nervenkrankheiten bereits während des Ersten Weltkriegs veröffentlicht wurden. Aus offensichtlichen Gründen betrafen die Forschungen der fünfziger Jahre lediglich die nationalsozialistischen Verfolgungen; erste Dissertationen erschienen bereits 1960. Nach 1989 wurden die Arbeiten auf die Erforschung der Folgen der kommunistischen Verfolgungen ausgeweitet. Diese Arbeiten werden in Krakau am Lehrstuhl für Psychiatrie sowie am Lehrstuhl für Psychotherapie der Jagiellonen-Universität betrieben.

Alle Untersuchungen haben eindeutig bestätigt, dass verbreitet posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) sowie andere psychische Störungen auftreten, die Folgen erlittener Traumata sind. Am häufigsten handelt es sich um depressive Erkrankungen, Angstzustände und Persönlichkeitsveränderungen. Wichtig ist, dass diese Symptome selbst noch viele Jahre nach der Traumatisierung anhalten und sich aufgrund der schwächer werdenden Kontrollmechanismen sogar noch verstärken.

Das Durchschnittsalter der Patienten in psychiatrischer Betreuung beträgt heute fast 70 Jahre und steigt natürlich. Verkürzt gesagt haben die Untersuchungen ergeben, dass PTBS bei 80 Prozent auftreten, Persönlichkeitsveränderungen nach Extrembelastung bei 16 Prozent, affektive Störungen bei 57 Prozent und anhaltende wahnhafte Störungen bei 1 Prozent. Die bei den Patienten auftretenden Symptome sind für die genannten Störungen typisch. Unter ihnen dominieren Zeichen von Überempfindlichkeit für alle Stimuli (Reize), die mit den Traumata zu tun haben, etwa Jahrestage, aber auch neutrale Stimuli wie ein in russischer Sprache geführtes Gespräch, selbst wenn eindeutig gesagt wird, man habe keine Vorurteile; dennoch lassen die monatelangen Gefahren zum Beispiel vonseiten der Wächter im sowjetischen Lager Assoziationen anklingen. Immer wieder kommt es auch zu Albträumen.

Äußerst schwerwiegend sind bei Personen, die in jungen Jahren Repressionen ausgesetzt waren – etwa weil sie mit ihrer Familie nach Russland deportiert wurden –, so genannte Vermeidungssymptome. Diese Personen gehen allen sozialen Kontakten aus dem Weg, sie ziehen sich zurück und haben einen beschränkten Bekanntenkreis.

Oft wiederkehrend sind Symptome von Depressivität, fehlender Fröhlichkeit und Niedergeschlagenheit. Wenn man sämtliche Symptome zusammenfasst, so kann man sagen, dass sie selbst viele Jahre nach den erlittenen Traumata das Leben der Untersuchungspersonen noch erheblich beeinträchtigen.

Im Folgenden werden einige typische Beispiele für Traumata angeführt, die eine Folge unterschiedlicher Arten von Verfolgung sind.

Erstes Beispiel: Gefangenschaft aus politischen Gründen

Herr B. W. wurde durch das ehemalige Militärbezirksgericht 1950 auf der Grundlage von Art. 86 § 2, Art. 69 § 3 sowie Art. 46 § 1 und Art. 48 § 1 des Strafgesetzbuchs der polnischen Armee zu drei Jahren Gefängnis, zum Verlust der öffentlichen und bürgerlichen Ehrenrechte für ein Jahr sowie zum Verlust seines ganzen Vermögens verurteilt. Er war in patriotischen Traditionen erzogen worden. Seine Eltern hatten in der Heimatarmee1 gekämpft, sein Vater war von deutschen Soldaten festgenommen worden und in einem Konzentrationslager ums Leben gekommen.

1948 gründete B. W. eine Organisation mit dem Namen „Kreis der Anhänger der Mickiewicz-Idee“, die später in „Orzeł“ (Adler) umbenannt wurde. In dieser Organisation wurden Gedichte mit patriotischem Inhalt geschrieben, man bereitete Flugblätter vor und verteilte sie. Nachdem die Organisation aufgedeckt worden war, wurde die Untersuchungsperson in ihrem möblierten Zimmer verhaftet und zum UB (Urząd Bezpieczeństwa, Geheimpolizei) gebracht, wo schwere Misshandlungen folgten. Die erste Nacht hindurch wurde der Festgenommene in einem Untersuchungszimmer festgehalten, das er nicht verlassen durfte, anschließend wurde er in einer Kellerzelle untergebracht. Er wurde schikaniert und dadurch verängstigt, dass man ihm sagte, seine Mutter würde wegen ihm leiden, seine Brüder ihre Arbeitsstellen verlieren.

Nach dem Ende der Untersuchungen – nach rund acht Monaten – wurde er ins Gefängnis im Lubliner Schloss gebracht. Hier kam er nacheinander in verschiedene Sammelzellen mit wöchentlichem Wechsel. Das Urteil nahm er ruhig auf, da er eine höhere Strafe befürchtet hatte. Er verbrachte die Haft im Gefängnis in Lublin, in dem 1951 eine Abteilung für jugendliche Gefangene eingerichtet worden war; später wurde er in ein Gefängnis für jugendliche politische Häftlinge in Jaworzno verlegt und zur Arbeit bei der Herstellung von Halbfertigprodukten eingesetzt. Nach mehrmaligem Krankenhausaufenthalt wurde er zu Bauarbeiten eingeteilt. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis hatte er Schwierigkeiten, eine Stelle zu bekommen; im April 1953 wurde er zum Dienst in die Arbeiterbataillone eingezogen, für die er in einem Bergwerk arbeiten musste.

Nach mehrmaligem Krankenhausaufenthalt wurde er als Bote auf Baustellen eingesetzt. 1956 heiratete er; nach der Scheidung 1959 ging er 1968 erneut eine Ehe ein. Er hat eine 1959 geborene Tochter sowie zwei 1969 und 1976 geborene Söhne. Aufgrund körperlicher Erkrankungen befand er sich oftmals in Krankenhausbehandlung. Er klagt über häufige Angstzustände, Unruhe, starke Kopfschmerzen, Gedächtnisstörungen, Konzentrationsschwächen und Gleichgewichtsprobleme, er ist reizbar, unruhig, aufbrausend, seine Reaktionen auf äußere Impulse sind übertrieben, immer wieder kehren die Erinnerungen an die Zeit von Verfolgung und Gefängnisaufenthalt wieder. Die Symptome verstärken sich, weshalb die Untersuchungsperson versucht, alles zu meiden, was diese Erinnerungen heraufbeschwört.

Der Patient leidet an Beschwerden, die in einem direkten Kausalzusammenhang mit den physischen und psychischen Traumata aus der Zeit von Verfolgung und Gefängnisaufenthalt stehen und als posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) zum Ausdruck kommen.

Zweites Fallbeispiel: Deportation nach Sibirien

Frau A. D. wurde gemeinsam mit ihrem Bruder, ihrer Mutter und der Schwester ihrer Mutter am 13. April 1940 deportiert. Ihr Vater war Kriegsinvalide aus dem Ersten Weltkrieg, er wurde am 31. August 1939 einberufen, als ihn die Untersuchungsperson zum letzten Mal sah. Die Deportation erfolgte in der Nacht, Dinge des Vaters durften nicht mitgenommen werden, und einer der Rotarmisten empfahl der Mutter, anstelle von wertvollem Besteck besser warme Kleidung mitzunehmen.

Die Ortschaft W. verließen die Gefangenen mit einem Lastwagen; der Untersuchungsperson zufolge wurden sie „nach der Ankunft herausgeworfen und man befahl uns, dort zu leben“. Die erste Nacht verbrachten sie unter freiem Himmel, am nächsten Tag wurde ihnen ein Ort zugewiesen, an dem sie wohnen sollten. Es handelte sich um Holzbaracken, „wo es Wanzen gab“. Die Untersuchungsperson beschreibt die schlechten Lebensbedingungen, den starken Frost bis minus 30 Grad, die Unterernährung und die drohenden Krankheiten.

Mutter und Tante mussten arbeiten. Als sie sich wegen des starken Frosts wärmen wollten, wurden sie beschuldigt, Sabotage betrieben und die Arbeit verweigert zu haben. Die Untersuchungsperson litt an zahlreichen parasitären Erkrankungen (Krätze, Läusebefall), sie erkrankte auch an Malaria und hatte Erfrierungen an den Füßen.

Die Verbannten wurden dazu aufgefordert, die sowjetische Staatsbürgerschaft anzunehmen, und man drohte ihnen bei einer ablehnenden Antwort damit, dass man sie „in die Steppe“ umsiedeln würde, „wo nichts wächst“.

Erst in den neunziger Jahren erfuhr die Untersuchungsperson, dass ihr Vater in russische Gefangenschaft geraten und in das NKWD-Lager in Starobielsk gekommen war; seine sterblichen Überreste wurden später anhand von persönlichen Aufzeichnungen in einem Massengrab in Charkow entdeckt.2

Nach Polen kehrten sie mit Papieren zurück, die ihnen vom „Bund der Polnischen Patrioten“ ausgestellt worden waren. Zurückkehren konnten alle Polen und Juden, als Beweis für ihre Nationalität genügte z. B. ein Gebetbuch in polnischer Sprache.

Die Untersuchungsperson absolvierte zunächst die Grundschule, dann die höhere Schule und machte das Abitur. Sie arbeitete als Journalistin beim Rundfunk von Kielce, in der Abteilung für gesellschaftliche Publizistik. 1982 ging sie in Rente.

A. D. leidet unter zahlreichen körperlichen Gebrechen. Sie hat nie geheiratet. Bis zum Tod ihrer Mutter lebte sie bei ihr und kümmerte sich um sie.

Die Untersuchungsperson ist gekennzeichnet durch starke Gefühlsäußerungen mit einer besonderen Konzentration auf den Ausdruck negativer Gefühle, von Trauer und Angst. Während ihrer Erzählungen über den Aufenthalt in der Verbannung weint sie, sie ist offensichtlich angespannt und hat Angst. Feststellbar sind manipulative Unruhe und Händezittern. Die Stimmung ist gedrückt, die Untersuchungsperson beklagt sich über anhaltende Zustände von Trauer und Niedergeschlagenheit. Es kommt zu Müdigkeit und einem reduzierten psychomotorischen Antrieb. Ihre Interessen haben sich immer stärker eingeschränkt; sie schildert, dass es ihr immer schwerer fällt, positive Emotionen zu verspüren, auch hat ihre Empfänglichkeit für positive Impulse nachgelassen. Immer wieder kehren Erinnerungen an die Zeit ihrer Deportation wieder, sowohl von sich aus als auch nach der Stimulierung durch Impulse, die das Thema Verbannung betreffen.

Die Untersuchungsperson hat sich im „Bund der Sibirier“ (Związek Sybiriaków) engagiert, hat dies aber aufgeben müssen, da „ich die Emotionen, die bei mir freiwurden, nur schwer ertragen konnte“. Beim Lesen von Beschreibungen der Mitglieder des Bunds über ihren Aufenthalt in der Verbannung musste sie oft weinen. Um das Gedächtnis ihres Vaters zu pflegen, hat sie eine Zweigstelle der Gesellschaft „Katyn-Familie“ (Rodzina Katyńska) gegründet.

Immer wieder wird sie von Albträumen über die Verbannung geplagt, besonders häufig träumt sie vom zugefrorenen Fluss Irtysch. Die Untersuchungsperson wacht mit Gefühlen von Angst, Unruhe und Gereiztheit auf. Daneben hat sie Einschlafprobleme und Angst, das Haus zu verlassen. Wie sie angibt, hat sie seit fünfzehn Jahren keine längere Reise angetreten: „Auf der Straße habe ich vor allem Angst, ich habe sogar davor Angst, aus dem Haus zu gehen.“ Sie ist sich der Grundlosigkeit ihrer Befürchtungen bewusst und bemüht sich, keine Angst an den Tag zu legen, doch die einzige Möglichkeit, ihre Angst und Unruhe zu reduzieren, besteht darin, Reize und starke Eindrücke zu vermeiden.

Die Untersuchungsperson ist für alle Reize anfällig, die sie an die erlittenen Traumata erinnern. Sie meidet Filme mit historischer Thematik, entsprechende Begegnungen und Gespräche. Die Erinnerungen gehen einher mit einem starken Leidensgefühl und der Angst vor Wiederholung des Traumas.

A. D. lebt zurückgezogen, meidet soziale Kontakte und hat heute nur beschränkte Interessen. Sie leidet unter dem Gefühl der Entfremdung und des Fehlens an zwischenmenschlichen Kontakten. Sie ist reizbar, aufbrausend und unruhig. Sie ist übermäßig wachsam und reagiert unverhältnismäßig auf Reize. Seit rund 40 Jahren ist sie aufgrund der beschriebenen Symptome in Behandlung.

Drittes Fallbeispiel: ebenfalls Verschleppung in die Sowjetunion

Frau C. D. stammt aus einer Familie, in der patriotische Traditionen gepflegt wurden. Ihr Vater war Offizier der polnischen Armee, ihre Mutter arbeitete nicht. Die Untersuchungsperson ist Einzelkind. Im Februar 1940 wurde ihr Vater vom NKWD verhaftet und kam unter ungeklärten Umständen ums Leben. Im April 1940 wurde ihre im neunten Monat schwangere Mutter mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern deportiert. Während des Eisenbahntransports in die Verbannung wurde die Untersuchungsperson geboren. Sie selbst weist darauf hin, dass sie „im Zug geboren ist, doch im Personalausweis steht T., denn das war die nächstgelegene Ortschaft“. Nach der Ankunft am Verbannungsort wurde ihre Mutter sofort zur Arbeit verpflichtet.

Sie beschreibt die schlechten Lebensbedingungen während der Verbannung, die Unterernährung und die stets drohende Unterkühlung. Während der Verbannung starben eine Schwester und ein Bruder der Mutter, die zum Zeitpunkt der Deportation 16 und 14 Jahre alt waren. Die eigenen Erinnerungen setzen um das fünfte Lebensjahr ein, unter anderem mit dem dramatischen Ereignis, als die Großmutter starb, die sich zu Hause um sie gekümmert hatte. Die Untersuchungsperson beteiligte sich, als sie älter war, selbst am Diebstahl von Essen, sie beschreibt, wie die in der Bäckerei arbeitenden Polinnen weinten, „dass ein polnisches Kind solche Sachen machen muss.“

An die Rückkehr nach Polen erinnert sich die Untersuchungsperson genauer. Dies war möglich, da die Familie es abgelehnt hatte, die sowjetische Staatsbürgerschaft anzunehmen, und die Mutter Dokumente besaß, die ihre polnische Nationalität belegten. Dort, wo man die aus der Verbannung Zurückgekehrten ansiedelte, lebten viele alleinstehende Frauen.

Nach der Rückkehr erkrankte die Untersuchungsperson häufig, sie war geschwächt, oft erkältet, ging aber gerne zur Schule; sie lernte gut, „war fleißig“, hatte gleichzeitig aber Angst, alleine zu Hause zu bleiben. Immer wieder kehrten hartnäckige Erinnerungen an die Verbannung zurück und damit verbunden ein starkes Angstgefühl. Sie hatte Angst, zu heiraten. Im Alter von 23 Jahren ging sie eine Ehe mit einem Offizier ein, „und ich hatte oft Angst, dass er ebenso wie mein Vater abgeführt wird.“ 15 Jahre lang arbeitete sie als Hebamme. Die ganze Zeit über hielten sich Angstgefühle, weshalb sie sich um das 30. Lebensjahr herum in psychiatrische Behandlung begab. Im Alter von 36 Jahren versuchte sie, sich mit einer Überdosis Medikamente selbst zu töten. Sie kam ins Krankenhaus. Die psychiatrische Behandlung hält bis heute an.

Die Stimmung von Frau C. D. ist gedrückt und gekennzeichnet vom Ausdruck negativer Emotionen, von Trauer, Niedergeschlagenheit sowie körperlichen Schmerzen. Sie klagt über Angst- und Unruhezustände, die sowohl infolge äußerer Reize als auch ohne greifbaren Grund auftreten. Immer wieder wird sie von Erinnerungen heimgesucht, die direkt mit dem Zeitraum der Verbannung zu tun haben. Damit einher gehen starke Gefühle von Leiden, Angst und Furcht, „wieder verschleppt zu werden“. Häufig kommt es zu Albträumen, in denen die Situation der Deportation wieder abläuft. Sie reagiert auf alle Reize, die sie an die erlittenen Traumata erinnern. Die sie belastenden Erlebnisse werden besonders oft vom Rauschen des Windes heraufbeschworen. Mit dem neuerlichen Durchleben der Traumata gehen Angst, Unruhe und die Erregung des autonomen Nervensystems einher.

Die Untersuchungsperson meidet alle Gespräche und Situationen, die sie an die erlittenen Traumata erinnern könnten. Sie schaut sich keine Filme über den Krieg und über die Verbannung an. Die Abneigung, sich an den Aufenthalt in Sibirien zu erinnern, trat „fast das ganze Leben lang auf, ich wollte noch nicht einmal mit Mutter darüber sprechen“. Sie hat Angst, alleine zu bleiben, und verlässt das Haus nicht gerne.

C. D. lebt zurückgezogen, meidet soziale Kontakte und hat Angst, neue Bekanntschaften zu schließen. Sie ist übermäßig empfänglich für vermeintlich gleichgültige Reize und reagiert extrem darauf. Sie klagt über zahlreiche Beschwerden wie Kopf-, Glieder- und Rückgratschmerzen.

Diagnostiziert wurden posttraumatische Belastungsstörungen, die sich in direktem Kausalzusammenhang mit den während der Deportation in die Sowjetunion erlittenen Traumata entwickelt haben.

Therapie

Die Diagnose für alle Patienten wurde in der „Beratungsstelle für politisch verfolgte Personen“ beim Lehrstuhl für Psychotherapie sowie beim Lehrstuhl für Psychiatrie der Jagiellonen-Universität (Collegium Medicum) in Krakau gestellt. Die Arbeitsstelle besteht seit der Mitte der neunziger Jahre und hat bislang knapp 1.500 Personen betreut. Alle Patienten (auch die beschriebenen) werden psychiatrisch, psychologisch und internistisch untersucht und haben die Möglichkeit, die Behandlung fortzusetzen.

Die Behandlung ist aufgrund der über viele Jahre hin verwurzelten Symptome schwierig und besteht in der Regel aus Medikamentengabe und unterstützender Therapie. In den meisten Fällen schwächen sich die klinischen Symptome wie Angst und Niedergeschlagenheit ab, verstärkt verändert sich hingegen das Sozialverhalten.

Oft war der Kontakt mit den Ärzten das erste Mal im Leben der Untersuchungspersonen, wo sie umfassend über die erlittenen Traumata sprechen konnten. Dies führt zu einer Verbesserung der sozialen Kompetenzen und zu einer Verringerung der Angst. Anfangs dominierten unter den Patienten ehemalige politische Häftlinge, heute gibt es mehr Personen, die als Kinder nach Sibirien verschleppt wurden. Nach wie vor melden sich viele Patienten in der Beratungsstelle.

Aus dem Polnischen übersetzt von Zenona Choderny-Loew.


Fußnoten:


  1. Die polnische Untergrundarmee (Armia Krajowa, AK) während des Zweiten Weltkriegs. ↩︎

  2. Vgl. dazu auch Christoph Schmidt: „Die auf den Gräbern gepflanzten Bäume waren drei Jahre alt.“ Katyn gestern und heute. In: OST-WEST. Europäische Perspektiven 12 (2011), H. 1, S. 2-8, bes. S. 6 (der gedruckten Ausgabe). ↩︎