Religiöser Pluralismus in Slowenien

aus OWEP 4/2015  •  von Aleš Črnič

Aleš Črnič ist Professor für Religiöse Studien an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität von Ljubljana.

Zusammenfassung

Slowenien gilt als ganz überwiegend katholisch geprägtes Land. Bei näherem Hinsehen wird jedoch deutlich, dass das Land auch Heimat für zahlreiche kleine, oft nur wenige hundert Mitglieder zählende religiöse Gemeinschaften ist, deren geistige Grundlagen mit den gängigen Vorstellungen von Religion nur schwer zu erfassen sind. Dennoch sollte ihr Einfluss auf die Gesellschaft, wie der folgende Beitrag belegt, nicht unterschätzt werden.

I.

Slowenien wurde 1991 nach der Auflösung Jugoslawiens gegründet, ist aber im Gegensatz zu anderen Teilen der ehemaligen Republik ethnisch, sprachlich und religiös sehr homogen. Ein großer Teil der zwei Millionen Menschen umfassenden Population ist slowenischer Nationalität. Insgesamt sind 50 registrierte religiöse Vereinigungen verzeichnet, von denen jedoch 46 nur etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Die römisch-katholische Kirche ist mit knapp 60 Prozent bis 80 Prozent der slowenischen Bürger (57,8 Prozent nach der letzten Volkszählung 2002, 71,6 Prozent 1991) mit Abstand die größte Religionsgemeinschaft (wenn man die Taufe als das formale Kriterium zählt). Nach den Daten, die das Forschungszentrum für öffentliche Meinung und Massenkommunikation der Fakultät der Sozialwissenschaften der Universität Ljubljana erhob, das nun seit mehr als 30 Jahren Umfragen zur öffentlichen Meinung in Slowenien durchführt, sehen sich etwa 70 Prozent der slowenischen Bürger als dem römisch-katholischen Glaubens „zugehörig“. Allerdings gelten die Katholiken als deutlich heterogene Gruppe; viele von ihnen sind weit davon entfernt, in ihrer Zugehörigkeit zum römischen Katholizismus im strengsten Sinne rechtgläubig zu sein.

Tatsächlich ist der Großteil der Katholiken sehr selektiv, wenn es um dogmatische Glaubenssätze geht, und kombiniert frei Elemente des Katholizismus mit Elementen des Säkularismus. Detaillierte Statistiken zeigen, dass nur ein Viertel bis ein Drittel der „formalen“ Katholiken die grundlegenden dogmatischen Glaubenssätze der katholischen Kirche vollständig akzeptiert – daraus schließt der slowenische Soziologe Marjan Smrke, dass säkularisierte Katholiken das größte einheitliche Segment der slowenischen Population ausmachen.1 Bereits ein Jahrzehnt zuvor legte die Analyse der Ergebnisse der internationalen Studie „Aufbruch“ ähnliche Schlüsse nahe. Auf diese Daten zurückgreifend demonstriert Niko Toš anhand einer umfangreichen Analyse von 15 Variablen, die drei Dimensionen von Religiosität messen (Rechtgläubigkeit, Glauben an Gott und Glauben an ein Leben nach dem Tod), dass in etwa ein Fünftel der slowenischen Befragten eine kirchliche Religion praktiziert, ein Fünftel autonome Religionen und dass drei Fünftel nicht religiös sind.2 Ein Vergleich von sieben ost- und mitteleuropäischen Ländern aus der Umfrage zeigt Slowenien (zusammen mit der Tschechischen Republik und Ungarn) am unteren Ende der Skala von Religiosität, während Polen und Kroatien am oberen Ende stehen.

II.

Die 1991 verabschiedete slowenische Verfassung definiert Religionsgemeinschaften nach Art. 7 als kollektive Gruppen, die das Recht auf Religionsfreiheit praktizieren. Diese Gemeinschaften sollen a) frei sein in der Durchführung ihrer Aktivitäten, b) vom Staat getrennt und c) gleichberechtigt vor dem Gesetz sein. Weitere Gesetze spezifizieren die Details der Religionsgesetzgebung. Das Gesetz zur rechtlichen Position religiöser Gemeinschaften wurde 1976, während der Periode der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, erlassen und war bis zum Februar 2007 in Kraft, bis das slowenische Parlament das Gesetz zur Religionsfreiheit verabschiedete. Die neue Legislative übernahm folgende Elemente aus dem alten sozialistischen Gesetz: a) die Freiheit des Individuums, Mitglied einer beliebigen Religion zu sein und diese zu praktizieren, b) Vereinigungsfreiheit, c) die Freiheit, Religionsgemeinschaften zu gründen, und d) die Freiheit, religiöse Überzeugungen und Gefühle zu äußern.

Allerdings fügte es auch sehr strenge Bedingungen für Gruppen hinzu, um den offiziell anerkannten Status als Religionsgemeinschaft zu erhalten: 100 Mitglieder (volljährige Bürger Sloweniens) und Beweise für eine zehn Jahre andauernde Aktivität im Land (diese Kriterien waren bereits für 28 von 43 zu dieser Zeit registrierten Religionsgemeinschaften sowie für mehr als 90 Prozent aller neuen Religionen zu streng). Das neue Gesetz wurde bereits zur Zeit seiner Einführung von einigen Mitgliedern von Minderheitsreligionen und von Sozialwissenschaftlern heftig kritisiert. Sie wiesen auf mangelnde Präzision und vor allem auf den Widerspruch zu zwei Verfassungsbestimmungen hin: die Gleichheit religiöser Gemeinschaften und die Trennung von Staat und Religion. Dies wurde letztlich vom slowenischen Verfassungsgericht bestätigt, das im April 2010 die Bedingungen für die Registrierung als im Widerspruch zur slowenischen Verfassung erklärte. Das Gesetz wurde überarbeitet; derzeit werden zehn Bürger verlangt, um eine religiöse Gemeinschaft registrieren zu lassen.

Die Beziehungen zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften in den ersten beiden Dekaden der slowenischen Unabhängigkeit haben die konstitutionell garantierte Betätigungsfreiheit auch für die kleinsten und neuesten Gemeinschaften nicht beeinträchtigt. Es ist eine andere konstitutionelle Regelung, nämlich die explizite Trennung von Staat und Religion, die einige öffentliche Kontroversen verursacht hat.3 Zudem haben einige Kritiker lautstark die Bedrohung für das dritte die Religion betreffende Verfassungsprinzip betont: die Gleichheit aller religiösen Gemeinschaften.4 Die Distanz zwischen dem Staat und den dominanten (und „historischen“) Kirchen hat merklich abgenommen, während einige Initiativen kleinerer religiöser Gemeinschaften mit dem Ziel, ein formelles Abkommen für ihre rechtliche Position zu erwirken, einfach ignoriert wurden.

III.

Heute gibt es 50 registrierte Religionsgemeinschaften in Slowenien; neben der römisch-katholischen Kirche gehören auch andere „traditionelle“ religiöse Gemeinschaften dazu: muslimische Gemeinden (etwa 2,5 Prozent der slowenischen Bevölkerung, mehrheitlich aus Bosnien und dem Kosovo stammend), die Serbische und die Makedonische Orthodoxe Kirche (zusammen ca. 2,3 Prozent), die Slowenische Evangelische (Lutherische) Kirche (bis zu 1 Prozent) und eine sehr kleine jüdische Gemeinde mit weniger als hundert Mitgliedern. Mehr als 80 Prozent der registrierten Gemeinschaften können als neue religiöse Bewegungen betrachtet werden, unter denen es auch solche gibt, die regelmäßig in den Regierungsberichten größerer europäischer Länder (wie Belgien und Frankreich) als destruktive Kulte und/oder Sekten klassifiziert werden. Außerdem gibt es zahlreiche neue religiöse Bewegungen, die nicht amtlich registriert wurden, aber als legale Körperschaft in unterschiedlicher Form oder sogar als Interessengruppen ohne formale Organisation (ohne Status als legale Körperschaft) aktiv sind. Unsere Forschung über neue religiöse und spirituelle Bewegungen in Slowenien weist darauf hin, dass etwa hundert neue Religionen in Slowenien operieren.5

Anders als in anderen ehemals sozialistischen Ländern in Europa, in denen das Wachstum alternativer religiöser Gemeinschaften nach dem Fall der Berliner Mauer begann, fingen ähnliche Prozesse in Slowenien aufgrund eines deutlich toleranteren Klimas bereits eine Dekade früher an. Seit den 1970er Jahren, als die ersten neuen religiösen Bewegungen hauptsächlich aus den USA und Westeuropa in Slowenien ankamen, ist das Land zunehmend Zeuge intensiver und komplexer Entwicklungen in diesem Bereich geworden. Neue religiöse Bewegungen stellen in rechtlicher und religiöser Hinsicht eine Herausforderung für viele Länder im heutigen Europa dar. Auf der anderen Seite verlangt das Phänomen wachsender neuer Religionsgemeinschaften die Akzeptanz von Pluralität als besonderes Merkmal einer demokratischen Gesellschaft. In Europa gibt es unterschiedliche Modelle des Umgangs mit religiöser Diversität.6

Trotz ihrer unterschiedlichen Tätigkeiten bleiben alle neuen Religionsgemeinschaften bei einer sehr geringen Zahl an Anhängern, wenn man die Gesamtbevölkerung als Vergleichsgröße heranzieht. Nichtsdestotrotz haben einige Gruppen eine klare Identität und sind öffentlich präsent. Sie haben ihre Bemühungen noch nicht in der großen Öffentlichkeit aufgenommen, sondern manifestieren ihre weltverbessernden Neigungen zuallererst und fast ausschließlich durch Fokussierung auf Individuen und den (urbanen) Mikrokosmos, den sie selbst geschaffen haben. Die öffentliche Meinung zu diesen Gemeinschaften besteht weitestgehend aus einem passiven Anerkennen ihres Rechts, als Teil der gegenwärtigen Diversität zu existieren – und da die Bewegungen sich in den meisten Fällen nicht auf das Leben der Bürger auswirken, wenn diese das nicht wünschen, werden sie oft eher als uninteressant statt als gute oder schlechte Nachrichten wahrgenommen.

Allgemein nehmen die neuen Religionsgemeinschaften die Reaktion der Gesellschaft auf ihre Aktivitäten als neutral oder positiv wahr (wenn es überhaupt eine Reaktion gibt). Sie weisen außerdem darauf hin, selten in den Medien präsent zu sein, was die meisten als unproblematisch empfinden. Dies wird durch unsere systematische Längsschnittstudie bestätigt, die zeigt, dass neue religiöse und spirituelle Bewegungen in Slowenien nicht das Ziel einer besonders negativen Berichterstattung waren. Der nationale Rundfunk und Tageszeitungen berichten selten über ihre öffentlichen Veranstaltungen; wenn sie jedoch einen Bericht über neue Religionen in Slowenien veröffentlichen, scheinen sie dabei im Allgemeinen fair zu sein.

IV.

Die größte Familie der neuen Religionen in Slowenien umfasst christliche Kirchen evangelikalen Ursprungs. Unter diesen sind viele auf lokaler Ebene präsent und wurden im Laufe der Generationen stärker; in der Mehrheitskultur werden sie allerdings nur insoweit akzeptiert, als sie sich als Christen nicht so radikal von der vorherrschenden katholischen Leitkultur unterscheiden wie andere neue Religionsgemeinschaften. Beispiele sind die Pfingstkirche, mehrere Baptistenkirchen und die Siebenten-Tags-Adventisten. Der slowenische Religionspluralismus wird durch die Erben der charismatischen Pfingstbewegung weiter vorangetrieben, wie etwas das „Christian Outreach Centre“ (und ihm verwandte, aber einheimische Gemeinschaften wie etwa die Kirche Jesu Christi „Live Water“) und die so genannten „großen Sekten des neunzehnten Jahrhunderts“: die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage (Mormonen) und die Zeugen Jehovas.

Ein weiterer Bestandteil der slowenischen Gesellschaft besteht aus Gemeinschaften, die zu einer älteren esoterischen Tradition gehören, aber nie in die dominante Kultur integriert wurden, wie etwa die theosophische Bewegung, der „Ordo Templi Orientis“ und die „Internationale Schule des Rosenkreuzes“ (Lectorium Rosicrucianum). Slowenien ist zudem Heimat für jene prophetischen oder erlösenden Bewegungen, die eher vage mit dem Christentum verbunden sind, wie etwa die „Universelle Lebenskirche“ und die „Vereinigungskirche“. Die weltweit größte Gruppe neuer Religionen wird von mehreren hinduistischen und buddhistischen Gruppen repräsentiert, die gekennzeichnet sind durch die Aufnahme anderer Kulturen in die slowenische Umgebung. Die „Internationale Gesellschaft für Krishna-Bewusstsein“ und „Soka Gakkai“ sind die Gemeinschaften mit der ältesten Tradition in dieser Kategorie, wobei die buddhistische Szene die vitalste der letzten Jahre ist. Unter den neuen religiösen Bewegungen in Slowenien finden wir auch Varianten verschiedener radikaler religiöser Innovationen wie etwa Scientology.

Zudem existieren einige ausschließlich slowenische religiöse und spirituelle Neuerungen. Beispiele sind die charismatische, magische und apokalyptische (Heilige) Familie, die glaubt, einen neuen Jesus zu gebären und die von einer außergewöhnlichen jungen Frau geleitet wird, die sich Vesuel nennt. Ebenfalls apokalyptisch ist ein einzigartiger Zweig des Templerordens: die heilige Kirche von Annasann. Weitere Beispiele sind die zahlreichen Pfingstgruppen oder die Gruppe „Sakrament des Übergangs“, die einen rituellen Gebrauch der „heiligen“ Droge Ibogain praktiziert, sowie die Wissenschaft der Biokybernetik. Ebenfalls dazu gehört die Gemeinschaft VITAAA, inspiriert von den Arbeiten des Bildhauers, weltweit bekannten New-Agers, Geomantisten und Erdheilers Marko Pogačnik. Außerdem sind Gruppen zu verzeichnen, die als Antwort auf spezifische rechtliche Probleme entstanden sind. Das bereits erwähnte „Sakrament des Übergangs“ (in seiner ersten Periode) würde zum Beispiel nicht existieren, hätte der Gründer nicht gehofft, Ibogain als religiöse Substanz legalisieren zu können. Die „Universale Religiöse Gemeinschaft der Aufgehenden Sonne“ wäre nicht entstanden, hätte der Gründer nicht geglaubt, dass er seine säkularen Werte unter der Verfassungskategorie der Religionsfreiheit beschützen müsste. Auch die „Kirche der Heiligen Einfachheit“ wäre niemals in der Öffentlichkeit aufgetaucht, wenn die Gründer dieses sozialen und soziologischen empirischen Forschungsprojektes – zu denen auch der Autor dieses Artikels gehört – nicht die Notwendigkeit gesehen hätten, präzise Antworten vom Staat über die Neuordnung der rechtlichen Lage für Religionsgemeinschaften in Slowenien zu erhalten.7

Diese Gruppierungen, sogar für slowenische Verhältnisse klein in der Anzahl ihrer Anhänger, fordern die formellen Auffassungen und die rechtliche Definition von Religion heraus. Die neueste unter diesen typischen erfundenen Religionen8 ist auch die erste Parodiereligion, die bis heute in Slowenien entstanden ist: die „Trans-universelle Zombiekirche des Glückseligen Läutens“. Sie entstand aus den massiven sozialen und politischen Protestbewegungen 2012/13 und nutzt die religiöse Form und Sprache, um gegen die aktuellen politischen und sozialen Zustände zu protestieren.

Trotz des vorherrschenden katholischen Einflusses müssen wir also den Schluss ziehen, dass das derzeitige slowenische spirituelle Gefüge weit davon entfernt ist, monoreligiös zu sein, vielmehr ist es sehr divers und lebendig. In diesem Punkt unterscheidet sich die slowenische Gesellschaft nicht von den meisten anderen westlichen Gesellschaften.

Aus dem Englischen übersetzt von Sandra Olliges.


Fußnoten:


  1. Marjan Smrke: The Slovenes and the Catholic Church: the Reflections of a Sociologist. In: Fleur de Beaufort (Hrsg.): Separation of Church and State in Europe: with Views on Sweden, Norway, the Netherlands, Belgium, France, Spain, Italy, Slovenia and Greece. Brüssel 2008, S. 163-173. ↩︎

  2. Niko Toš: (Ne)religioznost Slovencev v primerjavi z drugimi srednje- in vzhodnoevropskimi narodi. In: ders. (u. a., Hrsg.): Podobe o cerkvi in religiji (na Slovenskem v 90-ih). Ljubljana 1999, S.11-80. [(Nicht)Religiosität unter den Slowenen im Vergleich mit anderen mittel- und osteuropäischen Nationen. In: ders. (u. a., Hrsg.): Kirche und Religion (in Slowenien in den neunziger Jahren). Ljubljana 1999, S. 11-80] ↩︎

  3. Siehe Marko Kerševan: Svoboda za cerkev, svoboda od cerkve [Freedom for the Church and Freedom from the Church]. Ljubljana 2005. ↩︎

  4. Siehe Aleš Črnič (u. a.): Religious Pluralisation in Slovenia. In: Teorija in praksa 50 (2013), Nr. 1, S. 205-232; Aleš Črnič, Gregor Lesjak: Religious Freedom and Control in Independent Slovenia. In: Sociology of Religion 64 (2003), Nr. 1, S. 349-366. ↩︎

  5. Siehe Črnič, Pluralisation (wie Anm. 4, oben - S. 299 der gedruckten Ausgabe); Aleš Črnič, Gregor Lesjak: A Systematic Study of New Religious Movements – the Slovenian Case. In: Irena Borowik (Hrsg): Religions, Churches and Religiosity in post-communist Europe. Krakau 2006, S.142-157. ↩︎

  6. Aleš Črnič: New Religions in „New Europe“. In: Journal of Church and State 49 (1997), Nr. 3, S. 517-551. ↩︎

  7. Siehe Gregor Lesjak, Aleš Črnič: O, Holy Simplicity! Registering a Religion in Slovenia. In: Religion, State & Society 35 (2007) Nr.1, S. 69-79. ↩︎

  8. Carole M. Cusack: Invented Religions: Imagination, Fiction and Faith. Farnham 2011. ↩︎