Freund oder Feind – Kirche und Populismus in Europa

aus OWEP 3/2017  •  von Cassandra Speer

Cassandra Speer B.A. ist Wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftslehre der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Ruhr-Universität Bochum.

Zusammenfassung

Die Wahlausgänge in den Niederlanden und in Frankreich haben dem populistischen Auftrieb in Europa einen ersten Dämpfer verpasst. Wie reagieren Populisten und Demokraten darauf? Wie bringt sich die katholische Kirche in den Diskurs ein? Der nachfolgende Artikel will im Ländervergleich Deutschland - Polen - Ungarn darlegen, wie sich die katholische Kirche jeweils zu populistischen Bewegungen und Parteien verhält und wie diese versuchen, die Kirche für sich zu gewinnen.

Demagogische Parolen, ein klares Feindbild und simple Lösungen: So könnte man die Agitationspunkte benennen, die zentral für populistische Parteien und Strömungen sind. Sie sind es, die vorgeben, die Sorgen der Bürger ernst zu nehmen und den Kontakt zu diesen zu halten. Ob AfD (Deutschland), PiS (Polen) oder Fidesz (Ungarn), alle drei Parteien bedienen diese Aspekte auf ihre je eigene Weise. Nun wäre es zu oberflächlich, den Blick nur auf diese offensichtlich populistischen Akteure in den drei Staaten zu richten. Dennoch soll das Hauptaugenmerk in diesem Artikel auf die genannten Parteien gerichtet werden.

Deutschland – ein „Spätsünder“?

Der Partei Alternative für Deutschland (AfD) ist ein nahezu gesamtdeutscher politischer Durchbruch gelungen. Innerhalb kürzester Zeit schaffte sie es, aus einem Plenum kritischer Ökonomen um Bernd Lucke gegen die Europolitik der Regierung (2010) eine beachtenswerte Größe im politischen Getriebe zu werden und sich über einige Zwischenstufen 2013 zu einer Partei zu entwickeln. Die Themen Zuwanderung, Asyl und Migration sind für sie die zentralen Punkte in der politischen Debatte. Dabei kristallisierten sich zwei Strömungen heraus: Ein liberaler Flügel um Bernd Lucke diskutierte nach wie vor Themen der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Ein nationalkonservativer Flügel um Frauke Petry begab sich an den rechten politischen Rand, um dort mögliches Wählerpotenzial abzuschöpfen. Lucke distanzierte sich deutlich von diesen Annäherungsversuchen nach rechts. In der Personalfrage bedeutete dies, dass Frauke Petry 2015 zur ersten Sprecherin gewählt wurde. Lucke und einige weitere Anhänger traten aus der AfD aus. Die Überforderung der Politik bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise 2015 verschaffte der AfD dann einen enormen Aufwind. Ferner bedient die AfD bei Themen jenseits der Fragen um Asyl und Migration äußerst rechtskonservative Positionen und verbindet sie mit angeblich christlichen Werten. Andere Programmpunkte werden in Verbindung mit den Themen Zuwanderung und Flüchtlinge gesetzt. Gemeinsam mit der AfD muss die Bewegung „Patriotischer Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) gesehen werden, da beide voneinander profitieren. Sie verbindet neben ihrer islam- und ausländerfeindlichen Haltung die Ablehnung des Establishments und der „Lügenpresse“, gegen welche es vorzugehen gelte.

Auch Vertreter der CDU/CSU haben sich in der jüngeren Vergangenheit in eine ähnliche Richtung geäußert. Stammtischparolen wie Seehofers „Multikulti ist tot“ (2010) polarisieren die Gesellschaft und vergiften das gesellschaftliche Klima im gleichen Maße wie die Worte der AfD. Debatten darüber, ob der Islam oder die Muslime zu Deutschland gehören, oder die CDU/CSU-Unterschriftenaktion gegen die Einführung des Doppelpasses schaffen Ausgrenzung und Diskriminierung und behindern zusätzlich jede Form der Integration. Wenn sich Sigmar Gabriel (SPD) zudem mit Anhängern von Pegida trifft und sie damit politisch aufwertet, muss man sich die berechtigte Frage stellen, ob die Politik in der Lage ist, auf derart populistische Strömungen entschieden genug zu reagieren. Ferner ist die ausgiebige mediale Betrachtung von AfD und Pegida bedenklich, weil somit zusätzliche Präsenz für deren Gedankengut geschaffen wird.

Die Kirchen – Felsen in der Brandung?

Beide großen Kirchen und zahlreiche ihrer Institutionen positionieren sich entschieden seit dem Aufwind populistischer Tendenzen in Deutschland gegen eben diese. Reinhard Kardinal Marx machte mehrmals deutlich, dass jegliche Form von Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus mit dem Christsein unvereinbar ist, und erteilte damit der AfD eine eindeutige Absage. Nicht nur mit Worten unterstrichen die deutschen Bischöfe ihre Haltung, sie ließen auch Taten folgen. Mit Aktionen wie „Unser Kreuz hat keine Haken“ parallel zum diesjährigen AfD-Parteitag in Köln oder dem Ausschalten der Beleuchtung am Erfurter Dom während einer AfD-Veranstaltung davor verdeutlichen die Bischöfe ihre Position und setzen gleichzeitig ein Signal gegenüber dem Kirchenvolk. Wie sieht dann aber der Umgang mit jenen Gläubigen aus, die trotz ihrer christlichen Prägung der AfD gegenüber nicht abgeneigt sind? Schließlich gibt es dort eine Vereinigung, die sich „Christen in der AfD“ nennt. Eine Möglichkeit besteht darin, mit Vertretern dieser Vereinigung in den Dialog zu treten. So geschah es beim diesjährigen Evangelischen Kirchentag in Berlin. Im Vorfeld ist diese Entscheidung kontrovers diskutiert worden. Es ist eine Gratwanderung zwischen einem möglichen Podium für populistische Äußerungen und einem fairen Austausch von Argumenten. Dadurch besteht die Option, scheinbar christliche Argumente der AfD als das genaue Gegenteil zu entlarven. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) Thomas Sternberg1 hat beim Katholikentag 2016 in Leipzig die AfD ausgeladen und ist damit einer direkten Konfrontation aus dem Weg gegangen. Entscheidend ist, dass die Kirche sich nicht von Aufrufen zu Kirchenaustritten oder Widerstandsbekundungen der AfD ihr gegenüber einschüchtern lassen darf.

Die katholischen Bischöfe kritisieren nicht nur die populistische Haltung der AfD scharf, sie rügen ebenfalls die CSU für ihre Positionen in der Asyl- und Flüchtlingspolitik. Eine Partei, welche das Attribut „christlich“ in ihrem Namen führt, aber hilfesuchende Menschen aufgrund ihrer Herkunft aus dem christlich-abendländischen Bereich bevorzugt, trage zur Polarisierung der Gesellschaft ebenso viel bei wie die AfD und Pegida. Wer sich in der politischen Auseinandersetzung Stammtischparolen hingibt, der sorgt dafür, dass am Ende die AfD die Lachende ist.

Polen – Eine Allianz zwischen Thron und Altar?

Entscheidend für das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Polen ist die Geschichte. Es war die katholische Kirche, die in Zeiten von Teilung, Besatzung, Unterdrückung und Verfolgung den einzigen Rückbesinnungspunkt des polnischen Volks darstellte. Nicht zuletzt trug die kirchliche Unterstützung der Solidarnoś -Bewegung in Polen wesentlich zur Überwindung des Kommunismus bei. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs fiel es der katholischen Kirche in Polen schwer, ihren Platz in der demokratisch und pluralistisch werdenden Gesellschaft zu finden. Sie unterstützte beispielsweise den Beitritt Polens zur EU 2004. Parallel dazu aber mischte sie sich seit 1989 aktiv in die Tagespolitik ein und formulierte Präferenzen für politische Parteien.

Politisch umworben wurde die Kirche vor allem in Wahlkampfzeiten von nahezu allen Parteien. Während der ersten Regierungsbeteiligung unter Jarosław Kaczyński und seiner konservativen Partei „Prawo i Sprawiedliwość“ (PiS, Recht und Gerechtigkeit) gelang es den polnischen Bischöfen, sich Anbiederungsversuchen aus dem rechten Lager zu entziehen. Dennoch nahmen der katholisch-nationalkonservative Sender Radio Maryja und die katholische Fernsehanstalt TV Trwam direkten Einfluss auf die Politik; trotz gegenteiliger Bemühungen vieler Bischöfe setzte sich auch eine starke konservative Fraktion innerhalb der polnischen Bischofskonferenz für beide Medien ein. Politische Aufwertung erfuhr Radio Maryja durch viele Gastauftritte von Ministern der PiS und durch die Teilnahme seines Direktors Pater Tadeusz Rydzyk, an politischen Ereignissen. Inhaltliche Unterstützung erhielt die PiS von der Kirche bei der geplanten Verschärfung des Abtreibungsgesetzes (2005). Dennoch machte die Kirche stets deutlich, dass sie sich trotz grundsätzlicher Zustimmung in vielen Positionen nicht von einer Regierungspartei vereinnahmen lassen würde.

Durch den Regierungswechsel 2007 zur konservativ-liberalen Platforma Obywatelska (PO, Bürgerplattform) unter Beteiligung der Polnischen Volkspartei (PSL) vollzog sich eine Wende im Regierungsstil. Eine europafreundliche Politik und ein wirtschaftlicher Aufschwung ließen Polen zu einem der Musterschüler Europas werden. Den ersten politischen Verlust musste die PO dann bei den Präsidentschaftswahlen 2015 verzeichnen, aus welcher der PiS-Kandidat Andrzej Duda als Gewinner hervorging. Hatte sich die Kirche bei den vorherigen Wahlkämpfen recht bedeckt gehalten, agierte sie jetzt offensiv und sympathisierte mit Duda. Den finalen Stoß versetzte der PO die Parlamentswahl 2015, aus welcher die PiS mit 38 Prozent der Stimmen hervorging und nun über eine Mehrheit im Sejm verfügt, ebenso im Senat. Neue Ministerpräsidentin wurde Beata Szydło, eigentlicher „Anführer“ ist aber der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński. Die PiS wurde im Wahlkampf massiv von vielen Bischöfen und Priestern unterstützt, auch wenn es keine offizielle Stellungnahme seitens der Kirche gab; so konnte sie in den Pfarreien Druckerzeugnisse verteilen und in Kirchenzeitschriften wahlkampfpolitische Artikel platzieren. Die Gründe für diesen radikalen Politikwechsel sind vielschichtig und können hier nicht alle erörtert werden. Bedeutende Faktoren sind wohl die durch den EU-Beitritt teilweise nicht erfüllten Hoffnungen und schwere Defizite in der Sozialpolitik, welche die Unzufriedenheit in der Bevölkerung mehrten.

Wenige Tage nach ihrem Amtsantritt begann die neue polnische Regierung, ihre Strategie einer „konservativen Revolution“ gemeinsam mit der „Wende zum Guten“ (dobra zmiana) umzusetzen. Diese sieht vor, dass die Gewaltenteilung aufgehoben und das Verfassungstribunal der Legislative untergeordnet wird. Es folgten Entlassungen und Umstrukturierungen im Beamtenwesen sowie ein umstrittenes Mediengesetz. Wenige Monate später verkündete die Regierung ihre Pläne zur Schaffung so genannter „nationaler Medien“, die über einen von der Regierung bestellten Medienrat kontrolliert werden sollen. Gegen diese radikalen Veränderungen regt sich in der polnischen Bevölkerung zunehmend Protest. Das „Komitet Obrony Demokracji“ (KOD, Komitee zur Verteidigung der Demokratie) bietet eine oppositionelle Plattform gegen die Politik der PiS. Seine Anhänger demonstrieren seit November 2015 in vielen großen Städten Polens.

Für weitaus noch kontroversere Debatten inner- und außerhalb Polens sorgte die polnische Regierung mit ihrer Weigerung der Aufnahme von Flüchtlingen, obwohl die Vorgängerregierung noch die Einreise eines Kontingents von 7.000 Flüchtlingen zugesagt hatte und eine generelle Verteilung auf EU-Ebene beschlossen worden war. Im Widerspruch zu ihrer eigenen geschichtlichen Erfahrung reagieren die Polen gegenüber der Aufnahme von Flüchtlingen aus Krisen- und Kriegsgebieten mit Ablehnung. Sie begründen diese mit der Angst vor Terroranschlägen und dem Islam. Ferner befürchten sie einen Identitätsverlust und das Aufbrechen ihrer angeblich homogenen Gesellschaft.

Die Ansprache von Papst Franziskus beim Weltjugendtag 2016 in Krakau rückte nicht nur die polnische Regierung hinsichtlich ihrer Weigerung, Flüchtlinge aufzunehmen, in ein schlechtes Licht, sondern auch die katholische Kirche in Polen. Er sagte: „Zugleich ist die Bereitschaft zur Aufnahme derer notwendig, die vor Kriegen und Hunger fliehen; die Solidarität gegenüber denen, die ihrer Grundrechte beraubt sind ….“2 Im Gegensatz zur Regierung sprach sich das Präsidium der Polnischen Bischofskonferenz im September 2015 für Hilfe gegenüber Flüchtlingen aus. Konkreter machte es noch der Weihbischof von Köslin, Krzysztof Zadarko, indem er sagte, dass Christus heute das Gesicht eines Flüchtlings habe. Insgesamt versetzt diese Haltung die katholische Kirche in eine konträre Position zur PiS, und auch nicht alle polnischen Bischöfe und Priester teilen die Haltung der Bischofskonferenz. Es wird sich zeigen, ob sich diese differierende Haltung zur PiS durchsetzen und es damit zu einem offenen Bruch zwischen Thron und Altar kommen wird.

Ungarn – ein Beispiel für andere?

Die Entwicklungen, welche sich derzeit in Polen beobachten lassen, haben sich bereits vor einigen Jahren in ähnlicher Form in Ungarn vollzogen. Viktor Orbán formulierte mit seiner Regierungspartei Fidesz (Ungarischer Bürgerbund) nach der Wiederwahl 2010 das „System der Nationalen Zusammenarbeit.“3 Er verlor keine Zeit, um zentrale rechtsstaatliche Mechanismen zu beschneiden und auszuhöhlen. Als erste Instanzen waren der Staats- und Beamtenapparat betroffen, gefolgt von der Gerichtsbarkeit und der Vereinnahmung der öffentlich-rechtlichen Medien. Im Jahr 2011 verabschiedete er mit einer Mehrheit des Parlaments eine neue Verfassung, die 2012 in Kraft trat. Sie wurde von einem engen Kreis um Orbán ausgearbeitet und enthält als Präambel eine Art „Nationales Glaubensbekenntnis“. Darin wird die besondere Rolle des Christentums für Ungarn betont, das Land als „Nationalstaat von völkischer und christlicher Bedeutung“ bezeichnet.4 Bei seinen Äußerungen zu Flüchtlingen und deren eventueller Aufnahme in Ungarn operierte er mit religiös konnotierten Phrasen. In seinen Augen gelten Flüchtlinge und Asylsuchende als „Dämonen“, welche das christliche Europa mit ihrem islamischen Hintergrund überrennen würden. Er schürte fremdenfeindliche Parolen, lange bevor die Flüchtlinge überhaupt in Ungarn eintrafen. Europaweites Aufsehen erregte die Errichtung von Zäunen an den Grenzen zu Serbien und Kroatien.

Die Kirche Ungarns – ein verlängerter Arm Orbáns?

Für das Verhältnis zwischen Staat und katholischer Kirche in Ungarn ist deren Verbindung durch die Geschichte des Landes von zentraler Bedeutung. War die Kirche über viele Jahrhunderte eine tragende Säule der ungarischen Gesellschaft, so änderte sich dies nach dem Zweiten Weltkrieg und der daran anschließenden Zeit des Kommunismus. Nach dem Umbruch der Jahre 1989/90 erfolgte eine Trennung beider Bereiche. Das verabschiedete Religionsgesetz räumte den Kirchen Freiheiten ein, sicherte sie wirtschaftlich aber schlecht ab. Im Laufe der Jahre stiegen die staatlichen Subventionsformen für die Kirche immer weiter. Die Reaktionen von Vertretern der katholischen Kirche auf die Abschottungspolitik Orbáns gegenüber den hilfesuchenden Menschen waren sehr vorsichtig. Einige wenige wie Miklós Beer, Bischof von Vác, kritisierten die Anlage des Zauns, für dessen Errichtung, wie er allerdings bemerkte, es durchaus auch berechtigte Argumente gebe. Die karitativen Einrichtungen der Kirche vor Ort leisten hingegen Hilfe für die Flüchtlinge. Weniger zweideutig sprach sich László Kiss-Rigó, Bischof von Szeged-Csanád, aus. Er warnte vor der Aufnahme von Flüchtlingen, die eine Bedrohung für die nationale Identität darstellten.

Dass sich die katholische Kirche nicht eindeutig von den Handlungen der Regierung distanziert, hängt unmittelbar mit ihrer finanziellen Abhängigkeit zusammen. Ob das vereinbar mit christlichen Werten ist, ist stark zu bezweifeln, insbesondere vor dem Hintergrund der ungarischen Geschichte.


Fußnoten:


  1. Zur Haltung von Präsident Sternberg vgl. auch das nachfolgende Interview↩︎

  2. Ansprache des Heiligen Vaters bei der Begegnung mit den Vertretern der Regierung und des öffentlichen Lebens und mit dem Diplomatischen Korps während des XXXI. Weltjugendtags in Krakau (27-31.07.2016), zitiert nach OST-WEST. Europäische Perspektiven 17 (2016), H. 3, S. 238 (der gedruckten Ausgabe). ↩︎

  3. Gregor Mayer: Viktor Orbáns Säulen der Macht. In: Südosteuropa Mitteilungen 57 (2017), H. 2, S. 19-29, hier S. 22. ↩︎

  4. Ebd., hier S. 23; der Verfassungstext ist in deutscher Sprache einsehbar unter http://www.verfassungen.eu/hu/verf11-i.htm↩︎