Das „Writers in Prison“-Committee der Schriftstellervereinigung PEN

aus OWEP 2/2014  •  von Sascha Feuchert

Prof. Dr. Sascha Feuchert ist seit 2008 Leiter der Arbeitsstelle Holocaustliteratur an der Justus-Liebig-Universität Gießen, seit 2009 außerdem Honorarprofessor an der Eastern Michigan University (Ypsilanti, Michigan). Seit 2012 hat er als Nachfolger von Dirk Sager das Amt des Vizepräsidenten des deutschen PEN und des Writers-in-Prison-Beauftragten inne.

Zusammenfassung

Der Artikel beschreibt die Entwicklung des „Writers in Prison“-Committee (WiPC) der Schriftstellerorganisation PEN, das sich weltweit für inhaftierte und bedrohte Autoren einsetzt. 1960 als eigene Einrichtung gegründet, ist das WiPC heute eine der wichtigsten Institutionen, die sich für das Grundrecht der Meinungsfreiheit einsetzen. Nachgezeichnet wird auch die historische Genese, die eng mit dem Kalten Krieg verbunden war. Daher lag der Fokus der frühen Jahre v. a. auf den Ländern des Ostblocks – doch auch heute noch werden Fälle u. a. in Weißrussland, Tschetschenien und Russland betreut.

Die Gründung des Komitees

Es mag auf den ersten Blick verwundern, dass erst 1960 – also ganze 15 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und, vielleicht schwerwiegender noch, 27 Jahre nach der nationalsozialistischen Machtergreifung im Deutschen Reich – ein ständiges Komitee innerhalb der Schriftstellervereinigung PEN (das Akronym steht für „Poets – Essayist – Novelists“) gegründet wurde, das sich konkret mit dem Schicksal inhaftierter Autoren befasst und Hilfsmaßnahmen zentral koordiniert. Dies lag zunächst sicher an der Selbstbeschränkung, die sich der PEN in den Jahren nach seiner Gründung im Jahre 1921 auferlegt hatte, als die Gründerin Catherine Amy Dawson Scott und der erste Präsident John Galsworthy das bekannte und viel zitierte Motto „No politics, under no circumstances“ vehement verteidigten. Allerdings hieß das nicht, dass man im PEN nicht auch schon früher die moralische Pflicht sah, gegen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit zu argumentieren und zu protestieren, wie Gerhard Schoenberner feststellt: „Bereits zweieinhalb Jahre nach seiner Gründung, im März 1924, schlug die französische Sektion dem Londoner Sekretariat vor, beim spanischen Diktator Primo de Rivera gegen die Verbannung von Miguel de Unamuno zu protestieren. Gleichzeitig regte man an, ein Sonderkomitee zu bilden, das sich solcher und ähnlicher Fälle annehmen sollte. Aber in der Gründungszentrale war man damals noch der Auffassung, der Club solle sich aus politischen Fragen heraushalten, und vertagte die Angelegenheit.“1

1937 kam es schließlich doch zur ersten wirklich großen (und letztlich erfolgreichen) Kampagne – die freilich gleichzeitig auch eine der letzten für eine lange Zeit bleiben sollte: die Bemühungen um die Freilassung Arthur Koestlers. Dieser gehörte im Spanischen Bürgerkrieg zu einer ganzen Reihe von Journalisten und Schriftstellern (darunter Orwell, Hemingway, Dos Pasos), die entweder für die Republikaner kämpften oder in ihrem Sinne berichteten.

Mochte es 1945 dann für eine kurze Zeit auch so ausgesehen haben, als habe das Ende des Krieges und des Hitler-Terrors auch die Situation von Autoren prinzipiell verbessern können, so wurde schnell klar, dass dies keineswegs so war: „Instead they ‚disappeared‘ or were arrested, in Czechoslovakia, Albania, Romania and Hungary, states in the grip of the Cold War. By 1959, the surge of optimism that inspired the first PEN Congress after the war, in Zurich in 1947, had melted away as the Iron Curtain descended on Europe and critical voices were silenced.“2 Am 24. Juli 1960 war es schließlich auf dem Kongress in Rio de Janeiro soweit; das „Writers in Prison“- Committee wurde v. a. als Reaktion auf die sich verschärfenden Bedingungen im Kalten Krieg gegründet.

Entwicklung der Komitees bis heute

Die ersten Jahre des WiPC waren vor allem gekennzeichnet durch die schiere Erfassung der Fälle und durch diplomatische Tätigkeiten; der Weg in die Öffentlichkeit wurde damals nur selten gesucht. Zu den frühen Fällen gehörten Anatoly T. Marchenko und Ruth First, die beide letztlich leider nicht gut ausgingen: Der sowjetische Dissident Marchenko verstarb 1986 im Gefängnis, die südafrikanische Apartheidsgegnerin First wurde 1982 ermordet.

Sven Hanuschek weist darauf hin, dass der Beginn der WiPC-Arbeit auch von inneren Konflikten bestimmt war: „Die kommenden Jahre waren durch Scharmützel mit den Clubs der betroffenen Länder geprägt; die ersten Abwehr-Mechanismen bestanden darin, nach Monaten des Stillschweigens die Listen für veraltet zu erklären – oder den Genannten die schriftstellerische Tätigkeit abzusprechen.“3

Aus bescheidenen Anfängen hat sich das WiPC in den letzten fünf Dekaden deutlich weiterentwickelt: Im Londoner Hauptquartier des Internationalen PEN gibt es mittlerweile eine eigene Abteilung, die sich ausschließlich um die „Writers in Prison“- Belange kümmert. Insgesamt arbeiten sieben Mitarbeiter in Brownlow House, dem PEN-Hauptquartier, die spezialisiert sind auf einzelne Regionen der Welt und bestimmte Themen. Informationen zu den Fällen erhalten sie u. a. durch die systematische Auswertung der Presse, nationale PEN-Zentren, diplomatische Kreise oder durch andere NGOs, die den PEN alarmieren, sobald sie Kenntnis von einem bedrohten oder inhaftierten Autor erhalten. Von London aus werden auch die Maßnahmen mit weiteren Menschrechtsorganisationen und den nationalen Zentren koordiniert.

Die ursprüngliche Konzentration auf inhaftierte Schriftsteller wurde mittlerweile aufgehoben und die Aufmerksamkeit auch auf anders bedrohte Autoren gerichtet. Die Kampagnen rufen deshalb heutzutage auch dazu auf, Schriftsteller zu unterstützen, die von der Mafia bedroht werden, die ins Exil flüchten müssen oder mit anderen Mitteln unter Druck gesetzt werden. Die Bedrohung des freien Wortes ist unvermindert hoch – die Methoden haben sich freilich deutlich erweitert. Nicht zuletzt deshalb hat eines der größten PEN-Zentren der Welt bereits sein WiPC umbenannt: Im englischen PEN gibt es seit 2012 ein „Writers at Risk“- Programm.

Natürlich hat sich auch der Autorenbegriff im Laufe der Jahrzehnte deutlich verändert: Waren früher nur klassische Schriftsteller im Fokus, so traten schnell auch Journalisten, Übersetzer und Verleger hinzu und seit geraumer Zeit selbstverständlich auch Internetautoren, wie etwa Blogger. Gerade letztere sind in den vergangenen Jahren in vielen Ländern furchtbaren Repressionen ausgesetzt. Der PEN hat dieser Tatsache Rechnung getragen und sie unter den Schutz des WiPC gestellt.

Heutige Aufgaben und Tätigkeitsfelder

Die Tätigkeiten des WiPC lassen sich heute unterteilen in direkte Hilfen für den betroffenen Autor und in öffentlichkeitswirksame Aktionen. Zentral für die Bemühungen des Komitees ist der unmittelbare Kontakt mit dem Schriftsteller oder seiner Familie. So können direkt finanzielle oder materielle Unterstützungen organisiert werden. Gleichzeitig signalisiert dieser Kontakt den Kollegen, dass sie nicht alleine sind in ihrem Kampf und ihr Schicksal wahrgenommen wird. Das WiPC fordert die nationalen Zentren auf, sich ebenfalls mit den bedrohten oder inhaftierten Autoren in Verbindung zu setzen.

Um für die betroffenen Autoren auch politisch Einfluss auszuüben, hat das WiPC mittlerweile gewisse Routinen etabliert, die bei den einzelnen Fällen durchlaufen werden: Zum einen werden Protestschreiben an die jeweilige Regierung gesandt, um direkt gegen die Inhaftierung oder die Bedrohung zu protestieren. Damit wird den jeweiligen Politikern auch mitgeteilt, dass der PEN den speziellen Fall intensiv verfolgt und der politische Druck nicht aufhören wird. Die kooperierenden Zentren werden ebenfalls um solche Briefe an die eigene Botschaft in dem jeweiligen Land und an den Botschafter des betroffenen Staates im Heimatland gebeten. Die Briefe sollen dabei auch veröffentlicht werden und ebenso der eigenen Regierung zur Kenntnis gebracht werden. In eiligen Fällen, bei denen befürchtet werden muss, dass ein Zögern die Situation des betroffenen Kollegen erheblich verschlechtert oder gar sein Leben in Gefahr bringt, startet der Internationale PEN sein „Rapid Action Network“ (RAN), mit dem die Maßnahmen sofort in Gang gesetzt werden sollen und nationale PEN-Clubs unmittelbar zur Reaktion aufgefordert werden. Die notwendige Schnelligkeit hat natürlich den Preis, dass die nationalen Zentren in der Regel keine Gelegenheit haben, eigene Recherchen zu den Fällen anzustellen, sondern sich komplett auf die Informationen aus London verlassen müssen. Hinzu kommt, dass in vielen Fällen sowieso nur wenige Details zur Verfügung stehen.

Die nationalen Zentren können als weitere öffentlichkeitswirksame Maßnahme die verfolgten und bedrohten Autoren auch zu Ehrenmitgliedern ernennen, um auf ihr Schicksal besonders und auch langfristig aufmerksam zu machen. Der deutsche PEN hat in den vergangenen Jahrzehnten von dieser Möglichkeit schon bei nahezu 90 Schriftstellern Gebrauch gemacht, darunter äußerst prominente Kollegen wie Václav Havel oder Liu Xiaobo. Mit der Ernennung zum Ehrenmitglied geht der jeweilige Club auch eine besondere Verpflichtung dem Autor gegenüber ein: Die Maßnahmen zu seiner Sicherung müssen dauerhaft und intensiv sein. Mit solchen Ernennungen legen nationale WiPC auch fest, in welchen Regionen sie sich besonders engagieren.

Die erwähnten Ehrenmitgliedschaften werden auch in der „Caselist“ des Internationalen PEN veröffentlicht, die alle sechs Monate die Informationen zu den aktuellen Fällen bündeln und aktualisieren soll. Diese Liste wird damit zum zentralen Arbeitsinstrument des WiPC. Sie verdeutlicht eindringlich, wo das Recht auf Meinungsfreiheit zu einem gegebenen Zeitpunkt am meisten bedroht ist. Die aktuelle Liste etwa zeigt „für das zweite Halbjahr des … Jahres (2012) über 590 Übergriffe auf Schriftsteller, Journalisten und Verleger weltweit ... Im gesamten Jahr 2012 verzeichnete (sie) 14 getötete Schriftsteller, die ermordet wurden, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnahmen, bei 31 weiteren Todesfällen ist ein Zusammenhang mit dem Beruf der Autoren nicht ausgeschlossen. 157 Schriftsteller und Journalisten müssen zurzeit langjährige Haftstrafen absitzen, weil sie in Ländern wie etwa China, Vietnam, der Türkei, Eritrea und Usbekistan kritische Texte veröffentlichten. 133 weitere Autoren werden durch Behörden festgehalten, 170 erwarten ein Urteil, ohne bislang im Gefängnis zu sein.“4

Die „Caselist“ soll natürlich auch eine Grundlage für die Zentren darstellen, damit sie in den nationalen Medien Berichte über einzelne Schicksale initiieren können. Allerdings – und das gilt besonders für Deutschland – hat die Bereitschaft der klassischen Medien, über solche Fälle zu berichten, deutlich abgenommen. Es wird für das WiPC immer schwerer, mit diesen Nachrichten durchzudringen. Gezieltere Maßnahmen zur Herstellung von Öffentlichkeit spielen daher seit geraumer Zeit eine größere Rolle. Der wichtigste Anlass, um die Aufmerksamkeit auf bestimmte Fälle zu lenken, ist seit 1980 der „Day of the Imprisoned Writer“ („Tag des inhaftierten Schriftstellers“), der weltweit am 15. November begangen wird. Er bietet die Möglichkeit, regional unterschiedliche Schicksale zu fokussieren und Unterstützer ganz konkret zu mobilisieren. Auch das deutsche PEN-Zentrum hat diesen Termin fest im Jahreskalender eingeplant: Zum einen mit gezielten Veranstaltungen an diesem Tag selbst, besonders aber mit der Verleihung des Hermann-Kesten-Preises, die immer am Vorabend in Darmstadt stattfindet. Dieser nach dem ehemaligen Ehrenpräsidenten des deutschen PEN benannte Preis „würdigt Persönlichkeiten, die sich im Sinne der internationalen PEN-Charta in besonderer Weise für verfolgte und inhaftierte Schriftsteller und Journalisten einsetzen.“ 2012 erhielt die Weißrussin Iryna Khalip für ihren mutigen Kampf den Preis, 2013 ging er an die Organisation „Index on Censorship“ (England).

Unterstützen kann übrigens jeder die Bemühungen des WiPC – etwa dadurch, dass man die Facebook-Seite des Komitees abonniert und die dort veröffentlichten Nachrichten teilt und weiter verbreitet.5


Fußnoten:


  1. Gerhard Schoenberner: Das Wort und die Macht. Das Writers in Prison Committee. In: PEN-Zentrum Deutschland. Autorenlexikon 2012/2013. Wuppertal 2012, S. 532-546, hier S. 536. ↩︎

  2. Carole Seymour-Jones: Power of the PEN. In: Index on Censorship 39/4 (2010) (= Beyond Bars. 50 Years of the PEN Writers in Prison Committee), S. 17-23, hier S. 20. ↩︎

  3. Sven Hanuschek: P.E.N. Die internationale Schriftstellervereinigung. Ihre deutsche Geschichte. Ihre Aufgaben (Katalog). Darmstadt 2011, S. 44-48, hier S. 45. ↩︎

  4. Aus einer Pressemitteilung des deutschen PEN zur Vorstellung der aktuellen „Caselist“: http://www.pen-deutschland.de/de/2013/02/21/pressemitteilung-des-pen-zentrums-deutschland-im-zweiten-halbjahr-2012-uber-590-ubergriffe-auf-publizisten-weltweit/ (letzter Zugriff: 30.10.2017). ↩︎

  5. Vgl. https://www.facebook.com/PenDeutschlandWritersInPrison bzw. für regelmäßige Informationen www.pen-deutschland.de↩︎