1933: „Holodomor“

Friedrich Asschenfeldt: Student am Historischen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Die Hungersnot von 1932/33 war der Kulminationspunkt einer Versorgungskrise, die die forcierte Industrialisierung und Kollektivierung des Ersten Fünfjahresplanes hervorgerufen hatte. Weil es für die Bauern kaum Anreize für die Arbeit in den Kolchosen gab, sank die Produktivität der Landwirtschaft drastisch. Durch ihre Entscheidungen verschlimmerten die Bolschewiki die Lage zusätzlich. Im Gegensatz zur Hungersnot von 1921/22 forderten sie keine Hilfe aus dem Ausland an, sondern verheimlichten sie vor der Welt. In den Bauern sahen die Bolschewiki Feinde, die gegen den Staat einen „Krieg durch Verhungern“ (Stalin) führten. Selbst auf dem Höhepunkt der Hungersnot exportierte die Sowjetunion noch Korn, das der Staat von den unterernährten Bauern konfisziert hatte. In Kombination mit der ungünstigen Witterung der Jahre 1931 und 1932 führten diese Faktoren zu einer der schlimmsten Hungerkatastrophen des 20. Jahrhunderts, die auf dem Land die meisten Opfer forderte.

Die Hungersnot war von einer staatlichen Terrorkampagne begleitet. Korn zurückzuhalten, konnte seit August 1932 mit dem Tod bestraft werden. Gleichzeitig wurden Pässe und Passkontrollen eingeführt, um die Landbevölkerung daran zu hindern, in die relativ besser versorgten Städte zu gelangen. In den Monaten darauf wurden 220.000 Dorfbewohner, die keinen Pass besaßen, von der Geheimpolizei in die hungernden Dörfer zurückgeschickt.

Der höchste Anteil der ca. 5,7 Millionen Opfer stammte aus den von Ukrainern bevölkerten Gebieten der UkrSSR und des Nordkaukasus. Ob die Hungersnot als eine antiukrainische Terrormaßnahme Stalins verstanden werden muss, ist unter Historikern umstritten, weil auch mehrheitlich von Russen bewohnte Regionen in ähnlichem Maße betroffen waren. In der Ukraine ist die als „Holodomor“ (Tötung durch Hunger) bezeichnete Hungersnot einer der wichtigsten nationalen Erinnerungsorte; ihre Bewertung ist daher eine hochpolitische Angelegenheit.