Frauenhandel

Nüchterne Informationen zu einem heißen Thema
aus OWEP 2/2002  •  von Renate Augstein

Renate Augstein, Unterabteilungsleiterin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Berlin, leitet die bundesweiten Arbeitsgruppen „Frauenhandel“ und „Häusliche Gewalt“.

Deutschland ist eines der Zielländer von Menschenhandel, denn es wird als eines der reichen westlichen Industriestaaten mit guten Möglichkeiten, schnell viel Geld zu verdienen, angesehen. Zudem liegt es geographisch an der Schnittstelle zwischen den westlichen Ländern einerseits und den mittel- und osteuropäischen Ländern andererseits. Deutschland ist damit auch ein Transitland für den Menschenhandel in die anderen westeuropäischen Länder.

Ein Bündel von Ursachen

Frauenhandel ist eine zu verhindernde und zu bekämpfende Menschenrechtsverletzung und ein Verbrechen. Dies ist allgemeiner politischer Konsens – sowohl über die jeweiligen Ressortzuständigkeiten als auch über die Ländergrenzen hinweg.

International steigt mit den Fallzahlen auch die Anzahl der Resolutionen, Gremien, Konferenzen und Absprachen. Auch in Deutschland gibt es eine Reihe von Maßnahmen, Gesetzesänderungen, Länderrichtlinien usw. Doch ganz offensichtlich hat dies bisher nicht dazu beitragen können, den Frauenhandel einzudämmen.

Dies hat verschiedene Gründe. Zum einen sind die beiden Hauptursachen des Frauenhandels realistischerweise kaum durch behördliche oder juristische Maßnahmen eindämmbar: die Perspektivlosigkeit bzw. die Armut der Frauen in den Herkunftsländern, die durch wirtschaftliche Hilfen nicht kurzfristig aufgefangen werden kann; zum anderen liegt es an der Nachfrage in den Zielländern, z. B. nach Prostituierten oder billigen Arbeitskräften.

Ein anderer Grund liegt in der Schwierigkeit, hinsichtlich der zu ergreifenden Maßnahmen einen politischen Konsens zu erzielen. Sobald es um die Details und die Strategien zur Verhinderung und zur Bekämpfung eines so komplexen Sachverhaltes wie Menschenhandel geht, wird schnell deutlich, dass es verschiedene Interessen und Interessengruppen gibt, die unterschiedliche und manchmal sich widersprechende Ziele verfolgen. Solche Zielkonflikte gibt es nicht nur zwischen Regierungen und NGOs (Nichtregierungsorganisationen), sondern auch innerhalb der verschiedenen Politikbereiche selbst.

Lösungsansätze – der Blickwinkel entscheidet

So gibt es verschiedene Lösungsansätze, die jeweils davon abhängen, welche Teilaspekte von Frauenhandel in den Vordergrund gestellt werden. Frauenhandel kann betrachtet werden als

  • ein moralisches Problem: hier geht es um die Frage, wie eine Gesellschaft mit Prostitution umgeht,
  • Problem der Strafverfolgung: hier geht es um polizeiliche und justizielle Maßnahmen zur Verfolgung der Menschenhändler,
  • ein Migrationsproblem: ausländerrechtliche Maßnahmen stehen im Vordergrund, um mögliche Opfer erst gar nicht hereinzulassen bzw. bei deren Ergreifung eine sofortige Abschiebung vorzunehmen;
  • ein Arbeitsproblem: dabei stehen Fragen der Arbeitsmigration und des Arbeitsschutzes im informellen Sektor im Vordergrund (Schutz vor Ausbeutung), aber auch Fragen der Arbeitserlaubnis für Ausländerinnen und der Zuwanderung generell,
  • Menschenrechtsverletzung: hierbei geht es um die Frage, wie der Rechtsstaat verhindert, dass solche Menschenrechtsverletzungen geschehen, und darum, den Opfern eine größtmögliche Unterstützung und auch Entschädigung zukommen zu lassen.

Die EU-Staaten stellen in der Regel die repressiven Strategien wie restriktivere Ausländerpolitik, Anhebung des Strafmaßes bei Menschenhandel oder konsequentere Strafverfolgung der Menschenhändler in den Mittelpunkt ihrer Politik zur Bekämpfung des Menschenhandels. Die Effektivität dieser Maßnahmen ist allerdings sehr umstritten. Häufig richtig sie sich auch gegen die Frauen, anstatt sie zu schützen: Bestenfalls werden die Frauen als Zeuginnen für das Strafverfahren gegen die Menschenhändler instrumentalisiert, ansonsten richten sich die Maßnahmen – insbesondere des Ausländerrechts – eindeutig gegen sie. Sie werden als Täterinnen begriffen und selten als Opfer angesehen.

Die Arbeitsgruppe der deutschen Regierung

Damit aber der Schutz der Frauen nicht ins Hintertreffen gerät, hat die Bundesregierung im Frühjahr 1997 eine bundesweite Arbeitsgruppe Frauenhandel (AG Frauenhandel) eingerichtet, die etwa vierteljährlich tagt. Ihre Zusammensetzung trägt der sehr komplexen Problematik des Frauenhandels, die verschiedene Politikfelder, Adressaten und Ebenen betrifft, Rechnung:

  • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (federführend und geschäftsführend)
  • Auswärtiges Amt *Bundesinnenministerium
  • Bundesjustizministerium
  • Bundesarbeitsministerium
  • Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen
  • Bundesgesundheitsministerium
  • Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
  • Bundeskriminalamt
  • jeweils eine Vertretung der Fachkonferenzen der Innen-, Justiz-, Sozial- und Gleichstellungsministerien der Bundesländer
  • Beratungsstelle SOLWODI e. V.1
  • Beratungsstelle agisra e. V.
  • Koordinierungskreis der Fachberatungsstellen

Je nach behandeltem Schwerpunktthema werden auch andere ExpertInnen oder Institutionen zugezogen, so z. B. der Deutsche Städtetag, das Bundeswirtschaftsministerium, einzelne Landeskriminalämter usw. Zur Erarbeitung von konkreten Beschlussvorlagen werden ggf. Unterarbeitsgruppen eingesetzt.

Zu den Aufgaben der AG gehören ein kontinuierlicher Informationsaustausch über die vielfältigen Aktivitäten in den Bundesländern und in den nationalen und internationalen Gremien, eine Analyse der konkreten Probleme bei der Bekämpfung des Frauenhandels sowie die Erarbeitung von Empfehlungen und ggf. gemeinsamen Aktionen zur Bekämpfung des Frauenhandels.

Bisherige Schwerpunktthemen waren die Verständigung auf eine gemeinsame Definition des Frauenhandels, Prävention, Aufklärungsmaterialien, Abschiebungsfristen und -modalitäten, Gewinnabschöpfung, Zeuginnenschutz, Kosten der Zeuginnenbetreuung, gesetzliche Regelungen zur Prostitution.

Zu den konkreten Ergebnissen zählen:

  • Die Erarbeitung und Herausgabe von Informationsmaterialien für Frauen in den Herkunftsländern. Die Broschüre erschien in 13 Sprachen und wird über Nichtregierungsorganisationen sowie die deutschen Botschaften vor Ort verteilt.
  • Die Einbringung von konkreten Vorschlägen durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und die Länder für die am 09.10.2000 in Kraft getretenen Verwaltungsvorschriften zum Ausländergesetz zum Umgang mit Opfern von Menschenhandel (z. B. Mindestfrist von vier Wochen für den Vollzug der Abschiebung).
  • Die Erarbeitung eines Kooperationsmodells für einen speziellen Zeuginnenschutz für Frauen, die nicht in das Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden können oder wollen; dieses Kooperationskonzept wurde der Innenministerkonferenz zur Beschlussfassung übersandt und ist bereits Grundlage entsprechender Modelle in einzelnen Bundesländern geworden.
  • Die Erarbeitung einer Handreichung für die Behörden nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und für die Sozialhilfeträger zur Zuständigkeit bei Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bzw. dem Bundessozialhilfegesetz an Opfer von Menschenhandel.
  • Die Erarbeitung einer Empfehlung für die Bundesländer zum Anwendungsbereich des Opferentschädigungsgesetzes auf Opfer von Menschenhandel.
  • Am 29.05.2001 wurde ein Härtefall-Erlass des Bundesarbeitsministeriums an die Bundesanstalt für Arbeit herausgegeben, wonach den Opferzeuginnen im Rahmen des Kooperationskonzepts eine sofortige Arbeitserlaubnis ausgestellt werden kann.
  • Die jährliche Durchführung von speziellen Fortbildungen des Bundeskriminalamtes im Bereich der Polizei unter Hinzuziehung einzelner Mitglieder der AG.

Ferner wurden und werden die deutsche Beteiligung an internationalen Konferenzen sowie die Mitarbeit an internationalen Vereinbarungen zu Menschenhandel vorbereitet. So hat Deutschland bei der G 8 ein Positionspapier eingebracht, das die Notwendigkeit des Schutzes und der professionellen Betreuung von Zeuginnen in Menschenhandelsprozessen betont und – analog dem Kooperationskonzept der AG Frauenhandel – entsprechende Kooperationsformen aufzeigt. Bei den Vereinten Nationen wurde eine Konvention zur Bekämpfung der internationalen organisierten Kriminalität und – in deren Rahmen – ein spezielles Zusatzprotokoll zu Frauen- und Kinderhandel erarbeitet, die beide von der Bundesregierung im Dezember letzten Jahres unterzeichnet wurden.

Die AG verfolgt längerfristig das Anliegen, dass die Bundesländer spezielle Titel oder Fonds zur Unterstützung der Opfer von Menschenhandel während ihres Aufenthaltes in Deutschland einrichten, aus denen alle anfallenden Kosten gezahlt werden, die sowohl während der 4-Wochen-Frist als auch während des Gesamtaufenthalts als Zeugin entstehen:

  • Unterbringungskosten
  • Lebensunterhaltskosten
  • besondere Betreuungskosten
  • Rechtsberatungskosten und Kosten der Begleitung zu den Polizei- und Gerichtsterminen
  • Kosten der medizinischen Betreuung (einschl. eventueller Therapien)
  • Kosten für Weiterbildungsmaßnahmen (Vorbereitung auf die Rückkehr)
  • Kosten für die Rückkehr

Ein solcher Titel oder Fonds würde die Betreuung der Opfer von Menschenhandel erheblich erleichtern, weil es nicht mehr notwendig wäre, die einzelnen Teilansprüche (z. B. nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, nach dem Opferentschädigungsgesetz usw.) jeweils individuell bei den unterschiedlichen Kostenträgern geltend zu machen und die dort bestehenden Rechtsunsicherheiten immer wieder aufzuarbeiten, und weil die verbleibenden Finanzierungslücken aufgefüllt wären. Finanziert werden könnte er aus den erheblichen Geldmitteln, die aufgrund einer zwischenzeitlich stark verbesserten Abschöpfung illegal erzielter Gewinne den Landeskassen zufließen.

Zusammenarbeit und Informationsaustausch

Die bisherige Arbeit der AG Frauenhandel hat gezeigt, wie wichtig der gegenseitige Informationsaustausch ist, der ohne diese Zusammenarbeit von MultiplikatorInnen, die das Wissen aus ihren jeweiligen Fachgebieten und Ebenen einbringen und die neuen Erkenntnisse dorthin zurückvermitteln, kaum in dieser Intensität leistbar wäre. Viele Aktivitäten, insbesondere in der Öffentlichkeitsarbeit oder in der Fortbildung, liefen vorher nebeneinander her, ohne dass die Akteure voneinander wussten oder die Möglichkeit hatten, auf den Erfahrungen anderer aufzubauen.

Auch bei der Problemanalyse hat sich gezeigt, dass diese in der erforderlichen Schärfe nur möglich ist, wenn die verschiedenen Erfahrungen der beteiligten Institutionen und Gruppierungen zusammengetragen, miteinander verglichen und in ihren Auswirkungen auf die jeweils mitbetroffenen Bereiche erhellt werden. Erst durch die gemeinsame Diskussion wird deutlich, wie sich theoretische Konzepte in der Praxis auswirken und warum sie unter Umständen scheitern bzw. scheitern müssen.

Die bisherigen Diskussionen in der AG Frauenhandel haben dazu beigetragen, allen Beteiligten zu verdeutlichen, wo ihre jeweilige Verantwortung liegt und welche Handlungsmöglichkeiten sie haben, um sowohl in Kooperation als auch in gegenseitiger Abgrenzung den Frauenhandel so zu bekämpfen, dass dies nicht auf dem Rücken der betroffenen Frauen geschieht. Dies ist nicht immer einfach, da die Interessen und Ziele oft unterschiedlich und gegenläufig sind. Auch sind die sowohl fachspezifisch wie föderal unterschiedlichen Zuständigkeiten hinderlich, denn letztlich ist die Bundesebene weder für die Ausführung des Ausländergesetzes noch für die Strafverfolgung, also für Polizei und Justiz, zuständig. Die AG Frauenhandel muss daher ergänzt werden um entsprechende Kooperationen auf Länderebene und ggf. kommunaler Ebene. Von daher ist es erfreulich, dass immer mehr Bundesländer entsprechende Arbeitskreise bzw. Kommissionen auf Landesebene einsetzen.


Fußnote:


  1. SOLWODI e. V., Kurzform für „Solidarity with Women in Distress“ (Solidarität mit Frauen in Not) und agisra e. V. (Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung) sind Nichtregierungsorganisationen. ↩︎