Radio Maryja, die EU und ein kritischer Bischof. Aus Gesprächen mit Tadeusz Pieronek

(Dokument)
aus OWEP 3/2005  •  von  OWEP-Redaktion

Tadeusz Pieronek ist nicht der einzige kritische Bischof in Polen, aber er versteht es besonders gut, Positionen „auf den Punkt“ zu bringen. Im Ausland bekannt wurde der mutige Priester vor allem durch seine Tätigkeit als Generalsekretär der Polnischen Bischofskonferenz (1993-1998). Von 1992 bis 1998 war er außerdem Weihbischof von Sosnowiec, ab 1998 Rektor der Päpstlichen Theologischen Akademie in Krakau. Noch immer ist er Vorsitzender der Kirchlichen Konkordatskommission. Die Devise des 1934 geborenen und 1992 von Johannes Paul II. zum Bischof geweihten Priesters lautet: „Mit allen gut auskommen, aber nicht um den Preis der Wahrheit!“ In einem Buch mit Interviews, die Marek Zając mit ihm führte, werden dem Leser neue Einsichten in das Innere des kirchlichen Lebens in Polen vermittelt. Mit freundlicher Genehmigung der Autoren und des Krakauer Verlages ZNAK bringen wir in deutscher Übersetzung Auszüge aus diesem Buch, das den Titel trägt: „Kirche ohne Narkose. Mit Bischof Tadeusz Pieronek spricht Marek Zając“.

Pieroneks offene Art – vor allem in seiner Zeit als Generalsekretär der Bischofskonferenz – hat ihm unter den bischöflichen Mitbrüdern – besonders auf dem rechten, nationalen Flügel - nicht nur Freunde gemacht. Bezeichnend ist die Einschätzung, die Primas Józef Glemp einst über ihn gegeben hat: „Was die Theologie betrifft, so macht er keine Fehler. Aber ist er noch Pole?“

Im Folgenden geht es um Fragen und Antworten, die das Thema Radio Maryja und die Zögerlichkeit vieler Bischöfe in Fragen der europäischen Integration betreffen:


Frage: ... Erst ... am 19. Mai 2003 beseitigte Johannes Paul II. die Zweifel, ob die Kirche unsere (polnische) Integration in die EU unterstützt. Warum konnten die Bischöfe keine solche Geste machen, zu der sich der Papst ohne Zögern entschloss?

Tadeusz Pieronek: Die Antwort ist einfach: ein Teil der Bischöfe war überdröhnt durch die EU-feindliche Propaganda. Immerhin muss man unterstreichen, dass trotz starken inneren Drucks der Episkopat sich nie gegen die EU-Integration aussprach. Der Hirtenbrief vor dem Referendum (über den EU-Beitritts Polens) war Ergebnis eines Kompromisses zwischen den Befürwortern und den Euroskeptikern. Diese letzteren bemühten sich, aus dem Dokument alle Sätze herauszustreichen, die eindeutig positiv für die EU waren ...

Frage: Sie sollten als erster Bischof vor dem Episkopat einen Bericht über die EU abgeben.

Tadeusz Pieronek: Ja, es war Juni 1998, bereits nach dem Besuch der polnischen Bischöfe in Brüssel im November 1997. Zwar hatte ich Anfang Mai (1998) meine Position als Generalsekretär der Bischofskonferenz verloren, doch hatte ich die Aufgabe, das Referat vorzubereiten, viel früher bekommen, deshalb setzte ich mich hin und schrieb es. Kurz vor den Juni-Beratungen des Episkopats in Pelplin erkrankte ich, deshalb wurde mein Referat von Erzbischof Tadeusz Gocłowski verlesen. Die Bischöfe scharrten den Metropoliten aus. Genauer gesagt: sie scharrten gegen das Referat, das heißt gegen mich.

Frage: Weshalb?

Tadeusz Pieronek: Von Anfang an erwartete ich Probleme, denn in den Bischöfen war bereits die Euphorie nach der Brüssel-Reise erloschen. Deshalb beschloss ich, ein Referat darüber zu verfassen, wie der Papst die europäischen Fragen sieht – nicht mehr, nicht weniger. Nichts von meinen eigenen Weisheiten, nur Zitate oder Zusammenfassungen von Dokumenten und Äußerungen Johannes Pauls II. sowie Beschreibungen der Begegnungen des Heiligen Vaters mit Vertretern europäischer Institutionen.

Frage: Wie ist zu erklären, dass die Bischöfe Johannes Paul II. ständig im Munde führen, sie zitieren ihn bei jeder Gelegenheit, aber gerade in der Frage der EU-Integration schwimmen manche von ihnen gegen den Strom der päpstlichen Lehre?

Tadeusz Pieronek: Sie benutzten die perfide Argumentation, dass der Papst identisch denke wie die Gegner des EU-Beitritts. Er spreche von der Seele des Kontinents, vom christlichen Europa, vom Europa des Geistes, und schließlich seien Brüssel und Straßburg ja gott- und kirchenfeindlich. Das stimmt zwar nicht, der Papst erhebt die Forderung, dass Europa ein Kontinent des Geistes sei, nie aber behauptete er, dass Polen, wenn die EU sich nicht zum Christentum hinwende, außerhalb ihrer Strukturen bleiben soll. Im übrigen habe ich viele Male mit dem Heiligen Vater über dieses Thema gesprochen. Ich erinnere mich, wie ich zum Europa-Symposion geladen wurde, das im italienischen Parlament organisiert wurde. Am gleichen Tage, d. h. am 14. November 2002, hielt der Papst im Beratungssaal eine Ansprache vor italienischen Abgeordneten. Nach all dem ging ich zum Papst zum Mittagessen ... Während der Mahlzeit sprachen wir über die EU. Ich legte dar, welche Argumente die Gegner einbringen; im Allgemeinen die, dass Johannes Paul II. vom christlichen Europa spreche, nie aber von der EU.

Frage: Und was sagte der Papst dazu?

Tadeusz Pieronek: Was sollte er machen? Er lachte. (Der enge Mitarbeiter des Papstes) Bischof Dziwisz1 sagte: „Es gibt doch Texte, in denen der Heilige Vater geradezu auf die EU Bezug nimmt“ ...

Frage: Warum greifen Männer der Kirche zu solchen Manipulationen? Ist das Zynismus? Dummheit? Unwissen?

Tadeusz Pieronek: Im Fall der Politiker, z. B. aus der Liga der polnischen Familien, haben wir es mit dem gewöhnlichen politischen Spiel zu tun, darauf berechnet, Wähler zu werben. Wenn es dagegen um Priester geht, lässt sich schwer auseinander halten, ob bewusste Manipulation stattfand oder ob die Unwissenheit grassiert. Vielleicht lag der Grund in Trägheit: Man hört eine tendenziöse Radiostation, schlägt aber kein Buch und keine Zeitung auf. Über Johannes Paul II. spricht jeder, aber von seinen Enzykliken und Ansprachen wollen wir nicht einmal den Staub abwischen.

Frage: Wenn die Rede von Radio Maryja ist: Der durchschnittliche Beobachter interpretiert das Fehlen einer eindeutigen (bischöflichen) Entscheidung in dieser Frage als Ausdruck dessen, dass die Kirche den in Toruń/Thorn beheimateten Sender unterstützt.

Tadeusz Pieronek: Und er wird dabei etwas Recht haben, denn viele Bischöfe akzeptieren und unterstützen die Tätigkeit des (Direktors des Senders Radio Maryja) Pater Rydzyk. Nur zwei Beispiele: Im Sommer 1997, als die Beziehungen zwischen dem Episkopat und Pater Rydzyk sehr angespannt wurden, appellierte der Primas an die Bischöfe, sie sollen nicht an Veranstaltungen teilnehmen, die von Radio Maryja organisiert wurden. Die Bitten fruchteten nichts, im Juli tauchten bei der Pilgerfahrt der „Familie von Radio Maryja“ nach Tschenstochau drei Bischöfe auf, einer von ihnen hielt sogar eine flammende Predigt, die den Sender glorifizierte. Eine andere Sache: Die ersten Debatten über das Problem Radio Maryja begannen in der Bischofskonferenz mit einem Füßescharren der Verteidiger von Pater Rydzyk, kurz gesagt, mit dem Versuch, die Diskussion zu blockieren. Als schließlich dann die Wunde zu eitern begann, beschlossen die Bischöfe, es mit Desinfektion zu versuchen, aber Pater Rydzyk war schon so stark, dass er auf den Episkopat pfeifen konnte ...

Frage: Ich frage ... öffentlich, sicher im Namen mancher Hörer, warum hassen Sie Radio Maryja so sehr?

Tadeusz Pieronek: Hass ist in diesem Fall ein Wort, das hier entschieden nicht am Platze ist. Persönlich würde ich mich als kritischen Hörer von Radio Maryja bezeichnen. Zu Beginn war ich sehr positiv zur Initiative Pater Rydzyks eingestellt. Im November 1994 unterschrieb ich – im Namen des Episkopats – eine Vereinbarung mit den Redemptoristen über ihren Sender. Leider hat Radio Maryja die Festlegungen in diesem Abkommen nie respektiert.

Frage: Darf man um Beispiele bitten?

Tadeusz Pieronek: Bis heute hat Pater Rydzyk kein sinnvolles Statut für Radio Maryja vorgelegt. Die dem Episkopat bisher vorgeschlagenen Pseudostatuten kann man nicht ernst nehmen. Dabei haben wir doch die Vereinbarung mit der Warschauer Provinz der Redemptoristen mit wirklich gutem Willen unterschrieben, und wir haben unsere Partner für vertrauenswürdig gehalten ... Die Vereinbarung sollte die Prozedur für die Einrichtung weiterer Abteilungen von Radio Maryja in den Diözesen sowie pastorale Fragen klären, die im Fall Pater Rydzyks immer viele Kontroversen weckten. Ein Mechanismus zur Kontrolle der Einhaltung dieser Vorschriften sollten die viermal im Jahr organisierten Begegnungen von Vertretern des Radios mit Repräsentanten jener Diözesen sein, in denen der Sender aktiv war, sowie mit dem Generalsekretär der Bischofskonferenz.

Frage: Wann fand das erste Quartalstreffen statt?

Tadeusz Pieronek: Im Januar 1995 ... Nach Warschau kamen einige Dutzend Abgesandte der Bischöfe sowie zwei Vertreter von Radio Maryja. Ich beschloss, das Treffen nach einem vorab geplanten Schema durchzuführen. Zuerst fragte ich: „Was sehen Sie Gutes in der Tätigkeit von Radio Maryja?“ Nach kurzer Diskussion stellten wir eine Liste der Positiva auf. Ich dankte den Versammelten und bat um kritische Stimmen. Darauf stand eine Teilnehmerin ... auf und sagte, es sei zu einem Angriff auf Radio Maryja gekommen. Türenschlagend verließ sie den Raum ... Die Repräsentanten von Pater Rydzyk wollten zu den bei dem Treffen geäußerten Meinungen nicht Stellung nehmen. Damals wurde ich zum ersten Mal von dem Thorner Sender betrogen. Es zeigte sich, dass Vertreter Pater Rydzyks ohne mein Wissen unsere Diskussion aufzeichneten, um sie später auszustrahlen ... Ich hatte nichts dagegen, den Verlauf des Treffens öffentlich zu machen, wir hatten ja nichts zu verbergen. Ich fürchtete jedoch, dass der Sender zu Manipulationen greifen würde ...

Frage: Wie sahen die folgenden Treffen aus?

Tadeusz Pieronek: Es fand nur noch eins statt, im September 1995. Es verlief mit geringerer Spannung, es herrschte Ruhe. Es schien sogar, dass wir einen Kompromiss erzielen – leider endete wieder alles im Fiasko. Die Präsidentenwahlen standen vor der Tür, die Wege des Episkopats und Pater Rydzyks entwickelten sich in entschieden gegensätzlichen Richtungen. Obwohl jedes Quartal Sitzungen sein sollten, blieb es bei diesen beiden ...

Frage: Was kann man Positives über die Tätigkeit von Radio Maryja sagen?

Tadeusz Pieronek: Ich würde vor allem die Sendung der heiligen Messen nennen ... Ich habe auch nichts gegen katechetische Vorträge, Gespräche über die Bibel u. ä.

Frage: Na eben, wir hören oft, dass der Sender eine gewaltige Seelsorgsarbeit verrichtet.

Tadeusz Pieronek: Ich hörte oftmals selber die Meinung, dass ja auf den Wellen von Radio Maryja Gebet und Katechese überwiegen. Einverstanden, nur, dass eine solche religiöse Nahrung auf einem Teller mit anderen Sendungen geboten wird, in denen massiv eine ganz sonderbare Auffassung von Christentum vermittelt wird. Wenn Glaube eine Pistole sein soll, die gegen andere, Andersdenkende gerichtet ist – und gerade das geschieht im Sender Pater Rydzyks –, dann hat das nicht viel mit Evangelium und Kirche gemein.

Ich gebe zu, am Anfang berief ich mich selber auf das Argument, dass Pater Rydzyk viel Zeit und Engagement für Gebet und Katechese aufbringt. Jerzy Turowicz (der frühere Chefredakteur der katholischen Wochenzeitung „Tygodnik Powszechny“) sagte damals zu mir: „Wenn wir in ein Glas guten Weins einen Tropfen Gift tun, dann ist doch der ganze Wein vergiftet.“ Damit kann man keinen Menschen nähren, denn statt der Evangelisation haben wir es mit Anti-Evangelisierung zu tun. Meinen Widerspruch fordert vor allem die Sendung „Unvollendete Gespräche“ hervor, genauer gesagt: die Methode, wie sie geführt werden. Radio Maryja beschäftigt sich mit Politik sehr aggressiv, indem es Demagogie und Populismus mischt. In diesen „Gespräche“ rufen Hörer an und verunglimpfen bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Doch von seiten der Gesprächsführer gibt es keinen Widerspruch, manchmal sogar das billigende „Vergelt’s Gott“. Es würde ja schon genügen, wenn man sagt: „Bitte gebrauchen Sie nicht solche Worte in einem katholischen Sender“, oder man könnte kurz die authentische Lehre der Kirche zu dem behandelten Thema zusammenfassen. Eine katholische Sendestation darf nicht Quelle des Haders sein, darf nicht die einen gegen die anderen aufhetzen.

Frage: Das Problem ist jedoch auch, dass viele eifrige Kritiker von Radio Maryja es gar nicht hören, sondern nur Informationen aus anderer Hand wiederholen.

Tadeusz Pieronek: Ich höre Radio Maryja. Einst sehr regelmäßig, jetzt vielleicht nicht täglich, aber oft – im allgemeinen am späten Abend ... Grundlegender Fehler von seiten des Episkopats ist das mangelnde Interesse an dem Radio. Wenn die Bischöfe Sendungen Pater Rydzyks nicht hören, dann wissen sie nicht, was auf diesen Wellen angerichtet wird. Wenn sie es hörten, so bin ich sicher, dass ihre Reaktionen schneller und entschiedener kämen.

Radio Maryja bedient sich einer verfälschten Ekklesiologie. Es betreibt einen Kult um den Direktor des Senders (Pater Rydzyk), die Zuhörer loben ihn über alles, sie schreiben ihm fast übernatürliche Merkmale zu. Die Bischöfe wiederum werden in gute und böse je nachdem eingeteilt, ob sie Radio Maryja preisen oder nicht ... Die Grundlage, auf der die verschiedenen Haltungen in der Kirche gewertet werden, sind nicht Inhalte des Evangeliums, sondern private Meinungen, in denen Pater Rydzyk viel häufiger auftaucht als Jesus Christus.

Frage: Man hat Sie, Herr Bischof, oftmals scharf auf den Wellen des Thorner Senders attackiert ...

Tadeusz Pieronek: Selbst in einem Brief aus Rom erhielt ich die Warnung, für Meinungen und Anschauungen, die den meinen ähneln, seien Bischöfe in Zeiten der (polnischen) Teilungen auf dem Schafott gelandet. Aber lassen wir das. Schauer überlief mich, als ich in diesem Radio hörte, wie Zuhörer verlangten, man sollte „die Verräter erstechen“ – dabei wurden die Namen (der früheren Ministerpräsidenten) Hanna Suchocka und Tadeusz Mazowiecki genannt. Und man bedauerte, dass „es in der Weichsel zu wenig Wasser gibt, um sie zu ertränken.“ Der Leiter dieser Hörersendung erklärte, statt zu protestieren: So sei die „Stimme eines bedeutenden Teils der Gesellschaft“ ...

Auszüge aus „Kościół bez znieczulenia. Z bp. Tadeuszem Pieronkiem rozmawia Marek Zając“ (Kirche ohne Narkose. Mit Bischof Tadeusz Pieronek spricht Marek Zając“), Verlag ZNAK, Krakau 2004.

Aus dem Polnischen übersetzt von Wolfgang Grycz.


Fußnote:


  1. Bischof Stanislaw Dziwisz, bis zum Tod von Papst Johannes Paul II. dessen Privatsekretär, ist am 3. Juni 2005 von Papst Benedikt XVI. zum neuen Erzbischof von Krakau ernannt worden (Anm. d. Redaktion). ↩︎