Serben in Kroatien

(Hintergrundbericht)
aus OWEP 1/2008  •  von Dunja Melčić

Die Autorin ist promovierte Philosophin, lebt und arbeitet in Frankfurt (Main).

Politische Reifungsprozesse

Am 25. November 2007 wurde in Kroatien ein neues Parlament gewählt. Allgemein erwartet wurde, dass diese dritten Parlamentswahlen nach der Ära Tudjman die demokratische Normalität des Landes gleichsam besiegeln würden. Denn unabhängig vom Ausgang – also davon, ob die Wähler die alte Regierung Sanader bestätigen oder sich mehrheitlich für die Sozialdemokraten (SDP) unter ihrem neuen Chef Zoran Milanović entscheiden – stünde weder die demokratische Zukunft noch die europäische Orientierung zur Debatte. Es gab zwar bei der Wahl und deren Ergebnissen nichts, wodurch das in Zweifel gezogen werden könnte, aber ganz plötzlich sorgte der kroatische Präsident Stjepan Mesić für eine unangenehme Überraschung. Er weigerte sich, dem Wahlsieger das Mandat zur Regierungsbildung zu geben, und beharrte auf einer eigenwilligen Interpretation des entsprechenden Verfassungsartikels, wonach dieses derjenigen Partei erteilt werden soll, die mit ihren Koalitionspartnern die erforderliche Mehrheit von 77 Sitzen im Parlament im Voraus vorweist. So bekam ein erwartungsmäßig unspektakulär vonstatten gehender Regierungsbildungsprozess einen „Rattenschwanz“ von künstlichen Verzögerungen, die weitere Unübersichtlichkeiten und plötzliche Instabilität generierten.

Die Ausgangslage für die Regierungsbildung war jedoch in vieler Hinsicht die gleiche wie nach den letzten Wahlen im Dezember 2003. Wie damals brachte der Wahlsieg auch diesmal der Mitte-Rechts-Partei HDZ eine Mehrheit der Sitze im Parlament (66 Mandate), mit der sie aber nicht allein regieren kann. Für den Wahlsieger bedeutet dies die Aufgabe, mit Koalitionspartnern eine Regierung zu bilden, eine Aufgabe, die der bisherige Ministerpräsident Ivo Sanader bereits vor vier Jahren unter ungünstigeren Bedingungen erfolgreich gelöst hatte. Das Novum bei dieser Wahl war, dass die SDP kräftig zulegen konnte und die kleineren Parteien unterschiedlicher Couleur substanzielle Verluste hinnehmen mussten. Die populistisch-nationalistische Partei des Rechts (HSP) konnte gerade ein Mandat ergattern (früher 5). Die Bauernpartei (HSS) hat im Bündnis mit den Liberalen (HSLS) 8 Mandate errungen; als Einzelpartei verlor sie damit gegenüber der letzten Legislaturperiode (10) 4 Sitze. Da sich die SDP von 30 auf 56 Parlamentssitze verbesserte, wird die politische Landschaft in Kroatien zum ersten Mal von zwei annähernd gleich starken Parteien dominiert, die 80 Prozent des Parlaments besetzen. Die Dialektik der knappen Zahlen bringt es dann mit sich, dass der Wert einzelner Mandate der Kleinstparteien enorm steigt. Die so genannte „grün-gelbe Koalition“ (HSS und HSLS) ist so fast zum Zünglein an der Waage geworden, verschafft aber der HDZ noch immer nicht die erforderliche Parlamentsmehrheit (77 Sitze). Auch die Mitte-Links-Volkspartei (HNS) allein verhilft der SDP mit ihren 7 Mandaten nur zur unzureichenden Summe von 63 Sitzen. Jede Koalition ist somit nicht nur auf Kleinstparteien angewiesen, sondern auch auf die Stimmen der Minderheitenvertreter.

Wie auch immer die Koalitionsgespräche ausgehen mögen, es ist klar, dass letztendlich die Stimme der Minderheiten, die über eine Sonderklausel ihre Vertreter im Parlament wählen, im kroatischen parlamentarischen System eine eminente politische Position bekommt.1 Das hat Ivo Sanader begriffen, als er 2003 seine erste Regierung zusammenstellte, an der er Vertreter der Minderheiten beteiligte. Mit den Abgeordneten der Selbstständigen Demokratischen Serbischen Partei (SDSS) vereinbarte er in einem umfassenden Abkommen eine Zusammenarbeit, die insbesondere der Rückkehr der serbischen Flüchtlinge in ihre kroatische Heimat förderlich sein sollte.

Daher ist es noch immer sinnvoll, einen Blick auf die zurückliegenden Jahre der Regierung Sanader unter dem besonderen Gesichtspunkt der Minderheitenfrage zu werfen. Zum größten Erfolg dieser Regierung wird allgemein die Aufnahme der Beitrittsgespräche mit der EU im Oktober 2005 gezählt. Viel weniger beachtet bleibt eine andere Leistung der Regierung Sanader, die dennoch von nachhaltiger Bedeutung ist: Sanader ist es gelungen, die Normalisierung der Beziehungen zu den Serben Kroatiens auf eine ruhige, ja, menschenwürdige Weise in dauerhafte Bahnen zu lenken. Der entscheidende Faktor für die Integration ist die Teilhabe an politischen Entscheidungen bzw. an der Regierungsarbeit, denn dann bleibt die Integration nicht beschränkt auf Folklore und Symbolik der kulturellen Differenzen. Der serbische Politiker und Abgeordnete Milorad Pupovac unterstreicht daher die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit mit der Regierungspartei, denn nur so könne man für die Minderheiten auch etwas erreichen. Pupovac, seit Jahren einer der bekanntesten serbischen Politiker in der kroatischen Politszene und Mitglied des Parlaments, ist jetzt Mitbegründer und stellvertretender Vorsitzender der SDSS, unter anderem Mitglied verschiedener Delegationen des kroatischen Parlaments, die mit der EU zusammenarbeiten, und somit ein Entscheidungsträger der kroatischen Politik in einem ihrer wichtigsten Segmente.

Ein serbisches Gymnasium in Zagreb

2005 ließ die Nachricht aufhorchen, die Errichtung eines serbisch-orthodoxen Gymnasiums in Zagreb stünde bevor. Die Anregung dazu verdankte sich dem Metropoliten Jovan; das Gymnasium erhielt den Namen „Kantakuzina Katarina Branković“ nach einer serbischen Adligen aus dem Spätmittelalter, die einen Grafen von Cilli (Celje/Slowenien) geheiratet hatte. Dieses Projekt fing mit nur einer kleinen Klasse (16 Jungen und Mädchen aus Zagreb, Knin, Osijek und Vukovar) bescheiden an; inzwischen kann man auf der schönen Homepage2 nachlesen, dass die Schule, die eine in das öffentliche Bildungswesen eingegliederte private Einrichtung ist, gute Fortschritte macht. Bewusst wird an die Bildungstradition der orthodoxen Kirche angeknüpft, die vor 200 Jahren zur Erhaltung der kulturellen Identität und konfessionellen Besonderheit in der Diaspora, d. h. im damals zu Österreich-Ungarn gehörenden Kroatien, ansetzte. Dass diese Tradition jahrzehntelang vernachlässigt worden ist, hinge nach Ansicht von Saša Milošević, dem Programmdirektor des Serbischen Demokratischen Forums in Zagreb, damit zusammen, dass sich die kroatischen Serben zu jugoslawischen Zeiten weitgehend „integriert fühlten“ – dass zu diesen jugoslawischen Zeiten jede Traditionspflege ohne Einbettung in die sozialistische Ideologie unterbunden war, erwähnte er nicht. Der Politologe Čedomir Višnjić, stellvertretender Kultusminister in der Regierung Sanader, betonte in einem kurzen Gespräch: Die kleine Schule sei der einzige Ort im postjugoslawischen Raum, an dem sowohl kroatische als auch serbische Literatur zugleich und gleichberechtigt gelehrt werden.

Ansonsten hört man im Tonfall des Vizeministers und Vorsitzenden der serbischen Kulturgesellschaft mit dem Namen „Aufklärung“ (Prosvjeta) etwas Skepsis gegenüber dieser Einrichtung durch. Eine konfessionelle Eliteschule scheint die weltlichen serbischen Kulturschaffenden nicht sonderlich anzusprechen. Ganz unverständlich ist das nicht, wenn man die Rolle der Serbischen Orthodoxen Kirche (SOK) in den Kriegen und die konservativen und erznationalistischen Auswüchse derselben in Serbien noch heute bedenkt. Die Skepsis meiner beiden Gesprächspartner könnte mit der Befürchtung verknüpft sein, dass die bildungsstrategische Unterrichtskonzeption des Gymnasiums mit ihrem Schwerpunkt auf der Pflege der serbisch-orthodoxen Kulturgeschichte in eine anachronistische Sackgasse führen könnte. Aber die Chancen stehen auch nicht ganz schlecht, dass sich die serbisch-orthodoxen Geistlichen in Zagreb Freiräume gegenüber fortschrittsfeindlichen Zielsetzungen der Kirchenoberen aus Belgrad aneignen3, bedingt schon durch die andere gesellschaftliche und kulturelle Umgebung, in der sie und die Schüler leben.

Zwischen Behauptung und Eskapismus

Sowohl Višnjić als auch Saša Milošević zeigen sich im Gespräch ambivalent in der Einschätzung der jetzigen Lage der Serben in Kroatien und sprechen von Fortschritten, mehr Handlungs- und Meinungsfreiheit, von verbessertem Austausch mit Kulturinstitutionen aus Serbien einerseits und einigen Einschränkungen andererseits. Dazu zählt Višnjić die kroatische Sprachenpolitik, die er als rigide empfindet.

Aus der Geschichte der europäischen Minderheiten ist das Phänomen eines starken Behauptungswillens in der andersartigen Mehrheitsumgebung wohl bekannt, der oft zu einer Art Konzentration exzellenter Geister in Kultur, Künsten und Wissenschaften führt. So gab es auch in der kroatischen Geschichte eine Reihe ausgezeichneter serbischstämmiger Größen. Wichtige Dichter und Schriftsteller in der kroatischen Literaturgeschichte waren serbischer Abstammung. Als ein Klassiker der kroatischen Moderne gilt beispielsweise Vladan Desnica, dessen Name hierzulande nur in slawistischen Seminaren einen gewissen Bekanntheitsgrad haben dürfte. Nach dem Physiker und Erfinder Nikola Tesla, den manche als „den größten Erfinder aller Zeiten“ bezeichnen, wird heute die Einheit der magnetischen Kraftflussdichte benannt; der serbischstämmige Entdecker aus dem kleinen Kroatien, ohne den es weder Wechselstrom noch Radio noch etliche andere Errungenschaften in Funktechnik und Fernsteuerungen gebe, der darüber hinaus die Grundlagen für die Computertechnik, den Satellitenfunk und die Raumfahrt schuf, kam leider nicht in Genuss des ihm gebührenden Weltruhmes. 2006 jährte sich der 150. Geburtstag des 1943 in New York gestorbenen vielseitigen Erfinders, der in Kroatien als Tesla-Jahr mit zahlreichen internationalen Veranstaltungen gefeiert wurde. Teslas bemerkenswerter Spruch, er sei stolz auf sein Heimatland Kroatien und ebenso auf seine serbische Herkunft, wurde in der Politik oft arg strapaziert, aber in ihm spricht ein Geist, der mit einem Teil der Realität der kroatisch-serbischen Beziehungen durchaus korrespondiert.

In der Krisen- und Kriegszeit des Jugoslawienzerfalls kam es freilich zu großen Zerwürfnissen zwischen einigen herausragenden serbischstämmigen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und der Mehrheitsbevölkerung. Gewiss, zu kommunistischen Zeiten gab es mannigfache Begünstigungen der Serben, die auch in viel höherem Ausmaß der Partei angehörten. In der Hysterie jener Zeit, die sich allerdings beider Seiten bemächtigte, zeichnete sich der gemaßregelte öffentliche Diskurs auch dadurch aus, dass bekannte Persönlichkeiten pauschal zum „Feindeslager“ gerechnet wurden. Der Schauspieler Rade Šerbedžija zum Beispiel war ein Star des Zagreber Theaterlebens in den siebziger Jahren; er, der in den achtziger Jahren auf den Bühnen quer durch Jugoslawien und eben auch in Belgrad große Erfolge feierte, setzte sich öffentlich vehement gegen die Desintegration der jugoslawischen Föderation ein, ohne bemerkt zu haben, dass diese damals die Schlussphase bereits erreicht hatte. Damit begann eine Geschichte der gegenseitigen Kränkung, die bis heute nicht ganz zu Ende ist, obwohl Šerbedžija, der seit längerem in London und Kalifornien lebt und in manchen Filmen weltbekannter Regisseure mitwirkte, inzwischen wieder in Zagreb, Istrien und sonst wo in Kroatien einkehrt und gefeiert wird. Im Falle von Šerbedžija ist jedenfalls sonnenklar, dass ihn sein herausragendes schauspielerisches Talent zum umschwärmten Mimen in kroatischer Sprache machte und eben keine „serbischen Privilegien“.

Dass vieles in jüngster Vergangenheit schief gelaufen war, hatte unter anderem mit jener brüchig gewordenen Doppelidentität der Serben zu tun, die Tesla mit dem erwähnten Spruch auf den Punkt brachte. Diese Brüchigkeit hatte eine lange Latenz, weil die serbische Minderheit in Kroatien seit langem wie durch einen Riss geteilt ist. Die Gründe dafür sind wahrscheinlich in der komplizierten Sozialgeschichte Kroatiens zu suchen, die unterschiedliche Mentalitäten prägte. Mag es zu simpel erscheinen, von städtischen und ländlichen Bevölkerungsteilen zu sprechen, der Unterschied zwischen dem Verhalten der serbischen Eliten in den Städten und jenem der serbischen Bevölkerung in der Provinz, die den von Milošević angestachelten Aufstand weitgehend unterstützte, war dennoch auffallend. Diese Teilung spiegelt sich auch in der Relation der Serben, die Kroatien verließen, und jener, die im Lande geblieben sind, wider. Dieser Zusammenhang ist allgemein beobachtet, doch bislang kaum ernsthaft untersucht worden. Das Stadt-Land-Gefälle blieb in Kroatien allgemein noch beträchtlich. Es lässt sich vermuten, dass die Mehrheitsbevölkerung in der Provinz und auf dem Land noch sehr traditionell lebte und sich zu kommunistischen Zeiten vorwiegend aus dem politischen Leben und öffentlichen Institutionen zurückzog. Staatliche und parteigebundene Strukturen und Positionen waren daher oft durch Personen serbischer Herkunft besetzt. Dort, wo die serbische Bevölkerung die Mehrheit stellte, wie etwa in Knin und Umgebung, gab es riesige staatliche Investitionen, Entwicklungsprojekte und Fabriken, die wirtschaftlich zumeist unsinnig waren. So entstanden Strukturbedingungen auf dem Lande, die die serbische Bevölkerung fester an das System und staatliche Institutionen banden – sowohl in den Repressionsapparaten und der Verwaltung als auch in Wirtschaftsunternehmen.

Nationalität ohne Sprengstoff

Was die serbischen Eliten in den Städten anbelangt, so verließen sie – anders als Armee- und Polizeiangehörige – kaum das Land. Bekannte oder weniger bekannte Architekten, Historiker, Journalisten, Philosophen, Politologen, Psychologen, Soziologen, Mediziner und Naturwissenschaftler sind in ihrer Heimat geblieben, wie etwa der erwähnte Politiker Milorad Pupovac, der ganz selbstverständlich als Linguistikprofessor an der Zagreber Universität weiter tätig blieb.

Unweigerlich brachte die staatliche Verselbständigung Kroatiens für viele Fragen an die Tagesordnung, die der gemeinsame jugoslawische Staat früher überdeckte. Das Dilemma zwischen Assimilation und Absonderung als nationale Minderheit tat sich auf. Erwähnt werden muss aber auch, dass beispielsweise der angesehene Rechtsanwalt Čedo Prodanović, der zu den Verteidigern jener Generäle der kroatischen Armee gehört, die von der Anklagebehörde des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag der Menschenrechtsverbrechen während der Rückeroberung der besetzten Territorien in Kroatien („Krajina“) bezichtigt wurden, ein Serbe ist. Zuvor hatte Prodanović als Vertreter der Angehörigen der im Ustaša-Lager Jasenovac 1944 umgebrachten Serben und Juden in herausragender Weise beim Verfahren gegen Dinko Šakić gewirkt. Dinko Šakić, letzter Lagerkommandeur, wurde im Sommer 1998 von Argentinien an die kroatischen Justizbehörden ausgeliefert, da gegen ihn wegen der damaligen Kriegsverbrechen in Zagreb Anklage erhoben wurde. Prodanovićs Interventionen führten zu wichtigen Präzisierungen der Anklageschrift; Šakić wurde in einem mustergültigen Strafverfahren im Herbst 1999 zur Höchststrafe verurteilt. Dieser Gerichtsprozess wurde im Westen ebenso ignoriert wie die Aufsehen erregende Urteilsbegründung des Richters Dražen Tripalo. Solche und ähnliche Persönlichkeitsprofile, die in keine westliche Minderheitendoktrin passen, sind in Zagreb geradezu selbstverständlich. Man beachte, wie Milorad Pupovac die Verurteilung des serbischen Statthalters im okkupierten Teil Kroatiens, Mile Martić, durch das Haager Kriegsverbrechertribunal zu 37 Jahren Gefängnisstrafe kommentierte: Der Schuldspruch entspreche den Erwartungen, das Urteil werde das Vertrauen in den Rechtsstaat festigen; Martić sei ein Symbol der Verfolgungspolitik, des Mordens und Zerstörens gewesen, daher sei es im Interesse der kroatischen Serben, dass alle, die zusammen mit ihm daran beteiligt waren, angemessen bestraft werden.

In diesen Stichworten steckt eine tiefere Bedeutung als vielleicht auf Anhieb erkennbar. Denn hier wird zwar das „Interesse der kroatischen Serben“ erwähnt, aber gerade durch das Stichwort „Rechtsstaat“ der Zusammenhang zwischen der Rechtsbeugung und dem gerechten Bestrafen von der ethnischen Komponente, d. h. einer nationalen „Sonderwahrheit“ entkoppelt.

Vor allem auf dem Boden des Rechtsstaats kann die Dimension der gemeinsamen Werte in einem Gemeinwesen gedeihen, die von der nationalen Valenz frei gehalten werden können, wodurch eine Grundlage für die störungsfreie Begegnung der unterschiedlich ausgeprägten kollektiven Identitäten entsteht. Die Strafverfolgung der Verantwortlichen für die Kriegsverbrechen an den Serben in Kroatien selbst trägt entscheidend dazu bei. Das trifft in besonderem Maße auf jene Gerichtsprozesse zu, bei denen die Justiz dem Druck der Öffentlichkeit (diverser Medien und Interessens- und Veteranenverbände) eindeutig und klar standhielt. Vorbildlich in diesem Sinne war das Verfahren vor dem Bezirksgericht in Rijeka gegen die hohen Militärs der Kroatischen Armee Tihomir Orešković und Mirko Norac und drei andere Mitangeklagte wegen Kriegsverbrechen an serbischen Zivilisten 1991 bei Gospić, das mit dem Schuldspruch gegen drei Angeklagte endete. Die Kehrseite der problematischen Fälle, bei denen die kroatische Justiz versagt – besonders augenfällig im Verfahren gegen die Kommandeure und das Personal im Militärgefängnis „Lora“ bei Split, die auf bestialische Weise inhaftierte serbische Zivilisten folterten (zwischen 1991-1992, teilweise mit tödlichem Ausgang) –, hatte wiederum eine hohe Sensibilisierung der kritischen Öffentlichkeit zur Folge, die einen Gegendruck gegen die nationalistisch-populistischen „Vaterlandsverehrer“ wider das geschriebene Recht erzeugte, sodass die Täter letztlich gerecht bestraft wurden. Um die Folgen einer Ineffizienz der kroatischen Justiz (besonders bei Gerichten in der Provinz bzw. in ehemaligen Kriegsgebieten) zu verhindern, hat der oberste kroatische Staatsanwalt Mladen Bajić im September 2006 angeordnet, dass alle ungeklärten Morde in den Jahren 1991-1992 als Kriegsverbrechen zu verhandeln sind, damit die weitere Verfolgung keiner Verjährung unterliegen kann. Diese Entscheidung trägt der Rechtssicherheit bei und bildet damit die Grundlage einer geordneten Gesellschaft. Wenn es Rechtssicherheit für alle gibt, sind auch Sonderrechte für Minderheiten mehr als leere Worthülsen.


Fußnoten:


  1. Aktuelle Ergänzung: Nach langwierigen Gesprächen konnte Ministerpräsident Sanader wieder eine Koalitionsregierung bilden, die am 12.01.2008 vom Parlament bestätigt wurde. In ihr sind auch die ethnischen Minderheiten vertreten, u. a. als stellvertretender Ministerpräsident der Serbe Slobodan Uzelac. Vgl. dazu den Beitrag von Enver Robelli: Koalitionsregierung in Kroatien vereidigt. In: „Süddeutsche Zeitung“, 14.01.2008. (Anm. d. Redaktion) ↩︎

  2. Vgl. http://www.srpskagimnazija-zg.org (letzter Zugriff: 21.10.2013). ↩︎

  3. Vgl. http://www.spc.yu (letzter Zugriff: 29.01.2008). ↩︎