Ukraine und Russland: Warum Putin nicht aufhören wird

Konstantin von Eggert MBE ist als Kommentator und Gastgeber für „Kommersant FM“ tätig, den ersten russischen Nachrichtensender, der rund um die Uhr sendet. In den neunziger Jahren arbeitete er als Korrespondent für die „Isvestija“, von 2002 bis 2008 war er Leiter des Moskauer Büros der russischsprachigen Abteilung der BBC. Wegen seiner Verdienste für die BBC wurde er 2008 von Königin Elisabeth II. in den „Order of the British Empire“ mit dem Rang eines Mitglieds (MBE) berufen.

Zusammenfassung

Innerhalb weniger Jahre hat sich Russland unter der Regierung von Vladimir Putin verändert: Das System wird zusehends autoritärer, der „Westen“ mehr und mehr zum Feindbild. Dennoch steht die breite Mehrheit der Bevölkerung hinter der expansiven Außenpolitik, was besonders nach der Annexion der Krim deutlich geworden ist. Der Autor, ein langjähriger Kenner der russischen Politik, stellt die maßgebliche Rolle des russischen Präsidenten für die gesamte Entwicklung heraus.

Jeder, der am 9. Mai die Siegesparade in Moskau im Fernsehen verfolgte, musste wahrnehmen, wie häufig sich Präsident Vladimir Putin mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping austauschte. Für einen solch historischen Tag war das schon ein bizarrer Anblick. Anstelle der Vertreter der Hauptalliierten aus Kriegszeiten – den USA, Großbritannien und Frankreich – sahen wir, dass dem Vertreter eines Landes, das während des Zweiten Weltkriegs eher eine zweitrangige Rolle spielte, de facto ein Ehrenplatz eingeräumt wurde. Weil sich die westlichen Staatsmänner wegen Putins unerklärtem Krieg in der Ukraine weigerten, nach Moskau zu reisen, war es nur logisch mit anzusehen, wie sich der Kreml um die wenigen Vertreter der ausländischen Mächte bemühte, die zu einer Reise nach Moskau bereit gewesen waren. Die einheimischen Kommentatoren hetzten zum vom Kreml kontrollierten Fernsehen (wobei das für fast alle Sender in Russland gilt), um zu erklären, dass die Sowjetunion ohne China den Zweiten Weltkrieg nicht gewonnen hätte. Selbst Genosse Stalin hat sich wahrscheinlich angesichts dieser eklatanten Fehlinterpretation der Geschichte im Grabe umgedreht, aber wen kümmert das schon? In der Alice-im-Wunderland-Welt, die das gegenwärtige Russland vorstellt, ist die Geschichte so, wie der Kreml sie sich wünscht – egal an welchem Tag.

Erst die Annexion der Krim, dann die Unterstützung einer prorussischen Rebellion in der Ostukraine führten zur internationalen Isolierung Russlands (und Präsident Putins). Wie dem auch sei, „Kompromiss“ ist im Vokabular von Herrn Putin ein schmutziges Wort. Dies hat bereits dauernde Auswirkungen auf Moskaus Innen- und Außenpolitik gehabt und wird es weiter haben.

„Macht in der Hand des Volkes“- Perspektiven erschüttern den Kreml

Die meisten europäischen und amerikanischen Kommentatoren bestehen auf geopolitischen Aspekten der Krise und reden von einem präventiven Vorgehen Moskaus angesichts einer möglichen Nato-Erweiterung auf die Ukraine, um Russlands Fußabdruck in der unmittelbaren Nachbarschaft einzuprägen. Festzuhalten bleibt aber, dass die Perspektive eines Beitritts der Ukraine zum nordatlantischen Bündnis stets eher fernliegend war und ist. Die russische Führung weiß das ganz genau. Aber selbst dann, wenn man es nur als eine Übung für „Anwendung massiver Gewalt“ ansieht, scheint Putins Ukraine-Abenteuer unglaublich riskant und letztlich unerklärlich.

Warum war es die Ukraine für Putin wert, die europäische politische und diplomatische Ordnung nach dem Ende des Kalten Krieges in die Luft zu sprengen? Man kann diese Frage nicht beantworten, wenn man nicht eine wichtige Annahme in Betracht zieht. Die russische Außen- und Sicherheitspolitik ist kein Ausdruck eines in sich schlüssigen nationalen Interesses, das wie im Falle der meisten westlichen Länder auf nationaler Identität basiert. Sie ist vielmehr eher ein Werkzeug, das jetzige politische Regime mit außenpolitischen Mitteln zu verteidigen und es mit möglichst geringem Druck von außen an der Macht zu halten.

Das ist auch der Grund dafür, dass das wichtigste Ereignis der Putinschen Politik vor der ukrainischen Revolution von 2013-2014 außerhalb von Russland geschah, und zwar auch … in Kiev. Es war die „Orangene Revolution“ von 2004, die zusammen mit der „Rosen-Revolution“ von 2003 in Georgien die russische Führung und mit ihr auch Putin selbst mit ungläubiger Furcht erfüllte und lähmte. Eine authentisch antiautoritäre Botschaft, von vielen einfach der „erste Majdan“ genannt, zwang den Kreml dazu, die Möglichkeit eines „Macht in der Hand des Volkes“-Szenariums im post-sowjetischen Raum und im eigentlichen Russland zu akzeptieren. Seit damals wurde ein wachsender Betrag an Zeit und Ressourcen dem Ziel geopfert, solche Entwicklungen in Russland um jeden Preis zu verhindern. Das genau erklärt, warum Vladimir Putin so handelt, wie er 2013-2014 gehandelt hat.

Seit Beginn des Blitzkriegs auf der Krim gibt es ein sehr wichtiges russisches Bestreben, das darauf zielt, dem Volk ein neues Gefühl imperialen Stolzes zu vermitteln und der dringend benötigten Popularität des Regimes neuen Auftrieb zu verleihen. Dieser Plan war erfolgreich, zumindest, wenn man sich die gegenwärtige Situation ansieht.

„Weimar-Russland?“

Den gegenwärtigen Zustand des kollektiven russischen Bewusstseins kann man als Mischung von imperialem Aufplustern, Verschwörungstheorien und Abwehrängsten beschreiben. Diese gefährliche Mischung wird von außen oft unterschätzt. Russland befindet sich im Übergang vom Sowjetreich zu einem modernen Nationalstaat auf der Altersstufe der Postmoderne. Die Russen sind sich immer noch im Unklaren darüber, wer sie sind, und blicken zurück auf die „glorreichen Tage“ der ehemaligen UdSSR, der zweiten Supermacht der Welt, die man „respektierte“ (was in Russland gewöhnlich bedeutet „fürchtete“). Der scheinbar plötzliche Zusammenbruch des Sowjetsystems 1989-1991 wird in volkstümlichen Vorstellungen als eine Verirrung, das Ergebnis einer „CIA-Verschwörung“, des Verrats von Michael Gorbatschow oder einer weltweiten Freimaurerverschwörung gesehen – alles Mögliche, nur nicht als eine Folge des GULAG, der schlechten Regierung, des wirtschaftlichen und technologischen Rückstands und moralischen Verfalls. Das schnelle Verschwinden der UdSSR ist noch immer die Quelle eines riesigen Traumas für die russische Volksseele. Vladimir Putin nutzt diese post-sowjetische Frustration erfolgreich zu seinem eigenen Nutzen. Putin, der sich selbst als Russlands Retter nach dem Chaos der Jelzinära sieht, ist stolz darauf, dem russischen Volk Wohlstand und Stabilität gebracht zu haben. Seiner Meinung nach handelt jeder, der anderer Ansicht ist als er, gegen Russland selbst. Alle seine Handlungen, die er seit seiner Rückkehr in den Kreml 2012 zu seiner dritten Präsidentschaft ausführt, sind oft nach einem neuen nationalen Konsens ausgerichtet, der sich antiintellektuell und paternalistisch zeigt. Er denkt, dies sei Russlands natürliches Selbstverständnis. Putin bemüht sich darum, seinen eigenen Platz in der Geschichte neben seinesgleichen wie Peter dem Großen und Katharina der Großen zu sichern.

Zu Beginn der 2000er Jahre setzte der Kreml eine vollständige Kontrolle über die wichtigsten nationalen Fernsehanstalten durch. Die übrigen Sender arbeiten unter der ständigen Drohung von Schließung oder wirtschaftlichem Ruin. Dies ist ein Schlüsselfaktor in der Fortdauer der Mentalität, die der russisch-amerikanische Historiker und Philosoph Alexander Yanov Mitte der 1990er Jahre die „Russische Weimar-Mentalität“ nannte. Nach soziologischen Untersuchungen beziehen ca. 80 Prozent aller Russen ihre Informationen und Meinungen aus dem Fernsehen. In den letzten 10-15 Jahren haben die staatlich kontrollierten Medien ohne Unterlass Verschwörungstheorien und antiwestliche Propaganda verbreitet, alles mit dem Ziel, die Russen davon zu überzeugen, dass der Zusammenbruch der UdSSR ein Fehler war, der Westen Russland besetzen und sich dessen Öl und Gas aneignen wolle. Um dies zu erreichen, erklärt man den Russen, alles Gerede der EU und der USA um Menschenrechte, Freiheit und Demokratie sei nur eine Vernebelung der tatsächlichen aggressiven Pläne mit dem Ziel, Russland zu schwächen und de facto zu einer Kolonie zu machen. In einem Land, in dem höchstens 25 Prozent der Bevölkerung einen Reisepass hat und wo drei vorausgegangene sowjetische Generationen in völliger Isolation von der Außenwelt gelebt haben, werden solche Botschaften für bare Münze genommen. Die Vorstellung, der Westen sei eingebildet, doppelzüngig und seine knallharte Interessenpolitik beherrsche die Weltpolitik, ist bei den Russen weit verbreitet. Die bedeutende russische Soziologin und Wirtschaftsexpertin Nataliya Zubarevich hat einmal bemerkt, das russische Volk sei gegenüber der Staatsmaschinerie so machtlos und gleichzeitig so abhängig von Geschenken der Regierung, dass nur Zynismus helfe, die Frustration zu überwinden.

Russland: eine belagerte Festung in der multipolaren Welt

Diese Mentalität einer „belagerten Festung“ hat sich nicht nur in der russischen Provinz breit gemacht – allerdings nicht dominant –, sondern in hohem Ausmaß auch in den großen städtischen Zentren wie Moskau und Sankt Petersburg. Es ist offensichtlich eine klare Strategie der Regierung, dieses Gefühl zu verstärken. Im Gegensatz zum sowjetischen Politbüro nennen diejenigen Personen, die Russland regieren, auch wesentliche industrielle Bereiche ihr Eigentum – indem sie „Gazprom“, „Rosneft“, Waffenexporte, Gold-und Diamantenförderung kontrollieren.

Die unblutige Übernahme der Krim im März 2014, unterstützt durch eine unerbittliche Propaganda, wurde so etwas wie eine vom Kreml gesteuerte kollektive psychotherapeutische Sitzung für die russische Nation. Sie fühlte sich überglücklich über die Fähigkeit zur Invasion, zur Aneignung der Krim und über die Möglichkeit, nicht nur in das Gesicht der „undankbaren“ Ukrainer, der Nato-„Aggressoren“ und natürlich der „dummen Amerikaner“ zu spucken, sondern der Geschichte selbst.

Soweit also scheint es, dass Herr Putin sich selbst gratulieren kann: Die öffentliche Zustimmung erreicht Quoten von himmelsstürmenden 80 Prozent – und das, nachdem er 15 Jahre am Ruder ist. Obwohl man in postkommunistischen Gesellschaften mit solchen Quoten vorsichtig sein muss und sie nur cum grano salis werten sollte, kann kein Zweifel daran bestehen, dass das Ansehen Putins in den Augen der Bürger signifikant zugenommen hat. Er hat offensichtlich keine wirklichen Gegner im Innern und auch im Ausland niemanden, vor dem er sich ernsthaft fürchten müsste. In einer Welt, in der politische Führerschaft eher selten wird, spielt er das Spiel der Machtpolitik erkennbar mit großem Genuss. Das Außenministerium ist lediglich ein Ausführungsorgan des Kreml, die Duma eine „Gesetzesdruckerei“ für alle Vorhaben des Präsidenten, das Staatsfernsehen reproduziert fast schon unterwürfig die offiziellen Halbwahrheiten und ganz offensichtlichen Lügen in quasi industriellem Ausmaß.

Der Anspruch der letzten 25 Jahre – Russland sei im Übergang, um eventuell eine Demokratie und Partner des Westens zu werden – ging 2014 dahin. Die Ideologie der so genannten „multipolaren Welt“ wurde zum offiziellen Fundament der russischen Außenpolitik. „Multipolarität“ ist ein Euphemismus für Antiamerikanismus und, noch breiter gesprochen, antiwestliche Haltung. In Russland ist seit Mitte der neunziger Jahre eine These in Umlauf gewesen, aber erst unter Putins wachsamem Blick wurde daraus ein umfassendes Konzept, um eine plausible Erklärung für die immer strenger werdende Durchsetzung der politischen Realität durch „zivilisatorische Einzigartigkeit“ zu geben: „Was auch immer Demokratie von Russland fern hält, ist gut“ – das ist die Haltung des Kreml.

Barack Obama, Putins ungleicher Gehilfe

Hilfe erhält Herr Putin durch die außergewöhnlich schwache und nur auf die Innenpolitik ausgerichtete Regierung der USA. Präsident Obama hat Amerikas globale Rolle fast völlig aufgegeben und keinerlei Interesse an europäischen Angelegenheiten. Im Mai 2013, während seiner Gespräche im Kreml, tadelte er in Anwesenheit des US-Außenminister John Kerry den damaligen Botschafter in Russland, Michael McFaul, wegen dessen Unterstützung der Moskauer prodemokratischen Proteste im Winter 2011/2012, die das Ziel hatten, das „Regime in Russland zu verändern“. Für diesen offensichtlichen Bruch des Protokolls wurde er von Kerry nicht zur Ordnung gerufen; vielmehr versuchte dieser, die Härte des russischen Führers herunterzuspielen. Präsident Putin ist davon überzeugt, dass seine wie auch immer gearteten Pläne keinerlei ernstzunehmenden Widerstand von Barack Obama erfahren werden. Jetzt ist es so, dass sich Präsident Obama bemüht, ein außenpolitische Vermächtnis für die Zeit nach seinem Ausscheiden aus dem Weißen Haus im Januar 2017 zu formulieren – der russische Präsident hingegen agiert umso bestimmter. Er ist davon überzeugt, dass sich Washington möglicherweise zu einem Deal mit ihm über Kiev einlässt (zweifellos auf Kosten der Ukraine), auch um sicher zu stellen, dass Russland amerikanische Versuche, ein Übereinkommen mit dem Iran zu schließen und der Bedrohung des „Islamischen Staats“ zu begegnen, nicht torpedieren würde.

Vor einigen Jahren hätte es sicher noch merkwürdig geklungen, aber heute scheint es tatsächlich so zu sein, dass die Europäische Union unter Führung der hervorragenden deutschen Kanzlerin ein wirklich ernstes Problem für den Kreml darstellt. Angela Merkels Haltung im russisch-ukrainischen Konflikt ist ganz eindeutig und insofern auch nicht verhandelbar. „Erfüllen Sie die Minsker Vereinbarungen – oder Sie werden mit weiteren Sanktionen konfrontiert“ – ist ihre Botschaft an Präsident Putin. Für ihn ist das keine Option, denn die im Februar 2015 in der weißrussischen Hauptstadt erzielten Abkommen beinhalten eine mögliche Rückkehr der ukrainischen Grenze unter die Kontrolle der Regierung in Kiev. Dies würde das Ende des von Moskau inspirierten und unterstützten separatistischen Projekts in der östlichen Ukraine bedeuten. Und genau deshalb sind die Chancen dafür, dass die Minsker Vereinbarungen zumindest in ihrer jetzigen Form erfüllt werden, gering. Ein Rückzug aus der östlichen Ukraine wäre für Putin gleichbedeutend mit dem Eingeständnis einer Niederlage – und ist für ihn undenkbar.

Es scheint so, als ob der russische Präsident hofft, sein Deal mit den USA und der EU würde zu einem Einfrieren des Konflikts und zu einem allmählichen Abbau der unangenehmen Teile der Minsker Abkommen führen. Die EU – davon sind viele in Moskau überzeugt – werden dem Beispiel der USA folgen. Die Aufhebung von Wirtschaftssanktionen und Visabeschränkungen werden unter diesen Umständen in relativ kurzer Zeit erfolgen. Schätzt Präsident Putin die Lage richtig ein, wenn er das erwartet?

Weiterhin alles unter Putins Kontrolle

Falls alles so läuft, wie ich es beschrieben habe, kann er tatsächlich auf eine solche Entwicklung hoffen. Obwohl man die wirtschaftlichen Probleme Russlands nicht unterschätzen sollte (andauernde Rezession und fallender Erdölpreis), haben sie sich bisher als weitgehend irrelevant erwiesen, sofern es sich darum handelt, ob sie Potenzial für einen politischen Umbruch beinhalten. Es ist genug damit gesagt, dass die regierungsfeindlichen Demonstrationen der Jahre 2011-2012 vor dem Hintergrund einer Wirtschaftskrise stattfanden (die sich letztlich als nur vorübergehend herausstellte). Der Erdölpreis wird wohl kaum so dramatisch fallen, dass er die Stabilität des Regimes untergraben könnte. Die Opposition ist schwach und schlecht organisiert. Viele Angehörige der Mittelklasse in den großen Städten, die früher die Basis für die Protestbewegung stellte, packen ihre Koffer und verlassen Russland in Richtung angenehmerer und freierer Ufer.

Die Eliten verbiegen sich und gehorchen dem Kreml. Die russischen Oligarchen und Führungskräfte der Verwaltung (in vielen Fällen sind das die gleichen Personen) schätzen generell die Sanktionen nicht und sind erpicht darauf, zu einem normalen Miteinander, einem „business as usual“, mit dem Westen zurückzukehren. Sie denken immer häufiger an ihre Bankkonten, Villen, Jachten, Ehefrauen, Freundinnen und Kinder, die in Europa und Amerika sind. Dennoch, all diese Leute sind zu ängstlich, um dem Kreml zu widersprechen. Wenn man die Geschichte der Korruption 15-20 Jahre zurück verfolgt, also bis in die neunziger Jahre, dann könnte jede und jeder aus diesen Kreisen wegen tatsächlicher oder nur erfundener Verbrechen ins Gefängnis kommen. Das Beispiel Michail Chodorkowskijs, einst Russlands reichster Mann, danach Gefangener und schließlich Emigrant, hat dies jedem drastisch vor Augen geführt.

Nur andauernder und wachsender Druck des Westens kann Präsident Putin dazu bewegen, seine Ukrainepolitik zu überdenken. Für diesen Bereich scheint im Moment weder in der EU noch in den USA großes Interesse zu bestehen. Das bedeutet dann, dass sich Präsident Putin kurzfristig bestätigt fühlen kann und neue Pläne für den postsowjetischen Raum entwerfen wird: Anerkennung der Unabhängigkeit von Transnistrien? Sturm auf Tiflis? Vielleicht. Aber nur die Einnahme von Kiev wird es mit der Euphorie und der propagandistischen Wirkung der Operation „Krim“ aufnehmen. Würde der Präsident, nachdem er den „irrenden“ Ukrainern eine exemplarische Bestrafung auferlegt hätte, seinen Truppen den Befehl geben, in den Kasernen zu bleiben?

Er könnte es, aber ich bezweifle stark, dass er so handeln würde. Nachdem er das Durcheinander in der Donbass-Region begonnen hat, verfügt er über keinen eleganten Ausweg – und wahrscheinlich glaubt er auch, er brauche keinen. Die Gewissheit, dass die Ukraine in naher Zukunft kein Teil des Westens werden wird, ist ein strategisches Ziel, auf das der russische Präsident nicht verzichten wird. Den Ukrainern – darauf besteht er – ist es nicht gestattet, „seinem“ Volk ein „schlechtes Beispiel“ von demokratischer Entwicklung zu geben.

Vladimir Putin ist dazu verdammt, die Destabilisierung der Ukraine fortzusetzen, falls notwendig mit militärischen Mitteln. Seine Legitimation hängt in der Schwebe. Sein persönliches Prestige steht auf dem Spiel. Er wird nicht damit aufhören.

Aus dem Englischen übersetzt von Christof Dahm.