Zur Situation der Religion in Weißrussland

aus OWEP 2/2004  •  von Andrej V. Danilov

Prof. Dr. Andrej V. Danilov ist Dozent an der Theologischen Fakultät der European Humanities University, Minsk.

Weißrussland (Belarus) erlebte Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts eine Zeit der religiösen Renaissance. Ein beredtes Zeugnis dafür ist die rasch angewachsene Zahl an religiösen Organisationen (Gemeinden) und Gläubigen. So stieg nach amtlichen Angaben in der Zeit zwischen 1988 und 2001 die Zahl der registrierten religiösen Gemeinden und Ausrichtungen um das Dreifache. Der Status der Religion in der Gesellschaft stieg wesentlich. In der Religion sieht man eine Garantie für Stabilität, Ordnung, den Bestand der geistigen Grundlagen der Gesellschaft und die Wiedergeburt der nationalen Traditionen des Volkes. Objektive und subjektive Faktoren für den höheren Status der Religion sind die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Krisen, eine Umwertung der Werte, die Suche nach einem geistigen Ideal und Halt sowie soziale Probleme. All das lässt den Menschen sich der Religion zuwenden.

1994 durchgeführte Untersuchungen des Instituts für Soziologie der Republik Belarus haben gezeigt, dass sich die absolute Mehrheit der Befragten, die sich für Gläubige halten, zu einer konkreten Religion bekennt, und zwar zur Orthodoxie ca. 80 %, zum Katholizismus ca. 9,9 % (laut anderen Forschungen 15-20 %), zum Protestantismus 0,7-2 %, zum Judentum 0,3 %. Dieser Selbstidentifikation liegt jedoch nicht die religiöse Praxis, sondern die nationale Geschichte zugrunde.

Am 1. Januar 2002 waren in Belarus 2.773 religiöse Organisationen (Gemeinden) registriert, die zu 26 religiösen Ausrichtungen (Religionsgemeinschaften) gehören. Die Spitze der Neugründungen fällt in das Jahr 1992, als 251 Gemeinden entstanden. Die niedrigste Zahl wurde im Jahre 1997 verzeichnet, als lediglich 89 neue Gemeinden registriert wurden. Es ist eine Stabilisierung des Wachstums der Zahl der Gemeinden seit 1993 zu verzeichnen, was für alle nach dem Zerfall der UdSSR neu gegründeten Staaten typisch ist.1 Die meisten Geistlichen sind – abgesehen von zugereisten Missionaren – Abkömmlinge der totalitären Gesellschaft und wie die anderen Bürger der postsowjetischen Gesellschaft durch dieselben Charakteristika geprägt: Gruppenzentriertheit, Neigung zu Separatismus, Intoleranz gegenüber Andersdenkenden, Politisierung, Versuche, politische Kampfmethoden in das kirchliche Leben zu übernehmen usw.

Heute ist bei den meisten Menschen, die sich für gläubig halten, der Glaube an Gott selten mit einem rituellen Verhalten als Ausdruck des religiösen Glaubens verbunden. So besuchen lediglich 5 % der Gläubigen regelmäßig den Gottesdienst, 55,3 % tun das selten, an Riten und Sakramenten nehmen regelmäßig 5,5 % teil, 37 % selten. Das ist dadurch zu erklären, dass mehrere Generationen in einem anderen ideologischen System erzogen wurden und früher keine Bindung an kirchliche Organisationen und Überzeugungen hatten. Allerdings hat ein recht hoher Prozentsatz der Befragten – nämlich 23,9 % – erste Kontakte zur Religion im Kindesalter aufgenommen. Die Religiosität ist in verschiedenen demographischen Gruppen unterschiedlich. Stark zugenommen hat die Religiosität unter den Jugendlichen (25,3 %) und bei Menschen im Alter über 60 Jahre (44,4 %). Das höchste Bildungsniveau und die größte Zahl junger Gläubigen sind bei Protestanten zu verzeichnen. In orthodoxen und katholischen Gemeinden überwiegen die Frauen (jeweils 64,2 bzw. 70,5 %), was für den Ausdruck der Religiosität insgesamt typisch ist.

Bemerkenswert ist, dass alle Gläubigen, besonders Orthodoxe (71 %), gegenüber den Andersgläubigen tolerant sind. Die geringste Toleranzquote haben Protestanten (46,7 %); offensichtlich ist das durch die große Zahl junger Adepten unter ihnen, die ihre religiöse Identifikation besonders stark betonen, bedingt, während bei den Orthodoxen ältere Frauen mit großer Lebenserfahrung überwiegen.

Orthodoxe

Die Belarussische Orthodoxe Kirche (BOK), zu der sich die überwiegende Mehrheit der Einwohner bekennt, ist heute die größte religiöse Organisation in der Republik Belarus. 2001 hatte sie 978 Gotteshäuser; die meisten von ihnen befinden sich im Bau oder werden wiederaufgebaut. Über 1.020 Geistliche zelebrieren dort Gottesdienste. Der Gottesdienst wird in der kirchenslawischen und der belarussischen Sprache abgehalten. Am 1. Januar 2002 waren in der BOK 1.224 Gemeinden, 10 Diözesen und 15 Klöster vereint. Die größte Zahl der orthodoxen Gemeinden ist im Gebiet Brest (311), die zweitgrößte im Gebiet Minsk (265), die kleinste im Gebiet Mogilew (72). In Shirowitschi befinden sich das Priesterseminar, wo Geistliche ausgebildet werden, die geistliche Akademie und eine geistliche Schule für Psalmenleser. An der European Humanities University in Minsk gibt es eine Theologische Fakultät. Die BOK verantwortet außerdem ein wöchentliches orthodoxes Radioprogramm. Strukturell ist sie dem Moskauer Patriarchat unterstellt. Ihr Oberhaupt ist der Metropolit von Minsk und Sluzk Filaret, Patriarchalexarch von ganz Belarus.

Altgläubige

Eine Abspaltung der Orthodoxie sind die russischen Altgläubigen. 20 von insgesamt 34 Gemeinden befinden sich im Gebiet Witebsk. Die Gemeinden gliedern sich in priesterliche Gemeinden (die zur Belokrinizkaja-Kirche gehören) und priesterlose Gemeinden (Fedossej-, Ingermanland- und Filipp-Ausrichtungen).

Katholiken

Die zahlenmäßig zweitgrößte Konfession bildet die Römisch-katholische Kirche. Am 1. Januar 2002 gab es in Belarus 432 katholische Gemeinden. 1999 schuf der Vatikan die katholische Bischofskonferenz von Belarus, der Kardinal Kasimierz Świątek vorsteht. Belarus ist in 4 Diözesen aufgeteilt. Zur Zeit gibt es 342 Kirchen, 36 weitere befinden sich im Bau. Unter den Anhängern der Römisch-katholischen Kirche ist die Gruppe der polnischen Gläubigen sehr stark. Gegenwärtig wirken 274 Geistliche, darunter 156 ausländische Geistliche (ca. 150 aus Polen). Mit der Eröffnung eines zweiten Seminars (in Pinsk) sind Voraussetzungen für die Bildung eines einheimischen Klerus geschaffen worden. In den meisten Fällen werden Gottesdienste in polnischer und belarussischer Sprachen abgehalten, in diesen Sprachen erfolgt auch die Kirchenverwaltung; die Literatur kommt aus Polen.

Unierte bzw. Griechisch-katholische Gläubige In Belarus sind 14 griechisch-katholische Gemeinden registriert, sie sind jedoch alle zahlenmäßig klein. Hauptamtliche Geistliche sind in den Gemeinden von Minsk und Grodno beschäftigt.

Lutheraner und Kalvinisten

Die christliche religiöse Kongregation „Belarussisches Evangelisches Reformatorisches Konzil“ wurde 1992 in Minsk registriert. Insgesamt sind 13 lutherische Gemeinden registriert, die meisten davon (6) im Gebiet Witebsk. Die Mehrheit unter den Gläubigen sind ethnische Deutsche (Stand von 1993).

Neoprotestanten

In den letzten Jahren nahm die Zahl der neoprotestantischen Vereinigungen zusehends zu. Am 1. Januar 2002 waren insgesamt 889 neoprotestantische Gemeinden registriert, von denen mehr als 60 % den (schnell wachsenden) Pfingstlergemeinden zuzurechnen sind, 30 % baptistischen Gemeinden. Pfingstlern und Baptisten folgen zahlenmäßig die Siebenten-Tages-Adventisten mit 7 %.

Juden

Am 1. Januar 2002 waren 25 Gemeinden des orthodoxen und 11 Gemeinden des liberalen Judentums registriert. 2001 verfügten jüdische Gemeinden über 7 kultische Gebäude (6 befanden sich im Bau oder wurden wiederaufgebaut), 2 Gebäude gehörten den liberalen Juden. Der Gottesdienst in den Gemeinden wird von neun bzw. sechs Rabbinern zelebriert. Heute bestehen in der Republik Belarus drei jüdische Dachorganisationen. Die größte unter diesen ist die „Jüdische religiöse Vereinigung in der Republik Belarus“.

Muslime

Die ethnische Zugehörigkeit der Einwohner, die sich zum Islam bekennen, sieht gemäß der Volkszählung von 1999 wie folgt aus: Tataren (10.089), Aserbaidschaner (6.362), Usbeken (1.571), Kasachen (1.239), Baschkiren (1.091), Turkmenen (921), Tadschiken (848), Araber (490), Afghanen (395), Tschetschenen (376) und andere Nationalitäten. Am 1. Januar 2002 gab es 27 muslimische Gemeinden. 1994 wurde die „Muslimische religiöse Vereinigung in der Republik Belarus“ gegründet. Diese Organisation ist das koordinierende Organ aller Muslime des Landes.

Neue religiöse Gruppen

Die verschiedenen Formen neuer religiöser Gruppen können in drei Typen eingeteilt werden: (a) Neue religiöse Bewegungen (davon waren 2002 88 registriert), (b) Klientelkulte (ca. 205) und (c) das okkulte Milieu. Die Hauptperiode der Gründung und der intensiven Entwicklung nichttraditioneller Religiosität in Belarus fällt in die Zeit 1990-1993. Es entstehen jährlich bis zu 40 neue religiöse Bewegungen, die teilweise auch wieder rasch zerfallen.

Die Stellung zur Ökumene

Die BOK ist als Belarussisches Exarchat der Russischen Orthodoxen Kirche Mitglied des Weltkirchenrats sowie der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und steht auf den ökumenischen Positionen dieser Organisationen auf der Grundlage der Sondervereinbarungen der gemischten Kommission für den Dialog mit den orthodoxen Kirchen. Die Orthodoxen in Belarus sind gewillt, im Geiste des Friedens mit den christlichen Denominationen und traditionellen Religionen zusammenzuarbeiten. 2002 wurde in der BOK das Institut für den religiösen Dialog und interkonfessionelle Kommunikationen gegründet.

Die Römisch-katholische Kirche ist für einen Dialog mit den traditionellen Konfessionen in Belarus offen. Den Neoprotestanten (Pfingstlern, Baptisten) gegenüber ist sie negativ eingestellt. Das Zusammenwirken mit der orthodoxen Kirche erfolgt auf der kulturellen und nicht auf der religiösen Ebene. Im Rahmen des „Alltagsökumenismus“ helfen orthodoxe und katholische Gläubige einander bei Problemen des täglichen Lebens, verehren die Heiligenbilder der jeweils anderen Konfession und helfen beim Bau von Gotteshäusern mit.

Auf dem 10. Kongress der Evangeliumschristen-Baptisten (EChB) von Belarus erklärte der ehemalige Vorsitzende des Verbandes: „Wir stehen zu keiner christlichen Konfession in Belarus in Konfrontation … und nehmen keinen Anteil an jeglicher Ökumene.“ Heute gehört kein Verband der EChB in den GUS-Ländern, also auch der Verband der EChB in Belarus, ökumenischen Organisationen an und hat auch nicht vor, ihnen beizutreten. Die belarussischen Pfingstler (ChEG) sind aus dem Ökumenischen Rat der Kirchen ausgetreten und sind in Bezug auf den Ökumenismus skeptisch. Der Verband der ChEG ist der Meinung, dass er heute gute Kontakte zu folgenden Konfessionen in Belarus hat (abnehmend): Adventisten, Baptisten, Pfingstler der „dritten Welle“, Katholiken und Orthodoxe.

Die nichtchristlichen Religionen nehmen an keinen ökumenischen Veranstaltungen teil. Sie sind jedoch zum Dialog bereit, zumindest im Rahmen der Republik Belarus. Es werden Vorschläge über die gemeinsame Behandlung interreligiöser und religiös-staatlichen Beziehungen geäußert.

Selbstverständnis gegenüber Staat und Gesellschaft

Die offizielle Position der BOK gegenüber dem Staat ist in den „Grundlagen der Soziallehre der Russischen Orthodoxen Kirche“2 formuliert. Die Zusammenarbeit des Staates mit der Kirche beschränkt sich danach auf bestimmte Bereiche und gründet auf gegenseitiger Nichteinmischung in die Angelegenheiten der anderen Seite. Die Kirche soll die dem Staat gehörenden Funktionen nicht übernehmen, kann aber an die Staatsgewalt appellieren, in bestimmten Fällen die Macht zu gebrauchen. Der Staat soll sich nicht in das Leben der Kirche, ihre Verwaltung, Glaubenslehre, liturgisches Leben, geistliche Praxis usw. einmischen, ausgenommen Fälle, in denen die Kirche als juristische Person Kontakt mit dem Staat aufnimmt. Die kirchlichen Strukturen können dem Staat keine Hilfe erweisen bzw. mit ihm in folgenden Bereichen nicht zusammenarbeiten: a) politischer Kampf, Wahlkampagnen für Unterstützung einer beliebigen politischen Partei, gesellschaftlicher oder politischer Führer; b) Führung eines Bürgerkriegs oder eines aggressiven Krieges im Ausland; c) unmittelbare Beteiligung an der Aufklärungs- bzw. einer beliebigen anderen Tätigkeit, bei der gemäß Gesetz eine Geheimhaltung selbst bei der Beichte und beim Bericht an die kirchliche Hierarchie gefordert wird.

Die Römisch-katholische Kirche verkündet ein loyales Verhältnis gegenüber dem Staat. Die Beziehungen gründen auf dem Prinzip der gegenseitigen Nichteinmischung. Der katholische Klerus in Belarus hat allerdings eine eindeutige polenfreundliche Orientierung. Das hat große Bedeutung für die Gleichstellung der ethnischen und religiösen Zugehörigkeit: „Katholik sein heißt Pole sein“. Soziologische Forschungen der ethnokonfessionellen Gruppe polnischer Katholiken haben gezeigt, dass der Katholizismus von den gläubigen Polen als Ausdruck des polnischen nationalen Geistes und der nationalen Zugehörigkeit sowie als Mittel zur Aufrechterhaltung nationaler Sitten in der Kultur und im alltäglichen Leben, also zur Festigung der nationalen Eigenart, verstanden wird.

Gemäß der Glaubenslehre der EChB entspricht die Trennung der Kirche vom Staat den Grundsätzen des Evangeliums: „Wir halten eine beliebige menschliche Einmischung in die kanonische Erledigung der Pflichten unseres christlichen Glaubens, in unser Verhältnis zu Gott für unzulässig.“ Zur Zeit haben die Kirchen des Verbandes der Pfingstler in Belarus einen hohen Anspruch an den Staat. Dieses Problem entstand infolge der Kritik durch staatliche Massenmedien (Fernsehen, Presse) an Pfingstkirchen (ohne dass dabei die Kirchen des Verbandes ChEG von den anderen Pfingstlerausrichtungen unterschieden wurde): Beschuldigungen wegen angeblich bestialischer gottesdienstlicher Praxis, expansiver Missionstätigkeit und Zersetzung des traditionellen Glaubens. Die Pfingstler beschuldigten ihrerseits die staatlichen Massenmedien, das Gesetz über die Freiheit des Glaubens und der religiösen Organisationen zu verletzen sowie die Glaubenslehre der Pfingstkirche zu verleumden und zu entstellen.

Das Verhältnis zur Politik, zu konkreten politischen Parteien und Ereignissen ist bei den neuen religiösen Bewegungen nicht eindeutig. Es variiert von einer Interesselosigkeit, die für die meisten Klientelkulte und kleinen neuen religiösen Bewegungen typisch ist, bis zu offenen Versuchen, einige bestimmte Parteien zu beeinflussen bzw. mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Unter den neoprotestantischen Organisationen in Belarus ist heute der Mythos darüber weit verbreitet, der Staat unterstütze aktiv die BOK und werde seinerseits von ihr bei der Diffamierung bzw. Verfolgung der neoprotestantischen Organisationen unterstützt. Das wirke sich entsprechend auf das Verhältnis der einfachen Mitglieder gegenüber den „Verfolgern“ aus. Die Aufrechterhaltung des Verfolgungsmythos hat auch eine pragmatische Aufgabe: Dadurch wird eine gewisse Spannung zur sozio-kulturellen Umgebung geschaffen, zugleich eine Vorbedingung für das Wachstum der Gruppe.

Zusammenfassende Thesen

Das Wesen der kontinuierlich verlaufenden Transformationsprozesse im religiösen Bewusstsein der weißrussischen Bevölkerung besteht in einer allmählichen Ablösung des im Laufe von 70 Jahren verankerten symbolischen Systems des Kommunismus durch verschiedene Komponenten der traditionellen und neuen Religiosität. Die religiöse Situation in Belarus kann wie folgt zusammengefasst werden:

  1. Die religiöse Aktivität der Gruppen, Sekten, Konfessionen und Religionen nimmt zu, was durch eine hohe latente Religiosität der Bevölkerung der Republik Belarus erklärt werden kann. Das religiöse Bewusstsein war in der Sowjetzeit infolge der massiv betriebenen Atheisierungspolitik der kommunistischen Partei in der Belarussischen SSR (der Versuch, die in der Geschichte erste total atheistische Republik zu schaffen) tief in die Latenz getrieben.
  2. Die Transformationsprozesse des religiösen Bewusstseins der Bevölkerung der Republik Belarus werden durch die Ablösung der religionsersetzenden Weltanschauung des ideologischen Atheismus durch verschiedenartige Formen von traditioneller und nichttraditioneller Religiosität gekennzeichnet, wobei die nichttraditionelle Religiosität (insbesondere die charismatische) als die anpassungsfähigere trotz eines mächtigen Drucks durch den Staat ständig zunimmt, während sich die traditionelle stabilisiert hat.
  3. Der Druck der Staatsgewalt auf die Erscheinungsformen der nichttraditionellen Religiosität ist in Belarus der stärkste in den GUS-Ländern.
  4. Eine aktive und erfolgreiche äußere Mission wird in Belarus von Pfingstlern und Adventisten geführt.
  5. Die Bevölkerung in Belarus beteiligt sich an neuen religiösen Bewegungen insgesamt weniger aktiv als in Russland, was sich auf die Art, Form und die Häufigkeit der von diesen durchgeführten Aktionen und die Vielfalt der Formen ihrer Missionstätigkeit auswirkt.
  6. Heute kann von einer quantitativen Stabilisierung der religiösen Organisationen in Belarus (ausgenommen Pfingstler und Adventisten) bei fortdauernden Transformationsprozessen im religiösen Bewusstsein der Bevölkerung, die der qualitativen Stabilisierung des „religiösen Marktes“ entgegenwirken, gesprochen werden.
  7. Die religiösen Organisationen in Belarus bauen eine autonome finanzielle Sicherung ihrer Existenz auf, ihre innere Struktur stabilisiert sich. Ebenso bauen sie ihre gesellschaftlichen Infrastrukturen aus. Dadurch werden Lücken in der Tätigkeit der staatlichen Einrichtungen ausgefüllt.
  8. Die religiösen Organisationen verstärken ihre Arbeit unter den Kindern und Jugendlichen, sie konkurrieren auf dem „Markt der jugendlichen Nachfrage“, was durch das Fehlen von Religionsunterricht im Bildungswesen in Belarus bedingt ist. In diesen Konkurrenzkampf werden auch nichtreligiöse gesellschaftliche und politische Kräfte einbezogen, was soziale Spannungen provoziert.
  9. Gesellschaftliche Projekte der religiösen Organisationen sind häufig zweifacher Art: Soziale und kulturelle Aktivität dienen als Basis für die Entwicklung der religiösen Tätigkeit.
  10. Religiöse Organisationen unternahmen erfolgreiche Versuche, Kontakte sowohl auf der hohen Ebene (Ministerien, Parlament) als auch auf der Ebene der gesellschaftlichen Organisationen und staatlichen Einrichtungen aufzubauen, d. h. die religiösen Organisationen selbst hinderten unbewusst die Ausbildung eines freien Marktes der religiösen Nachfrage und des Angebots, den viele von ihnen beschwören (dies betrifft in erster Linie nichttraditionelle Konfessionen, neue religiöse Bewegungen und Neokulte).
  11. Die religiösen Organisationen dringen auf den belarussischen Medienmarkt ein und verstärken ihre Propaganda unter der Bevölkerung der Republik.
  12. Die Zugehörigkeit zu den in Belarus traditionellen Religionen – Orthodoxie, Katholizismus, Luthertum, Judentum und Islam – ist für die meisten Gläubigen in Belarus eher eine kulturelle als eine religiöse Identifikation.
  13. Für Adepten aller Konfessionen ist ein hoher Grad der religiösen Toleranz kennzeichnend (höher als beispielsweise in Russland), was durch historische und politische Faktoren bedingt ist (ein Staat zwischen dem Osten und Westen mit einer althergebrachten Tradition des Multikonfessionalismus).
  14. Es wird allmählich ein neues System der Gesetzgebung zur Regulierung der Beziehungen zwischen dem Staat und der Religion ausgestaltet, das dem europäischen System Standard nahe kommt.

Fußnoten:


  1. Danilov, Andrej V.: Die Bedeutung der Religion für ein postsowjetisches Rußland, in: Sozialwissenschaftliche Informationen-Geschichte-Politik-Wirtschaft, Nr. 3, Siegen (u. a.) 1997, S. 195-200. ↩︎

  2. Vgl. zum Hintergrund Thesing, Josef / Uertz, Rudolf (Hrsg.): Die Grundlagen der Sozialdoktrin der Russisch-Orthodoxen Kirche. Deutsche Übersetzung mit Einführung und Kommentar. Sankt Augustin 2001. ↩︎