Junge Menschen in der Tschechischen Republik: ihre Hoffnungen, ihr Glaube, ihre Zweifel

aus OWEP 2/2016  •  von Michal Němeček

Michal Němeček ist Bischofsvikar für die Seelsorge in der Erzdiözese Prag; er leitet auch das Pastoralzentrum der Erzdiözese Prag.

Zusammenfassung

Große Teile der tschechischen Bevölkerung stehen der Religion fern, die katholische Kirche spricht nur noch wenige an. In der jungen Generation lässt sich jedoch durchaus neues Interesse an Glaubensthemen feststellen. Die Jugendseelsorge bemüht sich, die jungen Menschen bei ihrer Suche nach Gott zu unterstützen, und kann damit, wie aus dem folgenden Beitrag hervorgeht, viele Heranwachsende gerade in der Phase der Pubertät ansprechen.

Junge Menschen, die sich in der Tschechischen Republik zum Glauben bekennen, sind vermutlich den Menschen in Deutschland oder irgendwo anders in der Welt sehr ähnlich. Dennoch gibt es bestimmte Spezifika. Ich möchte hierzu zunächst an die Situation der Kirche in der Tschechischen Republik erinnern: Man kann etwas vereinfacht sagen, dass die Zahl der praktizierenden Katholiken vom Südosten des Landes bis zum Nordwesten nach und nach radikal abnimmt – ein Beispiel: Auf 100 Gottesdienstteilnehmer in der Diözese Brünn (Brno) kommen nur 4 in der Diözese Leitmeritz (Litoměřice).

Zur Situation der Gläubigen in der Tschechischen Republik

Die Tschechische Republik erlebt bestimmte soziodemografische Verschiebungen. In den letzten zwanzig Jahren hat eine große Menge von Menschen Arbeit in den Städten gefunden; im Gegensatz dazu endete durch den Fall des Sozialismus die Zeit der großen landwirtschaftlichen Genossenschaften auf dem Land. Die Zahl der Menschen mit Hochschulabschluss stieg von 7 auf 12 Prozent, mit einem Mittelschulabschluss von 23 auf 27 Prozent. Viele Menschen suchen eine Beschäftigung in der Stadt auch um den Preis, dass sie viele Kilometer fahren müssen. An der Peripherie der Städte sind zahlreiche neue Siedlungen entstanden, und viele Menschen fahren häufig vom Land in die Stadt, um dort Arzttermine wahrzunehmen, aber auch das bessere kulturelle Angebot zu nutzen. Die frühere Geschlossenheit des ländlichen Raums ist zerfallen – häufig bleiben dort nur noch alte Menschen zurück.

In den Großstädten hat man den Eindruck, dass vor allem höher gebildete Leute in die Kirchen kommen, weniger Menschen mit einfacher Ausbildung oder ohne Ausbildung. Aufgrund der Offenheit des tschechischen Bildungswesens können heute viele junge Menschen ein Hochschulstudium aufnehmen; allerdings werden es kaum alle abschließen. Bei vielen von ihnen lockert sich dann die Verbindung zum Elternhaus und zu den überkommenen Traditionen.

Betrachtet man die Bevölkerung insgesamt, muss man leider feststellen, dass nicht nur in der jungen, sondern auch in der mittleren Generation die religiöse Substanz weitgehend verschwunden ist. Das ist einerseits erschütternd, gleichzeitig aber handelt es sich auch um eine große Herausforderung. Vor allem der westliche Teil der Republik stellt heute ein reines Missionsgebiet dar, fast jede Spur einer traditionellen oder selbst deformierten Religiosität fehlt.

Jugendpastoral in der Tschechischen Republik

In der Tschechischen Republik ist die Jugendpastoral auf mehrere Ebenen aufgeteilt. Die erste Ebene ist die offizielle kirchliche Struktur mit Anbindung an die Diözesen bzw. die Tschechische Bischofskonferenz (Česká biskupská konference, ČBK).1 Aufgrund der Erfahrungen der Wendezeit wurde die Pflege um junge Menschen zunächst den Mitgliedern der Fokolar-Bewegung anvertraut. Diese hat ein sehr gut funktionierendes Konzept diözesaner Jugendzentren (Diecézních center mládeže, DCM)2 aufgebaut. Jedes DCM hat ein „Haus“ für junge Menschen, das meistens außerhalb der Stadt steht (eine Ausnahme bildet Prag). Jedes DCM verfügt über einen eigenen Priester (manchmal auch mehrere) und eine Laiengruppe. Die Jugendlichen sollen die Möglichkeit haben, jederzeit in ein Haus mit offenen Türen kommen zu können, um dort Veranstaltungen nach ihren Vorstellungen und Bedürfnissen (Spiele, Bälle, Konzerte usw.) zu organisieren. Eine andere Ebene stellt die Arbeit der Salesianer Don Boscos (SDB) dar, eine Ordensgemeinschaft, die in der Tschechischen Republik wahrscheinlich die meisten Mitglieder und Ehrenamtlichen hat. Hunderte Kinder haben ihre Zeltlager und so genannten „chaloupky“ (Hüttchen) besucht. Gegenwärtig engagieren sie sich besonders für Menschen am Rande der Gesellschaft. Zu erwähnen wäre außerdem der Einsatz anderer Ordensgemeinschaften und Geistlicher Bewegungen (z. B. Franziskaner, Chemin Neuf).

Besonders erwähnt werden muss die von Geistlichen und Laien getragene Bewegung „Jump“3 mit ihren Verzweigungen („Entercamp“, „Raft“, „Runway“). Es handelt sich um einwöchige Zeltlager, zu denen sich jedes Jahr hunderte junge Menschen anmelden. Ziel ist es, diesen Menschen eine Grundbegegnung mit Gott zu ermöglichen. Ähnliche Ziele verfolgen auch die Katholische Hochschuljugendbewegung (Vysokoškolské katolické hnutí mládeže (VKH)4 und kirchliche Schulen, vor allem Gymnasien. Ein großes Thema bilden dabei die Firmvorbereitungen.

Junge Frauen im Dom von Jelgava/Lettland (Bild: Markus Nowak)

Junge Menschen suchen

Nach unserer Erfahrung kann man sagen, dass junge Menschen immer auf der Suche sind. Immer wieder fragen sie nach einem Sinn oder Ziel, suchen eine Richtung im eigenen Leben. Dieser Trend wiederholt sich ständig in der Geschichte, es ändern sich nur die Umstände. Außerdem ist es wichtig festzuhalten, dass alle heutigen jungen Menschen in einem freien Land geboren worden sind und keine Erfahrung mehr mit einem totalitären Regime haben. Das, was Jugendliche früher zur Opposition motivierte, also ein gemeinsamer Feind, kennen sie nicht – dennoch haben viele Probleme damit, den Glauben offen zu leben.

Viele jungen Menschen haben am freiwilligen Religionsunterricht teilgenommen. Die meisten waren bis zur Pubertät gemeinsam mit ihren Eltern regelmäßige Besucher der Sonntagsgottesdienste – sie sind aber Gott eigentlich nicht direkt begegnet. Es ist eben die Zeit der Pubertät, wenn Rufe und Fragen erwachen. Sie suchen in dieser Lebensphase häufiger die Gemeinschaft derer, in der sie ihre pubertäre Identität finden können, als den Glauben an Gott. Dennoch wird etwas Innerliches in ihnen wach. Sie suchen Gleichaltrige, die ihnen bestätigen, dass Glaube, Gott und Kirche kein falscher Weg sind. Sie suchen nach Autoritäten, denen sie vertrauen können und die sie verstehen. Die Zeit des Widerstands oder besser der Abgrenzung gegenüber den Eltern erlaubt es ihnen nicht, automatisch die Tradition des praktizierten Glaubens der Eltern zu übernehmen. Zu Recht zweifeln sie diesen an, weil sie bisher keinen tieferen Sinn in diesem für sie eher symbolischen Handeln entdeckt haben.

Viele junge Menschen sind unsicher beim ersten Versuch, Gott anzusprechen, probieren es aber trotzdem. Gott antwortet in der Regel nicht so einfach auf naive Aufforderungen wie „Wenn es dich gibt, soll schönes Wetter kommen“. Leider resignieren viele zu früh: „Ich habe es probiert, aber Gott schweigt“ – und sie meinen dann, dass es ihn überhaupt nicht gibt oder aber dass er mit ihnen gar nicht spricht. Die heutige Generation ist in vielem sehr ungeduldig; wir leben in einer Kultur des Wunscherfüllens „auf den ersten Klick“. Genau das ist bei Gott nicht so selbstverständlich.

Nun gibt es leider in der Tschechischen Republik viele Priester und Katecheten, die den Glauben so lehren, als ob er nur aus Informationsvermittlung bestünde. Junge Menschen fühlen sich aber davon nicht angesprochen, sie interessieren nicht die Zahl der Päpste oder die Namen der Apostel; vielmehr suchen sie Sicherheit, Geborgenheit, Beziehung, aber auch Aufregung und Spaß.

Die meisten Angebote geistlicher Aktivitäten in der Tschechischen Republik richten sich an junge Menschen, die älter als 15 Jahre sind; Ursache dafür sind zum Teil rechtliche Vorgaben, zum Teil wird mit der höheren geistigen Reife der Teilnehmer argumentiert. Dieses Vorgehen birgt leider ein großes Handicap, denn es mangelt an geistlichen Angeboten für Kinder zwischen 12 und 15 Jahren. Besonders problematisch ist das Fehlen einer vollwertigen Katechese, die zur Begegnung mit Christus führt, also nicht nur Freizeitangebote. In der Kirche fehlen leider Jugendleiter, die ihren jüngeren Altersgenossen solche Gruppenangebote anbieten könnten, bei denen sich junge Menschen frei fühlen und in denen gleichzeitig eine Hinführung zu Gott und einem Leben nach dem Evangelium vermittelt wird. Aktuell versuchen wir, in den Jugendzentren mit „Animationskursen“ Gruppenleiter auf diese Aufgaben vorzubereiten. Dabei darf die klassische Rolle des Katecheten oder Priesters natürlich nicht vernachlässigt werden, denn eine stabile, vielleicht sogar väterlich nahe Beziehung spielt immer eine große Rolle.

Viele junge Menschen betonen heute sehr stark ihre Freiheit (freie Zeiteinteilung, Wahl der Freizeitgestaltung usw.) und kennen nicht die Pflichten häuslicher Arbeit oder die Notwendigkeit, Geld zu verdienen. Ein großes Thema ist tatsächlich für viele Langeweile. Manche Jugendliche, vor allem in der Stadt, haben ein volles Programm mit Freizeit- und Sportaktivitäten. Andere, vor allem auf dem Land, können nur sehr schwierig solchen Freizeitaktivitäten nachgehen. Dieser Unterschied zeigt sich dann bei einer Begegnung, wenn sich beide Gruppen treffen und nur sehr schwer ein gemeinsames Thema finden können. Häufig wird die Freizeit dann nicht sinnvoll genutzt.

Risiken und Bedrohungen

Ein sehr wichtiger Aspekt ist die derzeitige Mentalität der Tschechen. In der Wahrnehmung der breiten Öffentlichkeit sind wir ein freies und weitgehend atheistisches Land. Zum großen Teil gilt das für Böhmen und bestimmte Gebiete in Mähren. Das Problem liegt aber vor allem darin, dass es sich in Wirklichkeit nicht um Atheismus, sondern um Neuheidentum handelt. Viele Menschen in unserem Land widmen sich heute aktiv der Magie, Spiritualität, Esoterik und verwandten Praktiken – man muss tatsächlich von einem Massenphänomen sprechen! Es handelt sich um einen freien Markt mit einem bunten Angebot, aus dem sich jeder je nach Laune das Passende aussucht und kombiniert. Und junge Menschen gehören immer öfter zu den Nutzern. Es gibt Geister- und Totenbeschwörungen (selbst in den Zeltlagern ist das schon vorgekommen), Wahrsagerei, Kartenlegen, Verwendung satanistischer Symbole und vieles mehr.

Auf den ersten Blick könnte man vieles davon als naive Spielerei abtun, aber leider gehen die Aktivitäten in der Praxis häufig weit über die Grenzen von Kindervergnügungen hinaus. Mit Erschrecken begegnen wir einer Generation von jungen Menschen, die ein Problem haben, die Hostie ehrfürchtig zu empfangen oder das Vaterunser zu beten, dafür aber den abstrusesten Praktiken anhängen – wir können von einer „Harry Potter“-Generation sprechen.

Nicht weniger bedeutend ist die Bindung der Jugendlichen an die Computer und andere moderne Kommunikationsmittel. Für viele ist es sehr kompliziert, die virtuelle Welt zu verlassen. Viele junge Menschen sind ständig online oder beschäftigen sich während einer Gruppenstunde ununterbrochen mit ihrem Smartphone, womit sie natürlich überhaupt nicht mehr für das eigentliche Programm zugänglich sind. Was können wir tun, um die Aufmerksamkeit dieser jungen Menschen zu gewinnen? Es ist wirklich eine Herausforderung für die kirchliche Jugendarbeit, mit den modernen Kommunikationsmitteln erfolgreich in Konkurrenz zu treten.

Ein weiteres Phänomen ist die Welt einer völlig problemlos erreichbaren Pornografie. Schon Kinder in der Grundschule sind dank ihrer Mitschüler mit Formen deformierter Sexualität konfrontiert. Bisher fallen sie in der Tschechischen Republik wortwörtlich ohne Vorbereitung oder Vorwarnung in eine reißende Strömung von Bildern und Filmen. Viele junge Männer haben panische Angst vor der Beichte nur deswegen, weil sie sich dort für dieses Thema, mit dem sie geheim leben, öffnen müssten. Für viele wird die Sexualität damit zum Alptraum. Sie kennen keinen Ausweg, verstricken sich in Vorwürfe, zeigen sich äußerlich gleichgültig oder lehnen die kirchlichen Gebote ab. Es ist daher sehr schwierig, ihnen in dieser Situation zu helfen.

Ähnlich problematisch ist das Problem der intimen Beziehungen. Es ist kein Geheimnis, dass junge Menschen ihre ersten sexuellen Erfahrungen in der Übergangszeit zu weiterführenden Schulen machen, also mit ca. 15 Jahren. Hier kann es leicht geschehen, dass der Weg zu Freundschaften ohne voreilige sexuelle Kontakte erschwert wird. Dank der modernen Möglichkeiten der Empfängnisverhütung ist es aber nun einmal eine Tatsache, dass junge Menschen sehr früh Intimkontakte pflegen, ohne eine Ehe schließen zu müssen. Wenn trotzdem in der Tschechischen Republik heute die Hälfte der Kinder außerhalb der Familie zur Welt kommt, bedeutet dies, dass die Ehe nach Ansicht vieler Tschechen einen Luxus darstellt; viele heiraten daher erst in einem mittleren Lebensalter. Die Ehevorbereitungen bestätigen diesen Trend: Die meisten Verlobten leben schon seit einigen Jahren miteinander. Diese Jugendlichen wissen allerdings, dass sie sich damit den Weg zu den Sakramenten versperrt haben. Viele schränken dann auch ihr übriges Leben in der Kirchengemeinde ein. Es gibt allerdings auch mutige Ausnahmen unter den Jugendlichen, die trotz aller äußeren Reize seitens der Gesellschaft das intime Miteinander erst nach der Eheschließung pflegen möchten.5 Leider wird dieser Aspekt der Ehepastoral seitens der Geistlichen häufig in den Mittelpunkt der Jugendkatechese gestellt. Für denjenigen, die solche Vorsätze nicht einhalten können, bricht das ganze geistige Leben zusammen, manchmal mit schmerzhaften Folgen für das Leben mit Gott.

Insgesamt gesehen ist es ziemlich überraschend, wie viele junge Menschen die Suche nach Gott mit sehr konservativen Einstellungen beginnen. Erst mit zunehmendem Alter und Wissen haben sie den Mut, sich unsinnigen Bräuchen, Traditionen oder umgekehrt unsinniger Gleichgültigkeit und Lockerheit zu stellen und damit auseinanderzusetzen.

Ist die jetzige Generation verloren?

In unserer Praxis begegnen wir jungen Menschen, die sehr intensiv nach Gott suchen. Es ist faszinierend, das Gebet der Jugendlichen zu beobachten und zu erleben, wie sie regelrecht entflammen. Häufig müssen wir allerdings erleben, dass sie nicht mehr zu Hunderten kommen, sondern nur noch in kleiner Zahl. Und doch verlangen sie uns viel Zeit und Kraft ab! Es sind nicht die Jugendlichen verloren, sondern diejenigen, die alles so weiter praktizieren wollen, wie sie es „damals“ gelernt haben. Gott lädt auch heute ein, und es ist wunderschön, in den Geschichten der Jugendlichen sein Wirken in der Welt zu erkennen.

Aus dem Tschechischen übersetzt von Michaela Götz.


Fußnoten:


  1. Der genaue Name lautet „Sekce pro mládež České biskupské konference“ (Sektion für Jugend der Tschechischen Bischofskonferenz). Offizielle Website: http://www.cirkev.cz/mladez ↩︎

  2. Jan Balík: Na cestě s mladými. Prag 2004. Ausführliche Hinweise finden sich auf der Internetseite http://www.signaly.cz/ ↩︎

  3. http://www.jump.cho.cz/ ↩︎

  4. http://www.vkhcr.cz/ ↩︎

  5. In diesem Sinne aktiv ist z. B. „Společenství čistých srdcí“ („Bewegung der reinen Herzen“), http://www.spolcs.cz/view.php?nazevclanku=jak-postupovat-v-usili-o-rust-idealu-cisteho-srdce&cisloclanku=2011040016 ↩︎