Hat das Werk Johannes Pauls II. wesentliche theologische Bedeutung?
Ich setzte in die Überschrift eine Frage, denn die Sache ist keineswegs offensichtlich – und zwar aus mehreren Gründen. Ich nenne nur die drei grundsätzlichsten. Der erste liegt in der Person Karol Wojtyłas als Denker und darin, welche Rolle er in der Theologie gespielt hätte, wäre er nicht Papst geworden. Der zweite Grund liegt in seiner besonderen Verwurzelung in der polnischen Erfahrung – wenngleich hinzugefügt werden muss: zugleich in dem, was in der polnischen Erfahrung das Universalste ist. Der dritte liegt in der heutigen Situation der Theologie in der Welt, der katholischen Theologie im Besonderen, aber im Grunde genommen der Theologie überhaupt. Bevor ich also zum Kern meiner Darlegung übergehe, will ich kurz diese drei Dinge beleuchten, denn ohne das kann ich meiner Aufgabe nicht richtig gerecht werden.
Die Frage nach der theologischen Bildung Karol Wojtyłas
Was die Frage nach Karol Wojtyła als Denker und nach seinem möglichen Ort in der Theologie betrifft, so muss man einige ordnende Dinge sagen, ohne den Versuch einer Beurteilung oder Wertung. Karol Wojtyła erwarb natürlich eine theologische Ausbildung – eine grundlegende an der guten Theologischen Fakultät der Jagiellonen-Universität in Krakau und danach eine spezialisiertere an der Päpstlichen Universität Angelicum sowie während seines Aufenthalts in Löwen/Louvain. Das war, was das Niveau und die Standards wie aber auch den Denktyp, die Ideen und Richtungen, den Zusammenhang mit der Philosophie, die Relation zu den gesellschaftlichen Problemen und zum kulturellen und zivilisatorischen Zustand unserer Welt betrifft, eine für jene Epoche recht typische Ausbildung, das heißt eine, die sich gut integrierte in das klassische katholische Denken, in die Elemente eines neu durchdachten Thomismus, aber auch in das Bewusstsein der auftretenden neuen Herausforderungen und Schwierigkeiten – besonders auf gesellschaftlichem und zivilisatorischem Gebiet. Verhältnismäßig am wenigsten schöpferisch und offen war sie jedoch gerade auf dem Gebiet der strikten systematischen Theologie.
Gleichzeitig führten sowohl die persönliche Begabung wie auch der wissenschaftliche Weg Karol Wojtyłas ihn in einen intensiven philosophischen Dialog, vor allem über Fragen einer personalistisch verstandenen Ethik. Wesentlicher Bezug dieses Dialogs und der sich in ihm vollziehenden intellektuellen Entwicklung und Bemühung Karol Wojtyłas waren bekanntlich die Phänomenologie vom Schelerschen Typ, aber auch andere wichtige gedankliche Strömungen der Epoche. Kern blieb die personalistische Denkweise, die die wertvollsten Elemente des so genannten existenzialen Thomismus „überbaute“.
Dritter wesentlicher Faktor, der Karol Wojtyła theologisch formte, war die Beteiligung an den Arbeiten des Zweiten Vatikanischen Konzils – sowohl die Erfahrung, anderen zuzuhören (und zuhören konnte er wie kaum ein anderer), wie auch der Mut des verhältnismäßig jungen und damals fast unbekannten Bischofs, der sich aktiv in die Formulierung von Konzilsdokumenten – insbesondere in die Konstitution „Gaudium et spes“ – einbrachte. Er selber erinnert später daran in dem Buch „Wstańcie, chodźmy“ („Steht auf, lasst uns gehen“): „Als das Schema 13 (das später zur pastoralen Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes wurde) kommentiert wurde und als ich über den Personalismus sprach, kam Pater de Lubac zu mir und sagte: ‚Ja, ja, ja, in dieser Richtung.‘ Auf diese Weise machte er mir Mut, was besondere Bedeutung für mich hatte; ich war ja ein relativ junger Mann.“1
Alles das ist von wesentlicher Bedeutung für die Beurteilung dessen, was Karol Wojtyła in die Theologie einbringen konnte. Er war nie ein aktiver und schöpferischer Theologe im strengen Sinne dieses Wortes. Er war jedoch ein großer Denker, dessen Denken naturgemäß die grundlegenden Fragen des Glaubens und des christlichen Weltbildes, insbesondere die Beziehung Gott und Mensch, Mensch und Gott, berührte. Und er war ein Mensch, der sich außergewöhnlich stark der Gegenwart anderer bewusst war. Ich formuliere dies bewusst so, indem ich den zentralen Ort des Menschen hervorhebe, weil dies mir für das Verständnis der theologischen Bedeutung des Denkens Karol Wojtyłas und für die Lehre Johannes Pauls II. besonders wesentlich erscheint. Gerade in diesem Punkt traf es aufs stärkste mit dem tiefsten theologischen Umbruch unserer Epoche zusammen.
Jetzt will ich jedoch zuerst noch über die „polnische Frage“ und dann über den universaleren Kontext der Situation in der Theologie schreiben, in den sich die theologische Lehre des verstorbenen Papstes einschreibt.
Vor dem Hintergrund dessen, was heute mit Glaube und Kultur in Polen geschieht
Wir sind heute Zeugen dessen, dass sich eine gewisse Form des Zusammenhangs zwischen katholischer und nationaler Identität der Polen deutlich erschöpft. Es geht um diese Form des Zusammenhangs, die sich letztlich in der Zeit der polnischen Teilungen herausbildete und bis zum Ende der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts andauerte. Ihre Grundlage war die auf die katholische Identität gestützte Verteidigung der nationalen Identität und Kultur gegenüber den äußeren Bedrohungen, die vor allem mit der politischen Lage Polens zusammenhingen.
Auch wenn sich diese Form des Zusammenhangs von Polentum und Katholizismus erschöpft, bedeutet es noch keineswegs, dass der Zusammenhang sofort aufgehoben wird oder sich deutlich abschwächt. Es bedeutet dagegen, dass eine mögliche andere Form an seine Stelle tritt. Offenbar stützen immer mehr aktive polnische Katholiken (insbesondere der jüngeren und mittleren Generation) ihren Katholizismus auf eine universalere Grundlage und berufen sich im Zusammenhang mit einer solchen Wahl nicht mehr so ausdrücklich, wie es noch bis vor kurzem üblich war, auf die Traditionen und Geschichte Polens.
Die damit zusammenhängende Schwierigkeit beruht darauf, dass diese neue, universalere Glaubensgrundlage auf der Ebene der geistlichen Führung, aber auch der breiten pastoralen Tätigkeit und des Laienapostolats recht schwach berücksichtigt wird, während noch immer das Denken (und zum Teil die Rhetorik) des älteren Typs dominiert.
Indes stellt die „Universalisierung“ und zugleich Vertiefung der Motive der bewussten Glaubenswahl eine sehr bedeutende Chance gerade im Kontext der sich heute in Polen vollziehenden schnellen zivilisatorischen Umwandlungen (und der ihnen folgenden sozialen Transformationen) dar. Dies ist deshalb so, weil man auf die zusammen mit diesen Veränderungen auftauchenden Herausforderungen, praktisch gesehen, nicht antworten kann, wenn man nur aus der Perspektive des älteren Typs von Zusammenhang zwischen polnischer und katholischer Identität handelt. Das betrifft insbesondere Herausforderungen, die mit der Informatisierung des Lebens, mit der beruflichen Mobilität, mit der geringeren Stabilität des Wohnorts und mit der Schwächung der Beziehungen zum früheren Milieu zusammenhängen, insbesondere auf dem Lande. Aber es gilt, bei der Bewertung dieser Prozesse in Polen vorsichtig zu sein. Auf gar keinen Fall kann man erwarten, dass der traditionelle Typ des polnischen Katholizismus ein schnelles und wirklich adäquates Reagieren auf die neuen sozialen, beruflichen und kulturellen (und insbesondere auf die mit ihnen zusammenhängenden ethischen) Herausforderungen ermöglichen wird.
Ist dies nun aber ein spezifisch polnisches Problem? Dem ist nicht so. Die Polen sind, neben den Iren, die letzte große und starke Bevölkerung in Europa, in der dieses Modell eine so wesentliche Rolle spielte. Sein Verschwinden wird nicht ohne Bedeutung sein – zumindest nicht für Europa. Das lässt sich heute immer deutlicher absehen.
Gerade unter dem Gesichtspunkt der oben skizzierten Prozesse und der Tatsache, dass sie zu Ende gehen, hatte die Einwirkung Johannes Pauls II. besondere Bedeutung. Er verband die Anhänglichkeit an die Traditionen der (sehr weit gefassten) nationalen Kultur mit dem Bemühen, den Glauben und die Vision von Kirche auf ein universales Fundament zu stützen. Er war aber auch einer von den letzten, die dies noch tun konnten – und es wirklich integrativ taten. Die Stärke seines religiösen Wirkens rührte nach meiner Überzeugung – weit über die Grenzen seiner eigenen nationalen Kultur hinaus – gerade von daher. Und trotz der eben erwähnten und in die Vergangenheit entschwindenden kulturellen Bedingungen entsprach der Typ geistiger Führerschaft, wie sie auf der Ebene der Weltkirche von Johannes Paul II. sowohl hinsichtlich des Inhalts als auch in bedeutendem Maße hinsichtlich der Form des Kommunizierens ausgeübt wurde, gerade den heutigen Herausforderungen – z. B. der Globalisierung. Es lohnt sich deshalb, das Werk seines Lebens und seinen theologischen Sinn auch in dieser Perspektive zu verstehen. Eine (in kulturellem Sinne) heimatlose Theologie ist krank.
Was Polen betrifft, so verlangsamte das Wirken des Papstes die oben erwähnten Prozesse. Was sein Wirken außerhalb Polens angeht, so zeigte es zugleich, dass es in einer solchen Verwurzelung keineswegs um etwas „Rückschrittliches“, Lokales und Verschwindendes geht, sondern dass die Verwurzelung im eigenen Haus in einer globalisierten Welt nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Das aber ist schon heute, wie es scheint, von niemandem mehr in einem solchen Maß zu wiederholen, wie es im Werk Johannes Pauls II. gegenwärtig war – und zwar nicht nur aus persönlichen Gründen, sondern auch, wenn man es so sagen kann, aus Gründen der Epoche. Das ist tatsächlich das Ende einer Epoche – die wir jedoch nicht vergessen werden. Jetzt und erst vor einem solchen Hintergrund kann ein Wort über die universalere Situation der Theologie heute gesagt werden.
Ein Wort über die universalere Situation der Theologie heute
Zusammen mit anderen Wissenschaften steht die Theologie heute vor einer der größten Herausforderungen ihrer Geschichte. Das Wesen dieser Herausforderung besteht in der wachsenden Ratlosigkeit der Wissenschaften angesichts der an ihrer gemeinsamen Wurzel liegenden Absicht, die Welt als Ganze zu denken. Die Gründe dafür liegen sowohl in dem lawinenartig anwachsenden detaillierten Wissen über die zu erforschende Welt wie auch (zumindest ebenso stark) im Bewusstsein der Existenz nicht auf einen Nenner zu bringender Sprachen, mit denen man das zu erfassen versuchen kann, was in unserer Welt ist und geschieht. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem gleichzeitig erstens fast alle im modernen Wissenschaftsbetrieb enthaltenen Möglichkeiten (insbesondere die technologischen Möglichkeiten) zum Vorschein kommen, zugleich aber auch ihre schwer voraussehbaren Folgen für den Menschen selbst; zweitens taucht die Möglichkeit auf, eine andere Sicht auf das zu haben, wie die uns gegebene Welt und unser eigenes Leben sind, und damit die Chance, dass wir es lernen, mit dem umzugehen, was in unserer Zivilisation gefährlich oder nur missglückt ist; drittens herrscht eine besondere Art von Ratlosigkeit, wenn es um die für die Wissenschaft fundamentale Idee geht, wie die Welt als Ganze zu denken ist.
Diese Ratlosigkeit meldet sich auf vielerlei Weise zu Wort. Auf der Ebene der Geisteswissenschaften lässt sie sich beobachten in Form des wachsenden Zweifels am Sinn des die europäische Wissenschaft über Jahrhunderte umtreibenden Ehrgeizes, zur objektiven und universalen Wahrheit vorzudringen, auf der Ebene der empirischen und exakten Wissenschaften in Form des Strebens nach pragmatischer Eindeutigkeit der Erkenntnis um jeden Preis – selbst um den Preis der in den Methodologien der einzelnen Wissenschaften bewusst geübten Beschränkungen (z. B. in Bezug auf die Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit der in diesen Wissenschaften gestellten Fragen, auch und besonders der ethischen Fragen).
In der Perspektive der Geisteswissenschaften, also auch der Theologie, muss man sich darüber im Klaren sein, dass der unmittelbare Kontext jeglicher Reflexion eine wahre Flut von Worten, Äußerungen, Publikationen und Standpunkten mit bewirkt. Das fördert eine schnelle Inflation der Worte und Bedeutungen sowie Sorglosigkeit im Umgang mit der Sprache. Erscheinungen einer solchen Inflation lassen sich heute in der Welt des Sprechens und Denkens über den Glauben überall beobachten: von grundlegenden Forschungen bis hin zur theologischen Publizistik und von der alltäglichen kirchlichen Lehre auf elementarstem Niveau bis hin zur päpstlichen Lehre.
Ein weiterer wesentlicher Bezug sind weitgehende Veränderungen des Kontextes, in dem sich das Verständnis des Glaubens heute entwickelt. Zumeist wird auf die drei folgenden Problemgruppen verwiesen: 1. die Notwendigkeit, die Methoden der theologischen Arbeit in Bezug auf den aktuellen Stand der Wissenschaften über den Menschen zu überdenken (insbesondere Psychologie und Soziologie); 2. die Notwendigkeit, das Verhältnis der Theologie zu den Naturwissenschaften neu zu bedenken (zu diesen Fragen kommen in letzter Zeit immer deutlicher Probleme, die mit der sich immer markanter abzeichnenden Möglichkeit zusammenhängen, Ergebnisse der Biologie, insbesondere der Genetik, industriell anzuwenden); 3. die ganz grundsätzliche und für die zukünftige Entwicklung der Theologie schlüsselhafte Frage des Selbstbewusstseins und der Identität christlichen Glaubens angesichts immer stärkerer Wechselwirkungen von Religionen und Kulturen.
Vor einem solchen Hintergrund erscheinen auf unterschiedlichen Ebenen des kirchlichen Lebens und Lehrens Symptome einiger gefährlicher Affekte: des anti-rationalen, des anti-ästhetischen und des anti-institutionellen Affekts; es kommt auch zu Erscheinungen des Widerstandes gegen ein (nach Meinung der Kritiker) zu naives und die Theologie allzu leicht ideologisierendes Denken über die Rezeption des Glaubens in der Hoffnung und in den Wünschen des gläubigen Menschen. Eine wahre Quelle dieser Affekte ist die Furcht um die Zukunft, die eng mit mangelndem Vertrauen einhergeht.
Furcht erzeugt leicht entweder Lähmung oder eine solche Aktivität, die statt einer grundlegenden Reflexion über das Wesen des Glaubens auftaucht oder sogar als Bemühen, sich allem entgegen zu stellen, was in dieser Reflexion bisher geleistet wurde. Wollten wir in einer Synthese diese Einstellung darstellen, könnte man sie in den Worten zusammenfassen: „Wir müssen noch einmal beginnen, ganz von neuem und völlig anders.“ Das, was war (früher oder sogar erst kürzlich), habe sich nämlich in bedeutendem Maße als Sackgasse erwiesen und sei jetzt tot oder werde es bald sein. Charakteristisch ist dabei die ziemlich deutliche Überakzentuierung extremer (extrem kritischer oder dem Fundamentalismus angenäherter) Positionen, bedeutend seltener findet man dort so genannte „Menschen der Mitte“.
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Alles das bewirkt, dass jede stark wirkende theologische Äußerung, die sich der o. a. Herausforderungen und Bedrohungen aktiv bewusst ist, selbst wenn sie aus diesen oder jenen Gründen nicht „systematisch schöpferisch“ ist und selbst wenn sie nicht imstande ist, diesen Herausforderungen gerecht zu werden, eine immense Bedeutung gewinnt. So eben war die theologische Aussage Johannes Pauls II. – sie ist nicht wichtig wegen der Quantität neuer Dinge, die darin steckten, als vielmehr wegen des Bewusstseins eines Menschen, der sich für sie entschieden hat, der es seinen Mitarbeitern erlaubte, sie zu bearbeiten, und der für diese Aussage Verantwortung übernahm. Das ist sehr viel.
Der Papst als Theologe? In welchem Sinne?
Die Bezeichnung „der Papst als Theologe“ scheint, bezogen auf Johannes Paul II., recht seltsam; erst recht vor dem Hintergrund der Silhouette und des geistigen Weges seines Nachfolgers – Joseph Ratzingers, Benedikts XVI. Dennoch ist dies keine inadäquate Bezeichnung, wenngleich sie nicht so sehr adäquat ist wegen seiner persönlichen theologischen Leistung als vielmehr wegen der Bereitschaft, die Herausforderungen anzunehmen, von denen wir oben sprachen (und noch viele, viele andere). Eben deshalb kann man – wenngleich das als eine Äußerung erscheinen mag, die in bedeutendem Maße „neben dem Thema“ liegt – erst vor dem Hintergrund eines Abrisses solcher Herausforderungen zu sagen versuchen, worin im Grunde die theologische Bedeutung von Johannes Pauls II. Lebenswerk besteht. Es versteht sich, dass wir hier keine Liste seiner Verdienste darlegen, sondern nur auf ihren Kerngehalt verweisen. Also:
1. Er war ein Mensch, der den Versuch nicht fürchtete, die Welt immer wieder als Ganze neu zu denken, und zwar in der Perspektive des Kerns christlicher Glaubenserfahrung im Geheimnis Jesu Christi. Bei diesem Geheimnis begann er seine Lehre und mit dem Zeugnis der menschlichen Teilhabe an ihm beendete er sein Leben.
2. Er war ein Mensch, der nie aufgehört hat zu lernen – und nicht nur dies zu lernen, was er „fachlich“ brauchte, wenn diese schreckliche Bezeichnung hier überhaupt irgendwie zur Anwendung kommen kann, sondern er lernte universal, indem er sich dafür interessierte, was ihm die fragenden, forschenden und denkenden Menschen zu sagen haben.
3. Er war ein Mensch, der sich nicht scheute, vom Menschen in der Nähe zu Gott zu sprechen, und der keinerlei menschliche Erfahrungen für gering erachtete. Theologische und kirchliche Streitigkeiten um die so genannte „anthropologische Wende“ in der Theologie wurden auf den ihnen gebührenden Platz verwiesen (in gewissem Sinne in die Ecke) durch die Kraft der faktischen Hinwendung zum Menschen in der Lehre und Praxis dieses Pontifikats.
4. Er war ein Mensch, der zu erlauben versuchte, dass in seiner Lehre alle wesentlichen Momente und Motive des christlichen Glaubensbekenntnisses auftauchten und der auf diese Weise ihren Zusammenhang mit der menschlichen Erfahrung unserer Zeit zu zeigen versuchte – einer Erfahrung, wie sie in ihm selbst und in anderen war. Selbst wenn ihm dies nicht restlos gelang, muss es aus der Perspektive dessen, was heute in der Theologie geschieht, als große Erinnerung und Mahnung zugleich verstanden werden.
Natürlich kann man diese Liste erweitern, aber das wirklich Wesentliche wurde gesagt. Ich habe vier Mal hervorgehoben: Er war ein Mensch. Es ist nochmals mit Nachdruck zu sagen: Das war ein Mensch, der all das wagte, was ich vorher genannt habe, und der zugleich als Lehrer des Glaubens die Verantwortung für all das auf sich nahm. Das Menschliche und das Menschennahe an Johannes Paul wird oft etwas klischeehaft hervorgehoben. Wenn wir aber von seinem menschlichen Mut in seiner Tätigkeit als Lehrer des Glaubens reden, hat dies nichts Klischeehaftes an sich, weil es hier um die wahre persönliche Verantwortung geht.
Das erscheint mir als das Wichtigste – auch und gerade aus der Perspektive der theologischen Wirkung Johannes Pauls II. Ganz sicher erfüllte er mehr als genug eine der schönsten mir bekannten Definitionen von Theologie, wie sie ein russischer orthodoxer Theologe formuliert hat – Vladimir Lossky: „Wird in der mystischen Erfahrung der allgemeine Glaubensinhalt zum persönlichen Erlebnis, so drückt die Theologie zum Nutzen aller das aus, was von jedem einzelnen erfahren werden kann.“2
Aus dem Polnischen übersetzt von Wolfgang Grycz.