„Es ist eine Herausforderung, das Kopftuch zu tragen.“

Aus dem Alltag einer jungen Muslimin in Deutschland (Erfahrungen)
aus OWEP 3/2018  •  von Pakize Altinbas

Zusammenfassung

Das Verhältnis von Muslimen und Nichtmuslimen ist in Deutschland wie auch sonst in Europa von ambivalenten Erfahrungen geprägt. In der Regel ist es eher ein Nebeneinander als ein Miteinander, was letztlich Unkenntnis und Vorurteilen Vorschub leistet. Im folgenden Text kommt eine in Deutschland geborene und aufgewachsene Muslima, deren Familie aus der Türkei stammt, zu Wort. Ihre Schilderungen sind nicht unbedingt repräsentativ, dürften aber der Lebenswelt vieler junger Muslime in Deutschland entsprechen.

Deutschland bedeutet für mich u. a. Heimat, da ich hier geboren und aufgewachsen bin. Ich beherrsche die Sprache, habe die Mentalität verinnerlicht, studiere hier, arbeite hier und erlebe meine Freuden und meine Trauer hier. Wir, Deutschland und ich, haben eine sehr persönliche Beziehung zueinander.

Ich bin im Jahre 1994 in Datteln im Ruhrgebiet geboren und im nördlichen Schwarzwald in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Meine Eltern sind in der Türkei geboren und leben seit den 1980ern und 1990ern in Deutschland. Nach meinem Abitur in Süddeutschland habe ich beschlossen, Islamische Theologie in Münster zu studieren. Hier lebe und studiere ich seit über drei Jahren, bin in unserer Fachschaft tätig und arbeite nebenbei in einem Lebensmittelgeschäft.

In Deutschland führe ich ein sehr angenehmes und sorgloses Leben, was das Praktizieren meines Glaubens angeht. Das angenehme und sorglose Leben hier in Deutschland stellt aber seine Forderungen an mich, nämlich die folgenden: reflektiertes Wissen über mich, meine Vorfahren und meine Religion, denn sie sind das, was mich von einem „normalen“ deutschen Bürger unterscheidet und ständig in Gespräche verwickelt. Warum lebe ich eigentlich in Deutschland, was sagt meine Religion zu gewissen Themen, wie stehe ich dazu usw. Es gibt so einige Fragen, die man sich im Leben zuerst selbst beantworten sollte, bevor man mit seinem eigenen Unwissen über sich konfrontiert wird. Das reflektierte Wissen ist deshalb so wichtig, weil man wissen sollte, was man weshalb tut, um sich darüber im Klaren zu sein – und weil man die Tatsache nicht umgehen können wird, auf seine Religion angesprochen zu werden.

Der Glaube ist in erster Linie eine Angelegenheit des Herzens und nicht für den Menschen sichtbar. Was jedoch die Gottesdienste angeht, so sind diese auch mit dem Auge wahrnehmbar, wie das Gebet, das Fasten oder die Kleidung. Hier, bei den gottesdienstlichen Handlungen, beginnt die meiner Meinung nach einzige Herausforderung in der Gesellschaft für uns Muslime, mit der wir umgehen müssen. Diese einzige Herausforderung darf nicht unterschätzt werden, da man ständig mit ihr konfrontiert wird. Hier sei erwähnt, dass Herausforderungen nicht unbedingt negativ aufgefasst werden müssen, denn dem Begriff selber kann entnommen werden, dass er die Förderung beabsichtigt. Es kommt also ganz auf den Blick an, den der Betrachter auf das Geschehen richtet. „Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters.“

Im Bezug auf das Praktizieren des Glaubens werde ich nur auf die für mich wichtigsten Schwierigkeiten eingehen. Eine dieser Herausforderungen ist es, das Kopftuch zu tragen und sich nach den islamischen Kleidungsvorschriften zu kleiden. Wir reden in Deutschland von Religionsfreiheit, somit auch über die Freiheit, den Glauben zu praktizieren, und von Meinungsfreiheit, aber wenn manchen Menschen etwas Ungewohntes ins Auge sticht, was ihnen fremd und anders erscheint, nehmen sie sich oft das Recht, die Grenzen ihrer Freiheit zu überschreiten, indem sie versuchen, die Freiheit anderer einzuschränken. Andere handhaben es so, dass sie das Fremde ausblenden und wegschauen – dabei bildet dieses Fremde einen Teil der deutschen Gesellschaft. Wieder andere sind offen für alles und jeden. Die Herausforderung kann zweierlei Konsequenzen haben: Die eine wäre, dass die betroffene Muslimin sich von der Gesellschaft abkapselt, weil sie sich nicht willkommen oder fremd fühlt. Die andere wäre, dass die Herausforderung als eine Art Stärkung des Wissens, des Glaubens und des Selbstbewusstseins aufgefasst wird, also als eine Förderung. Hier muss ich jedoch erwähnen, dass diese Herausforderung auch eine sehr hässliche Gestalt annehmen kann, wenn es z. B. zu Rassismus kommt. Wenn die betroffene Person schwach ist, verliert die Gesellschaft ein Mitglied, das seine zukünftige distanzierte Beziehung zur Gesellschaft damit begründet, dass diese sie und ihresgleichen nicht akzeptiert. Wenn die betroffene Person aber stark genug ist, dann wird sie zeigen, dass sie als Mitglied dieser Gesellschaft dieselben Freiheiten und Rechte besitzt, wird sich verteidigen und nicht gleich die gesamte Gesellschaft für ein unglückliches Erlebnis beschuldigen, sondern differenzieren.

Mir persönlich fällt es nicht schwer, mit schwierigen Situationen umzugehen, ob ich nun wegen des Kopftuches schief angeguckt werde, blöde Kommentare zu hören oder provokante Fragen gestellt bekomme, denn das sind keine Dinge, auf die man nicht reagieren könnte. Manchmal muss man selber etwas ignorieren, Blicke ausblenden oder gar dieselben Blicke zurückgeben, und bei blöden Kommentaren einfach mit blöden Kommentaren antworten, manchmal aber nur schweigen oder ignorieren. Auch wenn man im Alltag mit seiner eigenen Überzeugung, das Kopftuch zu tragen, sehr gut zurecht kommt, ist man gewissermaßen gezwungen, eine starke Haltung einzunehmen, da man ohne diese sehr viel Druck auf sich spürt. Das mag daran liegen, dass man z. B. auf der Jobsuche mit einem Kopftuch mindestens vier Mal so viele Bewerbungen verschicken muss, um angenommen zu werden, als jemand ohne Kopftuch, oder dass man meistens auf das Kopftuch reduziert wird und nicht auf seine Taten, seinen Charakter usw. Als selbstbewusste Muslimin bin ich bestrebt, diese Reduzierung aufzuheben und zu zeigen, dass das Kopftuch mich nicht verändert. Es ist, um es in anderen Worten zu sagen, ein Kampf um Selbstverwirklichung. Die einen kommen sehr gut damit zurecht, andere gehen unter. Von mir kann ich Gott sei Dank behaupten, dass ich zur ersten Gruppe gehöre, da ich mit der Zeit gelernt habe zu differenzieren, zu handeln und meinen Blick auf die Dinge zu ändern. Ich schaffe es, durch mein Handeln – durch Hilfsbereitschaft, freundliches Auftreten, ein Lächeln im Gesicht usw. – Respekt zu erlangen, Respekt, der mir als Mensch und Muslimin gezeigt wird.

Zum islamischen Fastenmonat Ramadan möchte ich gerne auch noch einige Zeilen schreiben. Beim Fasten hatte ich bis heute sehr selten mit Problemen zu kämpfen, da es eine für andere unsichtbare Handlung ist und sie nur dann auffällt, wenn ich selber sie bekannt gebe, es sei denn, mein Gesprächspartner ist über die Fastenzeit der Muslime informiert und spricht mich darauf an. Die einzige Herausforderung beim Fasten besteht darin zu erläutern, was, warum und für wen man das tut – und das ist machbar. Wenn man einige Fragen mit Humor aufnimmt, kann man sogar Spaß an den Fragen haben. Für uns steht fest: Es wird nicht gegessen und nicht getrunken. Für Leute, die sich nur wenig mit dem Islam und dem Fasten im Islam beschäftigt haben, bringen diese Vorgaben aber sehr viele Fragen mit sich, wie: „Dürft ihr nicht einmal einen einzigen Schluck Wasser trinken? Dürft ihr denn nicht einmal Kaugummi kauen?“ Dabei kann die Antwort bereits aus der Beschreibung „nichts essen und nichts trinken“ entnommen werden. Das Fasten macht in Deutschland wirklich Spaß, denn ich sehe, dass es auch interessierte Nichtmuslime gibt, die am gemeinsamen Fastenbrechen teilnehmen, sich informieren, Fragen stellen und mit uns gemeinsam Zeit verbringen. Der Segen des Ramadan macht sich wirklich überall bemerkbar, ob nun in muslimischen oder in nichtmuslimischen Ländern. Vieles andere, aber auch diese Tatsache zeigen mir immer aufs Neue, dass, wenn jeder, unabhängig von seiner Religion und seiner Kultur, seinem Gegenüber mit Respekt und Freundlichkeit entgegenkommt, wir uns und unserer Gesellschaft sehr viel Gutes tun können. Wenn wir dem Schlechten mit Gutem entgegenkommen, verlieren wir nichts, wir heben vielmehr den Wert der Menschlichkeit empor, und das ist das, was uns alle verbindet.

Menschlichkeit: Ich bin den Nichtmuslimen in Deutschland, die mich geprägt haben, dankbar für ihre Menschlichkeit, dankbar für ihre Freundschaft und dankbar dafür, dass sie mir gezeigt haben, dass es schade um die wertvollen Menschen wäre, wenn man alle über einen Kamm scheren würde und dass es sich lohnt zu differenzieren, indem man seinen Blick auf die Dinge ändert. Auch aus schlechten Erlebnissen kann man lernen oder etwas Gutes erkennen, wenn man nur richtig hinschaut. Daher behaupte ich, dass das Praktizieren des Glaubens für eine Muslimin nicht das Einfachste ist, wenn man in Deutschland lebt, da man mit so manchen kniffligen Situationen im Alltag konfrontiert wird. Doch es ist möglich. Es erfordert ein wenig Selbstinitiative und selbstverständlich eine gewisse Bereitschaft des Gegenübers, aber es ist machbar. Wir müssen alle nur wollen. Ich will definitiv! Daher wünsche ich mir, dass sich noch mehr Menschen dazu bereit erklären, Pluralität zu akzeptieren und zu respektieren, um die Menschlichkeit in den Vordergrund zu rücken, die in uns allen steckt.