Montenegro – stabile „gelenkte“ Demokratie auf dem Weg in die EU?

aus OWEP 4/2018  •  von Vedran Džihić

Dr. Vedran Džihić ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Sein Arbeitsgebiet sind die politischen und gesellschaftlichen Prozesse in Südosteuropa.

Zusammenfassung

Seit der Auflösung der Staatengemeinschaft mit Serbien bewegt sich Montenegro mit großen Schritten auf die Europäische Union (EU) zu. Allerdings gibt es, wie aus der nachfolgenden kritischen Analyse deutlich wird, noch zahlreiche Probleme wie z. B. die verbreitete Korruption und ein damit zusammenhängendes, noch aus der kommunistischern Vergangenheit stammendes Klientelsystem, das die notwendigen Reformprozesse immer wieder behindert.

Montenegro ist für europäische Verhältnisse in vielfacher Hinsicht ein außergewöhnliches Land. Es ist ein sehr kleines Land mit schillernder Geschichte, einer wunderschönen Landschaft, die vom hochalpinen bis zum mediterranen Flair reicht, und einem demokratisch gewählten Mann, der schon seit nahezu 30 Jahren die politischen Geschicke des Landes bestimmt. Der großgewachsene Politiker, ein charismatischer und äußerst wandlungsfähiger Leader und Geschäftsmann, Milo Đukanović, hat eine außergewöhnliche Bilanz vorzuweisen. 1991 übernahm er als 29jähriger das Amt des Ministerpräsidenten, wurde und blieb seit damals abwechselnd Staatspräsident, Premierminister und Anführer seiner Demokratischen Partei der Sozialisten (Demokratska stranka socijalista – DPS). Noch früher gehörte er zur absoluten Spitze des Bundes der Kommunisten Montenegros. Im Frühjahr 2018 ließ sich er erneut zum Präsidenten Montenegros wählen.

Gelenkte Demokratie oder gar demokratisch geschmücktes autoritäres System sei Montenegro, analysieren Kenner und werfen Kritiker dem Regime vor. Stabile Demokratie auf dem Weg in die EU und Mitglied der NATO mit fein austariertem Minderheitenschutz und guten nachbarschaftlichen Beziehungen, schmettern ihnen Đukanović und die Seinen entgegen. Die Einschätzung des politischen Daseins des (nach dem Kosovo) kleinsten Balkanstaates fällt multiperspektivisch und vielfältig aus.

Systemwechsel – von den ersten Mehrparteienwahlen bis zum Bruch mit Slobodan Milošević

Der Systemwechsel in Montenegro begann noch vor dem formalen Ende des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens und des sozialistischen Jugoslawiens selbst. Die Veränderung der ehemals kommunistischen Konstellation in Montenegro ging Hand in Hand mit der Verwandlung von Slobodan Milošević in Serbien von einem kommunistischen Funktionär zum Nationalisten. Die neue montenegrinische Elite lehnte sich sowohl programmatisch als auch ideologisch eng an Milošević an. Aus dem montenegrinischen Bund der Kommunisten wurde die heute regierende DPS, die von zwei Spitzenpersönlichkeiten angeführt wurde, von Momir Bulatović und vom damals amtierenden Premierminister Milo Đukanović.

Montenegro folgte zu Beginn der 1990er Jahre dem von Milošević vorgegebenen Tempo nahezu im Gleichschritt. Montengrinische Soldaten nahmen an Kampfhandlungen in Serbien und Kroatien teil und waren beispielsweise federführend bei der Bombardierung von Dubrovnik im Jahr 1991. Milo Đukanović, der für seinen Pragmatismus und den Spürsinn für ein politisch relevantes Handeln berühmt ist, spürte aber den Geist der Zeit (1996 und 1997 gab es massive Demonstrationen gegen Milošević in Serbien) und vollzog 1997 den endgültigen Bruch mit Milošević. Im Oktober 1997 fanden sich die ehemaligen Parteifreunde Bulatović und Đukanović auf jeweils unterschiedlichen Seiten im Präsidentschaftswahlkampf, den Milo Đukanović für sich entscheiden konnte. Bulatović gründete danach die oppositionelle Sozialistische Volkspartei, Đukanović baute seine Macht in Montenegro aus. Bis zum Sturz von Milošević blieb die Lage zwischen Podgorica und Belgrad durchaus angespannt.

Geschichte gespiegelt in der Gegenwart – Das Unabhängigkeitsdilemma und das politische System Montenegros

Nach dem Sturz von Milošević im Oktober 2000 kam es zu einer deutlichen Entspannung in den Beziehungen zwischen Serbien und Montenegro. Die montengrinische politische Führung unter Milo Đukanović verabschiedete sich aber relativ bald und spätestens durch die neuerliche Föderalismusdebatte des Jahres 2002 mental aus der jugoslawischen Rumpfföderation. Die gespaltene gesamtmontenegrinische politische Szene blieb in der Frage der Beziehung zu Serbien stark gespalten. Es gab einen starken Block im Land, der als pro-serbisch galt und der sich strikt gegen die Unabhängigkeit stellte. Der von Đukanović angeführte Block setzte sich andererseits vehement für die Unabhängigkeit ein. Hitzige und teils gewaltgeladene Debatten waren die Folge. Die politische Führung rund um Đukanović ließ sich noch im Jahr 2002 auf starken und vehementen Druck der EU hin überzeugen, für weitere drei Jahre von einem Unabhängigkeitsreferendum abzusehen und im losen Staatenbund „Serbien und Montenegro“ zu verbleiben.

2006 war es dann aber soweit. Nach dem Referendum im Mai 2006, bei dem sich 55,5 Prozent der Montenegriner für die Unabhängigkeit des Landes ausgesprochen hatten, erklärte Montenegro im Juni 2006 die Unabhängigkeit vom Staatenbund Serbien und Montenegro. Die Entscheidung wurde von heftigen Protesten des pro-serbischen Blocks begleitet, sie war jedoch unumkehrbar. Rasch vollzog sich danach die Integration Montenegros in internationale Organisationen. Die politische Landschaft blieb aber weiterhin sehr stark gespalten und polarisiert.

Das Dilemma, das sich im Prozess der Unabhängigkeitswerdung gezeigt hatte, spiegelt sich bis heute auf der Ebene der politischen Parteien wider. Auf der einen Seite steht die dominante DPS unter Đukanović. Die DPS konnte all die Jahre hindurch entweder alleine regieren bzw. es fanden sich immer Koalitionspartner, vor allem auch aus den Reihen der montenegrinischen Minderheiten, die an der Regierung teilnahmen. So formte die DPS nach den letzten Wahlen im 2016, die sie mit etwas mehr als 41 Prozent der Stimmen gewinnen konnte, eine Koalition, die vor allem aus besagten Minderheitenparteien besteht. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums findet sich fast schon traditionell ein relativ starker und kompakter politischer Block aus pro-serbischen bzw. Serbien-nahen Parteien, der im Jahr 2006 gegen die Unabhängigkeit und für den Verbleib im Staatenbund mit Serbien gekämpft hat und der in den 2010er Jahren vehement gegen den Beitritt Montenegros zur NATO ankämpfte. Hierzu zählten die Sammelbewegung Demokratische Front (Demokratska fronta), die Sozialdemokraten (Socijaldemokratska partija) sowie einige kleinere Parteien.

Die Kritik jener Parteien, die allgemein dem so genannten ehemals pro-serbischen und heute jedenfalls Đukanović- und DPS-kritischen Block dazugezählt werden, am System Đukanović ist auch heute noch harsch. Der Gegenkandidat bei der Präsidentschaftswahl im April 2018, Milan Bojanić, der auf 33,5 Prozent der Stimmen kam, bezeichnete nach der Wahl den Staat als von Đukanović und seinem politisch-ökonomischen Netzwerk „gekapert“ und kündigte an, gegen diese „Diktatur“ weiter zu kämpfen – harte Worte für den EU-Vorzeigekandidaten.

Innerparteilich ist aber in der DPS auch nicht alles eitel Wonne. Der derzeitige Premierminister und Đukanovićs Stellvertreter in der Partei, Duško Marković, gilt als ebenfalls machtbewusst und sorgt zumindest für gewisse Spannung innerhalb der DPS. In der Zwischenzeit kam es auch zu einer weiteren Zersplitterung der Parteiszene, sodass sich neue Parteien wie die Koalicija Ključ (Schlüsselkoalition) oder die zuletzt wenig erfolgreiche Partei Pozitivna Crna Gora (Positives Montenegro) bilden konnten. An der Dominanz der DPS konnten aber auch sie bislang wenig ändern.

Montenegro als „Frontrunner“ der EU-Integration auf dem Balkan?

Die Phase zwischen 1997 und 2006 war geprägt von der grundsätzlichen und durchaus intern hitzig geführten Debatte über den Status des Landes.

Nachdem der Auflösungsprozess des Staatenbundes zwischen Montenegro und Serbien abgeschlossen war, wurde der Weg für den eigenständigen montenegrinischen Prozess der EU-Integration frei. Nach der Unabhängigkeitserklärung Montenegros Anfang Juni 2006 ging es mit der Integration von Montenegro in internationale Organisationen schnell voran. Neben der raschen Aufnahme in die Vereinten Nationen und den Europarat (Ende 2006) machte man mit der Unterzeichnung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens mit der EU im Oktober 2007 den ersten Schritt Richtung EU-Mitgliedschaft. Die Unterstützung für den Prozess der EU-Integration war wie in allen anderen Westbalkanstaaten am Beginn des Prozesses sehr groß, nahm dann jedoch mit der langen Wartezeit etwas ab, sodass man heute eher von einer nüchternen und pragmatischen Einstellung der montenegrinischen Bevölkerung zum EU-Beitritt sprechen kann.

Die politische Führung nennt das Ziel des EU-Beitritts als die oberste Priorität für Montenegro. Die formalen Schritte nahm man jedenfalls rasch und im regionalen Vergleich betrachtet erfolgreich in Angriff. Im November 2010 wurde Montenegro offiziell ein Kandidatenland für den Beitritt. Im Juni 2012 nahm das Land formell die Verhandlungen mit der EU auf. Seit 2012 konnten nahezu alle Verhandlungskapitel geöffnet und drei davon auch geschlossen werden. Nominell ist Montenegro mit dieser Anzahl der eröffneten Kapitel die Nummer eins in der Region, allerdings lassen große und auch von der EU-Kommission kritisierte Bereiche wie Justiz, öffentliche Verwaltung oder Freiheit der Medien darauf schließen, dass die weiteren Fortschritte nicht so einfach zu erzielen sein werden. Im Jahr 2018 nannte die EU-Kommission selbst das Jahr 2025 als ein mögliches Beitrittsjahr für Montenegro und Serbien. Die Debatten, aber auch die Probleme in der Region ebenso wie in der EU (Stichwort „Erweiterungsmüdigkeit“) lassen dieses Datum allerdings kaum als realistisch erscheinen.

Ein anderer Integrationsschritt konnte in der Zwischenzeit erfolgreich abgeschlossen werden, und zwar der Beitritt Montenegros zur NATO, der im Juni 2017 erfolgte. Vor dieser Entscheidung, aber auch danach gab es heftigen Widerstand Russlands gegen die NATO-Mitgliedschaft Montenegros. Zur Debatte gehörte auch ein angeblicher und bis heute nicht restlos aufgeklärter Putschversuch seitens pro-russischer und pro-serbischer Kräfte im Vorfeld der Wahlen von 2016. Diesen Putschversuch, den die montenegrinischen Sicherheitskräfte vereitelt haben und bei dem Milo Đukanović selbst angeblich getötet werden sollte, nutzte Đukanović geschickt aus, um seine eigene Position noch einmal abzusichern und die pro-serbische Opposition zu diskreditieren.

Wenig schmeichelhafte Innenansichten des Đukanović-Regimes

Alle zwei Jahre veröffentlicht die EU-Kommission ihre Berichte über den Fortschritt der einzelnen Kandidatenländer auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft. Auch wenn Montenegro sich selbst gerne als Champion der europäischen Integration und „Frontrunner“ auf dem Balkan sieht, ist die Bilanz der EU in einigen Bereichen wenig schmeichelhaft. Kritisiert werden vor allem die politische Kontrolle der Justiz, der Zustand der Medienfreiheit und die ausgeprägte Korruption.

Man betont im Bericht, dass es an der Zeit sei, „die Meinungs- und Medienfreiheit zu stärken und die Bilanz bei der Bekämpfung von Korruption, organisiertem Verbrechen, Geldwäsche und Menschenschmuggel“ zu verbessern. Korruption, so der EU-Bericht, sei in vielen Bereichen „vorherrschend“ und bleibe „ein Grund zur Sorge.“ Berichte über Korruptionsfälle füllen in Montenegro tagtäglich die Medien und Online-Kommentarspalten. Die folgende Illustration vermittelt einen Eindruck über die Gestalt und die Form mutmaßlicher Korruptionsmachenschaften:

„Außen öko, innen korrupt“, titelte „Spiegel Online“ in einem Beitrag im Juli 2018 und thematisierte die Selbstvermarktung Montenegros als „Öko-Staat“, dessen korrupte Eliten und Geschäftsmänner konsequent mit immer wieder neuen Projekten die Umwelt systematisch zerstören.1 Im Spiegel-Bericht erwähnt man das Beispiel der Privatisierung der Saline-Werke in Ulcinj, die einst zu den größten Salz-Produzenten der Region gehörten und die heute brachliegen. Die Saline-Werke wurden 2005 für eine geringe Summe privatisiert, das Naturschutzgebiet wurde dann vom Parlament zum Bauland umgewidmet. Der Plan war, auf dem Areal ein Luxusresort zu bauen, finanziert von der größten Privatbank Montenegros, der Prva Bank, deren Mehrheitsaktionär einer der mächtigsten Männer der kleinen Republik ist, nämlich Aco Đukanović, der Bruder von Milo Đukanović. Erst auf starken Druck der EU hat die Regierung die Umwidmung zurückgenommen.

Zu den wohl am wenigsten schmeichelhaften Innenansichten Montenegros gehört zweifelsohne die Frage nach der Medienfreiheit und der Freiheit der Journalisten. Montenegro zählt allen relevanten Berichten (auch jenen der EU) zufolge zu den gefährlichsten europäischen Ländern für Journalisten. In den letzten beiden Jahrzehnten gab es dutzende Angriffe auf Journalisten unabhängiger Medien. Der Regimedruck auf Medien insgesamt ist sehr groß, sodass der Großteil der Medien einer direkten Kritik des Regimes aus dem Weg geht. Im Frühjahr des Jahres schlugen zwei direkte Angriffe auf Journalisten hohe Wellen sowohl in Montenegro als auch in der EU. Im April wurde zuerst der Privatwagen eines Journalisten der unabhängigen Tageszeitung „Vijesti“ mit einer Bombe angegriffen. Wenige Wochen später wurde die in der Vergangenheit bereits mehrere Male attackierte Investigativjournalistin derselben Tageszeitung, Olivera Lakić, vor ihrem Wohnhaus im Zentrum von Podgorica angeschossen. Lakić berichtete für „Vijesti“ vor allem über das organisierte Verbrechen im Land und die zahlreichen Verquickungen zwischen kriminell-mafiösen Gruppen und der Staatsführung.

Berichte über Mafia und Bandenkriege und eine Unterwanderung der montenegrinischen Gesellschaft durch organisierte Kriminalität gehören in Montenegro nahezu zum Alltag. 2016 gab es im Vorfeld der Parlamentswahlen eine Reihe von Straßenschießereien, Autobombenanschlägen und sonstigen Angriffen, die auch westliche Zeitungen wie z. B. die Wiener „Die Presse“ zu Berichten unter Titeln wie „Montenegro im Würgegriff der Mafia“ veranlassten.2 2018 berichtete beispielsweise die ARD unter dem Titel „Kampf gegen die Mafia in Montenegro. Brutaler Bandenkrieg im Urlaubsparadies“ über den erbitterten Kampf zweier Drogenclans, dem allein in der malerischer Küstenstadt Kotor in den letzten Jahren 30 Menschen zu Opfer gefallen sind.3

Zu den Innenansichten des montenegrinischen politischen und gesellschaftlichen Systems gehört aber sicherlich auch eine durchaus lebendige zivilgesellschaftliche Kultur. In einer Situation, in der in Montenegro genauso wie in der größeren südosteuropäischen Region das Vertrauen in das politische System, seine Institutionen und politischen Repräsentanten generell niedrig ist, ist die öffentliche Arbeit von engagierten Nichtregierungsorganisationen (NGOs) von großer Bedeutung. NGOs wie das Center for Civic Education MANS (Netzwerk zur Stärkung des NGO-Sektors), Organisationen wie Civic Alliance und viele andere tragen mit ihren Aktivitäten immer mehr dazu bei, dass Montenegro demokratischer wird. Kleinere Initiativen, die sich beispielsweise in der Stadt Ulcinj, aber auch in anderen Städten gegen die Umweltzerstörung der Küste und des Landes insgesamt auflehnen, vervollständigen das Bild einer Gesellschaft, die zwar politisch und wirtschaftlich von einer Partei und einem politisch-ökonomischen – und bisweilen klientelistischen – Netzwerk dominiert und kontrolliert wird, in dem sich aber immer wieder auch Widerstand regt.

Der „Zar Milo“ und Montenegro: Auf Ewigkeit verknüpft?

Am 15. April 2018 wurde Milo Đukanović erneut zum Staatspräsidenten Montenegros gewählt. Im Laufe dieser Amtszeit, im Jahr 2021, wird er das 30jährige Jubiläum an der Macht feiern. 2021 wird der im Volksmund stets nur Milo genannte Đukanović noch nicht einmal 60 Jahre alt sein und damit im besten politischen Alter. Ein anderer starker Mann, der US-amerikanische Präsident Donald Trump, wird im Jahr 2021 75 Jahre alt sein. 2017 schob Donald Trump beim NATO-Gipfeltreffen in Brüssel den damaligen Premierminister Montenegros, Duško Marković, unelegant zur Seite. Der Schubser ins Rampenlicht wäre Milo Đukanović, der von Journalisten oft als „Zar Milo“ tituliert wird4, mit seinen zwei Metern nicht so leicht passiert.

Wird Milo das Kunststück schaffen, das keinem anderen bislang gelang, ein Land als ehemaliger kommunistischer Funktionär und drei Jahrzehnte „demokratisch“ regierender Politiker in die EU zu führen? Wird es in der nahen Zukunft Montenegros jemanden geben, der Milo aus dem Rampenlicht „schubsen“ können wird? Aus der Perspektive der letzten drei Jahrzehnte muss man sich nahezu fragen, ob es jemals und, wenn ja, wie einen demokratischen „Milo-Systemwechsel“ in Montenegro geben wird – eine Frage, die in diesem außergewöhnlichen Land wohl nicht einmal die besten Prognostiker beantworten können.

Jenseits der Frage nach dem Schicksal des Präsidenten von Montenegro stellt sich die Frage nach der Zukunft des von Đukanović etablierten Systems der gelenkten Demokratie. Es ist aus der derzeitigen Perspektive offensichtlich, dass es einen Beitritt zur EU mit eklatanten Schwächen im Justiz- oder Medienbereich nicht geben wird. Andere geopolitische Player wie Russland oder neuerdings China spielten bzw. spielen weiterhin in bestimmten Phasen der montenegrinischen Entwicklung eine finanzielle oder politische Rolle, sie bieten aber keine Entwicklungsvisionen oder Integrationsperspektiven. Dies kann weiterhin nur die EU anbieten, vorausgesetzt, die Erweiterung bleibt als wichtiges Projekt hoch auf der Agenda der EU.

Sicher ist, dass Montenegro für einen möglichen Beitritt zur EU noch weiter demokratisch reifen, ja als Gesellschaft emanzipierter und erwachsener werden muss. Und vermutlich wird es einen Beitritt Montenegros nicht ohne einen gleichzeitigen Beitritt anderer so genannter „Westbalkanstaaten“ geben können, vor allem auch nicht ohne Serbien, den einst großen Bruder Montenegros.


Fußnoten:


  1. Keno Verseck: Außen öko, innen korrupt, Spiegel Online, 07.07.2018: http://www.spiegel.de/politik/ausland/montenegro-und-korruption-der-schmutzige-oeko-staat-a-1216578.html (letzter Zugriff: 29.11.2021). ↩︎

  2. Thomas Roser: Montenegro im Würgegriff der Mafia, Die Presse, 12.10.2016; https://diepresse.com/home/panorama/welt/5100793/Montenegro-im-Wuergegriff-der-Mafia (letzter Zugriff: 29.11.2021). ↩︎

  3. Michael Mandlik: Kampf gegen die Mafia in Montenegro, ARD, Südosteuropa, 17.04.2018; https://www.ard-wien.de/2018/04/17/montenegro-kampf-gegen-die-mafia/ (letzter Zugriff: 19.11.2018 - Link mittlerweile inaktiv!). ↩︎

  4. Siehe zum Beispiel den Bericht über die Präsidentschaftswahl in Montenegro am 16.04.2018 in „Die Presse“, https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5406897/Montenegro_Zar-Milo-zementiert-seine-Macht (letzter Zugriff: 29.11.2021). ↩︎