1929: Ein Kalender ohne Sonntag wird eingeführt
Die Kalenderreform von 1929 sollte sowohl die Produktion rationalisieren als auch die Bevölkerung von der Religion entfremden. Juri Larin schlug im Mai 1929 dem 5. Sowjetkongress eine ununterbrochene Arbeitswoche vor. Die geplante Fünftagewoche (später Sechstagewoche) schuf den Sonntag als Ruhetag ab. Um die Produktion zu steigern, sollten 80 Prozent der Arbeiter einer jeden Fabrik täglich (mit Ausnahme von Staatsfeiertagen) bei der Arbeit sein, während 20 Prozent frei hatten. Jeder Tag war durch eine von fünf Farben und durch die römischen Zahlen von I bis V markiert.
Jeder Arbeiter hatte eine Farbe bzw. eine römische Ziffer, die den eigenen arbeitsfreien Tag kennzeichnete. Da Eheleuten, ihren Verwandten und Freunden oft verschiedene Farben zugeteilt wurden, hatten sie keinen gemeinsamen Ruhetag für die Familie und ihr Privatleben. Maschinen wurden öfter defekt, weil sie von ungeübten Arbeitskräften bedient wurden.
Die Umstellung auf die ununterbrochenen Produktionswochen begann nach und nach. Neben Feiertagen wie der Erinnerung an die Oktoberrevolution und an die Pariser Kommune verzeichneten die Kalender für 1929 noch Ostern, Christi Himmelfahrt, Pfingsten, Verklärung und Weihnachten, allerdings nach dem Gregorianischen Kalender, der in der UdSSR 1918 eingeführt worden war. Das änderte sich 1930, obwohl das russische Wort für Sonntag, „Auferstehungstag“, erhalten blieb.
Am 1. Oktober 1930 arbeiteten angeblich 72,9 Prozent der Arbeiter nach dem neuen Schema. Danach fiel der Prozentsatz. Die offiziellen Zahlen sind nicht zuverlässig, weil manche Fabriken wahrheitswidrig angaben, sie hätten auf den neuen Kalender umgestellt. Die Arbeiterschaft war gegen das neue Modell. Am 27. Juni 1940 wurde die traditionelle Siebentagewoche mit dem Sonntag als freiem Tag wieder eingeführt.
Deutsch von Prof. Dr. Thomas Bremer