Das Werk des Dominikaners Jan Góra.

Die Lednica-Bewegung in Polen (Fallstudie)
aus OWEP 1/2003  •  von Wolfgang Grycz

Wolfgang Grycz, Slawist, ist Mitglied der Redaktion dieser Zeitschrift.

Vor 25 Jahren fuhr ein junger Dominikanerpater aus Warschau nach Poznań/Posen. Er ist zutiefst enttäuscht von der Welt, von seinem Orden. Seine Oberen haben ihm den ganzen Lebensplan zerstört. Schließlich ist er zu den Dominikanern gegangen, weil dieser Orden für solide Wissenschaft steht. Daraus wird nun nichts. Seine Mitbrüder reißen ihn aus der Arbeit an der Dissertation, schicken ihn zur Seelsorge für Oberschüler. Entsprechend ist seine Stimmung. Er folgt dem Befehl des Ordens, aber er ist „sauer“. In Posen lässt er dies die ihm anvertrauten Jugendlichen deutlich spüren. Er ist mürrisch und schroff zu ihnen, wimmelt sie ab, hofft, dass sie ihn in Ruhe lassen.

Heute ist der gleiche Pater Jan W. Góra ein Magnet für viele Tausende – vor allem junge – Menschen in Polen. Am Samstag vor Pfingsten 2002 strömten über 100.000 Jugendliche nach Lednica, einem an einem See gelegenen – bisher unbebauten – Gelände zwischen Posen und Gnesen/Gniezno. Diese Hunderttausend feierten mit ihm und anderen Geistlichen und Bischöfen, sie sangen, sie tanzten bis in den Morgen des Pfingstsonntags hinein. Es war ein Fest der Freude, des Lebens, des Zugehörigkeitsgefühls zu Christus. Höhepunkt war eine auf Bildschirmen übertragene Ansprache des Papstes an die auf den Feldern von Lednica versammelten Jugendlichen.

P. Góra hatte nichts für die Jugend übrig, als er nach Posen kam. Die Arbeit mit ihr empfand er als Demütigung. Aber es waren die Jugendlichen, die nicht aufgaben, die sich nicht entmutigen ließen von seiner Unlust. Monate später fand er, wie durch ein Wunder, Gefallen an der ihm zugewiesenen Arbeit, er lernte die jungen Menschen schätzen und lieben. Bald merkte er, dass er den Weg zur Jugend fand, zu ihrer Lebens- und Denkweise, dass er die richtigen Worte für sie hatte, dass sie ihn brauchten.

Gegen das Pathos in der Kirche

Dominikanerpater Góra spricht stets „zur Sache“. Er weiß, wie gerade auch in Polen die Sprache der Kirche lebensfremd ist, überladen, salbungsvoll. Viele Geistliche pflegen in der Seelsorge eine „feierliche“ Sprache, sind nicht mehr fähig, über religiöse Dinge anders als emphatisch zu reden. Während aus dem öffentlichen Leben der schwülstige Jargon der Kommunisten verschwunden ist, blieb das kirchliche Pathos erhalten. In den Kirchenmauern regiert weiterhin eine „Sprache der Aggression und des Pathos ... Seit dem Mittelalter herrscht in der Kirche ein erhabener Stil, so als könnte man von erhabenen Dingen nicht ganz normal sprechen.“ Dieser Stil solle fehlende „persönliche Glaubenserfahrung“ ersetzen. Dazu komme eine „schreckliche Manie, Worte von Dichtern, des Primas oder des Papstes zu zitieren, wenn man selber nicht viel zu sagen hat“.1

Jan Góra weiß, wie man zu den jungen Menschen reden muss. Was er sagt, ist von Religiosität geprägt, aber er spricht klar, in anschaulichen Bildern, er „schwafelt“ nicht, sondern findet Worte, die dem Fühlen und Denken der heutigen Jugend entsprechen.

Bald ist er nicht nur in Posen bei der dortigen Oberschuljugend und den Studenten bekannt, sondern sein Ruf geht über das westliche Polen hinaus. In den Ferien fährt er mit jungen Menschen in die Berge, redet mit ihnen über Gott und die Welt, sucht mit ihnen Auswege aus Problemen. Weit entfernt von Posen, im Bergland der südpolnischen Diözese Tarnów, baut er mit Hilfe der Jugend ein akademisches Zentrum auf. Wie für ihn typisch, scheut er die damit verbundenen Schwierigkeiten nicht. In einem von den Deutschen fast völlig zerstörten Dorf lässt er sich eine zerfallene Berghütte schenken. Dazu bekommt er ein Stück Wald und einen ganzen Berg, an dem die Hütte steht. Mühsam und unverdrossen baut er dort kleine Häuser, die zu einem Zentrum zusammenwachsen. Die Jugendlichen wissen, dass sie dort nicht nur beten und fröhlich sein können, sondern auch Hand anlegen müssen.

Heute ist diese Begegnungsstätte der Jugend in dem Dorf Jamna in Polens Kirche ein Begriff. Natürlich fragt man sich, wie ein einzelner Mensch dies zuwege bringt: ohne das Wohlwollen der Bischöfe, ja manchmal ohne den Segen des Ordens. Pater Góra hat eine besondere Art, Menschen zu beeindrucken. Er weiß, wo er sie packen muss. Widerstände ist er gewohnt. Aus Niederlagen und Demütigungen macht er letzten Endes Erfolge. Immer wieder finden sich Wohltäter, die ihm bei der Verwirklichung seiner Pläne helfen.

Die Geschichte von Lednica

Die Geschichte der Lednica-Bewegung ist ein Beispiel dafür. Mitte der neunziger Jahre entsteht nach der Lektüre des Papstschreibens „Tertio Millennio Adveniente“ eine Idee. Dort ist von dem Tor die Rede – gemeint ist Christus –, das in das dritte Jahrtausend führt. Jan Góra will das mit einem Symbol verwirklichen. Der Papst hatte davon gesprochen, dass man diesen Übertritt ins dritte Jahrtausend „mit dem Bewusstsein der Geschichte“ vollziehen solle. Deshalb will er „dort, wo Polen geboren wurde, wo unsere Väter den Glauben annahmen“, ein solches Symbol errichten, und das muss also in der Nähe von Gnesen sein, wo die Taufe des ersten polnischen Fürsten erfolgt war. Nachdem er den Segen des Papstes für sein Vorhaben eingeholt hat, geht er an die Verwirklichung.

Am See von Lednica bei Gnesen findet er ein Grundstück, das riesige Gelände ist günstig zu haben. Aber für den Orden, für Góra sind 700 Millionen alte Zloty (= 70.000 neue Zloty) eine gewaltige Summe. Ein Zufall führt ihm eine vermögende Gottesdienstbesucherin in den Weg. Und der Erwerb des Grundstücks ist gesichert. Auf den Feldern von Lednica entsteht ein Symbol von riesigen Ausmaßen: ein stählener Fisch – Erkennungszeichen der Christen, Ichthys. Die Konstruktion ist 39 m lang und 12 m hoch.

Góra findet Sponsoren, die das Geld für dieses Projekt aufbringen. 1997 überragt der stählerne Koloss das unbebaute Gelände. Natürlich gibt es – auch im Orden – viele, die ihn verspotten, sie halten ihn für einen Phantasten, der mit seinem riesigen Fisch allein bleiben werde, wenn er die Jugend dazu aufrufe, sich unter diesem christlichen Wahrzeichen zu versammeln. Im Sommer 1997 erhofft der Dominikanerpater, dass der Papst auf seinem Polenbesuch Lednica besucht und – wiederum symbolhaft – einen Jungen und ein Mädchen unter dem Fisch hindurch ins dritte Jahrtausend führt. Im Programm ließe sich das durchaus einrichten. Schon im weiten Vorfeld hatte der Papst den Wunsch geäußert, nach Lednica zu kommen. Aber zweifelnd fügte er im Brief an den Pater hinzu: „... aber werden sie das zulassen? ...“2

In der Tat gab es 1997 harte Widerstände, nicht zuletzt von einigen Bischöfen, die sich die Programmgestaltung nicht aus der Hand nehmen lassen wollten. Schließlich kann der Pater sein Versprechen an die Jugend nicht wahr machen, den Papst auf den Feldern von Lednica zu begrüßen. Aber Johannes Paul II. findet eine salomonische Lösung: auf der Reise nach Gnesen kreist er mit dem Hubschrauber mehrmals über dem Fisch von Lednica und den 20.000 Jugendlichen.

Seither findet jedes Jahr am Samstag vor Pfingsten diese Begegnung am See von Lednica statt. Aus den 20.000 Teilnehmern wurden schließlich über 100.000 hauptsächlich jugendliche Christen, die sich zu dieser Zeit „unter dem Fisch“ zusammen finden. Es ist ganz offensichtlich: Jan Góras Optimismus steckt an. Er weiß die jungen Menschen zu nehmen, er „schaut dem Volk aufs Maul“, er spricht die Sprache der Jungen. Manchmal so sehr, dass ihm Kirchenmänner dies verübeln. In einer Reportage aus Jan Góras Seelsorgszentrum Jamna heißt es über ihn: „Góra, obwohl entschieden und standhaft in seinen Anschauungen, drängt nicht auf. Für ihn bedeutet ein katholisches Haus genauso viel wie: ein offenes und tolerantes Haus. ‚Ohne Zweifler ist es langweilig‘, pflegt er zu sagen.“3 Sein „Rezept“: er stellt keine Forderungen an die Jugendlichen, will ihnen nichts vorschreiben, sondern sie gewinnen. Er biete nur an. Die Wahl müssen sie selber treffen. Der Dominikaner weiß um Frust und Einsamkeit der Jugend in der Zeit des Umbruchs. Er will vor allem jene auffangen, die vor Vereinsamung flüchten und Gemeinschaft suchen.

Das Licht nicht unter den Scheffel stellen!

Pater Góra ist ein selbstbewusster Mensch. Das zeigt sich auch im persönlichen Gespräch, wo er ohne falsche Bescheidenheit auf Erfolge – wie auch auf Niederlagen – verweist. In früheren Jahren hat man ihm einen gewissen Narzissmus vorgeworfen. Aber wie ein Mitglied der Polnischen Bischofskonferenz zum Verfasser bemerkt: das hat sich sehr gegeben. Überhaupt sind die Widerstände von seiten des Klerus – am Anfang recht beachtlich – stark zurückgegangen. Vor zehn Jahren hätte man es sich noch nicht vorstellen können, dass dieser Priester zu Veranstaltungen über tausend Geistliche versammelt. Und Jan Góra denkt gar nicht daran, sein – seiner Bewegung – Licht unter den Scheffel zu stellen.

Jan Góra weiß, wieviel er dem Beistand des Papstes verdankt. Dieser begleitet die Begegnungen in Lednica mit besonderer Sympathie. Ausdruck dessen: die alljährlichen Botschaften für die dort Versammelten. Aus der Korrespondenz Johannes Pauls II. wird deutlich, wie sehr er das Werk unterstützt. Diese Hilfe ist nützlich, aber sie schafft auch Neider. Ärger ist es, wenn Gegner ihm „Populismus“ vorwerfen. Das scheint denn doch zu weit gegriffen. Wie mir scheint, bedient sich Jan Góra keiner unerlaubten Tricks, um Menschen anzuziehen. Er ist ein polnischer Patriot, aber er lässt die Hände von der Politik. Auf die Frage, ob sein Werk nicht politisch einseitig vereinnahmt werden könne, stellt er klar: ihm sei jeder willkommen, ob er aus dem postkommunistischen SLD oder aus dem katholisch-nationalen ZChN komme.4

Damit zeigt er, dass man in Polen viele Tausende junge Menschen für die Kirche mobilisieren kann, ohne an dumpfe politische Instinkte zu appellieren. Bezeichnend für Góra ist, wenn er auf die Frage einer Reporterin, was er mit dem Namen „Grunwald“ assoziiere, antwortet. Da falle ihm zuerst das gleichnamige gute Bier ein. Dabei ist doch jeder „national korrekte“ Pole gehalten, mit dem Namen „Grunwald“ das Jahr 1410 und den dortigen Sieg der Litauer und Polen über die „Kreuzritter“ zu verbinden.5

Natürlich ist zu fragen: Wie soll es weitergehen mit Lednica? Genügt es, einmal im Jahr eine riesige Schar junger Katholiken zu versammeln? Góra verweist darauf, dass im ganzen Lande in den Pfarreien „Botschafter von Lednica“ tätig werden. Sie sollen ein Netzwerk bilden, das die Bewegung trägt. Góra und seine Mitarbeiter – bisher alles Ehrenamtliche – haben die Vision, dass die Idee von Lednica ein Echo findet im übrigen Europa. Schon in den letzten Jahren gab es Flyer, die – auch in deutscher Sprache – zur Begegnung am See von Lednica einluden. Aber es sollen noch mehr kommen. Schließlich haben sich im Jahre 1000 in Gnesen, nur wenige Kilometer von Lednica entfernt, der deutsche Kaiser Otto III. und andere hohe Würdenträger getroffen: ein Symbol, dass die christlichen Völker Europas zueinander finden. Diesen Aspekt will Jan Góra noch stärker betonen. Schon jetzt lädt ein Flugblatt für den 7. Juni 2003 zur Begegnung nach Lednica ein.

Pater Góra arbeitet gern und erfolgreich mit Symbolen. Die Teilnehmer an den Begegnungen erhielten Ringe zur Erinnerung an das Band, das sie mit Christus und mit Lednica verbindet. Kleine Ruder mit der Aufschrift des Papstes erinnern daran, dass die Apostel – und wir – missionarisch tätig, Menschenfischer sein sollen. Die päpstliche Aufschrift erinnert an das Wort Jesu an Petrus vor dem Fischfang: „Fahr auf das tiefe Wasser hinaus.“ Und der Papst fügt hinzu: „Fürchte dich nicht!“ Dieses „Fürchte dich nicht“ scheint über Góras gesamter Tätigkeit zu stehen. Er will den jungen Menschen die Angst nehmen vor den auf sie einstürmenden Problemen der Transformationszeit, will sie Halt finden lassen bei Christus. Dass er dabei nicht pathetisch wird, sondern eine nüchterne, wenn auch begeisternde Sprache gebraucht, hat Erfolg.

Zwei Fragen drängen sich auf: Wird das Werk von Pater Góra Bestand haben? Die Zahlen sprechen dafür. Aber hängt nicht alles zu sehr an seiner Person? Bisher gibt es nur ehrenamtliche Mitarbeiter. Eine Struktur muss sicher geschaffen werden, aber sie bringt auch Gefahren. Die zweite Frage ist die nach der Grenzüberschreitung dieser Bewegung: Wird diese Sprache der Symbole, die vor allem unter der Oberschuljugend so „greift“, auch weiter westlich ankommen? Pater Góra lässt sich vom Zweifel des Beobachters aus Deutschland nicht beirren: Schwierigkeiten sei man gewöhnt, Skepsis und Vorbehalte habe es auch in Polen genug gegeben, er ist optimistisch.

Informationen zu Lednica (in deutscher Sprache): E-mail gluck@amu.edu.pl


Fußnoten:


  1. Jan Góra OP, Pijani Bogiem (Trunken von Gott), Poznań 1994, S. 114 f. ↩︎

  2. Faksimile des Papstschreibens an Pater Góra vom 17.12.1995, in: Ryba to znaczy Chrystus (Fisch – das bedeutet Christus), Poznań 2002, S. 20. ↩︎

  3. Monatszeitschrift „Więź“, Nr. 12/2001, Warschau, S. 25 ff. ↩︎

  4. Ryba to znaczy Chrystus (wie Anm. 2), S. 64. ↩︎

  5. Gazeta Wyborcza, Ausgabe Poznań, 31.08.2002. ↩︎