Die Dialoge von Arnoldshain und Sagorsk und die friedensethische Diskussion

aus OWEP 2/2003  •  von Heiko Overmeyer

Heiko Overmeyer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ökumenischen Institut der Katholisch-Theologischen Fakultät in Münster.

Seit dem Untergang des Kommunismus in Europa werden die Stimmen lauter, die das ökumenische Handeln in der Zeit des Systemkonfliktes zwischen Kirchen in westlich geprägten demokratischen Gesellschaften und kommunistischen Gesellschaften negativ bewerten. Besonders stark kritisiert man die gesellschaftsethisch-ökumenische Diskussion zwischen west- und osteuropäischen Kirchen über die Systemgrenze hinweg. Es wird der Verdacht geäußert, dass jegliche gesellschaftsethische – besonders jede friedensethische – Diskussion stärker von Geheimdiensten und Regierungsinstitutionen der kommunistischen Staaten als von den Kirchen selbst bestimmt wurden.

Ein Bestandteil ökumenischer Bemühungen dieser Zeit sind die bilateralen Dialoge zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK), die von 1959 bis 1990 unter dem Namen „Arnoldshainer Gespräche“ stattfanden; ein anderer die Gespräche zwischen dem Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) und der ROK, bekannt unter dem Namen „Sagorsker Gespräche“, von 1974 bis 1990.

In diesem Artikel soll anhand dieser beiden bilateralen theologischen Dialoge hinterfragt werden, ob der Verdacht zutrifft, dass die während der Dialoge erfolgte Behandlung friedensethischer Themen allein vor dem Hintergrund staatlich-kommunistischer Beeinflussung bewertet werden darf – oder ob ein solcher Umgang mit derartigen ökumenischen Diskussionen nicht erheblich zu kurz greift und manch wichtige Perspektive von vorneherein verschließt.

Die Friedensthematik in der Diskussion: Nachträgliche Bewertungen

Aktuelle Veröffentlichungen, die sich mit den bilateralen theologischen Dialogen von Arnoldshain und Sagorsk beschäftigen, konzentrieren sich zumeist auf die systematisch-theologischen Ergebnisse dieser Gespräche. Fast schon verschämt wird in ihnen am Rande erwähnt, dass neben den theologischen loci auch über sozialethische Themen – im Regelfall die Friedensthematik – gesprochen wurde. Dabei wird die friedensethische Diskussion als obligatorisches Thema gesehen. Über diese Feststellung geht man in der Bewertung der sozialethischen/friedensethischen Diskussion bei den Dialogen selten hinaus. Das hat zur Konsequenz, dass sich der folgende Eindruck verfestigt: Zwar wurde im Verlauf des Arnoldshainer und des Sagorsker Dialoges über das Thema Frieden gesprochen, die Beschäftigung mit diesem Thema war allerdings anderen Interessen geschuldet als dem theologischen der beteiligten Kirchen; aus diesem Grund ist eine heutige Beschäftigung mit den festgehaltenen Dialogergebnissen zur Friedensethik nicht nötig.

Eine derartige Wertung scheint auf den ersten Blick gerechtfertigt zu sein, zumal sie nicht neu ist. Gleich von mehreren Seiten werden Begründungen angeführt, die darauf schließen lassen, dass die Beschäftigung mit der Friedensethik keine seriös theologische war: Klaus Schwarz weist darauf hin, dass mit der neuen politischen Ausgangslage die Notwendigkeit weggefallen sei, in das Kommuniqué der Dialoge „staatlich empfohlene friedenspolitische Formulierungen“ einzuarbeiten.1 Heinz Joachim Held verweist auf politische Erwartungen der sowjetischen Außenpolitik, die spürbar gewesen seien.2 Und ganz offiziell hält das Kommuniqué des ersten Bad Uracher Gespräches zwischen EKD und ROK fest, dass die Dialogergebnisse zweideutige Formulierungen enthalten und die öffentliche Rede der Kirchen aus sozialistischen Ländern natürlich eingeschränkt gewesen sei.3 Am deutlichsten wird Vladimir Ivanov, der die Notwendigkeit sieht, die komplette ökumenische Sprache der Ökumene des Kalten Krieges zu entschlüsseln und die Dialoge von Arnoldshain und Sagorsk im Hinblick auf ihre doppeldeutige Sprache zu bewerten. Er sieht das Gewicht beider Dialoge durch die Behandlung der Friedensthematik deutlich gemindert, differenziert aber zwischen dem Arnoldshainer Dialog, der wenigstens ein Dialog auf hohem theologischen Niveau zu sein scheine, aber mehr und mehr auch auf das Friedensthema eingehen musste, und dem Sagorsker Gespräch, das von Anfang an auf Zweideutigkeit angelegt gewesen sei.4 Ivanovs Kritik gipfelt in der Aussage: „Das gute Wort vom ‚Friedensdienst‘ verdeckte nicht selten die unguten politischen Ziele des Kreml.“5

Diese Bewertungen wirken eindeutig, bilden aber nur die eine Seite der in Bad Urach I vorgenommenen Evaluierungen ab. Denn neben der vernichtenden Kritik an der Behandlung des Friedensthemas, wie sie besonders von Ivanov geäußert wird, stehen deutlich differenziertere Aussagen. Anzuführen und zu bedenken ist zunächst ein Votum von Held, der sich auf den Arnoldshainer Dialog bezieht. Er stellt in keiner Weise in Frage, dass die Dialoge politischen Interessen unterworfen waren – gibt aber gleichzeitig zu bedenken, dass auch die Kirchen selbst politische Interessen verfolgten, nämlich die Verständigung und Versöhnung der deutschen protestantischen Kirchen und der ROK nach dem Zweiten Weltkrieg und die gemeinsame Diskussion über die Wahrnehmung gesellschaftlicher und politischer Verantwortung durch die Kirchen auf innerstaatlicher wie auch auf internationaler Ebene. Nach Held umfassen diese Ziele die Herausforderungen von Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit. Als Indiz dafür, dass die beteiligten Kirchen ihre eigenen Interessen im Dialog durchaus wahrnahmen, sieht er die scharfen Konfrontationen im Gespräch, die es auch im Bereich der Friedensthematik zwischen beiden Delegationen gegeben hat. Gleichzeitig bewertet er die Behandlung des Friedensthemas als Ermöglichungsbedingung der Dialoge und gibt zu bedenken, dass dies von beiden Dialogpartnern so verstanden wurde. Die Gefahr der ideologischen Befangenheit gerade bei diesem Thema war also gegeben und den Dialogpartnern bewusst. Zugleich seien die Kirchen aber von ihrer Berufung zum Frieden Christi überzeugt gewesen und hätten daraus ihre Berufung zum Wirken auch für den irdischen Frieden abgeleitet – ohne zu verkennen, dass die Möglichkeiten, diese Berufung umzusetzen, sehr stark von den jeweiligen gesellschaftlichen Umständen und historischen Konstellationen abhingen und dass gerade bei der Behandlung des Friedensthemas darauf geachtet werden musste, Kirche in ihrem ethischen Einsatz auch Kirche bleiben zu lassen.6

Daneben ist das Bad Uracher Votum von Günther Schulz zu beachten, der als Teilnehmer der Sagorsker Gespräche die in Sagorsk 5 (1984) gefasste Überzeugung anführt, dass die Kirchen an aktuellen politischen Aufgaben der Zeit nicht vorbeisehen können. Die Sagorsker Gespräche seien daher von der damaligen Situation der Welt an der Schwelle der Selbstvernichtung geprägt worden. Schulz benennt folgende Grundlage für die Sagorsker Dialoge: In Absetzung zu Arnoldshain wollte man den Dialog auf den Zeugnisauftrag von Kirchen in sozialistischen Gesellschaften fokussieren und dessen theologische und praktische Konsequenzen bedenken.7 Ohne Zweifel war gerade die Friedensethik einer der wenigen Bereiche, in denen Kirchen in sozialistischen Gesellschaften überhaupt aktiv Zeugnis ablegen konnten.

Natürlich lässt sich der Verdacht nicht ausräumen, dass die friedensethische Diskussion vorrangig ein politisch motiviertes und beeinflusstes Thema war. Ebenso verhält es sich mit der Annahme, dass das kirchliche Reden in diesen Dialogen, besonders in der Sagorsker Gesprächsreihe, bewusst doppeldeutig war. Müsste man aber in beiden Fällen nicht weitergehen und fragen, was die Dialogpartner mit ihrer möglicherweise zweideutigen Rede im Bereich der Friedensethik sagen wollten und welche politischen Ziele sie vielleicht selber in diesem Bereich verfolgten? Und müsste nicht gefragt werden, auf welche Weise die beteiligten Kirchen in diesen Dialogen doch ernsthaft zum Thema Frieden zu reden versuchten, gerade weil ihnen der politische Druck bewusst war? Könnte es nicht sein, dass in der Bewertung der Arnoldshainer und Sagorsker Gespräche ein nicht unwichtiges Diskussionsfeld vernachlässigt wird, wenn man vorschnell die Behandlung der Friedensethik als wertlos kritisiert?

Man kann punktuell einige Inhalte der friedensethischen Diskussion des Arnoldshainer Dialoges benennen und fragen, vor welchem Hintergrund die Friedensethik im Dialog mit der ROK diskutiert wurde. Eine solche Konzentration auf den Dialog zwischen EKD und ROK bietet sich an, denn die von Ivanov geäußerte Kritik trifft in besonderem Maße die EKD als die am Dialog beteiligte Kirche, die nicht im politischen Herrschaftsbereich des Kreml lag – und daher am wenigsten in der Situation war, das Problem des Friedens aufgrund politischen Drucks im Dialog thematisieren zu müssen.

Aspekte der friedensethischen Diskussion im Arnoldshainer Dialog: Zeitgenössische Bewertungen

Anhand der Kommuniqués und Thesen kann man feststellen, dass eine friedensethische Diskussion erstmals während des zweiten Gespräch des Arnoldshainer Dialogs im Jahre 1963 stattfand. Im Hinblick auf die Friedensproblematik wird zum einen festgestellt, dass die Kirchen gemeinsam zum Dienst an der Menschheit, der den irdischen Friedensauftrag enthalte, berufen seien. Dies beinhalte neben der ökumenischen Zusammenarbeit in diesem Bereich auch die Zusammenarbeit mit allen andersdenkenden Menschen guten Willens. Zum zweiten wird das Ziel dieses Friedensdienstes benannt: Ein Leben ohne Misstrauen zwischen den Staaten und ohne die Furcht vor Vernichtung zu ermöglichen. Beide Aussagen werden in Arnoldshain 3 wiederholt; dabei treten einige Konkretisierungen hinzu: Die Kirchen mögen sich im Zuge der Zusammenarbeit mit allen Menschen guten Willens dabei helfen, einen allein auf Hass fußenden Anti-Kommunismus abzubauen, und dazu beitragen, Krieg als ein Mittel der Politik generell zu ächten. Zudem wird erstmals im Rahmen des Arnoldshainer Dialogs betont, dass das Wirken von Kirchen in Gesellschaft und Welt von den jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Umständen bestimmt wird, und offen vor der Annahme gewarnt, die entzweite Welt könne sich aus eigener Kraft erlösen. In Ergänzung dazu wird in Arnoldshain 4 formuliert, wie die Erscheinungen des Bösen in der Welt konkret zu fassen sind. Genannt werden die Phänomene Egoismus, Rassenhetze, Angriffskrieg, soziale Ungerechtigkeit und Unterdrückung. Die Forderung nach Zusammenarbeit mit allen Menschen guten Willens gegen diese Erscheinungsformen des Bösen – auch über die Systemgrenzen hinweg – wird mit dem göttlichen Versöhnungswerk legitimiert. Im Rahmen der folgenden Begegnungen wird diese Position wiederholt und bekräftigt. Erst mit Arnoldshain 9 (1981) kommt es zu einem qualitativen Zuwachs: Da die Kirchen weder fähig noch befugt seien, politische Macht an sich zu nehmen und auszuüben, sei ihre einzige Einflussmöglichkeit in Zeiten von politischen Spannungen, immer wieder zu Verhandlungen aufzurufen. Daneben gebe es aber einen Bereich, in dem die Kirchen praktisch helfen könnten, die Ziele Überwindung von Misstrauen und Förderung von Verständigung und Zusammenarbeit zwischen den Völkern zu erreichen: die Erziehung zum Frieden. Im Rahmen der Verurteilung des Krieges als Mittel zur Austragung von Konflikten kommt es in Arnoldshain 10 (1984) zur Verurteilung des Atomkrieges und zur Bewertung dieses Krieges als Versündigung gegen Gott. Erneut wird – in diesem Fall vor dem Hintergrund der Ausweitung der Rüstung auf den Weltraum – die Schaffung einer Atmosphäre des Vertrauens zwischen den Staaten angemahnt. In Arnoldshain 11 (1987) wird darüber hinaus eine Mitarbeit der Christen an der Verwirklichung einer internationalen Ordnung angemahnt, in der eine Bedrohung durch Krieg ausgeschlossen ist. Einen sichtbaren Abschluss findet die friedensethische Diskussion mit Arnoldshain 12 (1990): Hier wird der Fokus weniger auf die Problematik des Friedens und mehr auf den Bereich der Diakonie gelegt.

Betrachtet man allein diesen kurzen und sicher rudimentären Überblick über die Ergebnisse der friedensethischen Diskussion des Arnoldshainer Dialoges, so kann die Bewertung unterschiedlich ausfallen: Ohne Zweifel wird man Anhaltspunkte dafür finden können, dass einige vertretene Positionen mit sowjetischen Positionsformulierungen übereinstimmen. Genauso gut kann man aber auch vermuten, dass sich einige Formulierungen auch gegen die Politik der Sowjetunion wenden ließen. Es ist also zu fragen, mit welchem Bewusstsein die Vertreter gerade der EKD den oben angeführten friedensethischen Formulierungen zustimmten. Um auf diese Frage eine befriedigende Antwort zu erhalten, sollen zum einen zwei publizierte Bewertungen des Arnoldshainer Dialoges von 1975 beziehungsweise 1985 und zum zweiten ein kircheninternes Positionspapier zur Diskussion der Friedensethik mit der ROK aus dem Jahr 1982 befragt werden.

Fairy von Lilienfeld sieht in ihrer Bewertung von 1975 das Problem für die ROK, dass jede ihrer öffentlichen Äußerungen von staatlicher Seite genau wahrgenommen werde und sofortige praktische Konsequenzen für die Kirche nach sich ziehen könne. Für Kirchen im Westen bestehe dagegen das Problem, alleine solche Stimmen aus der ROK vernehmen zu können, denen das Privileg zukomme, reden zu dürfen.8

Reinhard Slenczka problematisiert 1985 die Ebene der Begegnung: Kirchen begegnen sich nie in einem gesellschaftlichen Vakuum, was besonders für die Begegnung mit der ROK zutreffe. Gleichzeitig habe ein politisches Engagement von Christen und ihren Kirchen einen festen Platz im Leben der Kirchen. In diesem Kontext liegen für Slenczka nicht nur Probleme der Begegnung zwischen EKD und ROK, sondern auch Chancen: Die christliche Gemeinschaft könne auch dann erhalten bleiben, wenn menschliche und politische Zertrennungen das Leben prägen. Zwar werde im Dialog auch deutlich der politische Einfluss spürbar und die EKD werde gleichsam in die Kompromisse hineingezogen, die die ROK gegenüber ihrem Staat eingehen müsse – was bezogen auf die Dialoge besonders die friedensethischen Fragestellungen betreffe. Dennoch seien auch diese Fragestellungen und die Diskussion über sie ernst zu nehmen. Als Begründung seiner Haltung führt er unter anderem an, dass die Beiträge zu diesem Thema eine gute Form wahrten und dass sich die Diskussionen über die friedensethischen Themen nicht von denen unterscheide, die die Kirchen im Westen diesbezüglich miteinander führten.9

Neben diesen publizierten Bewertungen gibt es ein nicht veröffentlichtes Positionspapier der EKD von 1982, das Rückschlüsse darauf zulässt, mit welchem Bewusstsein die EKD das Friedensthema in Gesprächen mit der ROK thematisieren wollte – und darauf, welchen Wert man derartigen Gesprächen zumaß. Dieses Papier entstand vor dem Hintergrund einer Reise des Rates der EKD in die Sowjetunion. In einem ersten Schritt wird hier gefragt, welche Gründe es für die ROK geben könne, sich derart stark auf dem Gebiet des Friedens zu engagieren. Dabei wird zunächst auf eine schon zur damaligen Zeit angeblich oft gegebene Begründung verwiesen, nach der diese Beschäftigung im Interesse der sowjetischen Regierung liege. Offen gelassen werde bei der Erwähnung dieser Begründung immer, ob sich das Verhalten der ROK auf reine Taktik oder wirkliche Überzeugung zurückführen lasse. Der Verfasser des Papiers betont in diesem Zusammenhang, dass sich zwar viele Äußerungen der ROK in der friedensethischen Diskussion an staatliche sowjetische Äußerungen anlehnen; dennoch seien viele Aussagen keineswegs deckungsgleich. Somit sieht er die Notwendigkeit, nach einer anderen Begründung für das untersuchte Phänomen zu suchen.

Auf der Suche nach dieser anderen Begründung stößt der Verfasser auf zwei Punkte. Zum einen gebe es eine nach außen sichtbare systematische Beschäftigung der ROK mit der Friedensethik erst seit dem Beginn von ökumenischen Kontakten in den 1960er Jahren. Zum zweiten verstehe die ROK ihre Friedensarbeit im Horizont des göttlichen Versöhnungsangebotes, durch das der Mensch notwendigerweise zum irdischen Friedensstifter werde. Vor diesem Hintergrund kommt er zu der Schlussfolgerung, dass die friedensethischen Bemühungen der ROK mehr seien als ein reines Zugeständnis an die Sowjetunion und als die Erfüllung eines Regierungsauftrages. Sie seien vielmehr genuines Anliegen der ROK, auch wenn der Staat natürlich versuche, diese Arbeit im eigenen Sinne zu nutzen. Für die EKD bestehe damit – und dies sei dann ein Ziel der friedensethischen Diskussion zwischen EKD und ROK – die Möglichkeit, die friedensethische Diskussion mit der ROK als ein Element der Kooperation zwischen den verschiedenen Machtblöcken zu nutzen, in dem ein Austausch über gegenseitige Absichten und Befürchtungen stattfindet.10

Diese drei unterschiedlichen Stimmen zur Bewertung der friedensethischen Diskussion im Dialog zwischen EKD und ROK legen zwei Schlussfolgerungen nahe: Einerseits darf bei einem heutigen Blick auf die friedensethische Diskussion im Rahmen der Arnoldshainer Dialoge nicht vergessen werden, dass sie staatlichen Einflussversuchen unterlag und manchmal sicherlich auch erlegen ist. Diese Feststellung darf aber andererseits nicht dazu führen, im nachhinein alle friedensethischen Ergebnisse des bilateralen Dialoges als quasi-staatliche Äußerungen und somit als komplett wertlos zu verurteilen. Gerade die angeführte interne Positionsbestimmung verdeutlicht, dass den Delegationen der EKD die staatlichen Einflussnahmen im Bereich Friedensethik auf sowjetischer Seite in einem hohen Maße bewusst waren – dass dieser friedensethischen Diskussion aber zugleich ein großer Wert beigemessen wurde.

Ein abschließender kurzer Blick auf zwei grundsätzliche Motivationen des Arnoldshainer Dialoges kann verdeutlichen, warum für die EKD die friedensethische Diskussion im Rahmen dieses Dialogs mit der ROK wichtig war.

Friedensethisches Handeln: Ein mögliches Motiv der Begegnung?

Grundsätzlich wird ein Unterschied zwischen der Arnoldshainer und der Sagorsker Dialogreihe immer wieder betont: Während Sagorsk sich auf die Frage nach dem Zeugnisauftrag von Kirchen in einer sozialistischen Gesellschaft und die daraus erwachsenden theologischen und praktischen Konsequenzen konzentrierte, sei Arnoldshain auf die dogmatischen loci fixiert gewesen. Aufgrund dieser grundsätzlichen Differenz könnte man vermuten, dass die friedensethische Diskussion eher in den Bereich des Sagorsker Dialoges einzubetten gewesen sei. Und tatsächlich nimmt die friedensethische Diskussion dort einen größeren Raum ein als im Arnoldshainer Dialog. Aber auch in Arnoldshain war die friedensethische Diskussion, wie oben verdeutlicht, von Bedeutung. Und dies könnte mit den Motiven zusammenhängen, die eine Grundlage des Arnoldshainer Dialoges waren.

Held sieht die Dialoge als Teil und Folge einer kirchlichen Suchbewegung, die sowohl im Geist der Ökumenischen Bewegung als auch im Zeichen des beginnenden Kalten Krieges stand. Ein aufschlussreiches Dokument dieser Suchbewegung ist ein 1956 entworfener Fragebogen, der zum Grundlagenpapier des Arnoldshainer Dialoges wurde. In diesem Dokument werden verschiedene in einem Dialog zwischen EKD und ROK zu behandelnde Themen genannt. Neben dogmatischen Problemen taucht auch die Forderung auf, dass in einem solchen Dialog in Ergänzung zur Lehre der Kirche auch ihr geschichtlicher Ort wahrgenommen werden müsse.11 Über diesen bilateralen Kontext hinaus erwähnt Held außerdem den Zusammenhang des bilateralen Gespräches mit der Ökumenischen Bewegung. Für die Motivation eines Gesprächs mit der ROK sei die folgende Vorgabe der Vollversammlung des ÖRK von Evanston 1954 bedeutsam gewesen: Angesichts einer auseinandergebrochenen und gespaltenen Welt sollen sich die Vertreter von Kirchen, zwischen deren Ländern Spannungen bestehen, zur Förderung der Versöhnung gegenseitig besuchen. Angesichts einer solchen Einbettung des Arnoldshainer Dialoges und angesichts der historischen Umstände, in denen diese Begegnung stattfand, kann es nicht verwundern, dass auch der friedensethischen Diskussion ein wichtiger Platz zukam – selbst dann, wenn man sich auf die theologischen loci konzentrieren wollte.

Die friedensethische Diskussion in den Dialogen: Eine differenzierte Beurteilung

Offensichtlich lässt sich die friedensethische Diskussion im Arnoldshainer Dialog nicht allein staatlich-kommunistisch motiviert und beeinflusst bewerten. Andererseits ist es ebensowenig möglich, eine derartige Beeinflussung auszuschließen. Es lohnt sich, genauer hinzuschauen und zu fragen, welche Elemente der friedensethischen Diskussion kirchliche Positionen und welche vielleicht Konsequenzen eines wie auch immer gearteten staatlichen Drucks darstellen. Akzeptiert man die Möglichkeit, dass in den angesprochenen Dialogen auch im Bereich der Friedensethik ernsthafte und fruchtbare Arbeit geleistet wurde, so stellt sich hier – ähnlich wie im systematisch-theologischen Bereich – die Frage, was erreicht worden ist: Was bedeuten die verschiedenen Aspekte im Bereich der Friedensethik damals wie heute? Wie kann der damalige Kontext der Gespräche beschrieben werden? Waren beispielsweise die Arnoldshainer und Sagorsker Gespräche auf irgendeine Art vernetzt und miteinander in Beziehung gesetzt worden? Ergeben sich Konsequenzen für den heutigen Bad Uracher Dialog? Es mag sein, dass die Beantwortung dieser Fragen zu einem ernüchternden Ergebnis führt. Aber eine solche Vorgehensweise würde den kirchlichen Dialogbemühungen im Kalten Krieg eher Gerechtigkeit und Lauterkeit widerfahren lassen als manches vorschnell gefällte Urteil.


Fußnoten:


  1. Vgl. Klaus Schwarz, Die Dialogbegegnung in Bad Urach – eine Einführung, in: Klaus Schwarz (Hrsg.), Bilaterale theologische Dialoge mit der Russischen Orthodoxen Kirche, Hermannsburg 1996, S. 261-267, hier S. 261. ↩︎

  2. Vgl. Heinz Joachim Held, Schritte und Markierungen auf dem Weg der zwölf Arnoldshain-Gespräche, in: Schwarz, Dialoge (wie Anm. 1), S. 281-322, hier S. 285, 298. ↩︎

  3. Vgl. Kommuniqué, in: Schwarz, Dialoge (wie Anm. 1), S. 268-276, hier S. 272. ↩︎

  4. Vgl. Vladimir Ivanov, Theologische Gespräche im Schatten des Totalitarismus, in: Schwarz, Dialoge (wie Anm. 1), S. 336-341. ↩︎

  5. Ivanov, Gespräche (wie Anm. 4), S. 336. ↩︎

  6. Vgl. Held, Schritte (wie Anm. 2), S. 285-287, 298 f. ↩︎

  7. Vgl. Günther Schulz, Die sieben Sagorsker Gespräche 1974-1990, in: Schwarz, Dialoge (wie Anm. 1), S. 323-335, hier S. 326-329. ↩︎

  8. Vgl. Fairy von Lilienfeld, Zum augenblicklichen Stand des Dialogs westlicher Christen mit der russischen Orthodoxie, in: Una Sancta 30 (197), S. 106-126, hier S. 123 f. ↩︎

  9. Vgl. Reinhard Slenczka, 25 Jahre theologische Gespräche zwischen Evangelischer Kirche in Deutschland und Moskauer Patriarchat, in: Ökumenische Rundschau 34 (1985), S. 446-467, hier S. 447-450, 463-465. ↩︎

  10. Vgl. Innere Positionsformulierung für die Reise einer Delegation des Rates der EKD zu Kirchen in der Sowjetunion vom 12.06. bis zum 25.06.1982. Die Friedensarbeit der Russischen Orthodoxen Kirche, Evangelisches Zentralarchiv in Berlin, Bestand EZA 6/96/759. ↩︎

  11. Vgl. Held, Schritte (wie Anm. 2), S. 282 f., und Slenczka, Gespräche (wie Anm. 9), S. 452. Der Fragebogen findet sich in: Außenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.): Tradition und Glaubensgerechtigkeit. Das Arnoldshainer Gespräch zwischen Vertretern der Evangelischen Kirche Deutschlands und der Russischen Orthodoxen Kirche vom Oktober 1959, Witten 1961, S. 76-79. ↩︎