Keiner kann Gott der Geschichte sein: der kroatische Katholizismus und die Versöhnungsfrage

aus OWEP 3/2007  •  von Vjekoslav Perica

Der Autor ist Historiker und hat einen Lehrstuhl an der Philosophischen Fakultät der Universität Rijeka inne.

Die politische Wochenzeitung aus Kroatien Nedjeljna Dalmacija veröffentlichte am 10.06.1990 meinen Artikel mit der Überschrift „Keiner kann Gott der Geschichte sein.“ Als Kolumnist dieser Zeitung interviewte ich den angesehenen Theologen Janko Šagi-Bunić. Seine ausführlichste Antwort in diesem Interview gab er auf die Frage der nationalen Versöhnung. Šagi-Bunić (dessen Vater im zweiten Weltkrieg als Ustaša1 bzw. als „verdammter Ustaša“ – nachdem ich erwähnt hatte, dass mein Vater Partisan gewesen war – fiel) sprach auf mein Aufnahmegerät zur Frage der nationalen Versöhnung in Kroatien unter anderem Folgendes:

„So, wie man in dieser öffentlichen Debatte diese Versöhnungsfrage stellt, ist es eine politische Frage. Deswegen fügen Sie auch diese ‚nationale‘ Dimension dazu. Sie fragen wahrscheinlich, ob die Versöhnung in Kroatien möglich ist, z. B., was weiß ich, zwischen den Ustašas und den Partisanen. Ich würde am liebsten, wenn Sie weiterhin auf dieser politischen Dimension insistieren, ‚no comment‘ antworten, oder Sie vielleicht darauf hinweisen einmal nachzuschauen, wie das, sagen wir, Franco in Spanien oder Willy Brandt in Deutschland gelöst haben. Für uns Christen und Katholiken ist es keine primär politische Frage. Wir sagen für gewöhnlich nur ‚Versöhnung‘ und nicht ‚nationale Versöhnung‘ ... Ich denke, dass die Gerechtigkeit in dieser Welt in dem Sinne gewährleistet werden muss, dass man neue Ungerechtigkeiten unmöglich macht. Ich weiß, dass auch die iustitia vindicativa2 manchmal vernünftig klingen mag, doch es scheint mir, dass es besonders in unserem Land zuviel davon gegeben hat. Auch heute sehe ich, dass es Revanchismus gibt und ich Angst davor habe. Als Christ bin ich der Ansicht, dass keiner Gott der Geschichte sein darf oder kann, und keiner darf sich die Rolle anmaßen, ein endgültiges Urteil über diese Welt zu fällen. In dieser Epoche ist es nicht möglich, über die Geschehnisse, welche in ihr stattgefunden haben, zu urteilen. Deswegen spreche ich mich wiederholt dafür aus, neue zukünftige Ungerechtigkeiten unmöglich zu machen …“

Šagi-Bunić war einer der Gründer der theologischen Zagreber Gesellschaft „Kršćanska sadašnjost“, die den produktivsten Verlag im sozialistischen Jugoslawien gehabt hat. Anfang der achtziger Jahre waren die Bischöfe der Ansicht, dass es sich hierbei um eine Art Zusammenarbeit mit den Kommunisten handeln müsse, weswegen sie die Gesellschaft verboten, obwohl dies die einzige kirchliche Einrichtung war, die einen Gewinn erwirtschaftete und besser als alle anderen in der Öffentlichkeit im Sinne der Kirche agierte. Šagi-Bunić war ebenso im Dialog mit den Marxisten und den Andersgläubigen sehr aktiv, weshalb man ihm aus konservativen kirchlichen Kreisen vorwarf, mit den Kommunisten zu kollaborieren, Mitarbeiter der Geheimpolizei zu sein usw.

Nach dem Fall des Kommunismus sprach der neue, demokratisch gewählte Präsident Franjo Tuđman öffentlich über die nationale Versöhnung und die Schlüsselrolle der Kirche in diesem Prozess. Auch die Kirche ihrerseits bereitete sich auf diese Rolle vor. Am Institut für theologische Laienkultur in Split, das ich damals besuchte, redete man viel über Versöhnung, Glaubensrenaissance und Rückkehr zur Kirche. Mitte des Jahres 1991, als offensichtlich wurde, dass ein Krieg fast unausweichlich war, begann die regierende, nationalistische Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ), die bereits eine beachtliche Säuberung des alten Regime-Kaders durchgeführt hatte, aktiver mit der Befürwortung einer Politik der nationalen Versöhnung oder, wie Tuđman sie nannte: pomirba svih Hrvata. Hierfür gab es viele Gründe. Als ehemaliger Kommunist, Partisan Titos und professioneller Historiker war Tuđman von der Frage des Konflikts zwischen den Partisanen und den Ustašas und besonders von der Frage des Konzentrationslagers Jasenovac, wo eine große Zahl Serben, Juden, Roma und kroatischer Antifaschisten hingerichtet worden waren, geradezu besessen.3

Allerdings hatte Tuđman die Idee von der Versöhnung aller Kroaten nicht von der katholischen Kirche, auf die er sich immer berief und wo er sich jeden Sonntag in der Kathedrale fotografieren ließ, sondern sie kam Ende der siebziger Jahre unter den kroatischen politischen Emigranten auf. Diese Idee fand sich auch in der kroatischen nationalen Bewegung Ende der sechziger und Anfang der achtziger Jahre, als die meisten Anführer dieser Bewegung Kommunisten gewesen waren, die ihr nationales Bewusstsein entdeckt hatten, unter ihnen auch Franjo Tuđman. Diese „nationale Versöhnung“ war nicht, wie es der Theologe Šagi-Bunić erklärte, eine christliche Theologie oder ein kirchliches Sakrament, sondern eine politische Ideologie. Die Idee der nationalen Versöhnung basiert auf einem großen nationalen Mythos von einem Staat – einer Nation, die die lebenden und die toten Angehörigen einer Ethnie sowie das Mutterland und die Diaspora homogenisiert und in einer „erdachten Gemeinschaft“ zusammenführt. Eine Nation ist kein Gotteswerk oder das Werk eines glaubensinspirierten Geistes, sondern ein Werk der nationalistischen Ideologen, die eine solche Gemeinschaft konstruiert haben, sowie ein Werk der Kriege und Revolutionen, die durch unausweichliches Blutvergießen einen Nationalstaat erschaffen. Ganz anders verhält sich das Christentum, das nicht Gruppen, sondern Einzelne in einer universellen göttlich-menschlichen Gemeinschaft sammelt. Die HDZ ist demzufolge weder eine Gemeinschaft noch eine Kirche, sondern eine politische Bewegung. Franjo Tuđman ist kein Christ, war auch nie ein „anonymer Christ“, sondern ist ein nationalistischer Ideologe. Die katholische Kirche in Kroatien, die sich in den siebziger Jahren „Die Kirche bei den Kroaten“ genannt hat, um sich so dem kroatischen nationalistischen Projekt zu nähern, schloss mit den Nationalisten einen Pakt, sodass sie von nun an gemeinsam ein säkulares Idol verehrten: den nationalen Staat.

Weiterhin gab es für die nationale Versöhnung in Kroatien noch einen konkreten Grund. Der junge kroatische Staat, der seine Unabhängigkeit Mitte 1990 ausrief und international noch nicht anerkannt worden war, war nämlich verletzlich und sozusagen unbewaffnet. Tuđman war gezwungen, eine Politik der nationalen Versöhnung zu fahren, da das kleine Kroatien nicht über ein endloses Kontingent an Soldaten verfügte. Tuđman nahm im Dienst des neuen Staates auch Kroaten aus der Verwaltung der gescheiterten Föderation, konkret aus der Diplomatie, sogar aus Kreisen des Geheimdienstes und der Geheimpolizei an. Er schuf eine Regierung der nationalen Einheit, in der sich auch Kommunisten befanden – alles unter dem Vorwand der Versöhnung, die angeblich der Lehre der katholischen Kirche entsprach. Auf die katholische Doktrin beriefen sich Tuđman und die HDZ ständig; die HDZ beteuerte sogar, dass sie eine christlich demokratische Partei wäre, was sie jedoch nie war.

Die Kirche erkannte ebenfalls die Kriegsgefahr, in der sich Kroatien befand, und die Notwendigkeit, alle Kräfte zum Schutz Kroatiens zu mobilisieren. Dazu nahm sie als christliche Kirche und nationale patriotische Kraft Kroatiens die Idee der nationalen Versöhnung bzw. Tuđmans pomirba auf. Trotz der Rolle, die die Kirche bei den folgenden ethnischen Auseinandersetzungen spielte, hatte der Krieg auch strahlende Momente in der Geschichte der Kirche in Kroatien. So verurteilte die Leitung der Kirche trotz der schwierigen Lage, in der sich Kroatien befand, Tuđmans Politik, die zur Teilung und Zerstörung Bosnien-Herzegowinas führte. Die Bischöfe verurteilten auch die Gewalt gegenüber der zivilen Bevölkerung seitens der kroatischen Armee und nicht nur die Verbrechen des Feindes.

Es gibt keinen Zweifel daran, dass besonders die nationale Versöhnung Kroatien dazu verholfen hat, aus dem Krieg als Sieger hervorzugehen, obwohl im Krieg viele Prüfungen nicht bestanden wurden. So zerstörte man auf kroatischem Territorium mit Sprengstoff in geheimen terroristischen Aktionen ca. 3.500 Denkmäler der Antifaschisten aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Polizei hat nie einen Täter gefunden. Absurd ist, dass die meisten dieser Denkmäler in Dalmatien zerstört wurden, das die Ustašas an Italien hatten abtreten müssen und das die Partisanen wieder befreit hatten. Obwohl im Zweiten Weltkrieg viele dalmatinische Priester für die Partisanen eingetreten sind, hat die Kirche diese Gewalt nie verurteilt, auch nicht im Namen der nationalen Versöhnung, denn unter den Aufhetzern für die Denkmalzerstörung waren manchmal auch Priester.

Der größte Schlag für die Idee der nationalen Versöhnung aller Kroaten kam schon während des Krieges und besonders später durch die kapitalistische Privatisierung. Man führte sie auf die Tuđmansche autoritäre Weise und angeblich auf Empfehlung der besten amerikanischen Wirtschaftsfachleute durch. Tuđman lancierte eine merkwürdige Theorie über Kroatien als Land des Wohlstands, das von „200 der reichsten Familien“ dominiert werden sollte und dessen Gesellschaft in irgendwelche Kasten oder, wie er es nannte, „Stališi“ unterteilt werden sollte. Selbstverständlich zählte Tuđman zu diesen 200 reichsten Familien auch seine eigene. Gegen manche Mitglieder der Tuđman-Familie werden später gerichtliche Prozesse wegen Korruption geführt werden, aber keiner von ihnen wird jemals im Gefängnis landen, außer einigen Bürgern, die sie angezeigt und vor Gericht als Zeugen ausgesagt haben. Tuđman wird diese privatisierende Plünderung des Volkes, das seinen Reichtum im Sozialismus und in der Zusammenarbeit mit den anderen Völkern Jugoslawiens schuf, sogar Wandlung („Pretvorba“, d. h. Eucharistie) nennen, damit sie „katholisch“ klingt. Er spielte gerne mit Worten – damit die Kroaten sich möglichst stark von den Serben unterscheiden sollten, erfand er eine größere Anzahl neuer Wörter. Er spielte auch mit theologischen Begriffen, denn nicht nur Pretvorba („Wandlung“), sondern auch *Pomirba („Versöhnung“, hier im Sinne von „Buße“) sind in der katholischen Kirche Sakramente. Tuđman verwandelte also Wasser in Wein bzw. den theologischen Diskurs in einen politischen. Mit anderen Worten, er verwässerte die Religion. Die Kirche konnte nicht anders, als auf den privatisierenden Raubzug und die plötzliche Verarmung der kroatischen Bevölkerung zu reagieren. Auch der Zagreber Erzbischof, Kardinal Josip Bozanić, verurteilte öffentlich die „Sünden der Strukturen“ (so nannte er sie). Eine Gruppe katholischer Intellektueller aus Split organisierte den „Kroatischen akademischen Verein“ und veröffentlichte eine Verkündigung, in der davon die Rede ist, dass die gewöhnlichen Bürger, d. h. moralische Menschen, das Schicksal Kroatiens in die eigenen Hände nehmen müssten.

Auch in der Kirche kam es zu Konflikten, da sie sich dermaßen und augenscheinlich so bereichert hat, dass viele praktizierende Katholiken enttäuscht waren und begannen, sich ihr gegenüber kritisch zu äußern. Besonders unbeliebt wurden die Bischöfe. Die Kirche ging über ihre Bischöfe eine Symbiose mit dem Tuđman-Regime ein und sicherte sich sehr günstige Verträge zwischen Kroatien und dem Heiligen Stuhl, was sie de facto zur Staatsreligion machte. Auf allen Seiten baute man neue, monumentale, obgleich nicht immer architektonisch attraktive Kirchen, und die Priesterschaft fuhr teure Autos, was sich von der immer größer werdenden Armut der Bevölkerung stark absetzte. Das neue Gebäude des nationalen Militärvikariats wurde zum Symbol der neu erlangten Macht der Kirche. Ein ähnliches Symbol ist auch die renovierte Bischofsresidenz in Split, in der früher zwei Fakultäten und die Universitätsbibliothek untergebracht waren. In ein solches Gebäude zog der Bischof mit angeblich nur noch fünf Personen aus den Reihen des Klerus zusammen, sodass eine katholische Intellektuelle den Bischof aufrief, die Hälfte des Gebäudes an das Obdachlosenheim zu vermieten, das sich gegenüber befand und keinen Platz mehr hatte, weitere verarmte Kroaten aufzunehmen. Die Kirche wurde bis zum Jahr 2005 nach Angaben des „Novi List“ (Neues Blatt) aus Rijeka eine der fünf reichsten Einrichtungen im Lande.

Die Kluft zwischen den „rechten“ und „linken“ Kräften wuchs auch in der Kirche, und so hat sich auch die Gesellschaft gespalten. In der Öffentlichkeit gab es kaum einen toleranten demokratischen Dialog, wo sich die „linken“ und „rechten“ Kroaten an einem Ort hätten treffen können. Nicht einmal in der Kirche fand ein Dialog statt, sondern es herrschte Streit zwischen den verschiedenen Fraktionen; auch gab es keinen Dialog zwischen dem Staat und der Gesellschaft. Als im Jahr 2000 nach den Parlamentswahlen die linksliberale Koalition unter der Führung ehemaliger Kommunisten an die Macht gelangte, führte dies beinahe zu einem Putschversuch der Rechten, der auch von der Kirche unterstützt wurde. Präsident Mesić setze einige Generäle ab, schrieb dem Papst und bat ihn um Unterstützung, um die rechten Kräfte in der Kirche zu bändigen.

Kroatien führte keine Lustration durch, wie es manch andere südosteuropäische Staaten versucht oder getan hatten, doch Säuberungen gab es auf jeden Fall. In Tuđmans Kroatien hatten Tausende ihre Arbeit verloren, nur weil sie vorher in Titos Kommunistenbund oder von ihrer Nationalität her Serben waren. Außerdem konnte man ab 1990 bis vor kurzem gelegentlich in obskuren rechtsstehenden Zeitungen und manchmal auf Webseiten diverse schwarze Listen von „Spionen“ und „Verrätern“ mit dem Aufruf, sie und ihre Familien zu lynchen, finden. Die kirchliche Wochenzeitung Glas koncila (Die Stimme des Konzils), die zur Stimme der kroatischen äußersten Rechten geworden war, beklagte des Öfteren die versäumte Rache an den Kommunisten und rief zu neuen Säuberungen auf. Auch die Bischöfe ließen verlauten, dass diese Kommunisten sich angeblich nicht ändern würden und dass in der Gesellschaft angeblich immer noch die „kommunistische Mentalität“ andauern würde. Glas koncila hatte immer über die kommunistischen Verbrechen gegen Ende des Zweiten Weltkrieges geschrieben (dies war wahrscheinlich das häufigste Thema dieser Zeitschrift in den letzten 17 Jahren) und vor dem „Neokommunismus“ gewarnt, der angeblich Kroatien bedrohen würde, und dabei betont, dass aufgrund der versäumten Lustration dieser Neokommunismus wieder Flügel bekommen hätte.

Eines mit der Lustration verbundenen Probleme war das Schicksal der Akten der kommunistischen Geheimpolizei. In Kroatien war ein Teil dieser Akten den Forschern zugänglich, doch dieses Material war weder vollständig noch glaubwürdig. Es handelte sich um von der HDZ ausgewähltes Material für die „Zurschaustellung“ und eventuelle Verfolgung von Gegnern und nicht um etwas, mit dem unabhängige Expertenkommissionen hätten arbeiten können. Kroatien hat nur einen – wahrscheinlich kleinen – Bestand des Archivmaterials aus der jugoslawischen Ära, zumal ein Teil in der Zwischenregierungszeit nach den freien Wahlen 1990 vernichtet wurde. Was die Akten über die Kirche betrifft, so schrieb der slowenische Politologe Zdenko Roter Mitte der siebziger Jahre – basierend auf den Akten der Bundesarchive von 1945 bis 1970 – eine erste kohärente Studie über die Beziehung von Kirche und Staat im Kommunismus. In den neunziger Jahren erforschte die Belgrader Historikerin Radmila Radić die Akten aus den Bundesarchiven zu der gleichen Zeitspanne und veröffentlichte bis jetzt die umfangreichste Studie des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat in Jugoslawien. Von den Archivdokumenten über das Verhältnis zwischen Kirche und Staat im ehemaligen Jugoslawien, die ich benutzt habe, waren diejenigen aus der Bundesregierungsbehörde des ehemaligen Jugoslawiens am nützlichsten.

Weiterhin kann man über das, was Milošević in den neunziger Jahren mit dem Material der Bundesgeheimpolizei und des Militärnachrichtendienstes angestellt hatte, nur spekulieren. Dies wäre sehr schwer in Erfahrung zu bringen, denn diese Dienste waren unter seiner Leitung in Völkermord, in internationale Kriminalität und in eine kriminelle kapitalistische Privatisierung, die schlimmer war als die Tuđmans, verwickelt; sicherlich wurde sehr viel Material vernichtet. Tuđman hatte bis zum Ende seines politischen Mandats sogar sieben oder vielleicht noch mehr verschiedene Sicherheits- und Nachrichtendienste formiert, die er allein kontrollierte. An die Spitze dieser Dienste stellte er seinen Sohn Miroslav – heute einer der Anführer der äußersten Rechten in Kroatien. Ein Teil dieser Akten bezieht sich auf die religiösen Gemeinschaften im Kommunismus. Als Anfang der Neunziger der britische katholische Journalist kroatischer Abstammung Chris Cviic über diese Akten schrieb, war er ziemlich beeindruckt davon, wie tief die kommunistische Polizei in die Kirche vorgedrungen war. Es scheint aber, dass Cviic nur Zugang zu dem Material hatte, das Tito bereits 1966 veröffentlichen ließ, und kaum zu Akten, die jüngeren Datums waren. Vor Kurzem veröffentlichte der kroatische Historiker Jure Krišto eine Studie über „die Kirche im Totalitarismus“ – und wenn er dort von Totalitarismus spricht, dann scheint es so, als stamme das Material, das Krišto benutzte, nur aus den Zeiten von 1945 bis 1953. Nach dieser Zeit hätte es nämlich gar keinen Totalitarismus geben können, da es sonst auch keine kroatische nationale Bewegung (1967-1972) gegeben hätte – auf die Kroatien heute sehr stolz ist und sie mit dem „Prager Frühling“ von 1968 vergleicht –, weil ihr eine Zeit der Reform und Liberalisierung hätte vorangehen müssen, damit sie sich überhaupt erst hätte entwickeln können.

Wir sehen, wie die Lustration in Polen in diesen Tagen nach dem Skandal bezüglich der Aufdeckung von Priestern, die für die kommunistische Geheimpolizei gearbeitet haben, am Werk ist. Es ist interessant, wie Polen, das von Einigen für das katholischste Land in Europa gehalten wird, seinem Parlament den Vorschlag unterbreiten kann, Jesus Christus zum König Polens für alle Zeiten zu ernennen – und gleichzeitig demselben Christus die Rolle des Gottes der Geschichte und des Richters für alle Zeiten nicht geben will; vielmehr maßt sich eine Gruppe polnischer Politiker diese Rolle an. Polen hatte sowohl eine erfolgreiche Privatisierung als auch den Versuch einer Lustration, wohingegen Kroatien keines von beiden hat. Aber beide Länder teilen gemeinsam das Schicksal einer nicht gelungenen Versöhnung.

Aus dem Kroatischen übersetzt von Berislav Župarić.


Fußnoten:


  1. Ustaša (Ustascha, Plural „Ustaše“ „kroatisch für „die Aufständischen“) bezeichnete ursprünglich die kroatische Nationalbewegung im neugegründeten Königreich Jugoslawien nach 1920, die sich gegen die serbische Vorherrschaft richtete, nach und nach jedoch faschistisches Gedankengut übernahm und während des Zweiten Weltkriegs den „unabhängigen Staat Kroatien“ beherrschte, der de facto ein Gebilde von Hitlers und Mussolinis Gnaden war (Anm. d. Redaktion). ↩︎

  2. Ausgleichende Gerechtigkeit (Anm. d. Redaktion). ↩︎

  3. Das in Kroatien gelegene Konzentrationslager Jasenovac trägt den Beinamen „Auschwitz des Balkan“; in ihm wurden während des Zweiten Weltkriegs wahrscheinlich mehr als 100.000 Menschen ermordet (Anm. d. Redaktion). ↩︎