Ethik der Medien – zwei Standpunkte

Zbigniew Nosowski ist Chefredakteur der in Warschau erscheinenden katholischen Monatszeitschrift „Więź“. Prof. Dr. Eberhard Schockenhoff ist Ordinarius für Moraltheologie an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau.

Immer wieder wird in den Beiträgen des vorliegenden Heftes deutlich, dass sich Journalismus an ethischen Maßstäben messen lassen muss. Ob dies immer erfolgt, erscheint eher fraglich. Michael Albus befragte dazu zwei Experten, die sich in ihrem Arbeitsfeld mit dieser Frage konfrontiert sehen, Zbigniew Nosowski und Prof. Dr. Eberhard Schockenhoff.

Stellungnahme von Zbigniew Nosowski:

Auf dem Sektor der Medien haben vor allem in Mittel- und Osteuropa große Veränderungen und Entwicklungen stattgefunden. Wie beurteilen Sie insgesamt die Lage?

Bedauerlicherweise hat die Qualität der Medien in unserer Region deutlich abgenommen. Einhergehend mit der traurigen Realität in den Medien von heute ist auch der alte Traum, die Medien als Schlüssel zur zwischenmenschlichen Kommunikation und als aktives Gestaltungsinstrument hin zu engagierten Bürgern zu sehen, geplatzt. Es gibt natürlich auch positive Beispiele. Dennoch beurteile ich die gesamte Situation als sehr kritisch. Unsere Medien – wie auch die gesamte Gesellschaft – wurden zwar befreit, doch sie wissen nichts mit dieser Freiheit anzufangen. Anders ausgedrückt: Die Art und Weise ihres Freiseins zeigt, dass viele von ihnen noch immer Geiseln politischer oder wirtschaftlicher Interessen, der Werbung, der niedersten gesellschaftlichen Triebe und vielem mehr sind. Wenn irgendjemand Freiheit auf der Basis der Medienfreiheit definieren wollte, so würde eine realistische Definition sehr wenig über Verantwortung (und ähnliche Freiheitsmerkmale) aussagen …

Welche Problemfelder fallen Ihnen besonders auf? Was sehen Sie kritisch in der Gesamtentwicklung?

Folgende Punkte sind entscheidend:

  • Die Zukunft der öffentlichen Medien: In Polen wurden und werden sie von einer Regierung nach der anderen zu deren jeweiligen Propagandazwecken politisiert. Nun befinden sie sich in einer großen Krise. Ohne das Zutun von Seiten der Politiker gibt keine Möglichkeit, diese Situation zu ändern. Zudem ist keine politische Partei bereit, sich wirklich diesem Problem zu stellen.

  • Die Einschaltquoten-Falle: Die Medien von heute sind oft Sklaven ihrer Einschaltquoten. Der wichtigste Aspekt auf Seiten der Medien ist somit nicht mehr ihr Inhalt, sondern die Zahl ihrer Zuschauer, Zuhörer und Leser. Je mehr, desto besser! Dies zwingt die Entscheidungsträger in den jeweiligen Medien dazu, sich auf solche Themen, Gäste usw. zu konzentrieren, die ihre Bewertungsergebnisse verbessern.

  • Die Werbefalle: Im Medienbereich werden Entscheidungen sehr häufig nicht zugunsten des Gemeinwohls, sondern um der Werbeträger willen getroffen, da sie es sind, die zahlen und fordern. Die Medien brauchen sie zwar, um überleben zu können, dennoch sollten sie diese nicht beherrschen.

  • Die „Dringlichkeit“ hat Vorrang vor der „Wichtigkeit“: Neuartige Infokanäle im Bereich des Fernsehens gelangten in eine Sackgasse; um zu überleben, benötigen sie Nachrichten, nach denen sie entsprechend intensiv Ausschau halten. Doch was sie finden, sind grundsätzlich dringende Themen, die auf einfache Weise präsentiert, aber auch leicht vergessen werden. Die wirklich wichtigen Dinge verschwinden langsam, denn sie benötigen mehr Zeit und Anstrengung, um sie sachgemäß zu präsentieren. „Das Medium ist die Botschaft“, wie es Marshall McLuhan sagte …

  • Machtkämpfe innerhalb des Mediensektors: Verschiedene konkurrierende Medien sind in Machtkämpfe verstrickt, die ziemlich häufig zum Selbstzweck werden und nichts mehr mit dem Gemeinwohl zu tun haben.

Können Sie Grundsätze einer Ethik der Medien und des Umgangs mit ihnen für die kommende Zeit benennen?

Die gesamte Medienethik basiert auf dem Wahrheitsprinzip. Dies bedeutet, dass die Medien die Dinge wahrheitsgemäß, im geeigneten Kontext und objektiv abbilden sollten – sprich, die gegenwärtige Realität und nicht, wie jemand diese wahrnimmt. Die Grundprobleme in Verbindung mit der konkreten Realisierung dieses Prinzips in der heutigen Zeit lauten wie folgt:

  • Was soll man mit einem engen Verständnis von anfangen, das den Anspruch erhebt, Realität aus unterschiedlichen Blickwinkeln darzustellen, wenn sich zwei rivalisierende Politiker in einem TV-Studio zanken (und wie steht es mit der Mehrheit der Gesellschaft, die sich durch keinen von beiden repräsentiert fühlt)? Hat die Realität wirklich nur zwei Seiten?

  • Wie können Journalisten in der unübersichtlichen Welt von heute, in der es keinerlei allgemein gültige Kriterien für Objektivität gibt, noch objektiv sein? Kann man objektiv sein, wenn man die Sprache der politischen Korrektheit spricht?

  • Was sind heute die Grenzen von Respekt und Toleranz (wenn es sie überhaupt gibt)? Gibt es irgendwelche Meinungen, Weltansichten usw., die von der öffentlichen Debatte auszuschließen sind?

Die andere entscheidende ethische Frage lautet: Wie geht man mit Abhängigkeiten der Medien von Besitzern, Entscheidungsträgern und Werbetreibenden um? Gibt es einen realistischen (und nicht idealistischen) Weg, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen ihren Erwartungen und den Anforderungen an die Wahrheit zu finden?

Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Hartl.


Stellungnahme von Prof. Dr. Eberhard Schockenhoff:

Auf dem Sektor der Medien haben vor allem in Mittel- und Osteuropa große Veränderungen und Entwicklungen stattgefunden. Wie beurteilen Sie insgesamt die Lage?

Die Einführung der modernen Medien, insbesondere auch der elektronischen und digitalen Medien, erfolgt weltweit mehr oder weniger gleichzeitig. Sie nimmt keine Rücksicht auf den politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Zustand einer Gesellschaft. Zudem ist es mit Hilfe der medialen Kommunikation möglich, Einblicke in andere Länder und Lebensgewohnheiten zu nehmen. Für jeden tut sich plötzlich das Fenster zu einer anderen Welt auf, die ihm bis dahin verschlossen war. Dies ist prinzipiell ein Gewinn an persönlicher Freiheit, der auch eine bessere Ausübung von Selbstbestimmung und Autonomie ermöglicht. Die Nachrichten aus anderen politischen Herrschaftsformen und Wirtschaftssystemen können aber auch verstärkend auf Transformationsprozesse der eigenen Gesellschaft zurückwirken. Gleiches gilt – und darin sehe ich die Ambivalenz der Entwicklung – auch für die Auflösung traditioneller Lebensformen und Familienstrukturen, die durch das Bild von Ehe und Familie, das in westlichen Medien häufig als selbstverständlich gezeichnet wird, noch verstärkt wird.

Welche Problemfelder fallen Ihnen besonders auf?

Die Medienlandschaft ist ja sehr vielfältig, sowohl was die Unterscheidung von Printmedien, klassischem Rundfunk- und Fernsehbereich und modernen elektronischen Medien anbelangt, als auch von der thematischen Breite her. Was die mittel- und osteuropäischen Gesellschaften im Übergang von einer jahrzehntelangen Diktatur zu einer funktionsfähigen Demokratie vor allem benötigen, sind Sendungen mit dem Schwerpunkt der politischen Bildungsarbeit. Wünschenswert wäre von den Erwartungen an die Kultur der politischen Meinungsbildung, die man in einer demokratischen Gesellschaft stellen muss, dass es unabhängige Berichterstattung über politische Vorgänge und auch die Möglichkeit eines eigenständigen journalistischen Kommentars dazu gibt. Dies ist nach meinem Eindruck in den einzelnen Ländern aber in unterschiedlicher Weise gegeben; diese haben auf dem Weg zur Demokratie und zur freiheitlichen Bürgergesellschaft teilweise noch eine große Wegstrecke vor sich. Dass die meisten Medien als Instrument der politischen Bildungsarbeit weithin ausfallen, weil sie reinen Unterhaltungsangeboten den Vorzug geben, erscheint von daher als besonderes Problem.

Was sehen Sie kritisch in der Gesamtentwicklung?

Wünschenswert ist ein gutes Mischungsverhältnis in der Mediennutzung. Es sollte die Kultur des Zeitungslesens neben den unterschiedlichen Angeboten der Radio- und Fernsehsender geben. Zudem sollte der Medienkonsum des Einzelnen nicht nur eine rein private Tätigkeit sein, die ihn vom Austausch mit anderen abhält. Idealerweise führen Berichte, Nachrichten und Filmereignisse im medialen Hintergrund auch zur Anschlusskommunikation am Arbeitsplatz, im Sportverein oder im privaten Freundeskreis. Jeder berichtet über das, was er gesehen und gehört hat, und so entsteht ein Kreislauf des Austausches mit anderen. Die modernen Medien können die Primärkommunikation unter den Menschen, also ihr Gespräch im Alltag, dadurch anregen, dass sie Themen vorgeben und fremde Erfahrungen als Spiegel für eigene Reflexionen anbieten. Insofern dienen sie der Horizonterweiterung, sie ermöglichen, sich in andere Probleme, Lebenswelten und kulturelle Identitäten hineinzuversetzen. Gleichzeitig können sie die Fähigkeit zur unmittelbaren Kontaktaufnahme mit anderen aber auch einschränken und den Einzelnen atomisieren. Dies ist immer dann der Fall, wenn Mediennutzung zu einem einsamen, autistischen Vergnügen wird. Dies ist keine zwangsläufige Fehlentwicklung, es bedarf jedoch der Einübung und der Befähigung, Medien als Instrument zu nutzen, das Anschlusskommunikation und intersubjektiven Austausch ermöglicht.

Können Sie Grundsätze einer Ethik der Medien und des Umgangs mit ihnen für die kommende Zeit benennen?

Grundsätzlich sollte Mediennutzung nicht als passives Konsumverhalten geschehen, sondern sich der autonomen Zeitgestaltung des Einzelnen unterordnen. Dazu bedarf es auch der Fähigkeit der Askese und des Verzichtes. Andere Tätigkeiten, z. B. der Besuch von Theater, Konzert und Kino oder gar das selbstständige Musizieren sind oftmals anstrengender, als sich zuhause vor die Glotze zu setzen.

Die Ethik der Medien darf aber nicht nur Anforderungen an die Mediennutzer stellen. Gebote wie das Sorgfaltsgebot bei der eigenen Recherche, die Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Berichtserstattung oder die Sorge um ein repräsentatives Meinungsspektrum in der Berichterstattung sind Grundgebote der Medienethik, die sich auch an die Produzenten richten.

Ein weiterer dringlicher Aspekt, dem gerade im Blick auf die osteuropäische Medienlandschaft hohe Bedeutung zukommt, ist die Sicherung journalistischer Freiheit gegenüber den Medienkonzernen und gegenüber den staatlichen Überwachungssystemen. Dabei geht es nicht nur um ein individuelles Freiheitsrecht des einzelnen Journalisten in der Ausübung seiner Profession, sondern auch um die gesellschaftliche Bedeutung, die einem freien Journalismus für die ungehinderte Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger und damit für das Funktionieren der Demokratie selbst zukommt. Freie Medien, die unabhängig von staatlicher Bevormundung sind, stellen insofern ein Grundrecht der Demokratie als solcher dar.