Karel Schwarzenbergs schwieriges Los eines Idols

(Porträt)

Ludmila Rakušanová verließ 1968 ihre tschechische Heimat, studierte in München und war danach bei Radio Free Europe tätig. Seit 1995 arbeitet sie als Journalistin in Prag. – Die Aufnahme stammt von ihrem Mann, dem Fotografen Josef Rakušan.

Noch gar nicht lange liegt es zurück, dass es im Wahlfrühjahr 2010 unter der tschechischen Jungend noch ausgesprochen „in“ war, auf „ein Bier mit Karel“ einzukehren. Auf der Website www.kareljesexy.cz („Karel ist sexy“) stellten hübsche Mädels Schwarzenbergs Foto auf entblößter Brust zur Schau. Die Anzahl seiner Facebook-Freunde explodierte.

Karel Schwarzenberg (Foto: Josef Rakušan)

Jetzt, zwei Jahre nachdem die konservative Partei „TOP 09“, vom cleveren Politmatador und langjährigen tschechischen Finanzminister Miroslav Kalousek gegründet und mit Popularitätsmagnet Karel Schwarzenberg als Vorsitzendem bestückt, es auf Anhieb in die Mitterechtskoalition schaffte, scheint die Anziehungskraft des tschechischen Außenministers Schwarzenberg zu verpuffen. Unter den derzeitigen Kandidaten für den Präsidentenposten auf der Prager Burg, der 2013 zum ersten Mal direkt vom Wahlvolk zu besetzen ist, erreicht der Außenminister und Präsidentschaftskandidat von TOP 09 in aktuellen Meinungsumfragen nicht einmal zweistellige Prozentvorhersagen. An seinen Leistungen auf dem außenpolitischen Parkett liegt es nicht, denn diese verdienen nach wie vor Anerkennung. Wenn er überzeugt ist, es ginge um das Wohl seines Landes, scheut Schwarzenberg nicht einmal vor Kritik an seinem Regierungschef. So gab es Ende 2011 eine Auseinandersetzung, nachdem der tschechische Ministerpräsident Nečas es in Brüssel abgelehnt hatte, der Fiskalunion beizutreten. Vom Präsidenten Klaus wurde er dafür ausdrücklich gelobt. Karel Schwarzenberg jedoch warnte davor: Wenn Tschechien der Fiskalunion nicht beitrete, könne es deren Inhalte nicht mitbestimmen und gerate innerhalb der EU in Isolation.

Allerdings treibt die tschechische Gesellschaft mit Vorliebe Nabelschau. Daher zählt gute Außenpolitik im Land wenig. Auf der innenpolitischen Bühne gute Figur zu machen, wird hingegen wegen zahlreicher Korruptionsaffären und daraus resultierender Politikverdrossenheit immer schwieriger – sogar für Karel Schwarzenberg, der sich noch vor dem Fall des Eisernen Vorhangs als Vorsitzender der Helsinki-Föderation für Menschenrechte engagierte, auf seinem bayerischen Familiensitz ein Archiv der vom Regime verbotenen Literatur gründete und nach der Wende zuhause für viele als moralische Autorität galt. Als Kanzler auf der Prager Burg stand er in den ersten Jahren Václav Havel bei, als Tschechien versuchte, demokratische Traditionen wiederzubeleben. Dennoch entschied er 1992, als der Zerfall der Tschechoslowakei nahte, sich vorerst zurückzuziehen, um jüngeren Leute, die nicht wie er ihr Leben im Westen, sondern in Böhmen verbracht hatten, Platz zu machen.

Der gelernte Förster, wie sich Schwarzenberg mit Untertreibung nennt, übernahm den böhmischen Besitz seiner Familie, die im Dezember 1948, zehn Monate nach dem kommunistischen Umsturz, nach Österreich geflohen war. Außer dem südböhmischen Schloss Orlik erhielt er Anfang der neunziger Jahre eine Reihe meist heruntergekommener denkmalgeschützter Gebäude sowie vernachlässigte Wälder zurück. Wie diese Wälder früher gepflegt wurden, erfuhr er bereits in den fünfziger Jahren in München, als er sich auf Empfehlung seines damaligen Professors mit dem Fachbuch „Tannendurchforstung auf der Herrschaft Orlik“ befasste. „Sollte ich heute unseren Walddirektor nach Tannendurchforstung auf Orlik fragen“, bemerkte Schwarzenberg vor einigen Jahren, „so würde er wohl antworten, ob ich die rechte oder die linke Tanne meine.“

Die Politik holte ihn jedoch bald ein. Der Spross eines der ältesten böhmischen Adelsgeschlechter, der außer der tschechischen Staatsangehörigkeit einen schweizerischen Pass besitzt, wirkte in zahlreichen Kommissionen und Stiftungen. Eine Zeit lang rechnete man mit ihm für den Posten des tschechischen Botschafters in Deutschland. Befragt nach seiner Einschätzung des schwierigen, durch Vertreibung der Sudetendeutschen belasteten deutsch-tschechischen Verhältnisses, erklärte Schwarzenberg damals, er hätte sich sein Leben lang um gegenseitiges Verständnis bemüht. Bürden aus der Vergangenheit tragen beide Seiten, darüber müsse die ganze Wahrheit ausgesprochen werden. Statt nach Berlin zog Schwarzenberg im Jahre 2004 in den tschechischen Senat und drei Jahre später ins Prager Außenministerium ein, und zwar als unabhängiger Kandidat der tschechischen Grünen, die 2007 der damaligen Mitterechtsregierung beitraten.

In Regierungskreisen glänzte Schwarzenberg nicht nur durch seine Kompetenz: Er nahm sich keine Sekunde wichtig, gab freimütig zu, dass er bei langweiligen Reden einzunicken pflegt, vor allem aber nannte er selbst unangenehme Dinge beim Namen. Und das mit sarkastisch pointiertem Humor und leicht archaischem, ab und zu auch deftigem Wortschatz. Nicht alle in Tschechien fanden das für einen Politiker und Staatsrepräsentanten angemessen. Andere, vor allem junge Leute, liebten ihn dafür. Er war ein Vorbild, eine integre Persönlichkeit, die allen Versuchungen der Macht stand hält und niemanden mit berechtigter Kritik verschont.

Solch einem Ideal auf die Dauer gerecht zu werden, konnte allerdings nicht einmal Karel Schwarzenberg. Seine Popularität begann zu schwinden, nachdem er einwilligte, in der 2009 gegründeten Partei TOP 09 (die Anfangsbuchstaben stehen für Tradition, Verantwortung und Prosperität) den Vorsitz zu übernehmen. Bald stellte sich heraus, dass er bloß als Label dient, denn nicht er, sondern der gewiefte Finanzminister Kalousek spielt in TOP 09 die erste Geige. Noch dazu formte Kalousek seine Neuschöpfung durch die Spaltung der traditionsreichen christdemokratischen Partei, in der er nach der Wende eine steile Politkarriere startete, wobei ihm mehrmals krumme Geschäfte nachgesagt, jedoch nie bewiesen wurden. Schwarzenberg nahm und nimmt ihn dennoch massiv in Schutz. Er wich nicht einmal von seiner Seite, als Kalousek im Juli mit unpassenden, ja hysterischen Wortattacken auf die Polizeiermittler losging, weil sie das Parlament wegen schwerem Korruptionsverdacht um die Immunitätsaufhebung der TOP 09-Abgeordneten und früheren Verteidigungsministerin Vlasta Parkanová baten. Außer Kalousek geriet dadurch auch sein loyaler Parteivorsitzender Schwarzenberg in schiefes Licht. Sein Image blättert ab. Er scheint eben doch kein Märchenritter ohne Furcht und Tadel zu sein. Offensichtlich ist er auch nur ein Mensch.