Das Kloster Žiča und seine Bedeutung für die Serbische Orthodoxe Kirche

aus OWEP 1/2020  •  von Rade Kisić

Prof. Dr. Rade Kisić ist Professor für Ökumenische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Belgrad.

Zusammenfassung

Kloster Žiča ist als Sitz des ersten Erzbischofs der Serbischen Orthodoxen Kirche und Krönungskirche der mittelalterlichen Herrscher Serbiens gewissermaßen die „Mutterkirche“ der serbischen Orthodoxie. Der Beitrag zeichnet ihre wechselvolle Geschichte nach.
Die erste Anlage von Kloster Žiča entstand zwischen 1206 und 1217. In der folgeden Epoche war es ein geistliches und weltliches Zentrum des mittelalterlichen Serbien, geriet jedoch dann in eine politische und geografische Randlage, was Verfall und Zerstörungen zur Folge hatte. Das heutige Kloster knüpft an die große Vergangenheit an und zieht mit seinen zahlreichen Kunstschätzen viele Besucher an.

I.

Bei der zentralen Feier anlässlich des 800 Jahr-Jubiläums der Autokephalie1 der Serbischen Orthodoxen Kirche sagte der serbische Patriarch Irinej in seiner Predigt: „Wir sind hier in unserem größten Heiligtum. In ihm hat sich das Volk versammelt, gebetet, hat seinen Glauben verbreitet und gestärkt. Hier begann vor acht Jahrhunderten die Geschichte unserer Autokephalie. Stefan Nemanja und der heilige Sava haben hier Pläne geschmiedet. Sie wussten, dass das Volk sowohl eine organisierte und unabhängige Kirche als auch einen ebensolchen Staat braucht. Sie wurden von heiligen Menschen gegründet, der großen Dynastie der Nemanjići … Auf diesem Geheimnis basiert das Bestehen unserer Kirche, trotz der vielen Leiden, die sie erlebt hat. Unsere Heiligtümer haben gelitten. Sie standen, was ihre Schönheit betrifft, manchmal sogar über den großen byzantinischen Heiligtümern. Das bezeugt auch unser Žiča.“

Die Aussage des Patriarchen, dass das Kloster Žiča das größte serbische Heiligtum ist, geht auf die herausragende Rolle des Klosters in der Zeit der Gründung des mittelalterlichen serbischen Königreichs und der Erlangung der Autokephalie der Serbischen Orthodoxen Kirche zurück; in dieser Hinsicht übertrifft das Kloster Žiča alle anderen serbischen Klöster und Kirchen. Zur Zeit der Gründung der Serbischen Orthodoxen Kirche wurden viele Kirchen gebaut; die erste war die Klosterkirche Žiča, die dem Fest Christi Himmelfahrt gewidmet ist und die „die große Kirche“ oder „die Mutter vieler Kirchen“ genannt wurde.2

Die Klosterkirche Žiča wurde bewusst als der Sitz des serbischen autokephalen Erzbistums und als Krönungskirche für die serbischen Herrscher gebaut. Das geht aus den zwei Gründungsurkunden von Stefan dem Erstgekrönten (Herrscher über Raszien, die Küstenländer und alle Serben von 1217 bis 1227)3 und seinem Sohn und Nachfolger Radoslav (reg. 1227- 1234), die in der zwanziger- und dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts verfasst wurden, hervor. Am Anfang des 14. Jahrhunderts (um 1310) wurde der Text dieser Urkunden als Inschrift an der Seitenwand des Turmes angebracht. Aus dieser Inschrift erfährt man, dass die Gründer ein beachtliches Vermögen (u. a. 57 Dörfer, viele Berge, Felder) für die Aufrechterhaltung des Klosters vorgesehen hatten, und dieses Vermögen wurde im Laufe der Zeit durch weitere Stiftungen noch vergrößert. Dazu wurde das Kloster mit Reliquien (u. a. einem Teil vom Gürtel der seligen Jungfrau Maria und einem Teilstück des heiligen Kreuzes) reichlich beschenkt, was seine Bedeutung als neues geistiges Zentrum festigte.

II.

Die genaue Zeit der Errichtung der Kirche ist heute nicht bekannt, aber den Hagiographien des heiligen Sava (des späteren ersten Erzbischofs der autokephalen Serbischen Orthodoxen Kirche) kann man entnehmen, dass die Kirche zwischen 1206 und 1217 erbaut wurde bzw. dass der heilige Sava selbst die Bauarbeiten beaufsichtigte. Als sein Bruder Stefan der Erstgekrönte 1217 die Herrschaftsinsignien von Papst Honorius III. bekam, fand die Inthronisation vermutlich im Kloster Žiča statt, obwohl die Bauarbeiten und die Arbeiten an der inneren Ausstattung der Kirche noch nicht abgeschlossen waren. 1219 erlangte der heilige Sava 1219 in Nizäa, wo Kaiser Theodoros Laskaris und der Ökumenische Patriarch Manuel Sarantenos wegen der Eroberung der Stadt Konstantinopel durch lateinische Kreuzritter im Exil waren, die Autokephalie für die Serbische Orthodoxe Kirche vom Ökumenischen Patriarchen und wurde selber zum ersten Oberhaupt der serbischen Kirche mit dem Titel „Erzbischof der serbischen und der Küstenländer“ geweiht.4 Anschließend brachte er Bauarbeiter und Maler aus Konstantinopel mit sich, um die Bauarbeiten an der Klosterkirche abzuschließen. Alle Arbeiten an der Kirche (abgesehen vom großen Exonarthex, d. h. der äußeren Vorhalle) wurden bis zum Hochfest der Himmelfahrt Christi im Jahr 1221, als der heilige Sava ein Staats- und Kirchenkonzil in das Kloster Žiča einberufen hatte, abgeschlossen. Bei diesem Konzil hat der heilige Sava seinen Bruder, Stefan den Erstgekrönten, zum ersten serbischen König gekrönt, diesmal nach orthodoxem Ritus, um die politische Unabhängigkeit des Landes abzusichern.5

Die Klosterkirche wurde im Stil der Raška-Schule errichtet, in der sich romanische (westliche) mit byzantinischen (östlichen) Elementen vermischten. Die Kirche ist einschiffig mit einer achteckigen Kuppel und mit einem ursprünglich dreiteiligen Altar. An den inneren Narthex (Vorhalle) schließen sich zwei kleine Kapellen an, die dem heiligem Sabas (dessen Name der heilige Sava trug) und dem Erzmärtyrer Stephanus (dem Patron der Herrscherfamilie) gewidmet sind. Der große Exonarthex wurde wahrscheinlich bis 1228 bzw. bis zur Inthronisation von Stefan Radoslav (reg. 1228-1234) fertig gebaut.6 Vor dem Exonarthex wurde ein Turm mit einer Kapelle im oberen Teil des Turmes errichtet. Nach dem Vorbild der Kirchen auf dem Berg Athos wurde die Fassade rot gefärbt.

Gesamtansicht7

Da die Kirche als Erzbistumssitz und als Krönungskirche errichtet war, wurde der inneren Ausstattung und der Freskenmalerei besondere Achtung geschenkt. Die ersten Maler kamen zusammen mit dem heiligen Sava aus Konstantinopel, und 1220 wurde die ganze Kirche ausgemalt. Heutzutage sind von diesen Fresken nur einige Teile und Fragmente (u. a. die Szene von Jesu Kreuzigung, die Figuren von Aposteln und Erzengeln) erhalten, aber auch diese wenigen Fragmente zeugen vom hohen künstlerischen Wert der Fresken.8

III.

Die Blütezeit des Klosters Žiča dauerte jedoch nicht lange. Ab der Mitte des 13. Jahrhunderts war es häufig räuberischen Überfallen aus Bulgarien ausgesetzt und dadurch stark beschädigt. Aus diesem Grund verlegte der Nachfolger des heiligen Sava, Erzbischof Arsenije Sremac (1233 -1266 im Amt) 1253 den Sitz des Erzbistums nach Peć (Kosovo und Metochien), obwohl noch viele spätere serbische Erzbischöfe bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts in Žiča gewohnt haben. Die Reliquien des heiligen Simon des Mönches (diesen Namen erhielt Stefan der Erstgekrönte, nachdem er Mönch geworden war) wurden ebenso von Žiča nach Sopoćani gebracht, sodass das Kloster Žiča allmählich an Bedeutung verlor. Nichtsdestoweniger haben sich die Erzbischöfe sehr für die Erneuerung der Anlage eingesetzt. Jevstatije II. (1292-1309 im Amt), Nikodim (1317-1324 im Amt) und vor allem Danilo II. (1324-1337 im Amt) haben eine umfangreiche Erneuerung der Kirche sowohl von außen als auch von innen unternommen. Die Fresken wurden besonders während der Herrschaft Milutins und des Erzbischofs Sava III. (1309-1316 im Amt) restauriert bzw. neu gemalt, weil sie infolge der zahlreichen Plünderungen teilweise komplett zerstört worden waren.

Mit der Verlegung der Hauptstadt des serbischen Königreichs nach Skopje (heutige Hauptstadt von Nordmakedonien) war das Kloster Žiča nunmehr vom Zentrum des Staates weit entfernt und das Kloster Peć gewann mehr und mehr an Bedeutung. Am Ende des 13. Jahrhunderts wurden deswegen die serbischen Herrscher nicht mehr im Kloster Žiča gekrönt; so wurden Milutin (reg. 1282-1321) in Deževa und sein Nachfolger Stefan Dečanski (reg. 1322-1331) in Peć gekrönt.

Ab Mitte des 15. Jahrhunderts beginnt eine schwierige Zeit für das Kloster Žiča, und in den nächsten Jahrhunderten war es (mit Ausnahme einiger Mönche vor allem im 16. Jahrhundert) fast völlig verödet. Die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Österreich und dem Osmanischen Reich sowie die dadurch veranlassten Abwanderungen des Volkes haben dazu besonders beigetragen. Während des ersten Serbischen Aufstands gegen das Osmanische Reich von 1804 bis 1813 hat der Anführer des Aufstandes, Đorđe Petrović (bekannter unter dem Beinamen Karađorđe), ein neues Gebäude im Kloster errichten lassen und einige Mönche aus dem Kloster Studenica nach Žiča gebracht, sodass das Klosterleben wieder erwachte. Dieses neue Leben war jedoch nur von kurzer Dauer, weil die Türken nach der Niederwerfung des Aufstandes das Kloster als Vergeltung für die Unterstützung der Aufständischen in Brand gesetzt und zerstört haben. Im Reisebuch „Reise in Serbien im Spätherbst 1829“ schildert der Autor Otto Ferdinand Dubislav von Pirch den Zustand, in dem sich das Kloster Žiča damals befand: „Schitscha ist jetzt nur noch eine große Ruine; ein Teil des königlichen Palastes, des Turms und der Kirche stehen noch, und überall erkennt man die außerordentliche Größe der Dimensionen“.9

IV.

Die große Erneuerung des Klosters unternahm 1855 Bischof Joanikije Nešković, der sich selber dafür sehr eingesetzt hat und die älteren Teile der Klosterkirche sowie die Gebäude für die Mönche restauriert bzw. neugebaut hat, sodass der erste serbische König in der neueren Geschichte, Milan Obrenović (1868 -1882 Fürst, 1882 -1889 König von Serbien), seine Krone 1882 wieder in Žiča empfangen konnte. Die turbulente Geschichte Serbiens (die Balkankriege, der Erste und der Zweite Weltkrieg) sowie das große Erdbeben im Jahr 1987 haben ihre Spuren am Kloster hinterlassen, aber Žiča fiel nie mehr in Vergessenheit, wie es zuvor der Fall gewesen war. Die umfangreiche Restaurierung begann 1925 und dauerte fast ohne Unterbrechung bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Besonders engagiert war dabei der damalige Bischof von Žiča Nikolaj Velimirović (2003 wurde er von der serbischen Kirche heiliggesprochen). Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Kloster bombardiert und viele Gebäude wurden zerstört bzw. sind abgebrannt, während die Kirche wieder beschädigt wurde. Nach dem Krieg wurde das Kloster nach und nach restauriert, und die letzte und wichtigste Phase begann nach dem Erdbeben 1987.10 Dank umfangreicher archäologischer Untersuchungen konnte die ursprüngliche Form der Kirche von den späteren Anbauten unterschieden werden, sodass man bei der Restaurierung darauf bedacht war, der Kirche ihre ursprüngliche Gestalt so weit wie möglich wiederzugeben.

Heute ist Žiča eines der größten Frauenklöster in der Serbischen Orthodoxen Kirche, in dem derzeit um die 40 Nonnen nach den Mönchsregeln, die denen auf dem Berg Athos ähnlich sind, leben. Wegen seiner ikonographischen Werkstatt ist das Kloster auch außerhalb der Grenzen der serbischen Kirche bekannt. (D) Dazu wirkt das Kloster als Herausgeber vieler Bücher und Schriften, die vor allem das monastische Leben und die Spiritualität thematisieren. Hin und wieder organisiert das Kloster wissenschaftliche Konferenzen und Tagungen (wie 2011 ein Symposium über das monastische Leben von Frauen). Das Kloster verleiht auch einmal pro Jahr den Literaturpreis für Dichter „Žička hrisovulja“. Als bedeutendes geistiges Zentrum und als Ort von besonderem historischem Wert zieht das Kloster heute Besucher aus der ganzen Welt an. Nach vielen Jahrhunderten zahlreicher Gefährdungen, die das Kloster heimgesucht haben, lebt es heute wieder das, wozu es errichtet wurde, nämlich eine herausragenden Rolle in der Serbischen Orthodoxen Kirche zu spielen.


Fußnoten:


  1. Zum nachfolgenden vgl. auch „Centralna proslava jubileja 800 godina autokefalnosti Srpske Pravoslavne Crkve u manastiru Žiči“, http://www.spc.rs/sr/centralna_proslava_jubileja_800_godina_autokefalnosti_srpske_pravoslavne_crkve_u_manastiru_zhichi (letzter Zugriff: 27.01.2020 - Link mittlerweile inaktiv!). – „Autokephalie“ bedeutet im orthodoxen Kontext „Selbstständigkeit“. ↩︎

  2. Vgl. Milka Čanak-Medić, Branislav Todić: Manastir Žiča, Belgrad 1999, S. 5. ↩︎

  3. Raszien ist die historische Bezeichnung für eine Landschaft im Südwesten des heutigen Serbien und Kosovo. ↩︎

  4. Vgl. Rade Kisić: Die Serbische Orthodoxe Kirche: In: Thomas Bremer (u. a., Hrsg.): Die orthodoxen Kirchen der byzantinischen Tradition. Darmstadt 2013, S. 46. ↩︎

  5. Ebd., S. 47. ↩︎

  6. Vgl. dazu mehr in Milka Čanak-Medić: Arhitektura i program žičkog eksonarteksa Spasove crkve. In: Gojko Subotić (Hrsg.), Manastir Žiča. Zbornik radova. Kraljevo 2000, S. 57-81. ↩︎

  7. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Kloster_Žiča#/media/Datei: Manastir_Žiča_(by_Pudelek).jpg (Autor: Pudelek). ↩︎

  8. Vgl. etwa Branislav Todić: Topografija žičkih fresaka. In: Subotić, Žiča (wie Anm. 6, oben S. 51), S. 109 -122. ↩︎

  9. Otto von Pirch: Reise in Serbien im Spätherbst 1829. Bd. 2. Berlin 1830, S. 19 f. ↩︎

  10. Manastir Žiča. Belgrad/Cetinje 2011, S. 11. ↩︎