24. Oktober 2012

Rückblick auf Podiumsveranstaltung zum Thema Rechtsextremismus in Mittel- und Osteuropa

Ein Rückblick auf die Podiumsdiskussion der Redaktion der Zeitschrift OST-WEST. Europäische Perspektiven und Renovabis in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde und der Konrad-Adenauer-Stiftung.
(Berlin, Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung, 18. Oktober 2012)

Fernsehbilder und Reportagen aus allen Teilen Europas bringen es an den Tag: Die demokratische Grundordnung wird vielerorts von „rechts“ bedroht. Unabhängig von der geographischen Himmelsrichtung treten Parteien und Gruppierungen in der Öffentlichkeit auf und finden mehr oder weniger starken Zulauf, weil sie scheinbar klare und eingängige Antworten für die meisten Probleme anbieten: Schuld an Eurokrise, Arbeitslosigkeit und Armut sind „die Anderen“, und die Lösung besteht darin, sie zu entfernen, am besten in ein Ghetto zu stecken oder noch besser ganz aus dem jeweiligen Land abzuschieben. Länder wie Ungarn oder Russland stehen am Pranger, weil es immer wieder spektakuläre Vorfälle von Rassendiskriminierung gibt, die vereinzelt sogar in Brandstiftung oder blanken Mord übergehen. Doch ist Vorsicht geboten – wer mit dem Finger auf andere zeigt, vergisst oft, dass drei Finger in die entgegengesetzte Richtung weisen. Gerade in Deutschland ist es wichtig, an die belastete Vergangenheit und die problematische Gegenwart – Stichwort „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) – zu erinnern.

Mit diesen Vorbemerkungen sollen die Eckpunkte umrissen werden, die bei der Genese der Podiumsdiskussion eine entscheidende Rolle spielten. Frank Priess, stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung, beschrieb einführend die aktuelle Situation in Mittel- und Osteuropa und mahnte trotz aller Besorgnis, zu der manche Ereignisse Anlass geben, zur Besonnenheit und warnte vor vorschnellen Verurteilungen. Dr. Heike Dörrenbächer, Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, hob in ihrem Grußwort hervor, wie wichtig gerade an einem Ort wie Berlin die Durchführung eines solchen Podiums sei. Burkhard Haneke, Geschäftsführer von Renovabis, stellte die Verbindung zum Auftrag des Osteuropahilfswerks der deutschen Katholiken her, zu dessen Anliegen auch die Information über politische und gesellschaftliche Entwicklungen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa gehört. Wenn es darum geht, dass Menschen in ihrer Entfaltung gefährdet sind, ja sogar ihr Leben bedroht ist, dann muss ein Hilfswerk wie Renovabis für sie einstehen, sei es durch Hilfsprojekte für Minderheiten wie die Roma im Donauraum, sei es durch Berichte und Reportagen, wie sie das aktuelle Heft der Zeitschrift OST-WEST. Europäische Perspektiven bietet, das ebenfalls dem Schwerpunkt „Rechtsextremismus in Mittel- und Osteuropa“ gewidmet ist.

Burkhard Haneke moderierte auch die anschließende Runde, in der zunächst der in Belgrad und Budapest tätige dpa-Korrespondent Gregor Mayer seine Eindrücke zur Situation in Ungarn schilderte. Nicht unwidersprochen blieb seine These, unter Ministerpräsident Orbán habe sich der Staat und die Gesellschaft dem Rechtspopulismus geöffnet, „die Grenzen zum Rechtsextremismus verschwimmen, und das ist das Bedenkliche“. Die Wirtschaftskrise und in ihrem Gefolge ein Anstieg der Arbeitslosigkeit und drohende Massenverarmung sind kein auf Ungarn beschränktes Phänomen, rechtfertigen aber noch lange nicht die breite Ausgrenzung der Roma und die Zunahme des Antisemitismus. Im Blick auf Russland ergeben sich nach Ansicht von Natalja Zorkaya, Mitarbeiterin des Levada-Instituts für Meinungsforschung in Moskau, durchaus ähnliche Grundmuster: Viele Menschen leiden unter dem wirtschaftlichen Niedergang der letzten Jahre und sehen einerseits in den „Anderen“ (Kaukasiern, Asiaten) als äußerlich erkennbar „Fremden“, andererseits aber auch pauschal im „Westen“ die Ursache für die alltägliche Misere. Der Blick vieler Menschen geht zurück in die Zeit der Sowjetunion, eine Epoche der Größe und Stärke, und im Vergleich dazu bietet die Gegenwart nur Enttäuschungen, was sich auch an den Ergebnissen entsprechender Umfragen des Levada-Instituts ablesen lässt.

Ein anderes Bild bietet die Ukraine, in der, wie Dr. Dr. Andreas Umland, Dozent an der Kiew-Mohyla-Akademie, ausführte, historisch bedingte Gegensätze zwischen dem Osten und Süden einerseits und dem Westen andererseits den politischen und gesellschaftlichen Diskurs bestimmen. Das „Land an der Grenze“ war schon immer von Multikulturalität geprägt, eine rechtsextreme Szene mit Betonung des „Ukrainischen“ in Absetzung vom „Russischen“ bilde sich erst seit etwa 2000 heraus. Allerdings – und hier knüpfte er an die Bemerkungen von Gregor Mayer an – lässt sich in der Ukraine ebenfalls ein Ineinanderfließen von rechtspopulistischen und rechtsextremen Vorstellungen in der Parteienlandschaft beobachten. Ein klares Bild zur Situation in Deutschland zeichnete dann Dr. Olaf Vahrenhold, stellvertretender Leiter des Landesamts für Verfassungsschutz Sachsen. Die deutschen Behörden haben zwar seit langem einen guten Überblick über die rechtsextreme Szene, hätten deren Umfang und kriminelle Energie jedoch, wie er einräumte, unterschätzt, denn wie anders lässt sich erklären, dass der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) über viele Jahre hinweg sein Unwesen treiben konnte. Der letzte große Anschlag mit rechtsextremistischem Hintergrund fand beim Oktoberfest 1980 in München statt, seither herrschte eine trügerische Ruhe. Die laufende Aufarbeitung der NSU-Verbrechen zeige jedoch, dass man aus den Fehlern gelernt habe. Auf Nachfrage aus dem Publikum ergänzte er, dass es einzelne Verbindungen der deutschen rechten Szene nach Mittel- und Osteuropa gebe, eine weitergehende Vernetzung jedoch (noch) nicht festzustellen sei.

Als letzter Sprecher auf dem Podium ergriff Dr. Florian Hartleb, Hochschule für Politik München, das Wort und skizzierte in großen Strichen die rechtsgerichtete Parteienlandschaft in Europa. Im Anschluss an seine Vorredner wies er auf den Unterschied zwischen Populismus und Extremismus in der Ausrichtung hin, deren Grenzen sich z. T. überlappten. Populistisch ausgerichtete Parteien haben z. B. in Frankreich, Österreich, Finnland oder Polen bis zu 25 Prozent Wählerstimmen erzielt, während das rechtsextreme Potenzial bei weniger als 5 Prozent liege. Hieran knüpften ebenfalls Nachfragen an; aus dem Publikum kamen weitere Rückfragen und Ergänzungen zur Situation in Polen, Bulgarien und anderen Staaten Mittel- und Osteuropas.

Als Fazit der mehr als zweistündigen Diskussion, an der über 60 interessierte Gäste teilnahmen, lässt sich festhalten: Eine unmittelbare Bedrohung für die demokratische Entwicklung Europas durch rechtsextremistische Parteien und Gruppierungen deutet sich zwar nicht an, es gilt aber, in fast allen Ländern gegenüber extremistischen Tendenzen wachsam zu bleiben. Veranstaltungen wie diese Diskussionsrunde tragen dazu bei, das Bewusstsein für das Gefahrenpotenzial zu stärken. Eine wesentliche Aufgabe kommt darüber hinaus den Trägern der politischen Bildung in allen Ländern zu, denn ihre Informations- und Bildungsarbeit sorgt für den Abbau von Vorurteilen und eine Stärkung des demokratischen Bewusstseins.

Ein weiterer ausführlicher Bericht zur Veranstaltung mit einer Reihe von Bildern findet sich auf der Homepage der Konrad-Adenauer-Stiftung unter http://www.kas.de/wf/de/33.32454/.

Einladung und ausführliche Hinweise zu den Mitwirkenden (112 KB)