Inmitten Europas – Slowenien in Geschichte und Gegenwart

aus OWEP 2/2017  •  von Joachim Hösler

Prof. Dr. Joachim Hösler ist außerplanmäßiger Professor für Neuere und Osteuropäische Geschichte an der Philipps-Universität Marburg und Lehrer für Geschichte und Politik/Wirtschaft an der Carl-Strehl-Schule der Blindenstudienanstalt Marburg. Er stellte auch die Vorlage für die Karikatur zur Verfügung.

Zusammenfassung

Der Großteil der Geschichte der Slowenen verlief ohne Eigenstaatlichkeit. Die im 6./7. Jahrhundert südlich der Karawanken sesshaft gewordenen Slawen fädelten sich in den Herrschaftsausbau des Heiligen Römischen Reiches ein. Sie und ihre Nachfahren wurden über Jahrhunderte hinweg von weit entfernten Machtzentren aus beherrscht. Erst im 20. Jahrhundert gelang unter extremen Bedingungen ein Staatsbildungsprozess. Dieser generierte zunächst zwei übernationale Lösungen und führte schließlich 1991 zur nationalstaatlichen Eigenständigkeit.

Anmerkung des Autors:

„Für die Durchsicht des Typoskripts danke ich Ulrike Bittner und Birgit Irgang herzlich. Geschrieben habe ich den Text auch in Erinnerung an den viel zu früh verstorbenen Historiker und Freund Janez Cvirn (1960-2013), dessen vielgestaltige Anregungen nicht nur der historischen Disziplin in Slowenien fehlen.“

Wer Slowenien nur als Transitland nutzt, verpasst etwas. So klein das Land ist – flächenmäßig (20.273 km2) entspricht es der Größe Hessens –, so reizvoll ist es aufgrund seiner naturräumlichen Vielfalt (Alpen, Küstenland, Karst, Mittelgebirgslandschaft) und seiner reichen Geschichte und Kultur. Seine Nachbarn sind im Norden Österreich, im Osten Ungarn, im Südosten Kroatien und im Westen Italien. Die Entwicklung des Landes, der slowenischen Sprache und Kultur wurde durch diese – sprachlich und kulturell so heterogenen – Nachbarschaften stark geprägt.

Erste Spuren und Strukturen

Im Jahr 1995 fanden Archäologen zwischen der heutigen Landeshauptstadt Ljubljana und Nova Gorica eine kunstvoll gefertigte Flöte, deren Alter sie auf mindestens 45.000 Jahre datierten: Spur eines Homo Neanderthalensis, dem Kunst nicht fremd gewesen sein kann! Auch die Hallstattkultur (8. bis 4. Jahrhundert) hat Primärquellen hinterlassen. Seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. lebten Kelten in der Region des heutigen Slowenien; ihr Königreich Norikum soll sein Zentrum im Gebiet des heutigen Celje (Cilli) gehabt und Handelskontakte zum Imperium Romanum gepflegt haben. Zehn Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung fügten die Römer Norikum ihrem Reich ein. Über vier Jahrhunderte hinweg strukturierte das Imperium Romanum die Region mit Siedlungen, Straßen, christlichen Sakralbauten, Grenzanlagen usw. Der Untergang des Weströmischen Reiches (476) hinterließ wie im westlichen Europa auch in dieser Region ein Machtvakuum.

Mittelalterliche Kolonisation und Herrschaftsausbau

Dieses Vakuum füllten vorübergehend Westgoten, Ostgoten, Langobarden und Awaren. Im 6./7. Jahrhundert kamen Slawen aus nordöstlichen Richtungen in die Region. Es handelte sich um eine prozessuale, unkoordinierte und dauerhafte „Slawisierung des flachen Landes“ (Edgar Hösch). Daraus ging das eigenständige Fürstentum „Carantania“ (Karantanien) hervor. Mitte des 8. Jahrhunderts baten karantanische Fürsten ihre bairischen Nachbarn gegen die Awaren um Hilfe. Diese wurde gewährt, musste aber mit dem Verlust der Eigenständigkeit bezahlt werden. Mit den Baiern kamen die Karolinger, die seit 751 an der Spitze des Königreichs der Franken standen. Mit so genannten Ostmarken (daraus entstanden Bezeichnungen wie „Mark Krain“, „Karantanische Mark“, „Mark Istrien“ usw.) sicherten die Karolinger und ihre Nachfolger diese Grenzregionen des Heiligen Römischen Reiches, das den Anspruch hatte, Nachfolger des Imperium Romanum zu sein.

Im 9./10. Jahrhundert war politisch noch vieles offen. Mit der Kaiserkrönung Ottos I. im Jahr 962 und der Strukturierung der Grenzmarken mit vom Kaiser belehnten Grafschaften festigte sich jedoch eine Konstellation, die im Wesentlichen bis 1918 anhielt: Eine ganz überwiegend slawische Bevölkerung wurde von landfremden, zumeist deutsch sprechenden Oberschichten beherrscht. Im Kern handelte es sich, wie in anderen zentraleuropäischen Gegenden, um den sozialen Konflikt zwischen Bauer und Grundherr, der unter diesen besonderen Bedingungen leicht ethnisiert werden konnte. Der Herrschaftsausbau erfolgte durch weltliche und geistliche Grundherren. Die Bistümer Brixen, Bamberg, Gurk und Freising1, das Erzbistum Salzburg und das Patriarchat Aquileia erhielten von der königlichen Zentralgewalt umfangreiche Lehen. Sie garantierten dafür die Herrschaft des Königs und die Missionierung der Bevölkerung. Kirchen wurden gebaut, seit dem 11. Jahrhundert entstanden Klöster der Benediktiner, Kartäuser und Zisterzienser, die große wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung gewannen.

Seit dem 12. Jahrhundert bekamen größere Siedlungen, in denen Markt gehalten wurde, urbanen Charakter. Das heutige Ljubljana ist urkundlich erstmals 1144 als „Laybach“ und 1146 als „Luwigana“ belegt. Die Siedlung mit der markanten Burg erhielt Anfang des 13. Jahrhunderts das Stadtrecht und wurde zum bedeutendsten Knotenpunkt der Region.

Mit der Wahl Rudolfs von Habsburg zum König des Heiligen Römischen Reiches am 1. Oktober 1273 erhöhte sich schlagartig die Durchsetzungskraft der Habsburger. Schrittweise nahmen sie Österreich, Steiermark, Kärnten, Krain, Friaul und Istrien in Besitz. Krain, das Kerngebiet des späteren Slowenien, wurde 1335 für fast 600 Jahre habsburgisch.

Ende des 14. und Anfang des 15. Jahrhunderts bedrohten die aufstrebenden Grafen von Cilli die Dominanz der Habsburger in der Region. Mit massiver Waffengewalt und geschickter Vertragspolitik „beerbten“ die Habsburger die 1456 ausgestorbenen Cillier, erweiterten und arrondierten damit ihre Besitzungen südlich der Karawanken. Die Fürstenfamilie von Cilli hatte slawische Wurzeln. In der slowenischen Geschichtsschreibung wird gern spekuliert, wie die Geschichte anders hätte verlaufen können, wenn diese „slowenischen“ Fürsten sich durchgesetzt hätten. Freilich lag auch dieser Dynastie, wie den Habsburgern, nichts ferner als eine Nationalpolitik. Doch im Staatswappen der Republik Slowenien sind die drei Sterne auf blauem Grund aus dem Wappen der Cillier Fürsten zu sehen.2

Ende des 15. Jahrhunderts war die Herrschaft der Habsburger nochmals – und nun in Gänze – bedroht: von Matthias Corvinus, dem König von Ungarn. Nach dessen überraschendem Tod im Jahr 1490 sicherten sich die Habsburger den Zugriff auf die ungarische Krone; Steiermark, Kärnten, Görz, Istrien und Krain fasste die königliche Kanzlei seitdem als „unsere ynnere Land“, als Innerösterreich zusammen.

Rebellion und Repression in Innerösterreich

Für diese Verwaltungseinheit sind rund 130 Bauernaufstände während des 16. und 17. Jahrhunderts nachgewiesen; während des 18. Jahrhunderts kamen weitere 70 Bauernaufstände hinzu. In aller Regel verlässt ein Bauer seine Familie, sein Land und sein Vieh nicht, um zu rebellieren. Wiederholte Überfälle aus dem Osmanischen Reich, fehlende Hilfeleistung der Habsburger und der Grundherren vor Ort, die weiter steigende Belastung durch Steuern, Abgaben und Frondienste ließen die Rebellion jedoch zur Notwendigkeit werden. Die meisten und größten Bauernaufstände gingen von der Gottschee aus. Die Forderungen wurden auf Deutsch, Slowenisch und Kroatisch formuliert. Sie hatten durchgängig sozialpolitischen Charakter und ließen keine nationalen Ambitionen erkennen.

Die katholische Kirche, welche die Herrschaft legitimierte, verlor an Vertrauen. Auch deshalb fielen die Ideen der Reformation in der innerösterreichischen Agrargesellschaft auf fruchtbaren Boden, allerdings vor allem bei Bürgern, Adligen, bei den Landständen und den Landeshauptmännern, welche die Reformation auch als Mobilisierungsideologie gegen die Habsburger nutzten. In Kärnten, der Steiermark und in Krain entstanden protestantische Landeskirchen und Schulen. Erstmals wurden Bücher in slowenischer Sprache gedruckt: 1550 ein „Catechismus in der windischen Sprach“, 1555 das Matthäusevangelium, 1557 der erste Teil des neuen Testaments („Ta pervi deil tiga Noviga Testamenta“) – alles zusammengestellt und übersetzt von dem Prediger Primus Truber (Primož Trubar).3 Dem evangelischen Bekenntnis war jedoch nur eine kurze Blüte beschieden, denn von etwa 1580 bis 1630 ließen die Habsburger Innerösterreich gewaltsam rekatholisieren. Dies unterbrach die Weiterentwicklung der slowenischen Schriftsprache für mehr als hundert Jahre.

Stärker als vor der Reformation geriet Innerösterreich in eine Randlage. Aufgrund der Entdeckung neuer Seewege und der Verlagerung der Handelsrouten auf die Weltmeere verlor Venedig wirtschaftlich an Bedeutung; darunter litten Produktion und Handel in Innerösterreich. Kaiser Ferdinand II. ließ zudem die Residenz der Habsburger 1619 von Graz nach Wien verlegen: Innerösterreich wurde sozialökonomisch und politisch peripherisiert, wobei es innerhalb der Verwaltungseinheit ein sozialökonomisches Gefälle von Nord nach Süd gab. Dies hing auch mit der unterschiedlichen Erbfolge zusammen: In der Untersteiermark, in Südkärnten, Krain und im Küstenland wurden die bäuerlichen Wirtschaften unter allen Söhnen aufgeteilt. Folge: Besitzsplitterung, Klein- und Kleinstbauernhöfe mit niedrigen Erträgen. In den nördlichen Gebieten bestand das Anerbenrecht; ein Erbkind, in der Regel der älteste Sohn, übernahm den ungeteilten Hof. Folge: Erhalt und Ausbau größerer Einzelhöfe.

In der Fläche entstanden in Innerösterreich, anders als in nördlichen Gebieten der Habsburgermonarchie, kaum Manufakturen. Nur die Entdeckung von Quecksilber bei Idria (slow. Idrija) im Jahr 1493 befeuerte die wirtschaftlich-technische Entwicklung. Mitte des 18. Jahrhunderts war das Bergwerk von Idria der weltweit bedeutendste Produzent und Lieferant von Quecksilber. Dies zog auch Händler an: Mitte des 18. Jahrhunderts gab es in Krain 85 Großkaufleute, davon allein in Laibach 40, die mit dem Import von Salz, exotischen Gewürzen und Luxuswaren rasch reich wurden.

Gelehrte wie Johann Weichard Valvasor und Heinrich Georg Hoff beschrieben die sprachlich-kulturelle Vielfalt des Landes während des 17./18. Jahrhunderts; die Region werde durch ständigen Zustrom von Menschen „aus allerley Nationen“ bereichert. Beiden Autoren fällt an der Bevölkerung die sprachliche Gewandtheit auf; diese erforderte der Handel. Schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts sollen z. B. jährlich 90.000 Salzladungen von bäuerlichen Händlern ins Binnenland transportiert worden sein. Ein kaiserliches Patent erlaubte 1737 ausdrücklich den bäuerlichen Handel mit der Hafenstadt Triest. Wer dies nutzen wollte, musste in verschiedenen Sprachen kommunizieren können.

Von der Vaterländerei zum Nationalismus

Die Reformen der Kaiserin Maria Theresia und ihres Sohnes und Nachfolgers Joseph II. in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zielten darauf, die wirtschaftliche und militärische Kraft der Habsburgermonarchie zu stärken. Diesem Zweck dienten Verwaltungsreformen, durch die auch Innerösterreich aufgelöst wurde, Agrarreformen, Kirchen- und Schulreformen. Schule wurde von Maria Theresia zum „Politicum“ erklärt. Für die Landeskinder wurden Fibeln, Grammatiken und Lehrbücher in ihrer Sprache benötigt. So begann erneut eine intensive Auseinandersetzung mit der „windischen“ und „crainerischen“ Sprache. Der Jesuit Oswald Gutsmann veröffentlichte 1777 mit seiner „Windischen Sprachlehre“ die erste, wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Grammatik der slowenischen Sprache.

Seit 1765 lebte der in Triest geborene Sigmund Zois Freiherr von Edelstein in Laibach, ein vermögender Geschäftsmann, Großgrundbesitzer, universell interessiert, gesellschaftlich engagiert und seit den 1780er Jahren Inspirator einer Tischrunde, die gut 35 Jahre lang Wissbegierige und Gelehrte zusammenbrachte. Zu ihnen gehörten Anton Linhart, der Bühnenstücke und eine zweibändige Geschichte Krains veröffentlichte; Valentin Vodnik, der Schulfibeln, Bauernkalender und Gedichte schrieb und von 1797 bis 1800 das erste slowenische Mitteilungsblatt herausgab („Lublanske novice“); Bartholomäus Kopitar, der sich gern als „Carantanus“ bezeichnete und zeitlebens keine Zeile auf Slowenisch veröffentlichte, aber als Philologe – seit 1808 in Wien arbeitend – die Entwicklung und Kodifizierung der slowenischen Sprache wie kein zweiter förderte. In wirtschaftlicher Hinsicht blieb die Region allerdings während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts randständiges Agrarland. Heimarbeit dominierte gegenüber gewerblicher Arbeit außer Haus. Manufakturen, Dampfmaschinen und Fabriken wurden meist mit Kapital aus Triest oder Wien finanziert.

Viel tat sich hingegen in sprachlich-kultureller Hinsicht. Etliche Priester, Dichter, Volkskundler und Lehrer befassten sich mit slawischen Sprachen und Dialekten, ihren Alphabeten, ihrer Orthographie. Am Ende waren es zwei Männer, welche die Entwicklung der slowenischen Sprache entscheidend geprägt haben: der Dichter der Romantik France Prešeren und der Verleger Janez Bleiweis. Prešeren hat für einen eher kleinen, intellektuellen Leserkreis gezeigt, dass die Sprache der bäuerlichen Unterschichten geeignet war, kunstvolle Poesie auf höchstem Niveau zu verfassen. 1990 wurde die siebte Strophe seines Trinkliedes von 1844 zum offiziellen Text der slowenischen Nationalhymne: „Ein Lebehoch den Völkern, / die sehnend nach dem Tage schau’n, / an welchem aus dem Weltall / verjaget wird der Zwietracht Grau’n, / wo dem Freund / Freiheit scheint, / und wo zum Nachbar wird der Feind.“ Die von Bleiweis herausgegebene Zeitung „Neuigkeiten für Bauern und Handwerker“ erreichte Leser im ganzen slowenischen Sprachgebiet, vor allem aber in Krain. Seit 1843 förderte die Zeitung die Wandlung des krainischen Landespatriotismus zu einem slowenischen Nationalismus.

Zum Ausdruck kam dies während der Revolution 1848/49. Geistliche und weltliche nationalbewusste Slowenen verfassten mit dem „Programm des Vereinten Slowenien“ die erste, ethnisch begründete Petition in der Habsburgermonarchie: 1. Vereinigung der Slowenen in einem Königreich mit eigenem Landtag, 2. Einführung des Slowenischen als Amtssprache, 3. Slowenien soll nicht dem Deutschen Bund angehören. Politisch positionierten sich die Repräsentanten der slowenischen Nationalbewegung auf der Seite der gegenrevolutionären Kräfte. Mit der Unterdrückung der Revolution wurde die Petition zwar bedeutungslos, blieb aber für die spätere slowenische Nationalbewegung ein wichtiger Bezugspunkt. Nach 1850 setzten vor allem Geistliche im Stillen die Pflege der slowenischen Sprache fort; verbunden war damit eine Erinnerungsarbeit, die slowenische Nationalgefühle mit Konservatismus und Monarchietreue verband. Damit begann auch die Ethnisierung politischer Differenzen: Deutsche Literatur galt als zu freisinnig, zu liberal.

Mit der Zulassung von Vereinen und Parteien seit Anfang der 1860er Jahre formierten sich „Jungslowenen“, die ihre nationalpolitischen Forderungen – anders als die Anhänger von Bleiweis – mit liberalen Auffassungen verbanden. Von 1868 bis 1871 veranstalteten sie 18 politische Volksfeste unter freiem Himmel, nach tschechischem Vorbild „Tabori“ genannt. Die Taborbewegung erinnerte an das Programm des Vereinten Slowenien und protestierte gegen „Germanisierung“ und „Italienisierung“. Auch Deutsche organisierten sich, zunächst als Liberale, später vor allem in konservativen Parteiungen und „nationalen Schutzvereinen“, die nicht frei von Rassismus und Antisemitismus waren. Es kam zu „nationalen Exzessen“ in Laibach und in Cilli. Die seit 1880 in der Monarchie geführte Umgangssprachenstatistik trug zur Eskalation bei: Pro Person durfte nur eine Umgangssprache angegeben werden, sie galt als Merkmal der „Nationalität“. Um den politischen Einfluss einer Sprachgruppe zu erhöhen, mussten nun möglichst viele „ihre“ Sprache angeben. Die Ethnisierung politischer und sozialer Konflikte war nicht mehr aufzuhalten.

Vor dem Ersten Weltkrieg blieben alle drei slowenischen Parteien, die klerikal Konservativen, die Nationalliberalen und die Sozialdemokraten, dem Haus Habsburg gegenüber loyal. Nur studentische, nationalrevolutionäre, aber marginalisierte Kräfte setzten auf das Ausscheiden der Slowenen aus der Habsburgermonarchie und ihren Anschluss an ein eigenständiges Jugoslawien.

Staatswerdung unter extremen Bedingungen

Während des Krieges gerieten slowenisch-nationale Akteure in ein immer größer werdendes Dilemma: Slowenen kämpften in österreichischen Uniformen für die Monarchie und die Rückeroberung Venetiens; als Slawen standen sie allerdings unter dem Generalverdacht des Hochverrats. Seit Beginn des Krieges stand das Angebot der serbischen Regierung, des Feindes: Befreiung aller Serben, Kroaten und Slowenen! Die slowenisch-nationalen Kräfte favorisierten lange eine austroslawische Lösung: Vereinigung der Slowenen, Kroaten und Serben unter den Habsburgern. Erst infolge der Niederlage Österreich-Ungarns flüchteten sich die slowenischen Organisationen regelrecht in den Staat der Slowenen, Kroaten und Serben, der am 29. Oktober 1918 ausgerufen wurde, und kurz darauf in das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (Proklamation am 25. November 1918). Anders waren die als slowenisches Nationalgebiet beanspruchten Territorien nach dem Untergang der Habsburgermonarchie militärisch nicht zu sichern.

Kärnten blieb nach einer Volksabstimmung im Oktober 1920 österreichisch. Italien behielt die 1866 eroberten Gebiete Venetiens und gewann ein Viertel des slowenischen Sprachgebietes mit ca. 300.000 Einwohnern, die in der Folgezeit einer brutalen Italienisierungspolitik ausgesetzt waren. Vertreter der slowenischen Nationalbewegung waren zutiefst enttäuscht. Nach dem Gründungsrausch 1918 kam das Erwachen in einer südslawischen Monarchie, in welcher Serben einen Bevölkerungsanteil von 43 Prozent, Slowenen von nur acht Prozent hatten. Allerdings wurde das restliche slowenische Sprachgebiet verwaltungsmäßig so zusammengefasst, dass hier eine Art Nationsbildung möglich war: slowenisches Schul- und Hochschulwesen, die slowenische Oper, Universität, Nationalmuseum, Nationaltheater, Radio Ljubljana usw. – dies alles wurde aufgebaut auf der Grundlage einer nicht krisenfreien, aber insgesamt günstigen wirtschaftlichen Entwicklung, die verbunden war mit der Industrialisierung und einem tiefgreifenden sozialen Strukturwandel: 1941 verdiente die Mehrheit der Slowenen ihren Unterhalt in der Industrie und im Dienstleistungssektor. Bezeichnend ist auch die Entwicklung der Geschichtsschreibung: Die Historiker in Ljubljana und Maribor engagierten sich kaum für eine jugoslawische Geschichtswissenschaft, sondern sie arbeiteten aus nationaler Perspektive einer slowenischen historischen Disziplin zu.

Dies alles stellte der deutsche Überfall am 6. April 1941 infrage. Jugoslawien war nicht im Innern gescheitert. Es wurde von außen zerstört und zerlegt, mit toxischen Folgen bis in die Gegenwart. Ljubljana und den Südwesten der slowenischen Teilrepublik überließ Hitler Mussolini; das Großdeutsche Reich verleibte sich Oberkrain und Untersteiermark ein, das Gebiet östlich des Flusses Mura erhielt Ungarn. Die drei Besatzungsmächte einte das Ziel, alles Slowenische auszulöschen. Am brutalsten ging die deutsche Besatzungsmacht vor. Die für die „Umvolkung“ zuständige Einsatzstelle Südost des Rasse- und Siedlungshauptamtes der SS musterte ca. 73 Prozent der slowenischen Vorkriegsbevölkerung nach rassistischen Kriterien. Etwa 80.000 Menschen wurden deportiert, ca. 50.000 kamen durch die Besatzung zu Tode. Dass nicht noch mehr Slowenen deportiert und ermordet wurden, ist dem Kriegsverlauf und dem Widerstand zu verdanken. Die Partisanen bekämpften sowohl die Okkupanten als auch die nichtkommunistischen Vorkriegseliten Sloweniens, ein Verbrechen und ein politischer Fehler.

Nach dem Krieg kam die „Zeit der Rache“ (Tito). Sie kostete im slowenischen Gebiet ca. 50.000 Menschen das Leben, darunter 15.000 Slowenen – Menschen, die sich gegen die Partisanen entschieden und eher konservativen, rechtsgerichteten Gruppierungen (slowenische Landeswehr, kroatische Ustascha, serbische Tschetniks usw.) angeschlossen hatten. Bis Anfang der 1960er Jahre emigrierten ca. 30.000 Slowenen aus überwiegend politischen Gründen; in den folgenden drei Jahrzehnten verließen ca. 70.000 Menschen die slowenische Teilrepublik Jugoslawiens aufgrund überwiegend ökonomischer Motive, ein Aderlass, der immer wieder Diskussionen über die „Zukunft der slowenischen Nation“ auslöste. Die Verbrechen der Partisanen hingegen wurden tabuisiert. Sie werden erst seit Beginn der 1990er Jahre thematisiert.

Auch im zweiten, titoistischen Jugoslawien gab es eine recht homogene slowenische Teilrepublik, in der 1948 1,4 Millionen Menschen lebten (97 Prozent Slowenen). Die in Jugoslawien I begonnene Nationsbildung wurde fortgesetzt. Begünstigt wurde dies durch den dezentralen Aufbau und – seit 1974 – die Überföderalisierung Jugoslawiens. Arbeiterräte, Betriebsverwaltungen und politische Führungen in den einzelnen Republiken konnten Politik in ihrem Interesse betreiben, der Gesamtstaat war von Belgrad zunehmend unregierbar. Neben Kroatien gehörte Slowenien zu den Gewinnern dieser Entwicklung. Slowenien hatte nach 1945 die besten Ausgangsbedingungen; das slowenische Bruttosozialprodukt pro Kopf war im Durchschnitt doppelt so hoch wie das jugoslawische, und der Vorsprung zu den weniger entwickelten südlichen Republiken wuchs. 1988 lebten in Slowenien acht Prozent aller Jugoslawen, auf sie entfielen 17 Prozent des BSP, 20 Prozent des Imports und 23 Prozent des Exports Gesamtjugoslawiens. Die ökonomisch motivierte Unzufriedenheit in Slowenien war also nicht die eines Armen, sondern die eines Reichen; diesem Diskurs zufolge fühlte sich Slowenien von Jugoslawien buchstäblich ausgezogen.

Die nicht minder wirkungsmächtige politische Unzufriedenheit entstand vor allem aus dem Gefühl der Fremdbestimmung durch die in Serbien liegende Hauptstadt, Erfahrungen der Repression und der Zensur.

Slowenien fühlte sich von der jugoslawischen Föderation ausgezogen, wie es diese Zeichnung von Milan Maver in der Tageszeitung „Delo“ am 29. September 1988 zeigt.

Nach Titos Tod 1980 – von vielen als Anfang vom Ende wahrgenommen – sind drei sich radikalisierende Phänomene auszumachen, welche die öffentliche Stimmung und die politischen Kräfteverhältnisse in Richtung nationalstaatliche Eigenständigkeit veränderten: Erstens die seit 1982 erscheinende Zeitschrift „Nova Revija“, die sich zu dem Sprachrohr einer Opposition entwickelte; nationale Identität, Pluralismus, individuelle Freiheit waren ihre Themen. Zweitens der slowenische Punk, also dissidente, alternative Musik- und Kulturgruppen, die das Establishment brüskierten und die Gesellschaft an Renitenz gewöhnten. Drittens die Verhaftung von vier Mitarbeitern der Zeitschrift „Mladina“ Ende Mai 1988, darunter Janez Janša, ab 1990 erster Verteidigungsminister und ab 2004 Ministerpräsident des selbstständigen Slowenien; der Hochverratsprozess in Ljubljana in serbokroatischer Sprache rief eine massive Protestbewegung hervor, welche die Verhafteten zu Nationalhelden stilisierte.

Entscheidend für den relativ friedlichen Übergang in die nationalstaatliche Eigenständigkeit und die Systemtransformation war der Schulterschluss zwischen der Opposition und der kommunistischen Regierung. In getrennten Erklärungen formulierten sie im Mai 1989 die gleichen Ziele: Souveränität des slowenischen Volkes, politischer Pluralismus und freie Wahlen. Im April 1990 gewann das Oppositionsbündnis DEMOS die ersten freien Parlamentswahlen. Die Volksabstimmung Ende 1990 ergab eine deutliche Mehrheit für die Eigenstaatlichkeit Sloweniens. Nach letzten Verhandlungen mit Belgrad beschloss das slowenische Parlament, den Weg zur Unabhängigkeit zu ebnen, die am 25. Juni 1991 deklariert wurde.

Euphorie – Ernüchterung, nationale Einheit – soziale Konflikte

Von 1990 bis Mitte der 2000er Jahre betrieben Mitte-rechts- und Mitte-links-Regierungen – auch unter dem Druck von Gewerkschaften – eine eher gebremste Transformation. Soziale Friktionen blieben aus. Slowenien galt als Musterknabe der EU, der allerdings auch seine Alpträume hat: Der Streit um Widerstand und Kollaboration im Zweiten Weltkrieg spaltet die Gesellschaft weiterhin. 2004 – Ankunft in Europa: Eröffnung des Goethe-Instituts in Ljubljana, NATO-Beitritt, EU-Mitgliedschaft. Dann die Ernüchterung: Am 26. November 2005 demonstrierten 40.000 Menschen in Ljubljana gegen den Sozialabbau. Die Wirtschaftskrise 2008, die fortgesetzte Privatisierung staatlichen Eigentums, Sparpolitik und massive Korruption auf staatlicher und kommunaler Ebene verschärften die sozialen Probleme und die Unzufriedenheit. Janez Janša, einer der Nationalhelden von 1988, wurde zum Gesicht der Korruption; im Jahr 2014 saß er ein paar Monate einer stark verkürzten Haftstrafe wegen Bestechung und Begünstigung im Amt ab.

2010 bis 2013 reorganisierten sich sozialistische Gruppierungen, die als Wahlbündnis bei der Parlamentswahl im Juli 2014 knapp sechs Prozent und damit sechs der 90 Abgeordnetensitze erhielten. Wahlsieger und Ministerpräsident wurde jedoch aus dem Stand der Starjurist Miro Cerar mit einer neu gegründeten liberalen Antikorruptionspartei, die ganz auf ihn zugeschnitten ist. Die von ihm seit dem 18. September 2014 geführte Mitte-links-Regierung setzt eine im Kern neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik fort. Das heißt, Arbeitsmarkt, Handels- und Finanzwesen werden weiter dereguliert, die Privatisierung staatlichen Eigentums wird fortgesetzt, zur Bekämpfung des hohen Staatsdefizits wird die Sparpolitik des Staates beibehalten. Dabei respektiert die Regierung Cerar die Vorgaben der EU. Zu erwarten ist, dass soziale Ungleichheit und Konflikte zunehmen. Wie es politisch in Slowenien weitergeht, wird dadurch entschieden, ob die Macht- und Funktionselite Vertrauen zurückgewinnt, ob gesellschaftliche Probleme angegangen oder nur „Sündenböcke“ wie z. B. Migranten bekämpft werden, und inwieweit sich Oppositionskräfte neu formieren.


Literaturhinweise:

  • Mitja Ferenc, Joachim Hösler (Hrsg.): Spurensuche in der Gottschee. Deutschsprachige Siedler in Slowenien. Potsdam 2011.
  • Joachim Hösler: Von Krain zu Slowenien. Die Anfänge der nationalen Differenzierungsprozesse in Krain und der Untersteiermark von der Aufklärung bis zur Revolution, 1768 bis 1848. (Südosteuropäische Arbeiten, Bd. 126). München 2006.
  • Ders.: Slowenien. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. (Ost- und Südosteuropa. Geschichte der Länder und Völker). Regensburg 2006.
  • Peter Štih (u. a.): Slowenische Geschichte. Gesellschaft – Politik – Kultur. Graz 2008.

Fußnoten:


  1. Mittelpunkt des Freisinger Gebiets im heutigen Slowenien war die Stadt Škofja Loka (dt. Bischoflack), in der sich bis heute viele Spuren der gemeinsamen Geschichte finden. Zum kulturellen Erbe der Stadt zählen auch die Passionsspiele, die seit 2016 zum immateriellen UNESCO-Weltkulturerbe zählen. Vgl. Peter Pfister: Im Zeichen des Mohren – Freising in Slowenien. In: Ders. (Hrsg.): Freising in Europa. Von den europäischen Verbindungen des Erzbistums München und Freising. München 2005, S. 212-225 (mit Abbildungen). ↩︎

  2. Das Wappen findet sich z. B. unter https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f0/Flag_of_Slovenia.svg↩︎

  3. Zu Leben und Werk Primus Trubers vgl. auch den Beitrag von Luka und Angela Ilić in diesem Heft. ↩︎