Der Populismus der „(Wahren) Finnen“ in Finnland: kein Grund zu übertriebener Sorge

aus OWEP 3/2017  •  von Matti Wiberg

Prof. Dr. Matti Wiberg, tätig an der Universität Turku, ist seit 2000 leitender Wissenschaftler am ZEI (Zentrum für Europäische Integrationsstudien) in Bonn und seit 2003 Mitglied der Finnischen Akademie der Wissenschaften. Er ist Autor zahlreicher Bücher und Artikel zur finnischen und europäischen Politik.

Zusammenfassung

In Finnland hat in den letzten Jahren die Partei der „(Wahren) Finnen“ mit populistischen Parolen von sich hören lassen; im Frühjahr 2017 machte sie allerdings besonders durch innere Streitigkeiten Schlagzeilen. Der Beitrag zeichnet die Entwicklung der Partei nach und vermittelt Einblicke in Programmatik und Personen.

Einführung

Während der Populismus den übrigen Parteien im finnischen Parlament, der Eduskunta, nicht völlig fremd ist, gibt es dennoch eine Partei, die durch und durch populistisch ist und Populismus in Reinform repräsentiert: „Die wahren Finnen“ (Perussuomalaiset) – oder ganz wörtlich „Basisfinnen“. Gegründet wurde die Partei im Mai 1995, und sie hielt im November 1995 in Kokkola ihren ersten Parteitag ab, auf dem der Abgeordnete Raimo Vistbacka zu ihrem ersten Parteivorsitzenden gewählt wurde.

Die Wurzeln der Partei reichen bis in den Februar 1959 zurück, als ihre Vorgängerin (Suomen Pientalonpoikien Puolue, deutsch: Finnische Bauernpartei) in Pieksämäki gegründet wurde. Legendäre Persönlichkeiten waren unter anderem der Abgeordnete Veikko Vennamo, der vor allem für seinen erbitterten und lautstarken Widerstand gegen die Politik des damaligen Präsidenten Urho Kekkonen bekannt geworden ist. Vennamo, zwischen 1959 und 1979 Parteivorsitzender, war ein überaus exzentrischer Abgeordneter und wurde im Mai 1974 sogar einmal aus einer Plenarsitzung des Parlaments herausgetragen, weil er ohne Genehmigung des Vorsitzenden geredet hatte, nachdem es ihm wegen schlechten Benehmens verboten worden war, das Parlament zu betreten.

1967 änderte die Partei ihren Namen in „Finnische Landwirtschaftspartei“ (Suomen Maaseudun Puolue, SMP). Die Partei verlor aufgrund finanzieller Schwierigkeiten als Folge von Parteiaustritten, Wählerschwund und fehlender anderweitiger Unterstützung an Bedeutung, wurde de facto 1995 und de jure 2003 aufgelöst. Die „(Wahren) Finnen“, gegründet 1995 von Mitgliedern der SMP, betrachten sich als ihre geistigen Nachfolger. Derzeit hat die Partei, die seit 2012 die Namensform „Die Finnen“ bevorzugt, um die 10.000 Mitglieder.

Timo Soini (geb. 1962) wurde 1997 Vorsitzender und hatte den Posten seitdem bis vor wenigen Wochen inne. Er hat einen Master-Abschluss in Politikwissenschaften an der Universität von Helsinki; seine Abschlussarbeit schrieb er über Populismus. Die Partei war und ist bis zu einem Grad immer noch eine Einmann-Show, und das sogar ziemlich wörtlich: Herr Soini ist ein unterhaltsamer Politiker, der nicht nur bei seinen politischen Unterstützern, sondern sogar bei der Allgemeinheit ziemlich beliebt ist.

Soinis derbe Art, sein Geschäft zu betreiben, hat ihn zu einem charismatischen Politiker gemacht; er ist äußerst aufgeschlossen und strahlt eine herzliche Haltung zum Leben allgemein und zu seinen Mitbürgern im Besonderen aus. Zudem ist er bekannt für seinen legendären Sinn für Humor und kurze, geistreiche und witzige Bemerkungen – die manchmal nicht leicht verstanden wurden, vor allem nicht von seinen politischen Gegnern. Zum Beispiel wiederholte er oft folgenden, durchaus seltsamen Slogan: „Eine einzige Mütze passt nicht auf einen Apfel und auf eine Melone.“ Warum in aller Welt würde jemand einem Apfel eine Mütze aufsetzen wollen, geschweige denn einer Melone? (Es ging ihm vermutlich um einige zu strenge EU-Regularien.)

Einige seiner Slogans waren seinen Zielen überaus dienlich: Der Spruch „Wo die EU ist, da ist auch ein Problem“ (Missä EU, siellä ongelma) hat bei der gesamten Bevölkerung Anklang gefunden, seit Finnland im Januar 1995 der EU beigetreten ist – formuliert wurde er jedoch erst 2000. Hier folgen einige weitere Slogans, für die er berühmt geworden ist:

  • Alte Parteien, eure Kinnlade ist euch auf die Schuhe gefallen.

  • Die EU ist die Sowjetunion für Reiche.

  • In Finnland darf man zwar seine eigene Meinung haben, aber es ist nicht erlaubt zu widersprechen.

  • Die eigene Meinung kann nicht falsch sein, weil es die eigene ist.

  • Es ist leichter, einer Kokosnuss ein Gehirn einzupflanzen, als die EU zum Funktionieren zu bringen.

  • Sich für die allgemeine Wehrpflicht einzusetzen, ist für Finnland wesentlich wichtiger als die Demokratie in einem Land zu verteidigen, in dem sie nicht einmal existiert.

  • Wenn schon nichts anderes, dann lernen junge Leute wenigstens Disziplin in der Armee. Man kann keinen Erfolg im Leben haben, wenn man nur macht, was einem gerade Spaß macht. Das erkennt man spätestens dann, wenn man verheiratet ist.

  • Wir haben unsere Prinzipien, Voraussetzungen und unsere Parteilinie. Wir wahren Finnen verkaufen unsere Hintern nicht.

  • Wenn ein Typ sich einen hardcore-Feministen nennt, verbiege ich mich zunächst und sterbe dann vor Lachen.

  • Ich bewerbe mich um das Amt des Präsidenten, nicht der Papst.

(Der Mann ist katholisch, was in Finnland extrem selten ist; nur etwa 14.000 von 5,4 Millionen Finnen gehören der katholischen Kirche an.)

Die Partei „Die Finnen“ sind eine Protestpartei par excellence und attackieren in bester traditioneller Populisten-Manier die alten, also etablierten Parteien, die seit Entstehung der Republik abwechselnd an der Regierung beteiligt waren. Ihre politische Plattform besteht aus keinem kohärenten politischen Programm, sondern ist eher eine seltsame Mischung aus Anti-Einstellungen: Mehr als alles andere richten sie sich gegen das Establishment. Für welche Alternative sie letztlich stehen, ist immer noch offen.

Soini ist stets ein sorgfältiger politischer Taktiker gewesen, ein Publikumsliebling der Meisterklasse. Seine Präsenz im Fernsehen ist in jeglicher Hinsicht erstaunlich: Er kann jemandem sprichwörtlich die Schau stehlen. In seinen Analysen ist er nicht in die Tiefe gegangen, und originell war er in seinen Einsichten auch nicht; seine Argumente waren nicht einmal intelligent, dafür war er aber ein geduldiger Zuhörer – eine Eigenschaft, die er im Laufe der letzten drei Jahrzehnte intensiv entwickelt und ausgebaut hat; seine Partei ist führend in Wahlkampfständen und Marktplatzzelten.

Wahlerfolge

Die „Finnen“ haben seit ihrer Gründung an allen nationalen und kommunalen Wahlen teilgenommen. In der Präsidentenwahl 2006 erhielt Soini etwa 103.000 Stimmen (3,4 Prozent).

Tabelle 1:
Unterstützung durch die Wähler für die „Finnen“ bei Parlamentswahlen

In der Parlamentswahl 2015 erhielt die Partei 524.054 Stimmen und stellte bei 200 Sitzen 38 Abgeordnete im nationalen Parlament. Die Partei verlor damit einen Sitz und 36.021 Stimmen im Vergleich zu den Wahlen 2011.

Tabelle 2:
Unterstützung durch die Wähler für die „Finnen“ in Kommunalwahlen

Tabelle 3:
Unterstützung durch die Wähler für die „Finnen“ in Wahlen zum Europäischen Parlament

Die „Finnen“ in der Regierung

Die „Finnen“ bildeten nach der Parlamentswahl im Mai 2015 zusammen mit der Zentrumspartei und der Nationalen Sammlungspartei die Regierung und stellten vier Minister (Timo Soini selbst wurde Außenminister, Jussi Niinistö Verteidigungsminister, Jari Lindström Minister für Arbeit und Pirkko Mattila Ministerin für Gesundheit und Soziales). Seit Mai 2017 ist außerdem Sampo Terho als Minister für Europäische Angelegenheiten, Kultur und Sport Mitglied der Regierung. Die Regierung genießt eine stabile parlamentarische Unterstützung von 123 Abgeordneten (61,5 Prozent), den Parlamentspräsidenten nicht gerechnet.

Herr Soini selbst hat 2010, also vor seinem Eintritt in die Regierung, prophezeit, dass die Arbeit in der Regierung „ein Drachennest für eine Partei“ sei. Diese prophetischen Worte sind tatsächlich wahr geworden: Die Unterstützung für die „Finnen“ durch die Wählerschaft ist seither rapide zurückgegangen und übersteigt 2017 in nationalen repräsentativen Umfragen in der Regel nicht mehr die 10 Prozent-Marke. Viele ihrer Wähler lassen ernsthafte Enttäuschung über die Partei erkennen. Die Beteiligung an der Regierungsverantwortung hat ihnen offenbar keinen Zuwachs an Unterstützung verschafft.

Die Minister der Partei sind in aller Regel wirklich engagierte Diener der Allgemeinheit – und ebenso schnell Lernende in Fragen guten und schlechten Benehmens beim Regieren eines Landes, beim Einlösen von Wahlversprechen und beim Liefern von politischen Ergebnissen für ihre Wählerschaft.

In der Parlamentsfraktion der „Finnen“ sitzen einige problematische Unruhestifter, die entweder inkompetent oder schlicht unwillig oder beides sind und der Parteispitze deswegen Schwierigkeiten bereiten – dafür aber der Allgemeinheit etwas zu lachen geben. Es gibt inzwischen in der Partei eine Art von Krise, die sich monatlich wiederholt: Ihre Mitglieder kassieren Bußgelder wegen Volksverhetzung und haben aufgrund ihrer immer wieder auftauchenden rassistischen und fremdenfeindlichen Aussagen in den sozialen Medien eine schlechte Presse. Die Partei der „Finnen“ ist innerlich immer zersplittert gewesen, es gibt mindestens zwei vorherrschende Gruppen. Die eine umfasst das fremdenfeindliche Lager, das vom Mitglied des Europäischen Parlaments Jussi Halla-aho angeführt wird, das andere Lager hat sich um Timo Soini geschart. Obwohl es Xenophobe und Rassisten in der Partei gibt, wäre es nicht gerecht, Herrn Soini als eines von beiden zu bezeichnen. Er ist auch kein Fanatiker, zumindest wenn man nach Winston Churchills Charakterisierung eines Fanatikers geht, der demnach unfähig ist, seine Meinung zu ändern, und unwillig, das Thema zu ändern. Herr Soini ist kein Fanatiker mit Ausnahme von zwei Themen: Abtreibung und Euthanasie. Beides lehnt er rigoros ab. Die anderen beiden Dinge, bei denen er fanatisch ist, sind Pferderennen und Fußball; er unterstützt den englischen Millwall Football Club, dessen Hymne „Niemand mag uns, das ist uns aber egal“ ist.

Herr Soini hat bisher sein Amt als Außenminister engagiert und im Allgemeinen zur Zufriedenheit sowohl anderer Minister als auch des Parlaments ausgeübt. In keiner Weise war er je in einen Skandal verwickelt. Seine Minister-Kolleginnen und Kollegen haben ab und an kleinere Fehler gemacht, was vor dem Hintergrund ihrer mangelnden Erfahrung in der Führung von Ministerien jedoch verständlich ist; es wäre zumindest ungerecht zu behaupten, dass sie ihren entsprechenden Ministerien in irgendeiner Weise einen schlechten Dienst erwiesen hätten.

Seine Freunde, vor allem diejenigen außerhalb seiner Partei, fragen sich, warum dieser gebildete und anständige Mann nicht verstanden hat, dass das Braune, wie man so sagt, ins Klo gehört. Im März 2017 kündigte Timo Soini völlig überraschend an, beim nächsten Parteitag im Juni 2017 in Jyväskylä als Parteivorsitzender zurückzutreten. Als ernst zu nehmende Nachfolgekandidaten brachten sich dann Sampo Terho und Jussi Halla-aho in Position. Alle eingetragenen Parteimitglieder hatten das Recht, am Parteitag teilzunehmen und über den Vorsitz abzustimmen.

Beide Kandidaten unterscheiden sich erheblich von Timo Soini, denn sie sind als ziemlich humorlose und trockene Redner bekannt. Jussi Halla-aho ist ein durchaus seriöser Autor, der zwar durchaus fähig ist, Unterstützer um sich zu scharen, jedoch kein richtiges Gespür für Realpolitik hat, die mehr oder weniger Sampo Terhos Metier ist. Beide sprechen sich strikt gegen Einwanderung nach Finnland aus.

Der Parteitag (10./11. Juni 2017) war eine völlige Demütigung für Timo Soini. Jussi Halla-aho (Spitzname „Allah-aho“) wurde zum Vorsitzenden gewählt. Er schlug seinen Mitbewerber Sampo Terho deutlich mit 949 gegen 629 Stimmen. Alle neuen Vorstandsmitglieder repräsentieren die islamfeindliche und anti-Eu-Haltung Halla-ahos – die „Finnen“ sind damit seit dem Parteitag eine andere Partei, das Erbe Timo Soinis wurden binnen zwei Stunden ins Museum geschafft. Die Öffentlichkeit hat die Wahl von Halla-aho als Sturmwarnung verstanden. Das finnische Oberste Gericht hat ihn bereits 2012 zu einer Geldstrafe wegen Verletzung religiöser Gefühle und Volksverhetzung („Aufstachelung der Massen“) verurteilt, ebenso einen seiner Stellvertreter.

Zwei Tage nach dem Parteitag ist es dann zur Spaltung der Parlamentsfraktion der „Finnen“ gekommen. Soini und 20 weitere Mitglieder (von 37) mit allen Ministern haben eine neue Gruppe gebildet, die sich zunächst „Die Neue Alternative“ (Uusi vaihtoehto) nannte, wenig später ihren Namen in „Die blaue Zukunft“ (Sininen tulevaisuus) geändert hat. Halla-aho und die übrigen 17 Abgeordneten sind seither isoliert. Nach einigen Tagen des Zögerns ist dann die Abgeordnete Ritva Elomaa zur ursprünglichen Partei zurückgekehrt. Nach neuesten Meinungsumfragen liegen die „Finnen“ im Moment in der Wählergunst bei etwa 9 Prozent, die „Blaue Alternative“ bei etwa 3 Prozent; ihre Fraktion ist weiterhin Mitglied der Regierungskoalition in Helsinki.

Wie es bei Populisten oft der Fall ist, sind auch die „Finnen“ eine größere Gefahr für sich selbst als für die Allgemeinheit des Landes. Keiner außerhalb Finnlands sollte wirklich Angst vor ihnen haben. Verglichen mit ihren europäischen Kollegen sind die finnischen Populisten ein Haufen politischer Amateure, der sich jedoch recht anständig benimmt: Sie machen jede Menge Lärm, produzieren aber kaum etwas von Gehalt.

Aus dem Englischen übersetzt von Xenia Baljakin.