„Auch wir wollen die Wahl haben!“

Der lange Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland
aus OWEP 1/2018  •  von Kerstin Wolff

Dr. Kerstin Wolff, Historikerin, ist Mitarbeiterin des Forschungsinstituts und Dokumentationszentrums AddF - Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel. Sie stellte auch die Vorlagen für die Abbildungen im Beitrag zur Verfügung.

Zusammenfassung

In diesem Artikel wird der lange Kampf der deutschen Frauen um das politische Wahlrecht vorgestellt. Angefangen von den Ideen der Französischen Revolution, über die 1848er Revolutionärin Louise Otto bis zu den Frauenwahlrechtskämpferinnen der bürgerlichen und sozialistischen Frauenbewegung um 1900 wird aufgezeigt, dass im gesamten 19. Jahrhundert um den politischen Platz der Frau heftig gerungen wurde.

Am 12. November 1918, mitten in den Wirren der Revolution, als mehr als deutlich geworden war, dass der Krieg nicht mehr gewonnen werden konnte, als der deutsche Kaiser schon in den Niederlanden im Exil und das Amt des Reichskanzlers an den Sozialdemokraten Friedrich Ebert übertragen worden war, erklärte der Rat der Volksbeauftragten, also die provisorische Regierung, dass „alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften … fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen (sind; K.W.).“ Diese neue Wahlrechtsregelung legte die neue Interimsregierung auch in ihrem Wahlgesetz Ende November fest und formulierte: „Wahlberechtigt sind alle deutschen Männer und Frauen, die am Wahltag das 20. Lebensjahr vollendet haben.“ Mit diesen knappen Sätzen hatte dieses Männergremium eine große Wahlrechtsreform auf den Weg gebracht, das preußische Dreiklassenwahlrecht abgeschafft und mit einem Federstreich das aktive Frauenwahl- und das passive Frauenstimmrecht eingeführt.

Aus dieser kurzen Episode könnte geschlossen werden, dass den deutschen Frauen das Frauenstimmrecht quasi in den Schoß gefallen ist. Es war der Revolution und vor allem dem Rat der Volksbeauftragten zu verdanken, dass dieses politische Mitbestimmungsrecht eingeführt wurde. Aber war das denn so? War das Frauenwahlrecht ein Geschenk der SPD-Männer an alle Frauen? Haben die deutschen Frauen nicht auch für dieses Recht gekämpft?

Die Vorgeschichte

Die Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland kann nicht nur als Ereignis im November 1918 verstanden werden. Vielmehr ist dieses Datum lediglich eine Etappe auf einem recht langen Weg hin zur Demokratie in Deutschland. Die Einführung des Frauenwahlrechts ist vielmehr als Prozess zu begreifen, der ungefähr 100 Jahre vor der Einführung begann und auch nicht mit 1918/19 endete. Denn, wie wir heute wissen, ist nur durch die Möglichkeit, aktiv zu wählen und passiv gewählt zu werden, die Gleichberechtigung der Geschlechter nicht zu erreichen gewesen.

Doch zunächst einmal zurück zu den Anfängen des langen Kampfes um das Frauenstimmrecht, auch wenn man nicht so genau sagen kann, wo denn genau der Anfangspunkt zu finden ist. Aber um ein Recht einfordern zu können, muss frau erst einmal verstehen, dass sie auch ein Recht hat, und die Idee, dass auch Frauen ein politisches Rechtssubjekt sind, findet sich – getragen von einer größeren Gruppe der Bevölkerung – vor allem in der Französischen Revolution und ihren Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Es gab einige Frauen und auch Männer, die diese Forderungen für beide Geschlechter einforderten, aber letztendlich setzte sich die Auffassung durch, dass mit Brüderlichkeit tatsächlich nur Männer – und auch hier nicht einmal alle – gemeint sein konnten. Eine Frau, die sich lautstark dafür eingesetzt hatte, dass Frauen ebenso wie Männer den neu aufzubauenden Staat mitgestalten sollten, bezahlte ihren Einsatz sogar mit dem Leben. Die Revolutionärin und Schriftstellerin Olympe de Gouges hatte am 14. September 1791 ein 25seitiges Büchlein mit dem Titel „Die Rechte der Frau“ in Druck gegeben. Hierin forderte sie die politische Mündigkeit aller Frauen und die Anerkennung ihrer Menschenwürde. Olympe de Gouges überlebte ihre Schrift gerade einmal um zwei Jahre – am 3. November 1793 wurde sie auf der Guillotine hingerichtet.

Diese ersten Gleichberechtigungsforderungen konnten sich im frühen 19. Jahrhundert zwar nicht durchsetzen, aber die Idee einer politischen und auch gesellschaftlichen Gleichberechtigung der Geschlechter war in der Welt und konnte in den nächsten Jahrzehnten nicht mehr vollständig unterdrückt werden. In Deutschland war es Louise Otto (-Peters), die sich in der bürgerlichen Revolution von 1848 dafür einsetzte, dass die Frauen das politische Stimmrecht erhalten sollten. Die am 26. März 1819 in Meißen als Tochter eines Juristen geborene Louise strebte den Schriftstellerinnenberuf an und schrieb vor allem gegen die Armut der Arbeiterinnen und Arbeiter (nicht nur) im Erzgebirge an, was sie schon recht früh mit der staatlichen Zensur in Konflikt brachte. 1848 nutzte sie ihre öffentliche Bekanntheit, mischte sich in die politischen Debatten ihrer Zeit ein und brach eine Lanze für die Rechte von Frauen. Sie engagierte sich im Revolutionsgeschehen und ließ sich auch von Hausdurchsuchungen und der Verhaftung ihres Verlobten (August Peters) 1849 nicht von ihrer politischen Meinung abbringen, im Gegenteil. Durch die Herausgabe der Frauen-Zeitung zwischen 1849 und 1852 zeigte sie überdeutlich, dass sie versuchte, die Revolution auch für eine Ausweitung der weiblichen Rolle zu nutzen. So schrieb sie in der ersten Nummer am 21. April 1849: „Wohl auf denn meine Schwestern, vereinigt Euch mit mir, damit wir nicht zurückbleiben, wo Alle und Alles um uns neben uns vorwärts drängt und kämpft … Wir wollen unseren Theil fordern: … das Recht der Mündigkeit und Selbständigkeit im Staat.“1

Doch auch dieser Ruf verhallte letztendlich unerhört, die Revolution wurde niedergeschlagen und Louise Otto-Peters musste sich erst einmal nach Leipzig zurückziehen. 1865 wagte sie dann einen neuen Schritt und gründete mit Auguste Schmidt und anderen in Leipzig den „Allgemeinen Deutschen Frauenverein“ (ADF), der zur Keimzelle der organisierten Frauenbewegung in Deutschland wurde.

Frauen organisieren sich

Die Gründung des ADF in Leipzig hat wie eine Initialzündung gewirkt. Ab diesem Zeitpunkt entstanden überall in Deutschland Frauenvereine, die sich der immer virulenter werdenden Frauenfrage annahmen. Nach der Gründung des Deutsches Reiches im Jahr 1871 kam es erst einmal zu einem kleinen Dämpfer der gemeinsamen Aktivitäten, aber nach der Aufhebung der Sozialistengesetze im Jahr 1890 blühten im gesamten deutschen Kaiserreich alternative und reformerische Gesellschaftsentwürfe auf. Seien es die Vegetarier, die Anti-Alkoholbewegung oder die Lebensreform – in den Jahren zwischen 1890 und 1914 gab es einen enormen gesellschaftlichen Mobilisierungsschub, von dem auch die Frauenbewegung profitierte.

Bereits ab Mitte der 1890er Jahre verfassten einige der damaligen bürgerlichen Frauenrechtlerinnen wichtige Schriften für ein Frauenstimmrecht, so Helene Lange oder Minna Cauer. Helene Lange, die sich ansonsten stark im Bereich der Mädchenschulreform engagierte, sprach sich 1896 für das Wahlrecht der Frau aus. Für sie war klar, dass durch Wahlen jeder die „Interessen seines Standes, seines Bildungskreises, seiner Scholle vertritt“ und dass man durch die Einführung des allgemeinen Wahlrechts diese Vertretungslogik auch anerkannt hatte. „Bis auf eine Kleinigkeit“ – fährt Lange fort: „Obwohl niemand an der oben ausgeführten Wahrheit ernstlich zweifelt, ist eine Fiktion doch immer aufrecht erhalten worden, die nämlich, daß die Männer zugleich die Interessen der Frauen wahren. … (Aber) erst durch das Frauenstimmrecht wird das allgemeine Stimmrecht zu etwas mehr als eine reine Redensart.“2 Auch Minna Cauer, ansonsten wenig einig mit den Vorstellungen von Helene Lange, formulierte 1899 eine ähnliche Einschätzung. Sie schrieb: „Die deutschen Frauen wollen als Staatsangehörige im deutschen Reiche gelten und alle Pflichten, welche von ihnen gefordert werden, erfüllen. Dazu bedürfen sie der Rechte als Bürgerinnen.“3

Die Frage, vor der die Frauen standen, lautete: Wie konnte das Wahlrecht erreicht werden? Da es Frauen bis 1908 untersagt war, Mitglied in einer politischen Partei zu werden, war der Weg über eine direkte Beeinflussung der Parteipolitik verschlossen. Daher blieb nur ein Weg: Es mussten eigene Frauenstimmrechtsvereine aufgebaut werden. Dies war schwierig, denn bis 1908 war es Frauen generell verboten, Mitglied in einem politischen Verein zu sein – und Vereine, die das Stimm- und Wahlrecht für Frauen forderten, waren per se politisch – ein Teufelskreis. Allerdings galt diese Regelung nicht in allen deutschen Bundesstaaten gleichermaßen, und so gründete Anita Augspurg 1902 in Hamburg den „Deutschen Verein (ab 1904 „Verband“) für Frauen-Stimmrecht“. Dieser Verband setzte vor allem auf politische Aufklärungsarbeit und Propaganda für das Frauenwahlrecht. Darüber hinaus verfasste er Petitionen, gab Flugschriften heraus, organisierte Vorträge und betrieb unter anderem Parteiarbeit, die darauf abzielte, die Forderung nach dem Frauenstimmrecht in die diversen Parteiprogramme aufzunehmen. Ab 1907 gab der Verband auch eine eigene Zeitschrift heraus, die „Zeitschrift für Frauenstimmrecht“.

Ab 1908 blühte die Stimmrechtsbewegung dank eines neuen reichsweiten Vereinsgesetzes auf. Was damit allerdings auch aufblühte, waren Kontroversen darüber, welchen genauen Inhalt die Frauenstimmrechtsforderungen denn haben sollten – welcher Weg zum Erreichen des Ziels war sinnvoll? Gestritten wurde vor allem über die Art des zu fordernden Wahlrechts, denn in Preußen galt nach wie vor das Dreiklassenwahlrecht, und die preußischen Frauen in den Stimmrechtsvereinen fragten sich, ob es nicht ratsamer sei, das gleiche Wahlrecht zu fordern. Über dieser Frage zerbrach der Stimmrechtsverband und es gründete sich ein zweiter Frauenstimmrechtsverband, der sich „Deutsche Vereinigung für Frauenstimmrecht“ nannte. Damit aber nicht genug: Kurz vor dem Ersten Weltkrieg schlossen sich die Frauen, die nach wie vor ein allgemeines, gleiches und geheimes Wahlrecht für alle anstrebten, im „Deutschen Stimmrechtsbund“ zusammen und gründeten damit den dritten Frauenstimmrechtsverein. So kam es, dass vor dem Ersten Weltkrieg drei bürgerliche Frauenstimmrechtsvereine existierten. Diese Zersplitterung der Kräfte war sicher nicht sinnvoll, zeigt aber, dass es für die bürgerliche Frauenbewegung nicht leicht war, sich in einem parteipolitisch hochbrisanten Feld auf eine Richtung zu einigen.

Da hatten es die Sozialdemokratinnen schon einfacher. Diese hatten das Privileg, einer Partei anzugehören, die bereits seit dem Erfurter Parteitag von 1891 das Frauenwahl- und -stimmrecht in ihr Programm aufgenommen hatte. Um das Frauenstimmrecht zu erreichen, gingen die Sozialistinnen ganz eigene Wege und schufen sich einen jährlichen Propagandatag, den auch wir noch kennen, den Internationalen Frauentag, der heute immer am 8. März gefeiert wird. Dieser Tag war offiziell ins Leben gerufen worden auf der II. Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen, die am 26. und 27. August 1910 stattgefunden hatte. Hier war folgender Beschluss gefasst worden: „Im Einvernehmen mit den klassenbewussten politischen und gewerkschaftlichen Organisationen des Proletariats in ihrem Lande veranstalten die sozialistischen Frauen aller Länder jedes Jahr einen Frauentag, der in erster Linie der Agitation für das Frauenwahlrecht dient.“4 Der erste internationale Frauentag fand dann am 19. März 1911 zum ersten Mal in Deutschland und in anderen Ländern statt. Überall war es sein Ziel, Propaganda für das Frauenstimmrecht zu machen.

Im Krieg

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs beendete erst einmal alle Bemühungen um das Frauenwahlrecht. Die Männer zogen an die Front und die Frauen organisierten und engagierten sich an der so genannten Heimatfront. Der „Bund Deutscher Frauenvereine“ (BDF), 1894 als lockere Dachorganisation entstanden, gründete den „Nationalen Frauendienst“ (NFD) und stellte seine Forderungen nach der Einführung des Frauenwahlrechts – genauso wie die Sozialdemokratinnen, die auch im NFD mitarbeiteten – erst einmal ein. Dies änderte sich schlagartig, als der deutsche Kaiser 1917 in seiner Osterbotschaft eine Wahlrechtserweiterung in Aussicht stellte, die Frauen aber nicht erwähnte.

Alle engagierten Verbände und Vereine wurden nun aktiv und begannen erneut mit ihrer Propagandaarbeit. Wieder wurden Petitionen abgeschickt, Versammlungen einberufen, und Gertrud Bäumer als Vorsitzende des BDF erklärte es als Forderung des vierten Kriegsjahrs, „daß die Frauen sich über den Anteil ihres Geschlechts an der politischen Neugestaltung klar“ werden müssten.5 Im Herbst 1917 brachte der BDF eine Denkschrift zur Stellung der Frau in der politisch-sozialen Neugestaltung Deutschlands heraus und rückte hierin das Frauenstimmrecht in den Mittelpunkt. Ab Dezember 1917 bis in den November 1918 kam es in vielen größeren Städten immer wieder zu gemeinsamen Kundgebungen für das Frauenwahlrecht. Im Oktober 1918 schickte eine breite Koalition von Frauen aus Parteien, Frauenstimmrechtsverbänden, dem BDF und den Gewerkschaften sogar eine Eingabe an den Reichskanzler, in der das Frauenstimmrecht gefordert wurde. Zu einer Unterredung kam es dann allerdings nicht mehr, denn am 12. November 1918 verkündete der Rat der Volksbeauftragten, der das politische Heft in die Hand genommen hatte, das künftige Wahlrecht, wodurch das Frauenwahlrecht eingeführt worden war.

An dieser Stelle sei ein Blick über den deutschen Tellerrand gewagt. Es zeigt sich nämlich, dass die politische Neustrukturierung, die in vielen zentral- und osteuropäischen Ländern nach dem Ende des Ersten Weltkriegs stattfand, häufig die Einführung des Frauenwahlrechts mit sich brachte, da der politische Neustart auf einer demokratischen Grundlage erfolgte, welche die Einführung des Frauenwahlrechts begünstigte. Deutschland steht daher in einer Entwicklungslinie mit Österreich, Lettland, Polen und Russland, die 1918 das Frauenwahlrecht einführten; Ungarn und Luxemburg folgten 1919, Albanien und die Tschechoslowakei 1920.

In der Republik

Und dann? Nach ein paar Schreckenstagen oder -wochen begannen sowohl die Parteien als auch die Frauenstimmrechtlerinnen, sich mit der neuen Situation anzufreunden. Die Parteien schalteten spezielle Wahlwerbungen, die Frauen ansprechen sollten, in den Parteien wurden Frauen auf die Listen gesetzt, die großen Frauenorganisationen organisierten spezielle Wahlveranstaltungen, in denen genau erklärt wurde, wie eine Wahl funktionierte und worauf die nun mündig gewordene politische Frau achten sollte.

Am 19. Januar 1919 war es dann soweit, die Wahl zur Deutschen Nationalversammlung fand statt. Sie war die erste reichsweite Wahl nach dem Verhältniswahlrecht und die erste, in der Frauen das Wahlrecht hatten. Ziel war die Bildung einer verfassungsgebenden Nationalversammlung. 36,7 Millionen Menschen waren wahlberechtigt, 83 Prozent gaben ihre Stimme ab. Durch das neue Wahlrecht stieg die Zahl der Wahlberechtigten stark an; etwa 20 Millionen Stimmen wurden mehr abgegeben als 1912. Diese bedeutete einen Anstieg um 167 Prozent. Das neue Wahlrecht hatte auch zur Folge, dass es sich bei einem Großteil der Wähler (etwa 50 Prozent) um ErstwählerInnen handelte.

In die verfassungsgebende Nationalversammlung zogen 37 Frauen für 5 Parteien ein. Es steht zu vermuten, dass alle der Weimarer Reichsverfassung von 1919 zustimmten, die in Artikel 109 festlegte: „Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich. Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“ Damit war zwar ein erster Schritt in Richtung Gleichberechtigung gemacht, jedoch verhinderten die Worte „grundsätzlich“ und „staatsbürgerlich“ die Umsetzung einer tatsächlichen Gleichberechtigung.

Die Weimarer Republik steht wie kein anderer Staat für ein Aufbrechen aus starren Geschlechterrollen, vor allem für Frauen scheint die Republik nur Vorteile gebracht zu haben. Als Beleg dafür wird häufig auf die jungen Frauen verwiesen, die mit kurzen Haaren und kurzen Röcken das Großstadtleben prägten. Sie waren als Sekretärinnen oder Verkäuferinnen berufstätig, gingen ins Kino oder in Clubs, wo sie Charleston tanzten und rauchten. Soweit das allgemeine Bild. Die Realität sah aber etwas anders aus. Zwar gab es diese jungen Frauen, aber sie waren doch ein Großstadtphänomen; zwar gingen die jungen Frauen arbeiten, sie konnten mit ihrer Berufstätigkeit aber nicht ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten, denn nach wie vor galt eine weibliche Erwerbstätigkeit lediglich als Zwischenphase zwischen Ausbildung und Ehe. Denn dass der eigentliche Beruf der Frau der der Hausfrau und Mutter sei, diese Idee war auch in der Weimarer Republik lebendig geblieben.

In dieser Situation zwischen Neubeginn und Tradition steckten auch die ersten gewählten Politikerinnen fest. Diese waren mit großen Hoffnungen in die Parteiarbeit gestartet, mussten aber im Laufe der Zeit feststellen, dass die politischen Strukturen, die die Parteien nach dem Frauenstimmrecht aufgebaut hatten, ambivalente Folgen hatten. Auf der einen Seite wurde in (fast) allen Parteien eine Vertretungsstruktur von Frauen für Frauen aufgebaut – das war gegenüber den Jahren von 1908 bis 1918 ein wirklicher Fortschritt. Auf der anderen Seite verstärkten diese Strukturen eine Ghettoisierung der weiblichen Parteimitglieder und zementierten diese in ihrer Sonderrolle. In der Weimarer Republik wurde dadurch eine inhaltliche Arbeitsteilung etabliert, die bis weit ins 20. Jahrhundert hinein Folgen hatte. Das Soziale, die Sittlichkeit, die Mädchen- und Frauenbildung wurden von den Frauen bearbeitet; die Außen- und Innenpolitik, die Finanzen und die Verteidigung von Männern. Dadurch kam es auch zu einer Abwertung von Themen, denn die Themen, die Frauen behandelten, galten als unwichtiger als die der Männer.

Trotzdem: Das Frauenwahlrecht, für das sich Frauen seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts eingesetzt hatten und das nur durch zähes Ringen von vielen Frauen und Männern erreicht worden war, veränderte die politische Landschaft des Landes nachhaltig, obwohl es die tatsächliche Gleichberechtigung der Geschlechter nicht herbeiführen konnte. Hierfür war ein weiterer Schritt notwendig, der 1949 gelang: Die Formulierung der unumschränkten Gleichberechtigung in den Verfassungen sowohl der DDR als auch der BRD – aber das ist eine andere Geschichte.


Fußnoten:


  1. Louise Otto: Programm. In: Frauen-Zeitung. Nr. 1. 21.04.1849, S. 1. ↩︎

  2. Helene Lange: Frauenwahlrecht. In: Intellektuelle Grenzlinien zwischen Mann und Frau / Frauenwahlrecht. 2. Aufl. Berlin 1899, S. 25. ↩︎

  3. Minna Cauer: Die Frau im 19. Jahrhundert. Berlin 1899, S. 141. ↩︎

  4. Kerstin Wolff: Heraus mit dem Frauenwahlrecht. In: Schwestern zur Sonne zur Freiheit. Die Geschichte(n) des Internationalen Frauentages. Berlin 2011, S. 6. ↩︎

  5. Aus: Ute Rosenbusch: Der Weg zum Frauenwahlrecht in Deutschland. Baden-Baden 1998, S. 423. ↩︎