Geschichte eines Versagens. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission für Bosnien und Herzegowina

Dr. Jasna Dragović-Soso ist Professorin für Internationale Beziehungen und Leiterin der Abteilung für Politik und Internationale Beziehungen im Goldsmiths College der Universität von London. Sie forscht und publiziert zur Transformationsjustiz und zur Erinnerungspolitik der 1990er-Jahre im postjugoslawischen Raum.

Zusammenfassung

Versöhnung zwischen Menschen, deren Beziehungen zueinander in einem von zahlreichen Gräueltaten gekennzeichneten Bürgerkrieg zutiefst gestört worden sind, bedarf langwieriger und mühevoller Arbeit – wenn sie gelingen soll, müssen alle Beteiligten ernsthaften Willen zeigen. Manche gut gemeinten Ansätze führen jedoch ins Leere, wie der nachfolgende Beitrag über Geschichte und Scheitern der Wahrheits- und Versöhnungskommission für Bosnien und Herzegowina belegt.

Dieser Artikel ist eine gekürzte Version des Beitrags von Jasna Dragović-Soso: History of a Failure: Attempts to Create a National Truth and Reconciliation Commission in Bosnia and Herzegovina, 1997-2006. In: International Journal of Transitional Justice 10 (2016) 2, S. 292-310. Diese Arbeit wurde mit freundlicher Genehmigung der Oxford University Press (OUP) übersetzt und publiziert. Die OUP ist in keiner Weise verantwortlich für die Richtigkeit der Übersetzung; vielmehr trägt der Übersetzer die volle Verantwortung für die vorliegende Fassung. Für eine vollständige Darstellung der Argumente und Beweise für die hier gemachten Behauptungen sei auf den Originalartikel verwiesen.

I.

Seit den 1990er Jahren haben sich Wahrheitskommissionen zu den wichtigsten Mechanismen der Bearbeitung schmerzhafter Vergangenheit in Staaten entwickelt, die aus Konflikten oder autoritären Regimen entstanden sind. Sie wurden ursprünglich als zweitbeste Option eingesetzt, wenn eine strafrechtliche Verfolgung ehemaliger Führungspersönlichkeiten, die für massive Menschenrechtsverletzungen verantwortlich waren, unmöglich war; jedoch entwickelten sie sich mit der Zeit zu anerkannten Mechanismen für Gesellschaften, sich dem Erbe einer schwierigen Vergangenheit zu stellen. Verschiedentlich haben Wahrheitskommissionen friedliche politische Übergänge unterstützt, gegen Leugnungen der Geschichte in Politik oder Gesellschaft gewirkt und den Weg vorbereitet, um vergangene Verbrechen aufzuarbeiten. So war es wohl vorprogrammiert, dass eine nationale Wahrheits- und Versöhnungskommission auch für Europas blutigsten Konflikt seit dem Zweiten Weltkrieg vorgeschlagen werden würde – den Krieg in Bosnien und Herzegowina zwischen 1992 und 1995.

In den ersten zehn Jahren nach dem Krieg wurden verschiedene Versuche unternommen, eine bosnische Wahrheits- und Versöhnungskommission (WVK) einzurichten, aber alle scheiterten. Die Geschichte dieses Versagens bietet wertvolle Erkenntnisse sowohl für weitere Initiativen der Übergangsjustiz in der Region des ehemaligen Jugoslawien als auch für eine breitere Diskussion über Wahrheitskommissionen als Mechanismen der Friedensschaffung und des gesellschaftlichen Wiederaufbaus in vom Krieg verwüsteten Ländern.

Die Idee einer WVK für Bosnien und Herzegowina kam zunächst bei internationalen Menschenrechtsorganisationen in den frühen 1990er Jahren auf, zu einer Zeit, als der Krieg noch wütete und sich die Hinweise auf massive Gräueltaten mehrten. Sie wurde zuerst im Kontext der Debatte über die Gründung eines internationalen Strafgerichtshofs aufgeworfen, die sich um die Umsetzbarkeit einer juristischen Aufarbeitung eines andauernden Konfliktes drehte, bei dem die meisten Verantwortlichen für Gräueltaten noch an der Macht waren. Einige Menschenrechtsaktivisten glaubten, dass die Etablierung eines Tribunals mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit scheitern würde, und schlugen stattdessen vor, eine UN-finanzierte Wahrheitskommission einzurichten. Die Befürworter einer solchen Herangehensweise sahen die Möglichkeit voraus, Prozesse auf einer höheren Ebene mit Hilfe von Informationen, die durch die Wahrheitskommission gesammelt wurden, stattfinden zu lassen, wie es in einigen lateinamerikanischen Ländern geschehen war. Auf der anderen Seite waren Befürworter eines internationalen Tribunals gegen die Gründung einer Wahrheitskommission und stellten den Unterschied zwischen den offen sichtbaren Verbrechen in Bosnien und den „versteckten“ Verbrechen, die durch lateinamerikanische Militärregime begangen worden waren, heraus. Diese Position spiegelt auch die Tatsache wider, dass viele Menschenrechtsaktivisten damals Wahrheitskommissionen als „zweitbeste“ Lösung ansahen, die nur dann gewählt werden sollte, wenn Strafverfolgung unmöglich war.

Trotz des Erfolgs der Befürworter eines juristischen Mechanismus und der Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) im Jahr 1993 ging die Idee einer Wahrheitskommission nicht unter, wie die beiden Zusatzvereinbarungen zum Friedensabkommen von Dayton 1995 zeigen, die die Errichtung einer „Untersuchungskommission“ vorsahen, um die Gründe, die Durchführung und die Konsequenzen des Jugoslawien-Konflikts zu erforschen. Offenbar blieb es die Wahrnehmung der internationalen Gemeinschaft, dass ein eher ganzheitlicher Ansatz über reine Gerichtsprozesse hinaus für Bosniens beschädigte Gesellschaft notwendig war, um eine Aufarbeitung seiner schwierigen Vergangenheit zu ermöglichen.

Die Diskussion für eine bosnische WVK wurde allen voran von Neil Kritz, dem Autor eines dreibändigen Werks über Übergangsjustiz und Direktor des Rechtsstaats-Programms des United States Institute of Peace (USIP), und Jakob Finci, Präsident der jüdischen Gemeinde Bosniens und geschäftsführender Direktor der Open Society-Stiftung des Landes, der später Vorsitzender des „Nationalen Koordinationskomitees für die Errichtung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission in Bosnien und Herzegowina“ wurde, geführt. 2001 verfassten Kritz und Finci einen gemeinsamen Artikel, der ihre Vision darstellte, die die weiter gefassten Argumente wiedergab, die in der Literatur zur Übergangsjustiz in Bezug auf Prozesse der Friedensstiftung und eines nationalen Dialogs über die Vergangenheit angeführt werden.1 Sie argumentierten, dass eine Wahrheitskommission nicht nur in Situationen notwendig sei, in denen Menschenrechtsverletzungen verschleiert wurden (wie in den lateinamerikanischen Fällen), sondern auch, wenn mehrere Wahrheiten existierten, die für sich die alleinige Deutungshoheit über die Geschichte beanspruchten, wonach die eigene Gruppe als einziges Opfer und andere Gruppen als gemeinsame Angreifer dargestellt werden. Mit Bezug auf Karl Jaspers‘ Konzept der verschiedenen Arten von Schuld führten sie an, dass Gerichte wie der ICTY für die Verfolgung einzelner schuldiger Straftäter angemessen seien, dass aber Gesellschaften, in denen es zu massenhaften Gräueltaten gekommen war, ebenfalls eine kollektive Verantwortung annehmen müssten, die nicht juristischer, sondern „moralischer“ Natur sei. Für diese Art der Verantwortung schien eine Wahrheitskommission am ehesten geeignet, um nicht nur die Fakten zu den erlittenen Misshandlungen aufzudecken, sondern auch den breiteren Kontext, in dem es dazu gekommen war, sowie um die Rolle von gesellschaftlichen und politischen Institutionen zu untersuchen. Eine bosnische WVK würde nicht nur bei der Etablierung von demokratischen Regierungsstrukturen, Rechtsstaatlichkeit und der Achtung der Menschenrechte helfen, sondern auch die Legitimierung des fragilen bosnischen Staates durch die Schaffung einer autoritativen öffentlichen Wahrnehmung des Krieges unterstützen.

II.

Das Projekt, diese Ideen in die Praxis umzusetzen, dauerte beinahe ein Jahrzehnt, kam aber nie über die Phase des Verfassens eines Gesetzesentwurfs zur Schaffung einer bosnischen WVK hinaus. Es ging durch zwei Hauptphasen: eine erste, von 1997 bis 2001, in der es als zivilgesellschaftliche Initiative entwickelt wurde, und eine zweite, von 2005 bis 2006, in der es in den Aufgabenbereich einer Arbeitsgruppe des bosnischen Parlamentes fiel und mit dem größeren Prozess einer bosnischen Verfassungsreform zusammengefasst wurde. Trotz ihrer verschiedenen Schwerpunkte zielten beide Phasen letztlich auf die Errichtung einer offiziellen nationalen Organisation; beide gerieten kurz nach der Vorbereitungsphase ins Stocken.

Von Beginn an führte die Kombination von einem hohen Grad an internationaler Verwicklung im Land einerseits und dem Fehlen eines Regimewechsels andererseits die Befürworter eine WVK in eine paradoxe Situation: Um legitim zu sein, musste die bosnische Wahrheitskommission vor Ort als authentische, nationale Organisation wahrgenommen werden, wobei man jedoch den nationalistischen Politikern des Landes (von denen viele auch während des Krieges an der Macht waren) nicht vertrauen konnte, diesen Prozess voranzutreiben. Infolgedessen versuchten die internationalen Befürworter einer WVK eine Herangehensweise „von unten“: Sie versuchten zunächst breite Unterstützung für das Projekt innerhalb der bosnischen Zivilgesellschaft zu gewinnen. Im Februar 2000 nahmen über einhundert bosnische und regionale NGOs zusammen mit Repräsentanten des ICTY und der Vereinten Nationen sowie bedeutenden internationalen Gästen an einem Runden Tisch in Sarajevo teil. Die bosnischen NGOs unterzeichneten eine Petition zur Schaffung einer WVK, was zur Gründung der „Nationalen Vereinigung zur Schaffung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission“ führte. Die zivilgesellschaftliche Phase des Projektes endete 2001, als diese Vereinigung dem bosnischen Minister für Menschenrechte und dem dreiköpfigen Präsidium des Landes einen Gesetzesentwurf zur Schaffung einer WVK präsentierte.

Der Entwurf für die Satzung und der Gesetzentwurf, der von der bosnischen Zivilgesellschaft vorgeschlagen wurde, sah für die WVK eine ähnliche Rolle vor, wie viele andere Wahrheitskommissionen sie hatten: Sie sollte Fakten über den Konflikt dokumentieren, insbesondere die Zahl der Opfer des Krieges, die erlittenen Menschenrechtsverletzungen und die Orte von Massengräbern. Eine Neuheit bei dieser Kommission war, dass sie auch das Handeln einzelner dokumentieren sollte, die – unter hohem Risiko – ihre Nachbarn aus anderen ethnischen oder religiösen Gruppen geschützt hatten.2 Gerade dieser letzte Punkt sollte eine Kollektivschuld verhindern und die nationale Versöhnung vorantreiben. Bedeutend war, dass die Vorschläge für den Gesetzentwurf und die Satzung auch die Rolle der WVK im Zusammenhang mit dem ICTY definieren sollten. Die WVK würde mit dem ICTY kooperieren und regelmäßig Kontakt halten, wobei sie das Gericht mit jeglicher Information oder Dokumentation versorgen sollte, nach der sie gefragt würde. Vor allem würde die WVK keine Amnestiehoheit besitzen (wie die südafrikanische WVK), um juristische Prozesse nicht zu behindern. Das hätte zweifelsfrei den Versuch beeinträchtigt, Kooperation und Aussagen von Institutionen und Einzelpersonen zu erlangen, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Dennoch war es eine offensichtlich notwendige Maßnahme, die Existenz des ICTY anzuerkennen, die die Verantwortlichen davon überzeugen sollte, dass die Arbeit der WVK nicht im Konflikt mit der des Gerichts stehen würde. Wie diese verschiedenen Vorschriften in der Praxis angewandt worden wären, bleibt offen, da der Gesetzesentwurf und der Entwurf für die Satzung nie von den zuständigen politischen Behörden ratifiziert wurden. Bis 2002 war klar, dass die Initiative auf der politischen Ebene ins Stocken geraten war, und einige Jahre lang geschah nichts.

III.

Die Wiederbelebung des bosnischen WVK-Projektes 2005 zeigte eine Korrektur der internationalen Strategie, um die Arbeit der Kommission zu ermöglichen. Abermals wurde der Prozess vom USIP und anderen äußeren Akteuren angeführt, die sich dieses Mal auf die politischen Parteien und nicht auf die Zivilgesellschaft konzentrierten. Diese neue Vorgehensweise spiegelte zweifelsfrei die Erkenntnis wider, dass eine nationale WVK politischen Rückhalt benötigte, um überhaupt je entstehen zu können. Daher wurde eine parlamentarische Arbeitsgruppe eingerichtet, die die bereits existierenden Vorschläge für die Satzung und das Gesetz prüfen sollte und im März 2006 ihre erste Pressemitteilung veröffentlichte, in der sie bevorstehende Beratungen mit wichtigen zivilgesellschaftlichen Akteuren ankündigte. Als jedoch einige Wochen später das bosnische Parlament mit knapper Mehrheit das Verfassungsreformpaket, das zeitgleich mit den bosnischen Parteivorsitzenden diskutiert worden war, ablehnte, endeten die internationale Unterstützung und die Diskussion über die WVK. Es war offensichtlich, dass die Idee einer Wahrheitskommission schlicht zu wenig Rückhalt in Bosniens politischem Establishment hatte, um ohne äußere Führung weitergeführt zu werden. Der letzte Abschnitt dieses Artikels wird die Gründe für dieses Versagen detaillierter betrachten.

Die Versuche, eine nationale WVK zu gründen, stießen sowohl international als auch innerstaatlich auf Widerstand. Die erste größere Opposition zur WVK-Initiative kam vom ICTY, dessen Widerstand gegen die Idee einer bosnischen WVK nicht überraschend war – besonders, wenn man in Betracht zieht, dass die Wahrheitskommission ursprünglich als Alternative zum Tribunal gedacht war. Verantwortliche des ICTY fürchteten, dass die WVK die Untersuchungen und Entscheidungen über Zeugenschutzprogramme und geheime Anklageschriften unterminieren könnte und beide um Spenden zur Finanzierung konkurrieren würden. Zögernd akzeptierte der neue Präsident des Tribunals, Claude Jorda, im Mai 2001 die Idee, wobei er warnte, dass eine bosnische Wahrheitskommission „das internationale Tribunal bei seiner Mission der Versöhnung nur ergänzen und, falls nötig, bekräftigen“ könne.3 Damit war deutlich, dass die WVK als rivalisierende Institution angesehen wurde, die mit der Arbeit des ICTY konkurrieren und eventuell die knappen westlichen Finanzhilfen abgreifen könnte. Trotz der Versuche der Unterstützer der WVK, den ICTY zu beruhigen, nahmen seine Befürchtungen auch dann nicht ab, als die eigene finanzielle Lage sicherer war. Befürworter der Kommission nahmen die Position des Tribunals als ungerechtfertigt wahr, vor allem, da sie sich alle Mühe gemacht hatten, das Mandat der Kommission sorgfältig so zu definieren, dass sie den juristischen Prozess nicht behindern würde. Jedoch war trotz aller Argumente für das Ergänzungsprinzip der „juristischen“ und „wahrheitlichen“ Prozesse klar, dass Regierungen und Spender beide als Alternativen und miteinander konkurrierende Ansätze wahrnahmen.

Im Innern traf die Idee einer nationalen WVK sowohl auf politischen als auch auf gesellschaftlichen Widerstand. In der bosnisch-serbischen Entität (Republika Srpska/RS) gab es besonders große Vorbehalte gegen das Projekt einer nationalen Wahrheitskommission, die zum Ziel haben sollte, ein staatsbildendes Narrativ für einen vereinigten bosnischen Staat zu schaffen – einen Staat, zu dem die meisten bosnischen Serben kein Zugehörigkeitsgefühl hatten. Bosnisch-serbische Politiker sahen eine rein bosnische Initiative als Bedrohung für das Überleben und die Autonomie der RS an und als einen Versuch, die Wahrnehmung herzustellen, die RS sei eine „genozidale Kreation, ohne historische Vorgeschichte, beruhend auf ethnischer Säuberung“.4 Wie eine Studie von 2010 belegte, zeugte die öffentliche Meinung in der RS ebenfalls von wenig Enthusiasmus für die Errichtung einer nationalen WKV.5 Deren Ablehnung durch die Verantwortlichen der RS war am deutlichsten.

Allerdings war der Widerwille bosnischer politischer Parteien gegen ein Wahrheitsfindungs-Projekt über den Krieg nicht auf die serbische Enklave beschränkt. Die Tatsache, dass jede WVK-Initiative ins Stocken geriet, als sie die politische Ebene erreichte, war ein Zeugnis für ein breiteres Problem. Die parlamentarische Wahrheitskommissionsphase 2005/6 zeigt, obwohl keine politische Partei offen die Mitarbeit in der Gruppe zum Gesetzentwurf verweigerte, dass ihr Einsatz für das Projekt nicht andauerte, sobald die externe Unterstützung zurückgezogen wurde. In der Tat gab es sogar innerhalb der Arbeitsgruppe viele Zweifel an dem Projekt, aber keine Partei wollte als Blockierer gelten. Auch wenn keine offiziellen Dokumente oder Protokolle existieren, die das beweisen, unterstreicht es doch den in der Literatur angeführten Punkt, dass die großen Parteien und ihre Vorsitzenden mit der Offenlegung von Beweisen ihrer eigenen Aktivitäten während der 1990er Jahre wenig zu gewinnen und möglicherweise viel zu verlieren hatten.

Während die politischen Hindernisse vorhersehbar waren, überraschte der Widerstand gegen das WVK-Projekt von bosnischen Opferorganisationen – genau von den Gruppen, die, wenn man einem Großteil der Literatur zur Übergangsjustiz folgt, die größten Nutznießer und Unterstützer des Projektes hätten sein sollen. Dennoch lehnten laut Berichten der bosnischen Presse Opferorganisationen von allen drei bosnischen nationalen Gruppen die Idee der Schaffung einer Kommission ab. Eine Erklärung, die von bosnischen NGO-Aktivisten für diese Haltung gegeben wurde, war die Abhängigkeit vieler Opferorganisationen von politischen Parteien – die einem NGO-initiierten Projekt für eine Wahrheitskommission misstrauten. Aber das ist nicht die ganze Erklärung. Kleinere, provinzielle Opferorganisationen sahen das bosnische WVK-Projekt als eine elitäre Initiative, angeführt von urbanen, professionellen und kosmopolitischeren NGOs mit starken Verbindungen zu internationalen Akteuren, und fühlten sich daher ausgeschlossen. Frauenverbände hatten eigene Sorgen über die WVK-Initiative, da die Gender-Dimension offenbar in den Vorschlägen nicht berücksichtigt wurde. Zuletzt wurde das Misstrauen der Opferorganisationen während der zweiten, politischen Phase des Projektes durch Einschätzungsfehler von ungenügend informierten ausländischen Geldgebern verstärkt, wie die anfängliche Mitgliedschaft eines von seiner Partei nominierten mutmaßlichen Kriegsverbrechers in der parlamentarischen Arbeitsgruppe. Auch wenn der Betroffene schließlich aus der Arbeitsgruppe entfernt wurde, hat dieser Vorfall dem Projekt irreversiblen Schaden zugefügt.

Viele Opferorganisationen zeigten außerdem beträchtliche Skepsis gegenüber sowohl dem „Wahrheits-“ als auch dem „Versöhnungs“-Aspekt dieser WVK-Initiative, wobei sie alles ablehnten, was eine „Kompromiss-Wahrheit“ darstellte – mit anderen Worten jedes Narrativ, das eine Symmetrie zwischen ihrem Leiden und dem Leiden anderer herstellen würde. Für Bosniaken war dies ein besonders akutes Problem, da sich ihre gesamte Identität als nationale Gruppe an die Erfahrung band, mit Abstand die meisten zivilen Opfer in dem Konflikt gehabt zu haben – einem Konflikt, den sie als serbischen Angriffskrieg sahen und in dem sie Opfer von Völkermord geworden sind. Viele fürchteten, dass eine nationale Wahrheitskommission mit ihren Bemühungen, eine politisch gewollte inter-ethnische Versöhnung zu unterstützen, diese Einzigartigkeit negieren würde. Viele Opfer kritisierten außerdem die vom WVK-Projekt vorgeschlagene „Versöhnung“, während Kriegsverbrecher noch immer auf freiem Fuß und in manchen Fällen in Machtpositionen waren. Stattdessen forderten sie Reformen der juristischen Prozesse und verlangten Änderungen, die ihr tagtägliches Leben verbessern würden: die Beseitigung von Kriegsverbrechern aus allen offiziellen Institutionen und einen besseren Zugang zur Sozialversicherung, zu Renten, Bildung und medizinischer Versorgung, zusammen mit Entschädigungen und finanzieller Hilfe, um die schwierigen sozio-ökonomischen Umstände zu mildern. Statt sich um ein großes Narrativ des Krieges zu bemühen und eine „nationale Versöhnung“ voranzutreiben, zogen viele solche Initiativen vor, die ihre zivilen und ökonomischen Rechte zu sichern suchten.

IV.

Zahlreiche Schlüsse folgen aus dieser Analyse der gescheiterten Versuche, eine bosnische VWK zu etablieren. Erstens war die Entwicklung der WVK-Initiative – vom anfänglichen Konzept bis zur Umsetzung – durch einen extrem hohen Grad an Intervention von außen geprägt. Ihr Verlauf zeigt, wie internationale Einmischung in gespaltene Gesellschaften komplexe und manchmal paradoxe Ergebnisse bringt: Sie treibt den Prozess der Übergangsjustiz voran, der andernfalls vielleicht nicht stattfinden würde, und hat dennoch zeitgleich die kontraproduktive Konsequenz, die Legitimation solcher Projekte zu begrenzen und Situationen der Abhängigkeit zu schaffen. Nationale Wahrheitskommissionen sind von Natur aus politische Projekte – ideologisch und praktisch nahe an der Förderung der Legitimität neuer politischer Regime und ihrer weiteren staats- und nationenbildenden Ziele. Wenn der Staat, in dessen Namen die Wahrheitskommission errichtet wird, wie im Falle von Bosnien und Herzegowina selbst umstritten ist und die mächtigsten politischen Akteure einen Mangel an Engagement für die Werte einer multi-ethnischen Gesellschaft erkennen lassen, sind die Erfolgschancen einer solchen Initiative niedrig. In geteilten Staaten kann eine Wahrheitskommission nur dann zu einer legitimen Macht für Veränderung werden, wenn sie Teil einer breiteren Agenda ist, die von glaubwürdigen politischen Führungspersönlichkeiten verfolgt wird.

Zweitens unterstreicht die Geschichte der gescheiterten bosnischen WVK die Wichtigkeit der Politik der Zivilgesellschaft in Projekten zur Übergangsjustiz – die inneren Spaltungen und Rivalitäten sowie die verschiedenen und oft unversöhnlichen Agenden und Prioritäten einheimischer NGOs und Opferorganisationen. Von außen finanzierte und geführte Initiativen können Misstrauen und Streit unter einheimischen gesellschaftlichen Akteuren hervorrufen. Während ein detailliertes Wissen über die Region und ein Verständnis der zivilgesellschaftlichen Politik Spendern von außen helfen kann, durchführbare Projekte zu definieren, kann es zu inhärenten Auflagen kommen, wenn Diskurse über „Wahrheit und Versöhnung“ ihrem gesellschaftlichen und politischen Umfeld entgegenstehen. Im Fall der bosnischen WVK war das zugrundeliegende Problem die Schaffung eines offiziellen, staatslegitimierenden Narratives einer „nationalen Versöhnung“, die nicht der Realität des bosnischen Staates, seiner Institutionen und politischen Führer entsprach und auch keinen breiten Anklang in der Bevölkerung fand. Das Scheitern des nationalen WVK-Projekts deckte die Angst und das Misstrauen vieler Bosnier in Bezug auf solche großangelegten offiziellen Projekte auf, die von der Besonderheit individueller Erfahrung ablenken, eine Erzählung der Versöhnung auf Kosten von Gerechtigkeit und sozio-ökonomischen Rechten erzwingen und aus persönlichen Tragödien politisches Kapital schlagen könnten.

Drittens zeigt die Geschichte von Bosniens gescheiterter Initiative ein Phänomen, das größere Beachtung in der Literatur verdient, nämlich die Politik von Institutionen der Übergangsjustiz – in diesem Fall die des ICTY und des WVK-Projekts. Der erfolgreiche Widerstand des ICTY gegen die Etablierung eines weiteren Mechanismus der Übergangsjustiz deckt die Logik des Selbstinteresses und der Selbsterhaltung auf, die zwangsläufig auf ad hoc-Institutionen zukommt, die auf externe Finanzierung angewiesen sind, unabhängig von ihrer technischen und offiziell vorgeschriebenen Komplementarität. Dies ist nicht nur im Fall Bosnien so. Während diese Form institutioneller Rivalität dadurch gemindert werden kann, dass alle Übergangsjustizmechanismen zeitgleich mit einer klaren Aufteilung der Ressourcen und Aufgaben geschaffen werden, ist es illusorisch anzunehmen, dass die Politik völlig aus dem Prozess ausgeschlossen werden kann.

Zusammengefasst ist das Scheitern der Schaffung einer nationalen Wahrheitskommission für Bosnien und Herzegowina ein Zeugnis für den von Natur aus politischen und umkämpften Charakter der Verarbeitung des Vermächtnisses vergangener Konflikte auf allen Ebenen der Gesellschaft. Die Schaffung einer Wahrheitskommission ist deutlich mehr als eine rein technische Übung und wirft Fragen über die legitime Autorität in der Auslegung der Vergangenheit, den Zweck von Abrechnungen und das dornige Dilemma der praktischen Umsetzbarkeit und die Quellen der Unterstützung auf. In diesem Kontext sind externe Akteure keineswegs „extern“, sondern spielen eine wesentliche Rolle. Ihre Konzentration auf den Staat und seine Institutionen, auf die Unterstützung der Nationenbildung und auf einen international ausgehandelten politischen Kompromiss, wie es in Bosnien der Fall war, stellen vielleicht nicht immer den produktivsten Weg dar, eine schwierige und umstrittene Vergangenheit zu bewältigen oder denen zu helfen, die am meisten gelitten haben. In tief gespaltenen Ländern, in denen offizielle Initiativen für Wahrheits- und Versöhnungskommissionen eventuell nicht als legitim oder erfolgsversprechend angesehen werden, können inoffizielle Wahrheitsprojekte und zivilgesellschaftliche Netzwerke, die auf innerstaatlicher Ebene und über Landesgrenzen hinweg operieren, eine bessere – oder sogar die einzige – Alternative darstellen.

Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Bremer.


Fußnoten:


  1. Neil J. Kritz, Jakob Finci: A Truth and Reconciliation Commission in Bosnia and Herzegovina: An Idea Whose Time Has Come. In: International Law Forum 3 (2001) 1, S. 50-58. ↩︎

  2. „Gesetzentwurf zur Errichtung einer WVK in BH“ und „Nacrt Statuta Komisije za Istinu i Pomirenje Bosne i Hercegovine“ (Entwurf einer Satzung für die Wahrheits- und Versöhnungskommission Bosnien und Herzegowinas) (22.01.1998). Die Dokumente befinden sich im Besitz der Autorin. ↩︎

  3. Claude Jorda: The ICTY and the Truth and Reconciliation Commission in Bosnia and Herzegovina. Rede, gehalten am 12.05.2001 in Sarajevo. Presseveröffentlichung, ICTY. Den Haag, 17.05.2001; http://www.un.org/icty/pressreal/p591-e.htm [Link mittlerweile inaktiv!]. ↩︎

  4. International Crisis Group „Bosnia: What does Republika Srpska want?“ Report 214, 06.10.2011. ↩︎

  5. Ipsos Strategic Marketing, Dezember 2010. ↩︎