1935: Die Stachanow-Bewegung

aus OWEP 4/2017  •  von Hanna Stähle

Hanna Stähle: Doktorandin in Slawischer Kulturwissenschaft der Universität Passau.

Der Name der Bewegung geht auf Alexei Stachanow zurück, einen Kohlehauer in der Donbass-Region, der in der Nacht zum 31. August 1935 das Vierzehnfache der Norm aus dem Berg schlug. Stachanows Rekordleistung entfaltete schnell eine propagandistische Wirkung und formierte sich zu einem Mythos. Durch die Annäherung an die stalinistische Führung wurde die Stachanow-Bewegung zu einem mächtigen politischen Faktor. Auf dem ersten Kongress der Stachanow-Arbeiter am 17. November 1935 sprach Josef Stalin die vielzitierten Worte: „Es lebt sich jetzt besser, Genossen. Es lebt sich jetzt froher.“ Der Stachanow-Stoßarbeiter verkörperte das Ideal des sowjetischen „Neuen Menschen“, der die Gesellschaft allein durch seinen unermüdlichen Einsatz für den Aufbau des Kommunismus verändern konnte.

Dass die Stachanow-Methoden in der Realität auf immense Schwierigkeiten stießen, blieb der breiten Öffentlichkeit wenig bekannt. Selbst bei sich wiederholenden Rekordleistungen einzelner Arbeiter konnte die Norm oft nicht erfüllt werden. Wenig bekannt blieb auch, dass Stachanows Rekord von der örtlichen Parteiführung sorgfältig geplant war. Am 23. August verabschiedete das Parteikomitee der Zeche „Centralnaja Irmino“, in der Stachanow arbeitete, einen Beschluss zur Durchführung eines Wettbewerbs um den Titel des besten Kohlehauers. Die Wahl fiel auf Alexei Stachanow, der als tüchtiger und zuverlässiger Arbeiter galt. Sein tägliches Arbeitspensum betrug 10 bis 12 Tonnen, während der Durchschnitt bei 7 Tonnen lag. Als Sohn eines armen Bauern war Stachanow auch aus ideologischen Gründen ein geeigneter Kandidat zur Aufstellung eines neuen Rekords. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet ein Kohlehauer aus dem Donbass zum Vorbild für die Arbeiter der ganzen Sowjetunion wurde. Für die seit 1929 forciert ausgebaute Schwerindustrie waren die Kohle und der Stahl des Donbass von herausragender Bedeutung.

Trotz aller Unstimmigkeiten überlebte die Stachanow-Bewegung ihren Gründungsvater und galt noch in den Worten Leonid Breschnews als „mächtiger Hebel der politischen, ökonomischen und sozialen Umgestaltung“ in der Sowjetunion. Alexei Stachanow nahm einen Ehrenplatz im Pantheon der sowjetischen Götter ein. Die Stadt Kadijewka, in der Stachanow arbeitete, trägt seit 1978 seinen Namen.