1983: Die sowjetische Frühwarnzentrale meldet den Abschuss mehrerer Atomraketen in den USA

aus OWEP 4/2017  •  von Anna Ott

Anna Ott: Studentin der Katholischen Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

In der Nacht des 25. September 1983 übernahm Stanislaw Petrow, Oberstleutnant der Sowjetarmee, für einen seiner Kollegen die leitende Schicht in der Frühwarnzentrale für Atomraketen südlich von Moskau – in der Regel eine Arbeit, die ohne viel Aufregung erledigt werden konnte. Nicht aber in dieser Nacht, als ein Spionagesatellit über dem US-Bundesstaat Montana den Startblitz einer US-Atomrakete anzeigte. Obwohl die Handlungsvorgaben für einen solchen Fall klar waren, zögerte Petrow mit seiner Entscheidung. Im Gegensatz zu seinen Kollegen traute der studierte Ingenieur, Systemanalytiker und Techniker der Elektronik nicht. Petrow prüfte und suchte nach Indizien für einen tatsächlichen Abschuss. Sicherheit bekam er weder dafür noch dagegen. Schließlich meldete er seinem Generalstab Fehlalarm und drückt den Alarmknopf nicht.

Auch nachdem die Computer Signale für eine zweite, dritte, vierte und fünfte abgeschossene Rakete anzeigten, entschied Petrow abzuwarten, bis die erste Rakete auf dem Radar sichtbar sein würde. Dieser Zeitpunkt wäre nur einige Sekunden vor dem vermeintlichen Einschlag gewesen. Die Minuten vergingen, ohne dass eine Rakete erkennbar wurde. Erst Tage nach dem Vorfall wurde klar, dass die Software der Spionagesatelliten fehlerhaft war. Sie hatte Sonnenreflexionen auf Wolken als Raketenabschüsse eingestuft.

Petrow behielt Recht, hatte sich aber dem Protokoll widersetzt. In den bangen Minuten musste er gewusst haben, dass die vorgeschriebene Reaktion auf die Meldung der Computer ohne viele weitere Überlegungen des Generalsekretärs einen Gegenschlag sowjetischer Raketen zur Folge gehabt hätte. Später berichtete Petrow, er hätte nicht schuld sein wollen am Dritten Weltkrieg.

Im Westen wurde diese Geschichte erst nach dem Fall der Mauer bekannt. Petrow, der aus den eigenen Reihen zuvor kaum Anerkennung für seine Entscheidung bekommen hatte, da er sich dem Protokoll widersetzt hatte, erhielt im Westen nachträglich viele Preise und Auszeichnungen. In seiner Heimat hingegen geriet er fast völlig in Vergessenheit, und auch sein Tod am 19. Mai 2017 blieb in den russischen Medien nahezu unbeachtet.