Biblische und sozialethische Grundlagen für einen verantwortungsbewussten Umgang mit der Schöpfung

aus OWEP 3/2010  •  von Markus Vogt

Prof. Dr. Markus Vogt ist Inhaber des Lehrstuhls für Christliche Sozialethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Der Schöpfungsglaube als Tat-Sache

„Schöpfung“ meint nicht nur einen Akt am Anfang der Welt, sondern zugleich die ständige Gegenwart Gottes in seinen Geschöpfen, die Christen zur Liebe befähigt, zum Handeln verpflichtet und zur Hoffnung ermutigt. Der Schöpfungsglaube ist eine „Tat-Sache“, ein Handlungsauftrag: Denn es gehört zur Struktur des christlichen Glaubens, dass er seine lebendige Wahrheit im praktischen Zeugnis der Kirche und jedes einzelnen Christen gewinnt. Wer die Liebe Gottes zu allen Geschöpfen glaubwürdig verkündet, ist bereit, die Güter der Schöpfung zu schützen, zu pflegen und gerecht zu teilen.

Christinnen und Christen sind davon überzeugt, dass der gesamten Schöpfung Heil und Erlösung zugesagt ist.1 Der biblische Schöpfungsglaube versteht die Natur als einen Lebensraum, zu dem Konflikt, Leid und Tod hinzugehören und der doch gleichzeitig eine „sehr gute“ Ordnung (Gen 1,31) und Ort des Heilsgeschehens ist. Diese Spannung ist nur auflösbar, wenn man Natur als Kulturaufgabe denkt und radikale Lebensbejahung mit demütigem Anerkennen der Grenzen geschöpflicher Existenz verbindet. Das Ethos einer solchen Schöpfungsspiritualität findet sich beispielsweise bei Franz von Assisi. Schöpfungsspiritualität erkennt die Gegenwart Gottes mitten im Leben, entdeckt die Natur als „Symbolressource“ und verleiht dem Glauben so mit allen Sinnen lebendigen Ausdruck. Sie muss jedoch auch in den Kirchen selbst wieder entdeckt werden. Insbesondere in der westlichen Tradition wurde das Thema Schöpfung angesichts des damit scheinbar unvereinbaren darwinistischen Weltbildes als bloßer Mythos verharmlost und gegenüber der Erlösungslehre in den Hintergrund gedrängt.

Als Schöpfung sind die Dinge und Lebewesen transparent für ihren Ursprung und ihre Vollendung in Gott, dem sie ihr Dasein verdanken. Vor diesem Hintergrund ist der Herrschaftsauftrag des Menschen als „verantwortete Haushalterschaft“ zu verstehen, wofür sich insbesondere in den alttestamentlichen Geboten eine Fülle sehr konkreter Regeln für ein ökologisch und sozial verantwortliches Haushalten findet. In diesen Regeln steckt ein erstaunliches biologisches und hygienisches Wissen, das über Jahrhunderte gesammelt und tradiert wurde und es den Israeliten ermöglichte, ohne große Hungersnöte in einer ökologisch extrem sensiblen Region zu überleben.2

Will die Umweltethik mehr sein als ein von apokalyptischen Zukunftsängsten getriebener Diskurs über moralische Imperative, dann kann sie in der Schöpfungstheologie eine tiefe Horizonterweiterung finden. Der theologische Blick auf die Natur entdeckt ihre Dynamik, Vielfalt und Rhythmik als Basis von Lebensqualität. Schöpfungsglaube ist ein Koordinatensystem für kritische Rückfragen nach der Stellung des Menschen in der Natur. Er ist also mehr als der verlängerte Arm ökologischer Moral – er ist die Rückbesinnung darauf, dass der Mensch nur dann den Weg zu Gott finden kann, wenn er sich in Dankbarkeit, Freude, Demut und Solidarität als Teil der Schöpfung begreift. Christliche Schöpfungstheologie sieht Natur und Kultur stets als ein zusammengehörendes Spannungsgefüge.

Notwendige Lernprozesse in Europa

Die vielschichtigen Phänomene der Umweltkrise prägen die Lebenschancen der Menschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Große Wohlstands- und Freiheitschancen auf der einen Seite stehen einer ebenso großen Hilflosigkeit auf der anderen Seite gegenüber. Die sozialen und ökologischen „Nebenwirkungen“ der Globalisierung führen zur Verelendung ganzer Völker sowie zu einer tiefgreifenden Veränderung der Lebensbedingungen auf dem Planeten Erde. Die qualitativ neue Herausforderung besteht darin, dass die vielfältigen Phänomene der global beschleunigten Entwicklung von Armut und Umweltzerstörung in einem engen inneren Zusammenhang stehen und deshalb auch nur gemeinsam analysiert und bewältigt werden können. Wirtschaftlicher Wohlstand, soziale Gerechtigkeit und ökologische Tragfähigkeit stehen heute aufgrund der engen Verflechtung weltweiter Wirkungszusammenhänge so sehr in einer wechselseitigen Abhängigkeit, dass sie nicht einzeln oder gar gegeneinander gesichert werden können. Ohne eine systematische Verknüpfung und weltweite Einbindung bleiben die Konzepte der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltethik nur kurzatmige Symptombehandlungen.

Man kann diese grundlegende Bedingung für eine zukunftsfähige Entwicklung unserer Zivilisation unter dem Begriff „Nachhaltigkeit“ zusammenfassen: Nachhaltigkeit wurde bei der Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro als eine ökologisch tragfähige, sozial gerechte und wirtschaftlich effiziente Entwicklung definiert und von der Völkergemeinschaft als verbindliches Leitbild für die globale Entwicklung im 21. Jahrhundert anerkannt. In der Agenda 21 wurde ein konkreter „Fahrplan“ für diese Vision als Grundlage der Politik im 21. Jahrhundert von den obersten Vertretern von 179 Staaten anerkannt und unterschrieben.3 Europa ist der Ursprungsort des Nachhaltigkeitsprinzips: Der Begriff wurde 1713 in der deutschen Forstwirtschaft geprägt. Die Europäische Union ist mit den Umweltaktionsprogrammen seit 1973 starke Promotorin für die Übersetzung des Prinzips in die Politik; die norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland war 1987 die Impulsgeberin für die Verankerung von Nachhaltigkeit auf UN-Ebene („Brundtlandbericht“).

Nachhaltigkeit ist ein entscheidender Maßstab dafür, dass der Transformationsprozess der Länder in Mittel- und Osteuropa nicht zu einer nachholenden Entwicklung auf Kosten der ökologischen und soziokulturellen Potenziale der Länder wird. „Nach der Wende (1989-1991) und dem Ende des Kommunismus kam es in den postkommunistischen Ländern zu einer Neuauflage des Kapitalismus, und zwar in seiner rücksichtslosen Form: dem liberalen Kapitalismus oder, wie man das dort gemeinhin nennt, einem wilden, ungezügelten ‚Turbokapitalismus‘.“4 Gerade in Mitteleuropa ist es aber für eine solide, dauerhaft stabile Wohlstandsentwicklung unabdingbar, dass das Gleichgewicht zwischen allen Dimensionen gesellschaftlicher Entwicklung, wie es das Konzept der Nachhaltigkeit postuliert, politisch gewollt und geschützt wird. Das Leitbild der ökologisch-sozialen Marktwirtschaft, für das sich die Kirchen in Deutschland bereits 1985 stark gemacht haben – damit vor allen politischen Parteien – und das in seiner Dreidimensionalität als konsequenter Ausdruck der Nachhaltigkeit gelten kann, ist ein notwendiger Rahmen für eine zukunftsfähige Entwicklung in Europa.

Herausforderungen für eine Erweiterung der Sozialprinzipien

Die Globalisierung der ökologischen und sozialen Frage lässt sich ethisch mit dem Aufstellen von Einzelnormen nicht hinreichend beantworten, sondern fordert ein Hinterfragen der Grundsätze, nach denen Politik und Wirtschaft organisiert werden. Es geht darum, die normativen Leitlinien für die Regelung der sozialen Konflikte sowie die Gestaltung der gesellschaftlichen Strukturen nach übergeordneten und allgemeinen Gesichtspunkten transparent zu machen, zu ordnen und zu gestalten. Genau dies ist die Ebene der Sozialprinzipien. Sozialprinzipien sind die ethische Grammatik für den Strukturaufbau der Gesellschaftsordnung. Theologisch betrachtet haben sie ihren Ort auf der grundsätzlichen Ebene der Übersetzung biblischer Imperative in ordnungsethische Kategorien, die der offenen Dynamik moderner Gesellschaft und Wirtschaft Rechnung tragen.

Bei den Prinzipien der Personalität und der Solidarität hat die Kirche ethische Impulse von außen aufgenommen. Die zunächst „säkularen“ Begriffe wurden mit der eigenen Tradition verknüpft und so ethisch und theologisch neu ausgedeutet. Eher umgekehrt verhielt es sich mit dem Subsidiaritätsprinzip. Dieses wurde 1931 in der Enzyklika „Quadragesimo anno“ definitorisch eingeführt, doch gewann es erst im Rahmen der Erweiterung und Vertiefung Europas als Maßstab der ethisch-politischen Reflexion auf den Föderalismus eine zentrale Bedeutung. Von daher liegt es in der konzeptionellen Linie der Sozialprinzipien, dass sie erweitert werden, wenn sich qualitativ neue geschichtliche Herausforderungen stellen, und dass dabei auch ethische Begriffe und Reflexionen von außen in die kirchliche Tradition aufgenommen werden können. Genau dies schlage ich für den Begriff der Nachhaltigkeit vor. Er sollte als viertes Sozialprinzip christlicher Sozialethik definiert werden.

Zwischen dem Leitbild nachhaltiger Entwicklung und christlicher Schöpfungsverantwortung besteht ein wechselseitiges Ergänzungsverhältnis: Einerseits ist Schöpfungsverantwortung heute auf den Weg nachhaltiger Entwicklung verwiesen, um gesellschaftliche Wirksamkeit zu entfalten, andererseits kann die Begründung und Umsetzung des Leitbildes der Nachhaltigkeit vom christlichen Schöpfungsglauben und Menschenbild her wichtige Orientierungshilfen erhalten. Der Glaube bietet entscheidende Anstöße, um das Leitbild nachhaltiger Entwicklung in seiner kulturellen und ethischen Dimension zu vertiefen und so den notwendigen Kurswechsel zu einer nachhaltigen Entwicklung auf der Ebene des individuellen und gesellschaftlichen Wertewandels zu unterstützen.

Der ganzheitliche Anspruch der Nachhaltigkeit fordert, ihn entweder in der Mitte des eigenen Selbstverständnisses, der Organisationsstruktur und der eigenen Tradition zu verankern oder ihn abzulehnen. Trotz sehr früher kirchlicher Impulse und Rezeptionen des Leitbildes der Nachhaltigkeit sind die Kirchen jedoch noch weit entfernt von einer soliden Integration im christlichen Glaubensbewusstsein, in den ethischen Grundhaltungen des Alltags, in den politischen Optionen und den praktischen Organisationszielen kirchlicher Institutionen. Angesichts dieser Situation ist kritisch zu fragen, ob der Ansatz der Nachhaltigkeit ohne Widersprüche mit dem biblischen Schöpfungsglauben und der Tradition christlicher Ethik verbunden werden kann und wie diese ihrerseits zu einer vertieften Interpretation von Nachhaltigkeit beitragen können. Die genauere Analyse kirchlicher Dokumente und Praxis zeigt, dass hier noch ein schwieriger Lernprozess bevorsteht.

Die ökologischen Fragen in der Enzyklika „Caritas in veritate“

Die Umweltfrage ist bisher noch kein systematisches Grundelement christlicher Soziallehre.5 Diese Feststellung von Wilhelm Korff aus dem Jahr 1996 gilt – zumindest für die Ebene der päpstlichen Lehrverkündigung – nach wie vor. Zwar finden sich dort seit den 1960er Jahren durchaus starke ökologische Imperative, aber diese haben im Kern lediglich tugendethischen Charakter. Auf der Ebene der Sozialprinzipien wird Ökologie lediglich als impliziter Aspekt behandelt, aber nicht als eine Herausforderung eigener Art. Selbst in der jüngsten Sozialenzyklika „Caritas in veritate“, die den Anspruch erhebt, den Begriff der Entwicklung neu zu definieren und die globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts in den Mittelpunkt zu stellen, kommen weder die Begriffe „Nachhaltigkeit“ noch „Klimawandel“ vor.6 Dies steht in eigenartigem Gegensatz zu den eindringlichen Analysen und Appellen zur Schöpfungsverantwortung, denen die Enzyklika fünf Abschnitte widmet (Nr. 48-52). Darin wird ein breiter Bogen von grundlegenden Reflexionen über die Grammatik der Schöpfung als Ausdruck eines Planes der Liebe und der Wahrheit bis zur Notwendigkeit eines neuen Bundes zwischen Mensch und Umwelt zum Schutz des Menschen gegen seine Selbstzerstörung geschlagen. Prägnante Postulate für einen veränderten Umgang mit Energie durch den Ausbau von Effizienztechnik und der Nutzung erneuerbarer Ressourcen sowie für einen verbesserten Zugang armer Länder zu Energie stellen den Bezug zur aktuellen Umweltpolitik her. So ist der ökologische Abschnitt der Enzyklika in vieler Hinsicht sicherlich inhaltsreich und innovativ. Es fehlt jedoch genau das, was von einer Enzyklika zu erwarten ist: die Verortung der neuen Herausforderungen auf der konzeptionellen Ebene der Ziele und Bedingungen für Fortschritt und Entwicklung.

Zum Klimawandel schweigt die Enzyklika. Nicht einmal der Begriff kommt vor, obwohl heute kaum zu übersehen ist, dass sich in ihm die ökologischen Probleme in ihrer ganzen Komplexität und Dramatik zuspitzen.7 Dieser ist im Wesentlichen durch Menschen verursacht (anthropogen). Damit ist er ethisch betrachtet nicht eine Frage des Schicksals, sondern der Gerechtigkeit. Da das Klima ein kollektives Gut ist, dessen Schädigung alle gemeinsam trifft und dessen Nutzen sich kaum individualisieren lässt, sind Investitionen für Klimaschutz leicht ausbeutbar. Daher braucht Nachhaltigkeit eine spezifische institutionelle Absicherung des Klimaschutzes. Viele Kirchen in Europa, insbesondere orthodoxe und protestantische Kirchen, aber auch nationale Bischofskonferenzen der katholischen Kirche sowie der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) und die Kommission der europäischen Bischofskonferenzen (COMECE) setzen sich seit vielen Jahren intensiv mit dem Konzept der Nachhaltigkeit und den Fragen des Klimawandels auseinander.8 Nur wenn die kulturelle und konfessionelle Vielfalt Europas auch in diesen Fragen beachtet wird, wird die Kirche ihrer „ökologischen Berufung“ (Johannes Paul II.) gerecht werden können.

Kompetenzen der Kirche im ökologischen Diskurs

Die Umweltkrise ist eine ökologische und sozioökonomische Grenzerfahrung der Moderne. Das „schneller, höher, weiter“ ist kein hinreichendes Konzept für Fortschritt, aber auch die Idealisierung der Langsamkeit bietet keine tragfähigen Alternativen. Hier setzt die ethisch-politische Leitidee der Nachhaltigkeit an. Sie versteht sich als neue Definition der Voraussetzungen, Grenzen und Ziele von Fortschritt: Statt der ständigen Steigerung von Gütermengen und Geschwindigkeiten wird die Sicherung der ökologischen, sozialen und ökonomischen Stabilität menschlicher Lebensräume zur zentralen Bezugsgröße gesellschaftlicher Entwicklung und politischer Planung. Nur ein ressourcenleichter Wohlstand, der möglichst vielen Menschen Teilhabechancen eröffnet, ist gerechtigkeitsfähig. Nachhaltigkeit ist eine Zukunftsvorsorge, deren motivierende Hoffnung nicht Fortschrittsoptimismus ist, sondern die Vision eines gelungenen Lebens in den Grenzen der Natur. Eine solche Hoffnung jenseits von Fortschrittsoptimismus findet sich im christlichen Glauben: Sie basiert nicht auf der Vorstellung, dass alles immer besser werde und der Mensch eine vollkommene Gesellschaft schaffen könne, sondern im Gegenteil auf einem existenziellen Bewusstsein der Grenzen des Menschen, das dann zum Heil und zur Hoffnung werden kann, wenn der Mensch den Geschenkcharakter des Lebens und seine Angewiesenheit auf Gemeinschaft erkennt.

Die Kirchen tragen auch in der Praxis in vielfältiger Weise zu diesem Kurswechsel bei, z. B. durch Projekte zum kirchlichen Umweltmanagement nach der europäischen EMAS-Verordnung („Eco-Management and Audit Scheme“); hier sind in Deutschland und Österreich mehr als 500 kirchliche Einrichtungen aktiv.9 In der Ukraine wird derzeit ein ökologisches Informationszentrum an der Universität Užhorod aufgebaut, in dem die Kirchen in ökumenischer Partnerschaft Beamte zu Fragen der Umweltverantwortung ausbilden. Nach der Zweiten Europäischen Ökumenischen Versammlung 1997 in Graz hat sich das „Europäische Christliche Umweltnetzwerk“ (ECEN) gebildet, das in nahezu allen Themenbereichen ökologischer Verantwortung pastoral, praktisch und politisch tätig ist. Über die inhaltlichen Aspekte hinaus ist Schöpfungsverantwortung zugleich ein intensiver Lernprozess für ökumenische Gemeinschaft und gesellschaftliche Mitverantwortung der Kirchen unter den extrem unterschiedlichen und sich wandelnden Bedingungen im zusammenwachsenden Europa.

Dabei geht es keineswegs nur um rein praktische und technische Fragen. In den existenziellen Erfahrungen der ökologischen Krise stellt sich heute auf vielfältige Weise die Gottesfrage selbst. Die Herausforderung der Rückbesinnung auf ein tragfähiges Verhältnis zur Schöpfung betrifft die Fundamente unserer Kultur und unseres Selbstverständnisses. Dabei liegen die spezifischen Kompetenzen der Kirchen für eine nachhaltig schöpfungsverträgliche Entwicklung auf der Hand:

  • Es geht um langfristiges Denken, wofür die Kirche als auf die Ewigkeit Gottes ausgerichtete Institution von ihrer ganzen Existenz her prädestiniert ist.

  • Die Kirche ist der älteste „global player“ und damit in besonderer Weise zu weltweiter Verantwortung befähigt, die heute Voraussetzung zur Bewältigung der ökologischen Krise ist.

  • Das christliche Menschenbild bestimmt den Wert des Menschen nicht von der Menge der produzierten und konsumierten Güter her und kann damit zu einem maßvollen, gerechten und verantwortlichen Umgang mit ihnen befähigen.

  • Der Schöpfungsglaube zielt nicht bloß auf moralische Appelle, sondern auf eine sinnstiftende Kommunikation, die ökologische Verantwortung als Teil der Selbstachtung des Menschen versteht.

  • Das Spezifische des christlichen Blicks auf Umweltfragen ist ihre Einbettung in kulturelle und soziale Zusammenhänge. Naturschutz und Menschenschutz bilden für die christliche Ethik eine Einheit.

Dieser integrative, sozialethisch fundierte Ansatz, den sich die Kirchen nicht zuletzt im konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zum Programm gemacht haben, wäre eine solide Basis für eine zukunftsfähige Entwicklung in Europa und weltweit. Es ist jedoch ein weiter Weg für die Kirchen, sich ihr eigenes Erbe so anzueignen und zu transformieren, dass es heute zur gesellschaftlich prägenden Macht werden kann.


Fußnoten:


  1. In Gen 9 sind auch die Tiere Bündnispartner Gottes, in Kol 1 und Röm 8 wird die Heilserwartung ausdrücklich auf die ganze Schöpfung bezogen. Zur schöpfungstheologischen und ethischen Deutung vgl. Karl Löning/Erich Zenger: Als Anfang schuf Gott. Biblische Schöpfungstheologien. Düsseldorf 1997; Die Deutschen Bischöfe: Handeln für die Zukunft der Schöpfung. Hrsg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Erklärungen der Kommissionen 19). Bonn 1998; Markus Vogt: Prinzip Nachhaltigkeit. Ein Entwurf aus theologisch-ethischer Perspektive. München 2009, S. 263-304. ↩︎

  2. Aloys P. Hüttermann/Aloys H. Hüttermann: Am Anfang war die Ökologie. Naturverständnis im Alten Testament. München 2002. ↩︎

  3. Zu den Dokumenten von Rio vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.): Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro – Dokumente (Agenda 21, Konventionen, Rio-Deklaration, Walderklärung). Bonn 1992; zur sozialethischen Deutung des Nachhaltigkeitskonzeptes vgl. Vogt (wie Anm. 1). ↩︎

  4. Stjepan Baloban: Ökosoziale Marktwirtschaft für die Transformationsländer? In: Helmut Renöckl (u. a.): Umbrüche gestalten. Sozialethische Herausforderungen im neuen Europa. Wien, Würzburg 2008, S. 192-203, hier S. 192 f. ↩︎

  5. Wilhelm Korff: Verbindliche Handlungsprinzipien. Zum Anspruch einer Soziallehre. In: Zentralkomitee der deutschen Katholiken (Hrsg.): „Solidarität ist unteilbar“. Katholischer Kongress 1996 in Hildesheim. Kevelaer 1997, S. 441-446; vgl. auch Vogt (wie Anm. 1), S. 16-40. ↩︎

  6. Markus Vogt: Beredtes Schweigen. Ein Kommentar zu ökologischen Aspekten der Sozialenzyklika „Caritas in veritate“. In: Amos international 4/2009, S. 27-35. ↩︎

  7. Vgl. Die Deutschen Bischöfe: Der Klimawandel. Brennpunkt globaler, intergenerationeller und ökologischer Gerechtigkeit. Hrsg. v. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Kommissionstexte 29). 2. Auf. Bonn 2007. – Man kann das eindringliche Plädoyer für Effizienzsteigerung im Umgang mit Energie, den Ausbau erneuerbarer Energien und den verbesserten Zugang armer Länder zu Energie (Nr. 49) als eine indirekte Auseinandersetzung der Enzyklika mit dem Klimawandel auffassen. Die Analyse bleibt in der Enzyklika jedoch höchst unvollständig, da das zentrale Problem heute nicht die Ressourcenverknappung ist, sondern die Veränderung der Biosphäre durch Treibhausgase. Zwar hat der Papst in der Botschaft zum Weltfriedenstag (1. Januar 2010) unter dem Titel „Wenn du den Frieden willst, bewahre die Schöpfung“ den Klimawandel als zentrale Herausforderung benannt, aber dies geschieht auf der Ebene eines moralischen Appells und nicht im Rahmen einer prinzipiellen und strukturethischen Reflexion. Die Chance und Aufgabe einer ökologischen Weiterentwicklung der Soziallehre ist damit verpasst. ↩︎

  8. Hinweise bei Vogt (wie Anm. 1), S. 180-214. ↩︎

  9. Vgl. dazu aktuelle Informationen unter: www.kirchliches-umweltmanagement.de; außerdem: www.ecen.org (Link mittlerweile inaktiv; siehe auch www.facebook.com/ecenpage; www.cefe.ch (Catholic Ecology Forum Europe). ↩︎