„Eine sichere Prognose gibt es nicht.“

Ein Gespräch mit Pablo Mateu
aus OWEP 4/2019  •  von Michael Albus

Pablo Mateu ist der Leiter der Vertretung des Hohen Flüchtlingskommissars der UN für Flüchtlingsfragen (UNHCR) in der Ukraine. – Die Fragen stellte Michael Albus.

Herr Mateu, bitte schildern Sie ein wenig Ihre Aufgabe und ihre Arbeit.

Pablo Mateu (Foto: © Caritas der griechisch-katholischen Kirche der Ukraine)

Die UNHCR, die Flüchtlingshilfe der Vereinten Nationen, gibt es seit 25 Jahren in der Ukraine. Wir arbeiten mit allen Kräften daran, die Flüchtlinge zu unterstützen. Wir haben auch von Anfang an alle Unterstützung von der Regierung der Ukraine bekommen.

Wie ist im Augenblick die Lage der Flüchtlinge in der Ukraine. Welche Probleme gibt es? Aber auch welche Erfolge?

Wir arbeiten natürlich nicht nur für die und mit denen, die mehrheitlich aus Afghanistan, aus dem Irak, aus Syrien und aus Somalia kommen, sondern auch mit den Binnenflüchtlingen, die aus dem Kriegsgebiet kommen. Die Flüchtlinge konzentrieren sich auf die großen Städte des Landes. Das flache Land ist davon weniger oder kaum betroffen.

Die Flüchtlinge in der Ukraine haben fast alle Rechte, auch politische. Sie haben Zugang zum Gesundheitssystem, zu den Institutionen der Bildung und Ausbildung im Land, also zu den Schulen und Hochschulen, und zu den sozialen Diensten.

Wir arbeiten gegenwärtig daran, dass die Flüchtlinge weitere Rechte erhalten, zum Beispiel – sehr grundlegend – das Recht auf Arbeit. Das ist besonders wichtig für die Asylsuchenden. Sie haben die ersten zwei bis drei Jahre, während ihr Asylverfahren läuft, kein Recht auf Arbeit. Daran arbeiten wir mit Nachdruck, dass diese Menschen auf dem Arbeitsmarkt unterkommen können. Uneingeschränkt. Das hat auch eine ganz konkrete Ursache: Heutzutage wandern sehr viele Ukrainer aus den verschiedensten Gründen aus. Dadurch fehlen den Arbeitgebern im Land immer mehr Arbeitskräfte. Unter den Asylsuchenden sind sehr viele gut ausgebildete Menschen, Fachkräfte, Studierte, die gerne und dringend Arbeit haben wollen. Nicht nur, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sondern auch, um für das Land, für die Ukraine etwas Gutes leisten zu wollen. Davon versuchen wir die entsprechenden staatlichen Institutionen mit Nachdruck zu überzeugen. Wenn diese Menschen hier keine Arbeit finden, dann werden sie auch gehen, und zwar nach Westen.

Wir suchen die Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen, um dieses Problem zu lösen. Wir haben Kontakte etwa mit Unilever oder Hilton und versuchen, die staatlichen Behörden davon zu überzeugen, wie wichtig es für das Land ist, dass die Menschen, die geflüchtet sind, auch in Arbeit kommen. Immer mehr Arbeitgeber sind bereit, Arbeitsplätze für die Asylsuchenden zur Verfügung zu stellen. Wir müssen auch die Regierung davon überzeugen, dass eine solche Lösung für das Land von Interesse und Bedeutung ist. Wir kommen dabei langsam voran.

Die Zahl der Asylsuchenden in der Ukraine liegt derzeit bei etwa 3.000 Menschen. Sie ist also überschaubar. Wir müssen aber nicht nur den Staat überzeugen, sondern wir müssen auch die ukrainische Bevölkerung davon überzeugen, dass es gut für das Land ist, wenn es eine Vielfalt von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Gesellschaften gibt. Das öffnet neue Perspektiven in verschiedene Richtungen.

Wie schätzen Sie die Lage, auch die politische, in der Ukraine gegenwärtig ein? Es ist ja Krieg. Und die Lage ist nicht einfach. Welche Perspektiven sehen Sie? Manchmal habe ich den Eindruck, der Krieg ist vergessen.

Mir scheint, wenn es bei dem gegenwärtigen Lauf der Dinge bleibt, dass der Krieg auch die nächsten fünf Jahre weiter existieren wird. Die Menschen, die dort leben, müssen täglich eine gefährliche Grenze überqueren, sie können nicht in ihrem Garten arbeiten und es fehlt ihnen an den notwendigsten Lebensmitteln. Das sind trostlose Lebensumstände. Wir müssen sie in unserer Arbeit dort berücksichtigen.

Gibt es Hoffnung, dass sich die Fronten wieder auflösen, dass wieder Frieden einkehrt? Ich weiß, das ist eine reine Einschätzungsfrage.

Es gibt sicher kaum jemanden in der Ukraine, der nicht froh darüber wäre, wenn der Konflikt möglichst schnell zu Ende wäre. Auch die neue Regierung wird sicher daraufhin arbeiten, die Situation zu verbessern und sie erträglicher zu machen. Eine sichere Prognose gibt es nicht.

Wie sehen Sie die Arbeit der Caritas, gerade auch mit den Flüchtlingen. Ist sie eine Ergänzung Ihrer Arbeit? Oder gibt es Unterschiede?

Ich schätze die Arbeit der Caritas in der Ukraine sehr hoch. Meiner Meinung nach ist es besonders zu würdigen, dass die Caritas mit den Menschen selbst arbeitet, mit Familien, mit Kindern. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Caritas kennen die Menschen mit Namen. Das ist etwas ganz Wertvolles und Wichtiges. Auch für die gesamte Gesellschaft in der Ukraine. Auch für den Staat. Die Caritas arbeitete schon im Land, bevor der Konflikt, der Krieg begann. Sie arbeitet intensiv während des andauernden Konfliktes. Und sie wird auch danach noch für die Menschen da sein.

Wichtig finde ich auch den psychologischen Aspekt, den die Caritas dabei mehr und mehr im Blick hat. Das ist für die Bevölkerung insgesamt von Bedeutung. Die Menschen brauchen hier weniger die rein materielle Unterstützung. Sie brauchen vor allem psychologische Hilfe und Beistand.

Die Arbeit, die die Caritas hierbei leistet, ist ein echter Beitrag zum Frieden, sie ist Friedensarbeit.