Usbekistan nach Karimow – der Wandel steht noch aus

aus OWEP 4/2020  •  von Bagila Bukharbaeva

Die usbekische Journalistin Bagila Bukharbaeva war lange Jahre als Zentralasienkorrespondentin für die US-Nachrichtenagentur „Associated Press“ in Usbekistan tätig und lebt heute in den USA. Sie ist Autorin des in den USA erschienenen Buches „The Vanishing Generation: Faith and Uprising in Modern Uzbekistan“ („Die verschwindende Generation: Glaube und Aufstand im modernen Usbekistan“, 2019, Indiana University Press).

Zusammenfassung

Seit dem Tod des autokratisch regierenden Präsidenten Islam Karimow 2016 und dem Machtantritt seines Nachfolgers Schawkat Mirsijojew ist die Hoffnung groß, dass das Land einen demokratischen Weg einschlagen könnte. Doch das dunkle Erbe Karimows lebt weiter, während sich die neue Führung des Landes auf kosmetische Veränderungen beschränkt.

Seit dem Tod von Islam Karimow, dem ersten Präsidenten Usbekistans nach der Unabhängigkeit und früheren sowjetischen Parteichef, sind erst vier Jahre vergangen. Seine Herrschaft zog sich über ein Vierteljahrhundert und stand für eine dunkle und schmerzhafte Ausweitung der totalitären sowjetischen Kontrolle auf alle Lebensbereiche. Während die Sowjetregierung die Bürger im Namen des Kommunismus und der Konkurrenz mit dem kapitalistischen Westen unterdrückte, setzte Karimow eine Form des Regierens fort, die mit den blutigen Anfangsjahren der bolschewistischen Herrschaft und der stalinistischen Säuberungen vergleichbar war – inzwischen im Namen des Kampfes gegen den radikalen Islam.

Zaghafte Reformen

Karimows Tod war für das usbekische Volk eine Erleichterung. Alle Augen richteten sich nun auf den neuen Führer des Landes, Schawkat Mirsijojew. Würde es eine Veränderung zum Besseren geben?

Nachdem Mirsijojew die Macht übernommen hatte, zeigte sich schnell, dass er weiter das alte Regime verkörperte, wenn auch in geschickter neuer Erscheinung. Sein politisches Gespür bewies sich bereits darin, dass es ihm gelang, Karimow 13 Jahre lang als Premierminister zu dienen und nach dessen Tod unter Umgehung der verfassungsmäßigen Verfahren als sein Nachfolger wieder hervorzutreten.

In den ersten beiden Jahren seiner Präsidentschaft gaben seine Rhetorik und sein Handeln zunächst durchaus Anlass zu hoffen, dass er als nationaler Führer eine Vision oder zumindest gesunden Menschenverstand beweisen könnte. Das bisher weitgehend verschlossene Land öffnete sich gegenüber der Außenwelt. Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen von Muslimen, die als zu fromm und zu unabhängig von den offiziellen Imamen gesehen wurden, hörten zumindest als Routinekampagne auf.

Begrenzter Reformwille in Taschkent

Doch vier Jahre später muss man festhalten: Mirsijojew ist kein Reformer. Er ist nur dazu bereit, gerade so viel an Reformen zuzulassen, dass Usbekistan sein ramponiertes Image als eine der schlimmsten Diktaturen weltweit verbessern kann. Das dient vor allem dazu, die wirtschaftliche Lage zu verbessern, indem man ausländische Investoren und Touristen stärker anlockt.

Innerhalb der Sicherheitsdienste, den Vollzugsanstalten, den Strafverfolgungsbehörden und in den Gerichten kam es in den vergangenen Jahren zu Umbesetzungen und Säuberungen. Trotz solcher personeller Veränderungen sind die Institutionen selbst nach wie vor von einer Kultur der Korruption, des Missbrauchs und der Brutalität durchdrungen.

Auf ihnen lastet unverändert der Schatten der Vergangenheit: Unter Karimow waren beinahe täglich missliebige Personen als angebliche „Terroristen“ festgesetzt worden. Unter Folter wurden sie dazu gezwungen, die gewünschten Geständnisse abzulegen. Viel deutet darauf hin, dass sich die Säuberungen unter der Herrschaft Karimows längst zu einem endlosen Machtkampf der Abrechnung zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb der Strafverfolgungsbehörden entwickelt hatten.

Die Verfolgung regimekritischer Muslime aufgrund zweifelhafter Anschuldigungen und die Verletzung der Menschenrechte gehen in Usbekistan weiter. Der christlichen norwegischen Menschenrechtsorganisation „Forum 18liegen drei Fälle aus dem Jahr 2020 vor, in denen die usbekischen Behörden zahlreiche Muslime in Gruppen von bis zu 25 Personen festnahmen, nachdem staatliche „Lockvögel“ eingesetzt worden waren. Nach Aussagen von Anwälten und den Familien der Inhaftierten wurden alle im Gefängnis gefoltert. Im März wurden acht Personen in Taschkent vor Gericht gestellt. Um sie zu Geständnissen zu bewegen, wurden die Angeklagten zunächst schwer misshandelt und ihnen gedroht, man werde ihre Familienmitglieder vor ihren Augen ähnlich behandeln, berichtet „Forum 18“.1 All dies sind Methoden aus der Amtszeit Karimows, die sich offenbar wenig verändert haben.

Eine offene Diskussion darüber, was unter Karimow in Usbekistan geschehen ist, wird auch unter der Präsidentschaft Mirsijojews nicht zugelassen. Obwohl es etwas mehr Medienfreiheit gibt und heute auch „negative“ Nachrichten kursieren dürfen, bleibt die Kritik am System weiter tabu und Journalisten arbeiten unverändert in einem sehr eingeschränkten Umfeld. Am 9. August 2020 kam die Nachricht, dass einer der mutigsten und prinzipientreuesten unabhängigen usbekischen Journalisten, Bobomurod Abdullajew, auf Ersuchen der usbekischen Behörden im benachbarten Kirgistan verhaftet und nach Usbekistan ausgeliefert worden ist.2

Die Aufarbeitung der Vergangenheit bleibt aus

Der ehemalige Innenminister Zokir Almatow, der für viele von der Polizei und von Spezialeinheiten des Innenministeriums unter Karimow begangene Gräueltaten die Verantwortung trägt,– darunter zahlreiche Todesfälle durch Folter in Polizeigewahrsam –, verurteilte im Juni 2020 in einem Interview gegenüber der Online-Nachrichtenseite „Kun.uz“ den Tod eines Häftlings in der Stadt Andischan durch Folter. Er sagte, dass die für dessen Tod am 11. Juni verantwortlichen Beamten den Polizeidienst „verraten“ hätten. Im selben Interview rechtfertigte Almatow seinen eigenen Umgang mit dem Aufstand vom Mai 2005 in Andischan3. Er sagte, die Proteste der Demonstranten hätten der Regierung damals „keine andere Wahl“ gelassen, als Gewalt anzuwenden. Der Aufstand sei von einer islamistischen Gruppe inszeniert worden, nachdem 23 ihrer Anführer aufgrund von Terrorismusvorwürfen verhaftet worden seien.

Dabei habe ich damals als Journalistin mit eigenen Augen gesehen, wie die Sicherheitskräfte wahllos unzählige meist unbewaffnete Demonstranten in Andischan erschossen haben.

Almatow ist als Berater der Regierung Mirsijojews tätig. Seine Position und seine Äußerungen im Interview zeigen, dass das Land im Wesentlichen von Vertretern des alten Regimes weiter regiert wird, nur mit einem besseren Verständnis für die Bedeutung von Öffentlichkeitsarbeit.

Die Folgen der Coronakrise

In den letzten Monaten habe ich mit einem Gefühl der Frustration beobachtet, wie die usbekische Regierung mit der Coronakrise umgegangen ist. Tausende Usbeken wurden während der heißen Sommermonate über Wochen unter menschenunwürdigen Bedingungen in Quarantänezonen gehalten und in Metallcontainern von bewaffneten Truppen bewacht. Tausende usbekischer Arbeitsmigranten, die aus Russland zurückkehrten, sind außerdem wochenlang ohne Unterkunft und Nahrung außerhalb Usbekistans an den Grenzen zu den Nachbarländern gestrandet.

Usbekischer Staatsbürger zu sein, bedeutet für viele Menschen weiterhin, dass ihre eigene Regierung sie im Stich lässt oder sogar missbraucht.

Hoffnung auf Veränderung

Dabei wünschen sich auch die Usbeken eine Regierung, die sich um ihre wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnisse kümmert und ihre Grundrechte respektiert. Dies kann nicht ohne eigene Anstrengungen gelingen, was ein gewisses Maß an staatsbürgerlicher Reife und Solidarität voraussetzen würde. Die Nation ist durch die Jahre der Unterdrückung unter Karimow eingeschüchtert. Diese Erfahrung behindert auch den notwendigen Prozess der Aufarbeitung des sowjetischen und kommunistischen Erbes.

Dennoch glaube ich, dass die usbekischen Staatsbürger einen notwendigen Mentalitätswandel erleben, da sich weltweit das Tempo politischer und sozialer Veränderungen beschleunigt und es heute keine Barrieren mehr für den globalen Austausch von Informationen und Ideen gibt.

Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Hartl.


Fußnoten:


  1. Ausführliche Hinweise http://www.forum18.org/archive.php?country=33gl↩︎

  2. Vgl. etwa https://nachrichten-regional.de/reporter-ohne-grenzen-besorgt-um-die-sicherheit-des-usbekischen-journalisten-und-rsf-stipendiaten-bobomurod-abdullajew/↩︎

  3. In Andischan hatte die Regierung im Mai 2005 regierungskritische Unruhen blutig niedergeschlagen und behauptet, die Sicherheitskräfte seien gegen Islamisten vorgegangen. Dabei wurden hunderte Zivilisten erschossen. (Anmerkung der Redaktion) ↩︎