Rechtspopulismus in Österreich

Prof. Dr. em. Paul Michael Zulehner war Professor für Pastoraltheologie an der Universität Wien und äußert sich bis heute in Wort und Schrift zu aktuellen Fragen in Politik und Gesellschaft.

Zusammenfassung

Die Bundespräsidentenwahl in Österreich hat gezeigt, wie stark sich populistische Tendenzen bis in die Mitte der Gesellschaft ausgebreitet haben. Gerade angesichts der Flüchtlingswelle neigen auch die „Parteien der Mitte“ zu Schwarzweißmalerei, wie der Autor nachdrücklich belegt. Der Beitrag skizziert diese Entwicklung und geht auch der Frage nach, welche Antwort die Kirchen auf die Problematik haben.

Aufstieg der Rechtspopulisten

Sie waren im Juni 2016 zu einem „Zweiten Wiener Kongress“ zusammengekommen, um den „patriotischen Frühling“ gemeinsam zu feiern: Geert Wilders aus den Niederlanden, Marine Le Pen vom Front National in Frankreich, für die AfD Marcus Petzelt, Gerolf Annmans aus dem belgischen Flandern, Janice Atkinson aus dem Brexit-Lager. Eingeladen hatte der Chef der FPÖ Heinz Christian Strache, vulgo HC Strache. Eine rechtspopulistische Bewegung ist also in ganz Europa und neuestens auch in den USA im Gang. Österreich dient ihr als Vorzeigeland. Unzählige JournalistInnen waren im Dezember 2016 zum Abschluss der Marathon-Bundespräsidentenwahl nach Wien angereist, um von der Wahl des ersten rechtspopulistischen Bundespräsidenten zu berichten. Die Enttäuschung war dann bei vielen von der Sensationspresse, die mit ihrer Berichterstattung zum unaufhaltsamen Aufstieg der Rechtspopulisten erheblich beiträgt, sichtlich groß, dass Norbert Hofer mit 46 Prozent der Stimmen deutlicher als prognostiziert unterlag. In der unterlegenen FPÖ wurde jedoch sogleich der Schlachtruf ausgegeben: „Aber das nächste Mal gewinnen wir. Hofer bleibt Kandidat!“ Und „HC“ Strache wird bei den Wahlen 2018 Bundeskanzler werden. Tatsächlich führt derzeit die FPÖ in allen Umfragen, obgleich die Ergebnisse relativ stark schwanken und eng an das Flüchtlingsthema gebunden sind; für eine Lösung der massiven wirtschaftlichen sozialen Probleme haben Rechtspopulisten kaum Ideen.

Der Aufstieg der Rechtspopulisten hat schon vor der Ankunft vieler schutzsuchender Kriegsflüchtlinge begonnen. Vor allem die Finanzkrise von 2008 und die daran geknüpften Abstiegsängste vieler Menschen aus der Unter- und Mittelschicht hat ihn beschleunigt. Er hat politisch nicht nur Österreich – aber auch dieses europäische Land – polarisiert. Die koalitionär regierenden Altparteien SPÖ und ÖVP scheinen zwischen den polaren Lagern aufgerieben zu werden. Die politische Mitte ist – zumindest in der Bundespräsidentenwahl – gleichsam implodiert. Die von diesen regierenden Parteien nominierten Persönlichkeiten erhielten lediglich um die zehn Prozent der Wählerstimmen.

Seither versuchen die beiden Altparteien alles Erdenkliche, um den drohenden Machtverlust und damit einen FPÖ-Bundeskanzler zu verhindern. Die Taktik ist offenkundig. Die Regierung unter Faymann machte einen Schwenk von Merkel zu Orbán, unterstützte die Schließung der Balkanroute und verschärft, wo sie nur kann, die Asylgesetze. Ob die Rechnung aufgehen wird, dass der FPÖ Wählerstimmen entzogen werden, indem man deren politische Linie der Abschottung und ihre „Politik der Angst“ imitiert? Fachleute vermuten, dass, vor die Wahl gestellt, gar manche Menschen nicht den Schmiedl, sondern doch den Schmied wählen werden. Das Anliegen, die Ängste der Menschen ernst zu nehmen, ist zu akzeptieren. Dann aber stellt sich sofort die Frage, was mit den Ängsten geschieht: Werden sie abgebaut oder bewirtschaftet? Jedenfalls ist politologisch nicht ausgeschlossen, dass beispielsweise Horst Seehofer dank seiner Politik der Angst ungewollt die AfD zu fördern scheint. Politikimitate fördern zumeist das Original.

In den traditionellen Regierungsparteien Österreichs hat der Schwenk zu massiven innerparteilichen Spannungen geführt. Die SPÖ ist noch mehr zerrissen als die ÖVP. Gerade in Wien erreicht die FPÖ in Kernbezirken der SPÖ hohe Werte und lässt deren Parteifunktionäre eine pragmatische Antiflüchtlingspolitik einfordern, während die Parteijugend von der Parteiführung sozialistische Werte einfordert. In der ÖVP hingegen lässt sich ein lautloser Abschied der Jahrzehnte lang treuen christlichen Wählerinnen und Wähler beobachten. Ätzende Karikaturisten deuten das C im Parteiprogramm als Z wie Zäune. ÖVP-Politiker berufen sich dabei kaum noch auf ihre christlichen Werte, sondern bevorzugen Max Weber und seine Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Dabei wird die Gesinnung der Caritas, den Kirchenleitungen und den NOGs zugeordnet, die Verantwortung den in der Politik tätigen Parteikollegen. Das Kuriose daran ist, dass Max Weber ja keine gesinnungslose Verantwortungsethik wollte, sondern lediglich eine verantwortungsblinde Gesinnungsethik kritisierte. Diese Verlagerung von der Gesinnung zur Verantwortung bekommt den Traditionsparteien nicht wohl. Nicht wenige meinen nicht mehr erkennen zu können, was an den Sozialisten sozialistisch und an den Christdemokraten christlich ist. „Weltanschauung“ und „Werte“ (den Asylwerbenden in Kursen vermittelt) werden dem pragmatischen Machterhalt geopfert, was sich rasch als die beste Anleitung zum Machtverlust erweisen könnte.

Auswirkungen der Ängste auf die Ansichten und Haltungen in der Flüchtlingspolitik

Laut Umfragen haben die Menschen in Österreich hinsichtlich der Flüchtlingspolitik unterschiedliche Gefühle. Untersucht hat diese das SORA-Institut schon bald nach dem Ankommen der ersten großen Zahl von schutzsuchenden Menschen im Herbst 2015. Damals meinten 17 Prozent, sie fühlten angesichts der Flüchtlingspolitik Ärger, 27 Prozent äußerten Zuversicht. Die übrigen 52 Prozent zeigten sich besorgt; 4 Prozent haben sich nicht zugeordnet. 2016 habe ich die Gesamtbevölkerung repräsentativ erforschen können. Jetzt waren es 26 Prozent mit Ärger, 13 Prozent mit Zuversicht, 61 Prozent waren besorgt.

In einer Onlinestudie 2016 wollte ich in Erfahrung bringen, wie die polaren Lager „Ärger und Zuversicht“ „denken“, welche Sätze sie für richtig erachten, welches (politische) Handeln ihnen angemessen erscheint.

Das Lager „Ärger“

Das sind jene Positionen, die im Lager „Ärger2 bis zu 90 Prozent Zustimmung gefunden haben: Bejaht wurden die Aussagen, dass Viktor Orbán zu Recht Zäune errichtet hat, Europa müsse zu einer Festung ausgebaut werden müsse, denn überwiegend kämen doch Wirtschaftsflüchtlinge und mit ihnen auch Kriminelle und Terroristen. Die Gallionsfigur dieses „Gefühlslagers“ ist Viktor Orbán aus Ungarn. In seinem Gefolge finden sich die Vysegrádländer Polen, Tschechien und Slowakei, aber auch die meisten rechtspopulistischen Bewegungen in Europa. Das damit verbundene Handeln ist eindeutig: Abschotten, Grenzen schließen, Flüchtlinge zurückschicken, vor allem wenn sie kriminell werden. Für Argumente ist diese Gruppe kaum zugänglich; Fakten zählen im postfaktischen Zeitalter nicht. Auf die Frage, wie viele Muslime es in Europa gäbe, kämen alle Kriegsflüchtlinge aus dem Orient, erreicht die Durchschnittszahl im Lager „Ärger“ über 31 Prozent – laut UNO sind es aber nur 6 Prozent.

Manche Grenzgänger aus dieser Gruppe beteiligen sich selbst an Hasspostings in den sozialen Netzwerken, beschimpfen Engagierte als Gutmenschen, spotten über die „Willkommenskultur“. Dass vereinzelt Leute aus diesem Gefühlslager nicht nur hassen, sondern auch hetzen und im Einzelfall sogar gewalttätig werden, ist unbestritten. Die Kriminalität ist in der Tat in den letzten Monaten gestiegen – aber nicht unter den schutzsuchenden Gästen (der Anteil der Kriminellen ist genauso hoch wie in der einheimischen Bevölkerung), wohl aber gegen die schutzsuchenden Personen und die Einrichtungen, die sie beherbergen sollen.

Das Lager der Zuversichtlichen

Das Lager der Zuversichtlichen vertritt polare Positionen. Ihren Zugehörigen geht es um das Recht auf Asyl, das nicht scheibchenweise beschnitten werden soll. Dank ihres konkreten Einsatzes in der Flüchtlingsarbeit ist ihnen glasklar, dass die Integration nicht leicht ist und dass es durchaus schwarze Schafe unter den Asylwerbenden gibt. Ihr Ziel ist volle Integration, und das in drei Dimensionen: Sprache – Wohnen – Arbeit. Sie sehen darin eine enorme Herausforderung für die Gesellschaft wie für die Politik. Mit führenden Ökonomen weisen sie darauf hin, dass es eine win-win-Situation werden kann, wenn jetzt in die Integration investiert wird. Zugleich decken sie auf, dass Politik gern über die Burka diskutiert statt über hohe Arbeitslosenzahlen (die es wegen der Finanzkrise und nicht wegen der Flüchtenden gibt – in Österreich seit Jahren höher als in Deutschland!).

Ängste

In meiner Studie ging es dann vor allem um die Frage, warum in ein- und demselben Land die einen zu Ärger, andere zur Zuversicht sowie die schweigende Mitte zur Sorge neigt. Soziologische Theorien machen deutlich, dass die Weichen in der einzelnen Person gestellt werden: Je höher das Potenzial vielfältiger Ängste ist, desto wahrscheinlicher gerät jemand ins Lager „Ärger und Abwehr“. Wer hingegen weniger Angst, dafür aber mehr Zuversicht in seinem Leben angesammelt hat, neigt zu Zuversicht und Engagement.

Die Ängste der Menschen haben heute viele Gesichter. Da sind archaische biographische Ängste: vor Krankheit oder Verlust des Partners soziale Abstiegsängste, die bis in die mittleren sozialen Schichten reichen; kulturelle Ängste dafür, sich im eigenen Land fremd zu fühlen; stark verbreitet ist in unserer postchristlichen Zeit die Angst, in einem knappen Leben von neunzig Jahren mit seiner maßlosen Glückssehnsucht „zu kurz zu kommen“. Nicht übersehen werden dürfen die Ängste von Schutzsuchenden, von denen nicht wenige traumatisiert sind. Frauen, die schon im Krieg, dann auf der Flucht von Mitflüchtenden wie von Sicherheitsbeamten sexuell belästigt und manchmal nicht selten vergewaltigt wurden, leben in ständiger Angst vor der sexuellen Gewalt von Männern.

Autoritarismus in Österreich 1970 - 2012

Statistisch verwandt mit den Ängsten ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das in der Forschung seit Theodor W. Adorno Autoritarismus benannt wird. Es ist die Eigenschaft von Personen, sich Autoritäten zu unterwerfen. Recht hat, wer oben ist, so ihr Grundgefühl.

Entwicklung des Autoritarismus in Österreich

Dieser Autoritarismus ist in Österreich in den letzten Jahren wieder im Steigen begriffen, nachdem er seit den Siebzigerjahren nach einem hohen Nachkriegswert rückläufig war. Die Zunahme begann, bevor auch nur ein einziger Flüchtling aus Afghanistan oder Syrien ins Land gekommen war – in Österreich bereits 1996. Schon damals konnte ich in repräsentativen Studien beobachten, dass die Zahl zumal junger Leute zunimmt, die die lästige Last der erkämpften und verbrieften Freiheit wieder loswerden wollen. Dafür werden Gründe genannt. Jürgen Habermas sprach von einer „neuen Unübersichtlichkeit“. Die Globalisierung trägt dazu bei – Rechtspopulisten sind folglich geborene Gegner der Globalisierung, ja schon der Europäisierung. Sie bevorzugen die überschaubare Provinz, das Heimatliche. Das alles wäre nicht so dramatisch, würden in den Familien ichstarke und daseinskompetente Personen heranwachsen, die sodann durch eine gediegene Persönlichkeitsbildung in den Erziehungseinrichtungen zu Menschen heranwachsen, die den steigenden Anforderungen des Lebens gewachsen sind. Das Familiensystem aber ist auch wegen seiner Ökonomisierung heillos überlastet.

Autoritäre, also unterwerfungsbereite Menschen mit geringem Selbstvertrauen, neigen dazu, das Fremde und Ungewohnte als Bedrohung zu erleben. Pluralitätslust und Pluralitätstoleranz sind ihnen fremd. Sie halten sich dann an politischen Führern und Gruppen fest, welche ihnen die Bedrohung vom Leib halten. Statt eine eigene Identität auszubilden, nehmen sie eine Identitätsanleihe. Auffällig oft neigen Autoritäre zu traditionellen Geschlechterrollen. Auch der Hang zu vielgesichtiger Gewalt ist nachgewiesen. Statistisch korrelieren Autoritarismus und besorgter Ärger in hohem Maß: Unter den Sehrautoritären zählen sich 56 Prozent zu den „Verärgert-Besorgten“ und nur 6 Prozent zu den „Zuversichtlichen“. Ganz anders die Nichtautoritären: 13 Prozent „Verärgert-Besorgte“, 42 Prozent „Zuversichtliche“.

Die Christen und ihre Kirchen in der Flüchtlingszeit

Es überrascht nicht, dass es in den Großkirchen diese Polarisierung auch unter den Kirchenmitgliedern gibt. 67 Prozent der Menschen mit Ärger sagen in der Flüchtlingsstudie, man könne durchaus ein guter Christ sein, ohne sich für Flüchtlinge einzusetzen. Unter den Zuversichtlichen teilen diese Ansicht lediglich 6 Prozent. Nicht wenige Katholiken haben bei der Wahl des Bundespräsidenten Norbert Hofer von der FPÖ gewählt, das freilich nicht nur wegen seinen Ansichten in der Flüchtlingspolitik, sondern auch wegen seiner konservativen Position zur Familie, zur Abtreibung, zum Frauen- und Männerbild, nicht zuletzt zum Heimatgefühl. Die katholische wie die evangelische Kirchenleitung in Österreich haben aber klar Position bezogen. Kardinal Christoph Schönborn hat sich in dieser Frage nicht nur deutlich positioniert, er hat auch Bischofskollegen aus den osteuropäischen Ländern gemahnt, sich der Position von Papst Franziskus anzuschließen. In Österreich verficht außerdem der Burgenländer Bischof Ägidius Zsifkovits in kantiger Weise eine Pro-Asyl-Politik.

So klar sich die Kirchenleitungen positionieren, so kontrovers werden die Themen rund um asylsuchende Kriegsflüchtlinge in den Laienorganisationen diskutiert. Vor allem die Verbände, die noch untergründige parteipolitische Nähe aufweisen, schwanken zwischen Evangelium und Parteiposition. Die Präsidentin der Katholischen Aktion Österreich, Gerda Schaffelhofer, hat sich hingegen mit großer Eindeutigkeit zugunsten einer Willkommenskultur engagiert und eine Reihe von gewichtigen Stellungnahmen abgegeben. Engagiert sind in Österreich auch die Orden, Pfarrgemeinden und natürlich die Caritas. Dabei zeigt sich auch hier, dass es immer nur ein Teil der Pfarren ist, die schutzsuchende Gäste aufnehmen, mit ihnen die Sprache erlernen und sich nach Erhalt des Asyls auch um einen Arbeitsplatz sorgen.

Die Kirchen können aber „entängstigen“, und zwar vor allem durch jene Begegnungen mit „Gesichtern und Geschichten“, die vielleicht der einzige Weg sind, die Angst vor den Schutzsuchenden aus fremden Kulturen zu heilen. Manche Gläubige fühlen dann, so sagen sie, „göttlichen Rückenwind“.