Aus Armenien nach Russland

aus OWEP 4/2016  •  von Inga Gevorkyan

Inga Igorevna Gevorkyan (geb. 1988), Pädagogin und Philologin, Mutter von zwei Kindern, stammt aus Armenien und lebt seit 2012 mit ihrer Familie in Rostow am Don (Russland).

Zusammenfassung

Armenien zählte zu den ärmsten Regionen innerhalb der früheren Sowjetunion. So verwundert es nicht, dass der Lebensweg von Inga Gevorkyan in folgender biografischer Erzählung nach Etappen in Armenien schließlich nach Russland führt, jedoch die Erinnerung an die Heimat ein ständiger Begleiter ist.

Kindheit in Armenien

Bevor ich mit der Geschichte meiner Auswanderung anfange, möchte ich mich vorstellen: Ich heiße Inga Igorevna Gevorkyan und bin am 1. März 1988 in der Stadt Kirovakan (heute Vanadzor) in der Region Lori der damaligen Sowjetrepublik Armenien geboren. Meine Familie ist nicht groß, wir sind nur vier: meine Eltern, mein Bruder und ich. Mein Vater arbeitete damals als Fräser in einem lokalen Betrieb für Maschinenbau. Die Mutter war Krankenschwester in einem Sanatorium, das 30 km von Kirovakan entfernt war. Unsere Stadt war die drittgrößte in Armenien. Allerdings blieben wir nicht lange in Kirovakan, weil in meinem Geburtsjahr am 7. Dezember ein katastrophales Erdbeben stattfand. Seine Stärke erreichte in vielen Ortschaften Nordarmeniens Stufe 7 gemäß der Richterskala. Laut offiziellen Angaben kamen dabei mehr als 25.000 Menschen ums Leben. Die Zahl der Verletzen, Behinderten und Obdachlosen blieb unbekannt. Das Erdbeben zerstörte insgesamt 230 industrielle Betriebe und im Lande herrschte massive Arbeitslosigkeit. Die Tragödie der Armenier erschütterte die ganze Welt. Deshalb boten viele Staaten ihre Hilfe an. Bis heute hat sich aber Armenien von dieser Katastrophe nicht erholt. Ich weiß, dass ich vom Thema abkomme; man kann aber diese Tragödie nicht vergessen oder verschweigen, weil sie viele unauslöschliche Spuren im Leben jedes Bewohners von Armenien hinterlassen hat.

Nun komme ich auf die Erzählung meines weiteren Lebens zurück. Das Unternehmen, in dem mein Vater beschäftigt war, wurde während des Erdbebens zerstört, sodass er arbeitslos war. Deswegen beschlossen meine Eltern, nach Pushkino umzuziehen, ein kleines Dorf 27 km nördlich von Vanadzor. Dort bewohnten wir ein kleines Häuschen, das meine Großmutter für uns gekauft hatte. Sie selbst wohnte schräg gegenüber. Einen Monat später fand mein Vater eine neue Arbeitsstelle als Bauleiter in einer benachbarten Kaserne. In diesem Dorf verbrachte ich meine Kindheit, eine unvergessliche Zeit. In unserer Straße lebten mehrere Kinder meines Alters und wir spielten von morgens bis abends zusammen. Im Frühling, wenn die Bäume austrieben, wurde die ganze Umgebung grün. Wir sammelten oft Pilze mit meinem Vater im Wald. Dieser Wald war unbeschreiblich schön. Dort fühlte man sich so gut und es herrschte absolute Ruhe. Man hörte nur ab und zu den Gesang der Vögel und das Murmeln der Quellen. Im Sommer gingen wir mit Freunden zum benachbarten Fluss, um zu schwimmen. Auch der Winter war schön, weil es bei uns immer viel Schnee gab. Wir machten Schneeballschlachten oder fuhren zusammen Schlitten und Schi. Wenn wir davon genug hatten, kamen wir durchfroren nach Hause, wo ein alter Holzofen brannte. Drinnen war es warm und gemütlich. Das alles werde ich nie vergessen.

Schulzeit, Studium und erste Berufserfahrungen

Allerdings gab es auch traurige Erfahrungen.1991, als ich drei Jahre alt war, brach die UdSSR zusammen. Danach gab es in Armenien große wirtschaftliche Schwierigkeiten. Wir hatten jahrelang weder Strom noch Erdgas. Ja, es gab sogar Zeiten, in denen wir auch kein Brot hatten. Die Leute warteten stundenlang in einer Schlange, um mit einer Brotkarte (pro Person 250 Gramm) halbgebackenes Brot zu bekommen. Unsere Familie traf das Ganze besonders hart, weil unser Vater plötzlich wieder arbeitslos wurde. Es gab Tage, wo wir kein Stückchen Brot mehr hatten. Daher entschied sich mein Vater, zur Saisonarbeit als Baumeister nach Russland zu fahren. Er ging immer im Frühling und kehrte kurz vor Weihnachten zurück. So arbeitete er acht Jahre lang. Im Dorf blieben nur meine Mutter und ich, weil mein Bruder als Offizier in der Armee diente.

1995 ging ich in die Grundschule. Das war eine armenische Dorfschule, wo es eine einzige russischsprachige Klasse mit lediglich vier Kindern gab. Allerdings wurde diese Klasse bald aufgelöst, obwohl unsere Eltern bis zum Ende für ihren Erhalt gekämpft hatten. Es half aber nichts und wir mussten dann alles auf Armenisch lernen. Diese Dorfschule führte allerdings nur bis zur 8. Klasse. Deshalb musste ich anschließend nach Vanadzor umziehen bzw. die letzten Gymnasialklassen in der Stadtschule namens Vahan Terian besuchen. Dort blieb ich bei meiner Tante und meiner anderen Großmutter im gleichen Apartment, in dem meine Familie vor dem Erdbeben gewohnt hatte. Die meisten Freunde aus Pushkino waren fast zum gleichen Zeitpunkt mit ihren Eltern nach Russland ausgewandert. Auch meine Eltern fanden weiterhin in unserer Region keine Arbeit. Sie begannen, sich deshalb mit Gartenarbeit und Viehzucht zu beschäftigen. Anfangs spürten sie noch keine großen Schwierigkeiten wegen der physischen Belastung. Langsam wurden sie aber älter und die täglichen Aufgaben für sie immer härter.

In der letzten Klasse nahm ich Nachhilfe, damit ich die Aufnahmeprüfungen für die Universität schaffen konnte. Ich hatte damals nur den einzigen Wunsch – unbedingt zu studieren. Daran dachte ich immer, war aber ziemlich unsicher, ob ich es schaffen könnte. Zum Glück bestand ich die Aufnahmeprüfungen gut und bekam einen Studienplatz an der philologischen Fakultät des staatlichen Pädagogischen Instituts von Vanadzor. Meine Hauptfächer waren russische Sprache und Literatur. Die gesamte Studienzeit war abwechslungsreich und schön. Die ersten vier Jahre des Bakkalaureats vergingen sehr schnell. 2009 begann ich mein Masterstudium an der gleichen Fakultät und beendete es zwei Jahre später erfolgreich. Ich dachte, dass man mit diesem Abschluss sicher eine Anstellung als Lehrerin an einer Schule finden könnte. Die Realität sah allerdings ganz anders aus: Egal, wo ich mich bewarb, stets wurde von mir mindestens eine zweijährige Berufserfahrung verlangt. Außerdem sagten mir die meisten Arbeitgeber, dass es angeblich gar keine freien Stellen mehr gäbe bzw. deuteten mir an, mit Bestechungsgeldern eine Stelle bekommen zu können.

Wie vielen anderen Menschen in Armenien begegnete nun auch mir das Problem der Arbeitslosigkeit. In Yerevan, der Hauptstadt, konnte man wenigstens einen Minijob bekommen, aber in der Provinz gab es sogar für junge Leute keine Möglichkeiten. Ich bewarb mich neun Monate lang sowohl bei staatlichen Institutionen als auch bei privaten Unternehmen. Alles blieb aber ergebnislos. Ich bereute es schon, dass ich an der pädagogischen Fakultät studiert hatte, weil ich praktisch keine Chancen auf dem aktuellen Arbeitsmarkt hatte. Bei einigen Organisationen oder Wirtschaftsunternehmen wären vielleicht Englischkenntnisse besser gewesen. Ich verstand bald, dass man direkt nach dem Studium keine Berge versetzen kann, und war schon bereit, jede Arbeit – sogar mit niedrigstem Lohn – anzunehmen.

In dieser Zeit wohnte ich teils bei meinen Eltern im Dorf, in Vanadzor bei der Tante oder in Yerevan beim Bruder. Es war eine sehr schwere Zeit. Ich konnte es nicht ertragen, ohne Beschäftigung herumsitzen. Bis dahin hatte es das sechsjährige Studium gegeben, und nun plötzlich hatte ich nichts zu tun. Deshalb wandte ich mich bald an eine Arbeitsvermittlung. Sie rief nach einem Monat zurück und schlug mir eine Stelle als Verkäuferin für Haushaltstechnik vor. Zuerst musste man dort ein einmonatiges Praktikum machen, dann auf Probe arbeiten und zum Schluss, wenn alles gut lief, konnte man angestellt werden.

Ich kann nicht beschreiben, wie ich mich freute, als sie mich endlich annahmen. Anfangs zweifelte ich sehr und dachte, dass ich es nicht schaffen würde. Dann lief aber alles gut und die Besitzer waren sehr zufrieden mit meiner Arbeit. Es war ein kleines Geschäft und ich konnte mich schnell in das Team integrieren. Meine Arbeit dauerte täglich vom 10.00 Uhr bis 19.00 Uhr. Dafür bekam ich umgerechnet ca. 100 €. Natürlich war das nicht viel, aber mir halfen noch meine Eltern und mein Bruder. Parallel zu meiner Arbeit begann ich Englisch zu lernen, um später eine bessere Stelle zu finden. So war ich tagsüber im Geschäft und abends besuchte ich private Sprachkurse. Für andere Dinge gab es keine Zeit mehr.

Der Weg nach Russland

Meine Verwandten und Freunde begannen sich bald Sorgen zu machen, dass ich eine „alte Jungfer“ werde, weil bei uns in Armenien Mädchen spätestens mit Mitte zwanzig heiraten. Daher stellte mich meine Schullehrerin eines Tages einem ihrer Verwandten vor, der in Russland arbeitete. Bis dahin wollte ich niemanden kennen lernen. Kein Junge gefiel mir besonders und ich dachte nicht ans Heiraten. Stattdessen wollte ich mein eigenes Geld verdienen und es ausgeben, frei sein und ein sorgloses Leben führen. Dann kam aber der Moment, in dem ich verstand, dass man eine Familie gründen und Kinder großziehen sollte. Ich begriff, dass die Familie in meinem Leben das wichtigste wäre. Alles andere war sekundär und unwichtig. Ich wollte jemanden in meiner Nähe haben, auf den ich mich verlassen und mit dem ich zusammen mein ganzes Leben verbringen konnte. Als ich meinen künftigen Ehemann kennenlernte, spürte ich sofort, dass er derjenige war, den ich brauchte, weil er mir sehr seriös, familiär und fleißig erschien. So heirateten wir einen Monat später.

Mein Ehemann ist Armenier. Nach seinem Militärdienst fuhr er nach Russland, um Geld zu verdienen. Später wanderte auch seine große Familie zu ihm aus. Anfangs hatten sie es sehr schwer und mussten mehrmals zwischen unbequemen Mietwohnungen umziehen. Sie besaßen weder eine Anmeldung noch eine Aufenthaltserlaubnis. Mein Mann und sein Bruder waren deshalb vom Morgen bis in die späte Nacht auf Baustellen beschäftigt. Nach zwei Jahren aber konnten sie dank ihres rastlosen Einsatzes endlich ein eigenes Haus in der Stadt Rostow am Don bauen und sogar ein Auto kaufen. Ein Jahr später bekamen sie alle notwendigen Unterlagen und durften die russische Staatsangehörigkeit beantragen.

Im November 2012 zog ich zu meinem Mann. Sicherlich war es schwer, diese wichtige Entscheidung zu treffen und in ein anderes Land mit ganz anderen Gesetzen auszuwandern. Mir wurde bewusst, dass ich hier in Armenien praktisch alles verlassen musste. Hier blieben meine Eltern, meine Verwandten, Freunde zurück. Ich gab auch meine mehr oder weniger gute Arbeit im kleinen Elektrogeschäft auf. Andererseits dachte ich aber, dass man in Russland ein neues Leben anfangen könnte, das endlich Perspektiven bieten würde. Außerdem wollte ich eine eigene Familie gründen. So zogen mein Mann und ich in Rostow zusammen und wohnen bis jetzt im gleichen Haus mit seiner Familie.

Rostow am Don ist eine der größten Städte in Südrussland und hat mehr als eine Million Einwohner. Derzeit ist Russland generell sehr multinational geworden und unsere Stadt ist keine Ausnahme. Es gibt hier Menschen aus vielen Völkern, wie z. B. Usbeken, Tadschiken, Ukrainer, Weißrussen, Dagestaner, Tschetschenen, Armenier und andere. Für all diese Menschen ist Russland die Hauptquelle für ihr Einkommen. Momentan sind die Armenier die größte Minderheit hier in Rostow. Unsere Gemeinde hat eine lange Geschichte, weil die Armenier in diesem Gebiet bereits unter der Zarin Katharina II. angesiedelt wurden. Deshalb merkte ich am Anfang kaum, dass ich mich in Russland und nicht in Armenien befand, weil in der Umgebung so oft armenisch gesprochen wird. Ehrlich gesagt fühlte ich mich in Rostow wie ein Fisch im Wasser. Es war überhaupt nicht schwer, sich mit den russischen Einwohnern zu unterhalten, weil Russisch quasi meine zweite Muttersprache ist. Ich konnte diese Sprache schon seit meiner Kindheit sprechen. Außerdem habe ich einen Universitätsabschluss in russischer Sprache und Literatur. Daher kannte ich diese Kultur schon sehr gut, noch bevor ich hierher kam.

Das Einzige, was mich sehr quälte, war Heimweh. Besonders in den ersten Monaten war es für mich sehr schwer, mich damit abzufinden, dass meine eigene Familie und ich jetzt so weit von einander entfernt sind. Natürlich war ich bereits mit 15 von meinem Elternhaus ausgezogen, aber damals lagen zwischen uns nur 30 km und ich konnte sozusagen jederzeit zu ihnen fahren. Nun aber vermisste ich praktisch alles, jeden kleinen Baum und jeden Stein aus meiner Heimatstadt, geschweige denn Verwandte und Menschen, die mir nahe standen.

Die Armenier sind ein gastfreundliches Volk. Sie kommunizieren sehr oft miteinander und machen gegenseitige Besuche. Die Russen kennen das nicht. Oft wissen sie nicht einmal, wer genau in ihrer Nachbarschaft wohnt. Als ich nach Rostow kam, musste ich einen neuen Bekanntenkreis aufbauen, was mir ziemlich schwer fiel. Mein Mann hatte hier seine Freunde, die ich auch kennenlernte. Bei ihnen war es aber für mich nicht so interessant. Außerdem habe ich auch versucht, eine Arbeit zu finden, allerdings musste man dafür erst eine Arbeitserlaubnis haben. Kein Unternehmen wollte mich anstellen, weil ich nur „ausländische Papiere“ hatte. Das Ganze bedrückte mich zutiefst, weil ich einen derart monotonen Alltag nicht gewöhnt war. Ich wollte so schnell wie möglich eine Beschäftigung finden und mit anderen Menschen kommunizieren. Leider wurde ich nirgends angenommen, weil meine Unterlagen noch nicht in Ordnung waren. Damit man aber die russische Staatsangehörigkeit bekommen kann, muss man fünf Jahre warten. Die meisten Arbeitgeber wollen heutzutage keine Emigranten nehmen, weil sie sich weder mit ihren Papieren befassen noch mit der lokalen Bürokratie auseinandersetzen wollen. Jeder Geschäftsmann vermeidet diesen zusätzlichen Aufwand. Deshalb ist der größte Teil der Gastarbeiter an den Baustellen halblegal tätig. So kommen viele junge Menschen nach Russland in der Hoffnung, etwas zu verdienen, um ihre Familien in der Heimat zu unterstützen. Ich persönlich habe den Eindruck, dass jedes Jahr mehr und mehr Emigranten nach Rostow einwandern.

Mit der Familie in Rostow am Don

Ein Jahr nach meiner Ankunft bekam ich mein erstes Kind – ein Mädchen. Nochmals eineinhalb Jahre später wurde das zweite Kind geboren – ein Junge. Natürlich sind die Kinder die Blumen unseres Lebens und man liebt sie mehr als das eigene Leben. Nun widme ich deshalb meine ganze Aufmerksamkeit den Kindern. Auch der Haushalt nimmt nun viel Zeit in Anspruch. Ich kann momentan keine andere Arbeit annehmen, weil uns die Erziehung unserer Kinder viel wichtiger ist. Wenn sie ein bisschen älter sind und in den Kindergarten gehen können, werde ich wieder eine Arbeitstelle suchen. Ich denke, dass ich bis dahin die russische Staatsangehörigkeit bekommen werde und es keine Probleme mehr bei der Einstellung geben wird.

Nach der Geburt unserer Kinder hat sich alles verändert. Sie stehen bei uns an erster Stelle. Ich denke aber, dass alle anständigen Eltern ihren Nachkommen eine glückliche Zukunft sichern wollen. Natürlich bemüht sich jeder, so gut er kann. Mein Mann und ich wollen auch, dass unsere Kinder später nicht in Not leben müssen, sondern eine gute Bildung erhalten und einen sicheren Arbeitsplatz finden werden. Allerdings müssen wir dafür noch einiges tun – diese Pflicht der Elternschaft ist nicht so leicht. Wir wünschen uns, dass unsere Kinder sich in jeder Hinsicht gut entwickeln. Hier in Rostow haben wir zumindest die Möglichkeit, sie z. B. in einem Sportverein anzumelden, in der Musikschule künstlerische Fähigkeiten zu fördern oder auch mit anderen kulturellen Freizeitangeboten zu bilden. Ich denke deshalb, dass unsere Kinder in Russland – im Gegensatz zu Armenien – viel mehr Chancen für ihre spätere Selbstverwirklichung haben. Dort ist alles viel schwieriger, weil die Menschen keine stabilen Arbeitsplätze haben und sehr wenig verdienen. Deswegen kann sich nicht jede Familie eine zusätzliche Förderung der Begabungen ihrer Kinder leisten und ihre Kinder in eine private Sport- oder Musikschule anmelden. Allerdings wird es auch hier in Russland für die Bevölkerung zunehmend schwieriger. Aufgrund der aktuellen angespannten wirtschaftlichen und politischen Situation ist es nicht mehr so leicht, genug Geld für das tägliche Leben zu verdienen.

Trotz allem zieht es mich schon zurück in die Heimat, weil ich dort den größten Teil meines Lebens verbracht habe. Dort wohnt meine Mutter und dort wurde mein Vater beerdigt, den ich nach meiner Abreise nicht mehr lebend getroffen habe – er starb 2015 an einem Herzinfarkt. Ich kann es einfach nicht mit Worten wiedergeben, wie schmerzlich mich sein Tod getroffen hat. Bis heute kann ich mich nicht mit dem Gedanken abfinden, dass er nicht mehr am Leben ist. Mir kommt es vor, als ob mein Vater dort weiterleben würde. Er wartet auf mich in Armenien, bis ich nach Hause kommen werde …

Sicherlich gibt es zahlreiche ähnliche Schicksale bei der heutigen Jugend. Viele junge Menschen verlassen weiterhin Armenien, um nach Russland auszuwandern. Die jungen Männer kommen anfangs zur Saisonarbeit her und bleiben dann aber für immer da. Die jungen Frauen heiraten und emigrieren ebenfalls. Unter meinen Bekannten gibt es sehr viele junge Familien, die vor kurzem nach Russland eingewandert sind. Ihre Zahl wird immer größer. Wahrscheinlich gibt es in Armenien keine einzige Familie, die noch niemanden aus ihrer Verwandtschaft nach Russland verabschiedet hat.

Ich kann natürlich nicht in die Zukunft schauen und sehen, ob wir in die Heimat zurückkehren oder nicht. Zurzeit planen wir so etwas noch nicht. Mein einziger Wunsch ist, in diesem Sommer mit den Kindern einen Urlaub in Armenien zu machen, einfach in meinem Elternhaus wieder anzukommen, meine Mutter zu sehen und zu umarmen. Nach dem Tod meines Vaters ist sie ganz alleine dort geblieben. Ich will, dass sie endlich ihre Enkelkinder kennenlernt, weil die Kleinen ihre Oma noch nie gesehen haben!

Aus dem Russischen übersetzt von Harut Harutyunyan.