1974: Jazz in der Sowjetunion

aus OWEP 4/2017  •  von Thomas Gocke

Thomas Gocke: 2011-2017 Theologie und Geschichtsstudium an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, z. Zt. in der Ausbildung zum Pastoralreferenten des Bistums Münster.

Aufgrund der politisch und gesellschaftlich unklaren Lage nach der Oktoberrevolution kam der Jazz in der Sowjetunion erst Anfang der 1920er-Jahre und damit ungefähr fünf Jahre später als im restlichen Europa auf. Die Entwicklung und die Geschichte des Jazz zwischen 1920 und 1953 waren von einem ständigen Wechsel zwischen Restriktion, Zensur und Förderung geprägt und von innen- und außenpolitischen, wirtschaftlichen sowie ideologischen Faktoren abhängig.

Jazz war in der Sowjetunion sehr beliebt, wurde allerdings politisch immer sehr kritisch betrachtet, da er aus den USA kam, die den Feind darstellte. Im Kalten Krieg vermuteten konservative Kreise der KPdSU in den amerikanischen Jazz-Musikern, die zuweilen in den Ostblockstaaten auftraten, „trojanische Pferde mit Anti-Sowjet-Propaganda im Bauch“. Immer wieder wurden Forderungen erhoben, solche Konzerte ganz zu untersagen. Doch dazu kam es nicht, da sie in der Bevölkerung zu beliebt waren. So strömten Anfang der 1960er-Jahre 115.000 Menschen zu den Auftritten von Duke Ellington in Moskau.

Nach einem im August 1974 abgeschlossenen Vertrag zwischen der US-Firma CBS und der sowjetischen Plattenfirma Melodia kamen erstmals in der UdSSR amerikanische Jazzplatten auf den Markt. Für das US-Copyright an Aufnahmen des Bolschoi-Ensembles (Liszt, Rachmaninow, Tschaikowskis „Nussknacker“ und die erste komplette Stereo-Version von Prokofjews „Krieg und Frieden“) lieferte CBS den Russen – neben einer Strawinski-Kassette – Miles Davis, Ray Conniff, Duke Ellington und Ella Fitzgerald. Allerdings wurde keine der Jazzplatten mehr als 15.000mal aufgelegt, sodass das Miles-Davis-Album „Concert in Carnegie Hall“ (UdSSR-Titel: „Ein legendäres Konzert“) und die Conniff-LP in Moskau binnen eines Tages ausverkauft waren.