Der aktuelle Stand Montenegros auf dem Weg in die EU

aus OWEP 4/2018  •  von Jelena Burzan

Jelena Burzan ist Abteilungsleiterin für Europäische Angelegenheiten im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten von Montenegro.

Zusammenfassung

Der nachstehende Beitrag bietet Informationen von offizieller Seite über die politische und wirtschaftliche Entwicklung Montenegros im vergangenen Jahrzehnt. Die Ausführungen ergänzen damit die vorgehende wissenschaftliche kritische Analyse.

I.

Montenegro, hinsichtlich der Einwohnerzahl ein kleines Land von wenig mehr als 600.000 Einwohnern, ist entschlossen, seinen europäischen Weg mit großen und kräftigen Schritten voranzugehen mit dem Ziel, die notwendigen Reformprozesse zu Ende zu führen. Alle dafür Verantwortlichen sind sich bewusst, dass das Land nur durch unermüdlichen Fleiß und Verbesserung aller Standards ein gleichberechtigtes Mitglied der EU werden kann.

Montenegro ist ein Staat, der mit Stolz darauf hinweist, dass es ihm während der kriegerischen neunziger Jahre in der Balkanregion gelungen ist, sowohl den Frieden mit den Nachbarn als auch die multiethnische und multireligiöse Harmonie innerhalb des Landes zu bewahren. Antrieb dafür war und ist die Überzeugung, dass Verständigung und Zusammenarbeit Voraussetzungen für Stabilität und Fortschritt sind. Montenegro setzt daher konsequent auf eine Politik der guten Nachbarschaft.

Unmittelbar nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit im Mai 2006 hat Montenegro durch ein unter der Schirmherrschaft der EU im Einklang mit den höchsten europäischen Standards abgehaltenes Referendum die Mitgliedschaft in der NATO und der EU als Prioritäten seiner außenpolitischen Ziele klar definiert. Wir sind stolz darauf, dass wir es inzwischen geschafft haben, eines unserer Ziele zu erreichen: Seit Juni 2017 ist Montenegro das jüngste Mitglied der NATO. Wir glauben, dass – unabhängig davon, dass der Beitritt zu dieser Allianz zweifellos eine Garantie für die Stabilität nicht nur für Montenegro, sondern auch für die gesamte Region darstellt – dieser Schritt von einem deutlichen Fortschritt bei der Entwicklung unserer gesamten Gesellschaft zeugt: Er steht für den politischen und wirtschaftlichen Fortschritt und die großen Anstrengungen zur Stärkung des Rechtsstaats. Montenegro hat in diesem Jahr zum ersten Mal am NATO-Gipfel, der im Juli 2018 in Brüssel stattgefunden hat, als gleichberechtigtes Mitglied teilgenommen. Bei dieser Gelegenheit hat die Regierung noch einmal bekräftigt, dass sie bereit ist, ihren Beitrag zur Politik der Allianz als glaubwürdiger und verantwortungsbewusster Verbündeter zu leisten.

Nach Erreichen dieses so wichtigen Zieles auf außenpolitischer Ebene hat nun die europäische Integration höchste Priorität – dazu verpflichten auch die Auswertungen von Meinungsumfragen in Anbetracht dessen, dass die Unterstützung der Bürger Montenegros für den europäischen Integrationsprozess seit der Wiederherstellung der Unabhängigkeit Montenegros stabil ist. Die jüngste Umfrage, die im Januar 2018 vorgelegt wurde, bestätigte die positive Haltung zur EU auf der Ebene von 63,7 Prozent der Bevölkerung. Auch zeigen die Daten, dass die Wahlbeteiligung bei einem Referendum über Montenegros Mitgliedschaft in die EU – wenn es zum jetzigen Zeitpunkt stattfinden würde – etwa 76,5 Prozent betragen und davon 80,1 Prozent der Bürger für die EU-Mitgliedschaft stimmen würden.1

Montenegro verhandelt seit 2012 mit der EU als erster Staat, der die Verhandlungen im Rahmen des so genannten „Neuen Ansatzes“ führt, der die Eröffnung von Kapiteln zum Themenbereich „Rechtsstaatlichkeit“ unter den ersten und deren Schließung unter den letzten Kapiteln vorsieht.2 Im Zeitraum von mehr als sechs Jahren der Verhandlungen, die wir in erster Linie als Rahmen zur Umsetzung von Reformen betrachten, wurde viel getan – es ist uns aber klar, dass noch eine Menge Arbeit vor uns liegt. Wir sind vollkommen auf die zu erfüllenden Standards konzentriert in dem Bewusstsein, dass der Prozess der europäischen Integration der einzig tragfähige Weg ist, um die Staaten nicht nur für die Mitgliedschaft in der EU, sondern auch für die Errungenschaften des 21. Jahrhunderts vorzubereiten.

Montenegro hat seine Außenpolitik vollkommen an die Politik der EU-Mitgliedsstaaten angepasst. Wenn es um die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU geht, schließt sich Montenegro ausnahmslos an die gemeinsamen politischen Standpunkte der EU an. Ebenso leistet Montenegro seinen anhaltenden Beitrag für den Frieden und die Sicherheit durch die Beteiligung der Armee von Montenegro in den seitens der UN, der EU und der NATO geführten Friedensmissionen und Operationen.

II.

Innenpolitisch konzentriert sich die Regierung Montenegros auf den Ausbau der Wirtschaft, die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und den Aufbau von Institutionen, die das Rückgrat jeder modernen Demokratie darstellen. Unabhängig davon, dass es früher die am wenigsten entwickelte jugoslawische Teilrepublik gewesen ist, macht Montenegro klare und eindeutige Fortschritte. Montenegro ist eine kleine, aber offene Marktwirtschaft, Mitglied des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank. Darüber hinaus ist Montenegro auch Mitglied der Welthandelsorganisation (WHO). Das Land erfüllt regelmäßig seine Verpflichtungen aus dem multilateralen Handelssystem und den Abkommen im Rahmen der WHO, die darauf ausgerichtet sind, den Handel zu vereinfachen und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu steigern.

Außerdem widmen wir uns der Stärkung der regionalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit und der Umsetzung des mehrjährigen Aktionsplans für den regionalen Wirtschaftsraum von sechs Ländern des westlichen Balkan im rechtlichen Rahmen der CEFTA.3

Es ist wichtig zu erwähnen, dass im jüngsten Doing Business-Bericht 2017 der Weltbank Montenegro von 190 Volkswirtschaften den 42. Platz einnimmt, was eine Verbesserung von neun Positionen im Vergleich zum Vorjahr darstellt. Auch hat sich Montenegro im Ranking der Wettbewerbsfähigkeit des World Economic Forum (WEF) für 2017/2018 um fünf Plätze verbessert und nimmt den 77. Platz unter den 137 gelisteten Ländern ein.

Montenegro verabschiedete im Januar 2018 ein Programm der wirtschaftlichen Reformen für den Zeitraum 2018-2020. Dieses stellt ein schlüssiges Dokument für die Wirtschaftspolitik des Landes und ihre mittelfristige Planung dar und ist zugleich die Grundlage für den wirtschaftlichen Dialog mit Brüssel.

Die Maßnahmen zur fiskalischen Konsolidierung, denen sich die Regierung Montenegros mit hohem Einsatz widmet, haben bereits ausgezeichnete Ergebnisse gebracht, die sich in einem höheren Wachstum in Bezug auf die ursprünglichen Prognosen der Regierung und dem höchsten Wachstum seit der Zeit der Weltwirtschaftskrise im Jahr 2009 widerspiegeln. Gemäß den Daten des Statistischen Amtes von Montenegro (Monstat) wurde im Jahr 2017 ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Höhe von 4,2 Milliarden EUR erzielt, verbunden mit einem realen Wachstum von 4,3 Prozent. So kann sich Montenegro damit rühmen, dass es im vergangenen Jahr einen Anstieg zu verzeichnen hat, der sich mit dem der EU-Staaten durchaus messen kann. Aus der Perspektive der Region gesehen verfügt Montenegro neben dem Kosovo über die am schnellsten wachsende Wirtschaft auf dem westlichen Balkan. Der Netto-Zufluss der Auslandsdirektinvestitionen im Zeitraum von Januar bis Dezember 2017 belief sich auf ca. 484 Millionen EUR, was 30,3 Prozent mehr als im Jahr 2016 bedeutete und 11,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachte.4

III.

Der wirtschaftliche Fortschritt geht Hand in Hand mit dem demokratischen Fortschritt bzw. den Ergebnissen, welche wir auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit verzeichnen. In diesem Bereich wurden mehr als 60 Gesetze verändert, der strategische Rahmen gestärkt und neue Institutionen etabliert, die stetig gestärkt werden. Im Bewusstsein der Bedeutung von Rechtsstaatlichkeit für den Fortschritt der Gesellschaft als Ganzes und im Hinblick auf die weitere Dynamik des Verhandlungsprozesses mit der EU stehen die weitere Stärkung der Justiz, die Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität, die Schaffung einer Umgebung, in der die freie Meinungsäußerung und die Medienfreiheit voll gewährleistet sind, und die Sicherstellung und Ermöglichung einer Atmosphäre der aufrichtigen Zusammenarbeit mit dem Zivilsektor im Mittelpunkt unserer Anstrengungen. In dieser Hinsicht unterstützen uns die Partner in der Europäischen Kommission, im Europarat und in der OSZE, mit denen wir an der Erreichung europäischer Standards arbeiten. Wir konzentrieren uns darauf, die vorläufigen Kriterien zu erfüllen, um in naher Zukunft einen positiven Bericht und endgültige Kriterien zu erhalten, die für uns Richtlinien für die Erzielung weiterer Ergebnisse darstellen.

Montenegro widmet sich der regionalen Zusammenarbeit und der Kommunikation mit seinen Nachbarn, was sich an zahlreichen Initiativen festmachen lässt. In diesem Bereich muss man darauf hinweisen, dass die Unterstützung der EU durch Initiativen wie etwa den Berlin-Prozess5 von Bedeutung ist, um die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Region zu vertiefen und somit einen wesentlichen Beitrag zur Gesamtstabilität dieses Teiles Europas zu gewährleisten. Durch die Erfüllung der übernommenen Verpflichtungen kann sich Montenegro damit rühmen, dass es die Grenzabkommen mit Bosnien und Herzegowina und dem Kosovo ratifiziert hat; seine Rolle in der regionalen Zusammenarbeit wurde auf dem diesjährigen Gipfel in London anerkannt. Montenegro war auch der erste Vertragsstaat, der alle seine nationalen Verpflichtungen betreffend der Institutionalisierung des „Regionalbüros für Jugendkooperation“ (RYCO)6 in Tirana erfüllte, ein lokales Büro in Podgorica einrichtete und damit ein Bekenntnis zur Bedeutung der Politik für die junge Generation abgegeben hat.

Montenegro wurden im Bereich des Investitionsrahmens für die westlichen Balkanländer einschließlich der Projekte im Rahmen des Berlin-Prozesses und der auf dem Gipfeltreffen in London vorgestellten Projekte über 166 Millionen EUR zugeordnet. Im Rahmen des auf dem Londoner Gipfeltreffen vorgestellten Projektpakets ist Montenegro Begünstigter von vier Infrastrukturprojekten, für deren Umsetzung Finanzhilfen in Höhe von 67,9 Millionen EUR als nicht-rückzahlbare finanzielle Unterstützung geplant sind. In diesem Bereich ist Montenegro 2018 das erfolgreichste aller Länder des westlichen Balkan.

Gemessen an der Anzahl der eröffneten Kapitel ist Montenegro das EU-Kandidatenland, das im Verhandlungsprozess am weitesten gekommen ist. Wir haben bereits 31 Verhandlungskapitel eröffnet, zwei liegen noch vor uns. Es ist zu beachten, dass Montenegro alle vorgegebenen anfänglichen Kriterien für die Eröffnung der Kapitel erfüllt und somit eine anspruchsvolle Phase des Verhandlungsprozesses abgerundet hat. Zugleich haben wir 32 Verhandlungspositionen eingereicht und arbeiten im Augenblick an der Vorbereitung des letzten Dokuments dieser Art, der Verhandlungsposition für das Kapitel 8 (Wettbewerbsrecht). Gleichzeitig sind unsere Bestrebungen auf die Erfüllung der Abschlusskriterien gerichtet. Unsere Regierung ist davon überzeugt, dass erhebliche Fortschritte gemacht worden sind. In diesem Sinne erwarten wir, dass unsere Bemühungen anerkannt und die verbleibenden zwei Kapitel in nächster Zukunft eröffnet werden, nämlich das Verhandlungskapitel 27 (Umwelt), bei dem wir bereits die internen Verfahren für die Verhandlungen abgeschlossen haben, und das Kapitel 8 (Wettbewerbsrecht).

IV.

2018 ist ein wichtiges Jahr für die Erweiterungspolitik. Die Strategie für den westlichen Balkan, die die Europäische Kommission im Februar angenommen hat, ist ein sehr wichtiges politisches Signal der Ermutigung und bestätigt deutlich, dass die Türen der Union offen für den westlichen Balkan sind. Der Gipfel, der im Mai in Sofia stattfand und die führenden Politiker der EU und der westlichen Balkanländer nach 15 Jahren zusammenführte, sowie das Gipfeltreffen in London haben noch einmal bestätigt, dass die Erweiterung ganz oben auf der EU-Agenda steht.

Wir schätzen insbesondere die Hilfe der EU-Mitgliedsstaaten, die uns während des Beitrittsprozesses unterstützen – genauso wird auch Montenegro seine Erfahrungen mit anderen Kandidatenländern für die EU-Mitgliedschaft teilen. Wir glauben daran, dass ein Erfolg auf dem europäischen Weg, egal von welchem der westlichen Balkanländer, ein Erfolg für uns alle ist, denn derjenige, der als erster das Ziel erreicht, wird die anderen anspornen, ihm nachzueifern.

Wir sind bereit, weiter an unserem europäischen Weg zu arbeiten und uns den Herausforderungen durch weitere Reformen zu stellen, und sind uns dabei des Erfolgs und der Erreichung des Zieles, ein voll- und gleichberechtigtes Mitglied der europäischen Familie zu werden, sicher. Ebenso wichtig ist es auf diesem Weg, dass die EU den künftigen Mitgliedern verpflichtet bleibt – in gleichem Maße, wie auch Montenegro in der Integration seine Zukunft sieht.


Fußnoten:


  1. Umfrage der Agentur Defacto für die DEU in Podgorica, vorgestellt im Januar 2018. ↩︎

  2. Vgl. dazu die Hinweise auf http://www.europarl.europa.eu/factsheets/de/sheet/167/die-erweiterung-der-europaischen-union (letzter Zugriff: 08.12.2021). ↩︎

  3. CEFTA steht für „Central European Free Trade Agreement“; darunter ist ein europäisches Freihandelsabkommen zu verstehen, dem z. Zt. neben Montenegro auch Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Makedonien, Moldawien und Serbien angehören. Die Mitgliedschaft gilt als Vorstufe zu einem EU-Beitritt (Anmerkung d. Redaktion). ↩︎

  4. Makroökonomische und finanzpolitische Leitlinien von Montenegro für 2018-2021. ↩︎

  5. Hierbei handelt es sich um eine gemeinsame Initiative vierzehn europäischer Länder und der Europäischen Kommission mit dem Ziel, die Westbalkan-Staaten an die EU heranzuführen. Der Name geht auf die Auftaktkonferenz in Berlin am 28.08.2014 zurück (Anmerkung d. Redaktion). ↩︎

  6. „Regional Youth Cooperation Office“ (Informationen unter https://www.rycowb.org/). ↩︎