1924: Lenins Tod

aus OWEP 4/2017  •  von Gerhard Simon

Prof. em. Dr. Gerhard Simon: 1991 - 2000 Leitender Wissenschaftlicher Direktor im Bundesinstitut für Ostwissenschaftliche und Internationale Studien in Köln.

Lenin hatte den Staatsstreich der Bolschewiki im Oktober/November 1917 gegen den Widerstand eines Teils der bolschewistischen Parteiführung durchgesetzt. Die erfolgreiche Machtergreifung und der Sieg der Roten im Bürgerkrieg (1921) machten ihn dann aber zum unbestrittenen Führer der Sowjetunion. Er blieb bis in die Spätzeit der Perestrojka (1988) unantastbar. Während alle seine Nachfolger nach ihrem Tod von den Denkmalsockeln gestürzt wurden, blieb Lenin das unangreifbare Tabu der sowjetischen Identität.

Dabei überlebte er seine politischen Siege nur kurze Zeit. Am 26. Mai 1922 erlitt er einen ersten Schlaganfall, im Dezember 1922 folgte ein zweiter und im März 1923 ein dritter Schlaganfall. Danach konnte er nicht mehr sprechen und war bis zu seinem Tod, der infolge eines vierten Schlaganfalls am 21. Januar 1924 eintrat, politisch nicht mehr handlungsfähig. Nach seinem Tod setzte ein Lenin-Kult mit religiösen Zügen ein, der bis zum Ende des sowjetischen Systems fortbestand und teilweise bis heute lebt. Jeder Nachfolger als Führer der Sowjetmacht (einschließlich Gorbatschows) nahm für sich in Anspruch, der wahre Schüler Lenins zu sein.

Lenin legte die Grundlagen für das sowjetische Herrschaftssystem: Dazu gehörten das Machtmonopol der kommunistischen Parteiführung und das Verbot jeder politischen Opposition außerhalb und innerhalb der Partei; nur so konnte die Machtausübung auf unbegrenzte Zeit gesichert werden. Zu den Grundlagen des Systems gehörten auch die Abschaffung einer unabhängigen Justiz und die Einrichtung von Straf- und Arbeitslagern für Regimegegner; die ersten Konzentrationslager entstanden 1918. Die Wirtschaft wurde verstaatlicht, der Markt abgeschafft. Die Verfügung über die verstaatlichte Wirtschaft war ein entscheidendes Herrschaftsinstrument der Partei. Die Parteiführung behielt sich vor, bei widrigen Umstanden taktische Kompromisse auf Zeit zu machen – so etwa die Einführung der „Neuen Ökonomischen Politik“ 1921 oder Konzessionen an die nichtrussischen Völker im Rahmen der „Einwurzelung“ (positive Diskriminierung nichtrussischer Völker in den 1920er Jahren).