1931: Sprengung der Christus-Erlöser-Kathedrale

aus OWEP 4/2017  •  von Thomas Bremer

Prof. Dr. Thomas Bremer: Mitglied der OWEP-Redaktion.

Seit dem späten 19. Jahrhundert war die Silhouette Moskaus von der Kuppel der Christus-Erlöser-Kirche geprägt, die sich in unmittelbarer Nähe zum Kreml am Ufer der Moskwa befand. Diese Kirche war nach einer längeren Vorgeschichte 1883 zur Krönung von Zar Alexander III. eingeweiht worden. Der Untergrund musste wegen seiner schwierigen Beschaffenheit besonders präpariert werden. Nach der Revolution wurde die Kirche den so genannten „Erneuerern“ übergeben, einer von der Regierung unterstützten schismatischen Gruppe.

Im Zusammenhang mit Plänen zu einer architektonischen Umgestaltung Moskaus, die alle Relikte der Zarenzeit liquidieren und der neuen Hauptstadt ein proletarisches Gepräge geben sollte, wurde beschlossen, an die Stelle der Kirche einen „Palast der Sowjets“ zu bauen, der mit 415 Metern Höhe das damals höchste Gebäude der der Erde werden sollte. An seiner Spitze sollte eine mehrere Dutzend Meter hohe Lenin-Statue aus Metall stehen.

Um diese Pläne zu verwirklichen, wurde die Christus-Erlöser-Kathedrale am 5. Dezember 1931 gesprengt – ein Abriss hätte zu viel Zeit und Mühe gekostet. Nachdem die Trümmer beseitigt worden waren, begann man mit dem Aushub für das geplante Bauwerk. Allerdings bereitete vor allem das schwierige Gelände auch den Erbauern des Palastes große Probleme, zu Kriegsbeginn 1941 war kaum mehr als das Fundament fertiggestellt. Nach einigem Hin und Her wurde 1958 ein endgültiger Baustopp beschlossen und an der Stelle des geplanten Palastes ein riesiges Warmwasserschwimmbad erbaut. Präsident Jelzin ließ die Kirche wiedererrichten; im Jahr 2000 wurde sie feierlich eröffnet. Sie ist heute das größte und zentrale Kirchengebäude der russischen Orthodoxie.

In der Sowjetzeit wurden zahlreiche Kirchen zerstört; andere wurden zweckentfremdet und dienten etwa als Theater, Lager, Atelier oder Sporthallen. Inzwischen wurden viele zurückgegeben und dienen wieder ihrem ursprünglichen Bestimmungszweck. Im Stadtbild russischer Städte kann man bis heute jedoch zuweilen profane Gebäude erkennen, die einmal Kirchen waren.