1952: Sowjetische Westpolitik und „Stalin-Note“

aus OWEP 4/2017  •  von Hans Hecker

Prof. em. Dr. Hans Hecker: 1982 - 2007 Professor für Osteuropäische Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Am 10. März 1952 ließ die Moskauer Regierung den drei Westmächten USA, Großbritannien und Frankreich eine Note zur Neuordnung Deutschlands überreichen und löste damit eine politisch-historische Diskussion aus, die bis heute nicht beendet ist. Der Vorschlag lautete: von den Siegermächten kontrollierte Bildung einer gesamtdeutschen Regierung in den Grenzen der vier Besatzungszonen (bis zur Oder-Neiße-Linie), Friedensvertrag mit allen Kriegsgegnern, Ende der Entnazifizierung, demokratische Strukturen, außenpolitische Neutralität und Bündnisfreiheit, nationale Streitkräfte.

Bundeskanzler Adenauer begründete – im Einvernehmen mit den Westmächten – seine strikte Ablehnung damit, dass am Anfang freie gesamtdeutsche Wahlen zu stehen hätten, die daraus hervorgehende Regierung in der Wahl ihrer Bündnisse im Rahmen der UNO-Charta frei sein müsse, die Grenzen neu zu verhandeln seien und eine nationale Armee nur im Rahmen eines europäischen Defensivbündnisses finanziell tragbar und politisch zukunftsweisend sei. Die implizite Anerkennung der DDR als gleichberechtigter Staat kam für ihn nicht infrage. Er fürchtete, die Sowjetunion werde im Zuge ihrer aggressiven Außen- resp. Westpolitik sich in ein bündnisfreies und daher schwaches Deutschland kontrollierend einmischen, um darüber hinaus auf West- und Südeuropa zuzugreifen. Die Forderung einer Minderheit, in Verhandlungen einzutreten, wies Adenauer mit der Feststellung zurück, der Vorschlag sei nicht ernst gemeint und nur darauf angelegt, die von ihm betriebene Integration der Bundesrepublik in das westliche Staatensystem zu stören.

Inwieweit Adenauer seinen westdeutschen einem ungewissen gesamtdeutschen Staat vorzog, wird seither von Historikern ebenso diskutiert wie die Frage, was Stalin wirklich beabsichtigte. In der Hochzeit des Kalten Krieges, als sich die Konfrontation der sich atomar aufrüstenden Weltmächte im Koreakrieg zuspitzte, war ihm vielleicht daran gelegen, im Westen eine Entlastung zu erreichen. Möglicherweise fühlte er sich aber auch stark genug, den USA in Europa ein aggressives Paroli zu bieten.