1954: Chruschtschow verkündet die Abschaffung des „Konservatismus in der Architektur“

aus OWEP 4/2017  •  von Xenia Baljakin

Xenia Baljakin: Studentin der Lateinischen Philologie und Katholischen Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

Stalins Tod hatte nicht nur einen Umschwung in der Politik, sondern auch in ganz alltäglichen Dingen wie z. B. der Architektur zur Folge. Anfangs war die Baupolitik noch ein Nebenschauplatz im Kampf um die politische Führung, da es galt, Fragen nach dem Bau und der Bezahlbarkeit von Wohnraum für die Bevölkerung zu lösen: Die stalinistische Bauweise mit ihrer langen Dauer zur Fertigstellung von Gebäuden und dem hohen Materialverbrauch, den beispielsweise der üppige Fassadenschmuck mit sich brachte, machte sie vor allem nach dem Krieg und angesichts des großen Wohnungsnotstandes schlicht zu aufwändig und zu teuer. Die Wende brachte ein Beschluss über die Produktion von Stahlbetonfertigteilen, der eine Entwicklung weg vom Handwerk und hin zu einer Industrialisierung des Bauwesens auslöste. Die zum Bau notwendigen Einzelteile wurden nunmehr in Fabriken hergestellt und dann auf den Baustellen montiert. Dies hatte innerhalb kurzer Zeit einen Zuwachs an Wohnraum mitsamt fließendem Wasser, Strom und Heizung für die Bevölkerung zur Folge.

Rein pragmatische Überlegungen wurden im Rahmen des politischen Umschwungs jedoch auch zu kulturellen, und Chruschtschow nutzte seine Kritik am bisherigen Bauwesen, um ideelle Kritik an der stalinistischen Bauweise zu üben. Auf der Allunionskonferenz der Bauschaffenden im Dezember 1954 verkündete er die Entstalinisierung der Baukultur und das Ende des „Konservatismus in der Architektur“. „Besser, billiger und schneller bauen“ war das Motto, und so legte die Konferenz den Grundstein für eine architektonische Neuorientierung, die sich in der gesamten Sowjetunion bemerkbar machen sollte und die bis heute etwa in der ehemaligen DDR in der Plattenbauweise sichtbar ist. Das Leitbild war eine funktionelle Stadt, die sich durch Einfachheit, Sparsamkeit und strenge Formen ohne unnötige Verzierungen oder dekorative Elemente auszeichnen sollte, wenngleich die individuellen kulturspezifischen Merkmale einzelner Länder berücksichtigt werden sollten.