1968: Der Prager Frühling

aus OWEP 4/2017  •  von Thomas Gocke

Thomas Gocke: 2011-2017 Theologie und Geschichtsstudium an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, z. Zt. in der Ausbildung zum Pastoralreferenten des Bistums Münster.

Nach dem Tod Stalins 1953 nahm die totalitäre Kontrolle auch in den Satellitenstaaten des Ostblocks ab. So wurde 1968 der Führer des Reformflügels, Alexander Dubček, Generalsekretär der KP der Tschechoslowakei. Die Wirtschaftskrise der 1960er Jahre zwang die Regierung zum Umdenken. Auf Druck besonders der jungen Bevölkerung, die den niedrigen Lebensstandard anprangerte, sowie der Schriftsteller, die sich gegen die Zensur wehrten, kam es zu einem Führungswechsel.

Dubček wollte einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, und der reformwillige Flügel der Partei nahm dies auf. Konkret wurde im April 1968 die Vorzensur abgeschafft. Daran schloss sich eine Garantie weiterer Grundrechte an, darunter auch die Freiheit von Wissenschaft, Kunst, Kultur und Medien. Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Programms war es, die Föderalisierung des Staates in eine tschechische und eine slowakische Republik zu fördern. Im Juni 1968 veröffentlichte der Schriftsteller Ludvik Vaculík das „Manifest der 2.000 Worte“, welches den Reformierungsprozess kritisierte, da er ihm nicht weit genug ging. Darin wurde besonders die Alleinherrschaft der Kommunistischen Partei angefochten und eine schnellere Demokratisierung eingefordert. Das Manifest wurde von vielen Intellektuellen und Schriftstellern mitgetragen.

Die Reformbewegung in der Tschechoslowakei wurde von den anderen Mitgliedern des Warschauer Paktes mit Misstrauen gesehen; am 15. Juli 1968 forderten fünf Mitglieder des Warschauer Paktes im „Warschauer Brief“ von Dubček eine Kursänderung. Allerdings war ein Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes zu diesem Zeitpunkt schon geplant. In der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968 marschierten die Truppen in die Tschechoslowakei ein und beendeten den „Prager Frühling“. Die Invasion traf die Reformer in der KSČ-Führung unvorbereitet. Knapp 100 Menschen wurden bei Gegendemonstrationen erschossen. Im In- und Ausland wurde das Geschehen mit Entsetzen verfolgt. Die UdSSR hatte ihren Anspruch auf Vorherrschaft im Ostblock deutlich gemacht.