Sühnegottesdienst der polnischen katholischen Bischöfe für Verbrechen an Juden
Am 27. Mai 2001 – einige Wochen vor dem 60. Jahrestag des Verbrechens in der ostpolnischen Kleinstadt Jedwabne, wo polnische Mitbürger sich am Mord von über tausend Juden beteiligt hatten - versammelten sich etwa 50 katholische Bischöfe in der Warschauer Allerheiligen-Kirche, wo vor sechs Jahrzehnten ganz in der Nähe die Mauer zum früheren, 1943 von den Deutschen zerstörten jüdischen Ghetto verlief. Diese Veranstaltung trug den Titel: „Gebet der Polnischen Bischofskonferenz für die in Jedwabne und an anderen Orten Ermordeten“. Das Gebet leitete der in das „Büßerviolett gekleidete“ Primas Józef Glemp, ihm assistierten die Kardinäle Macharski (Krakau) und Gulbinowicz ( Wroclaw/Breslau). Lesungen stellten Kains Verbrechen der Tat des guten Samariters gegenüber. Das eindrucksvolle Sühnegebet wurde in einem Kommentar als „prophetische Geste gegen die Strömung des Unverständnisses und der Abneigung“ bezeichnet, es sollte eine „Stimme der Kirche – nicht nur eines oder mehrerer Bischöfe“ - sein.
Im Folgenden dokumentieren wir in deutscher Übersetzung die Einführung zu diesem Gottesdienst, die der Gnesener Weihbischof Stanislaw Gadecki hielt, Vorsitzender des Rats der Polnischen Bischofskonferenz für den Religiösen Dialog, Konsultor der Päpstlichen Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum:
Das unlängst zu Ende gegangene 20. Jahrhundert erwies sich in vieler Hinsicht für die Menschheit und die Welt als unerhört tragisch. Gezeichnet mit dem Brandmal blutiger Totalitarismen, verschlang es Hunderte Millionen menschlicher Geschöpfe, die unschuldig leiden und sterben mussten. Unter ihnen waren zahlreiche, dem Namen nach bekannte Märtyrer sowie eine riesige Zahl Namenloser, deren Opfer eingeschrieben ist in das Schicksal des Gottessohnes, der für uns und zu unserer Erlösung Mensch wurde und den Kreuzestod annahm.
Indem die Kirche der Aufforderung und dem Beispiel Johannes Pauls II. im Großen Jubiläumsjahr 2000 folgte, nahm sie die mühselige und verantwortliche Anstrengung auf sich, „die Erinnerung zu reinigen“. In der Predigt, die der Heilige Vater am Aschermittwoch in der Peterskirche hielt, ertönten die denkwürdigen Worte: „Wir vergeben und bitten um Vergebung! Wenn wir Gott loben, der in seiner barmherzigen Liebe in der Kirche die prächtige Ernte der Heiligkeit, des missionarischen Eifers, des völlig selbstlosen Dienstes für Christus und den Nächsten geweckt hat, müssen wir gleichzeitig die verschiedenen Formen der Untreue gegenüber dem Evangelium erkennen, die sich manche unserer Brüder, insbesondere im zweiten Jahrtausend, zuschulden kommen ließen.“ Diese Worte tiefer Trauer und Reue haben wir uns zu eigen gemacht.
Beim Erlebnis des Großen Jubiläums des Jahres 2000 wurde offensichtlich, daß das Bemühen um „Reinigung der Erinnerung“ weitergehen und auch jene Ereignisse umfassen muß, deren wir uns früher nicht bewußt waren. Das Motto unserer gegenwärtigen Versammlung lautet: „Gebet der Polnischen Bischofskonferenz für die in Jedwabne und an anderen Orten Ermordeten“. Als Hirten der Kirche in Polen wollen wir in der Wahrheit vor Gott und die Menschen treten, besonders vor unsere jüdischen Brüder und Schwestern, indem wir mit Trauer und Reue auf jenes Verbrechen Bezug nehmen, das sich im Juli des Jahre 1941 in Jedwabne und anderswo ereignet hat. Zu seinen Opfern wurden Juden, und unter den Tätern waren auch Polen und Katholiken, getaufte Personen.
Das Grauen dieses Verbrechens ist um so größer, als in der Zeit des Nationalsozialismus das jüdische Volk, das von Gott das Gebot „Du sollst nicht töten“ erhalten hat, in besonderem Maße – wie es Johannes Paul II. in seiner Predigt auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau sagte – an sich das Töten erfahren musste.
Wir bedauern tief das Verhalten jener, die im Laufe der Geschichte – besonders in Jedwabne und an anderen Orten – den Juden Leid zugefügt, ja ihnen sogar den Tod gebracht haben. Wir nehmen auf dieses Verbrechen auch deshalb Bezug, damit wir in fruchtbarer Weise Verantwortung für die Überwindung alles heute zu Tage tretenden Bösen ergreifen können. Das Bemühen um „Reinigung der Erinnerung“ wird für uns zu der schwierigen Aufgabe einer „Reinigung der Gewissen“. Wir nehmen diese Aufgabe auf uns und verurteilen noch einmal alle Erscheinungen von Intoleranz, Rassismus und Antisemitismus, von denen ja bekannt ist, daß sie Sünde sind.
„Vor Deinen Augen, Herr, legen wir unsere Sünden nieder.“ Dieses uralte Lied, das wir heute singen, das einst von Papst Urban VIII. gedichtet worden ist und heute in der katholischen Frömmigkeit in Polen wohlbekannt ist, wird zum Ausdruck unseres an Gott gerichteten Flehens, er möge die Schuld aller Gläubigen sowie unsere Schuld vergeben. In Jedwabne und überall dort, wo ein Mensch an einem anderen grausame Gewalt geübt hat, wurde Gott am meisten Unrecht getan. Wir aber, die Ihn bekennen, „tragen die Last der Fehler und Schuld jener, die vor uns waren“ („Incarnationis mysterium“, Nr. 11).
Indem wir uns um die Versöhnung mit Gott und den Menschen bemühen, wollen wir mit noch größerem Glauben und noch größerem Vertrauen das neue Jahrhundert und neue Jahrtausend beginnen. Mögen weder Katyn noch Auschwitz, weder Kolyma noch die Vernichtungslager noch Jedwabne sich jemals wiederholen.
Aus dem Polnischen übersetzt von Wolfgang Grycz.
Quelle: „Tygodnik Powszechny“, Krakau, 3. Juni 2001.