Nadeshda Michajlowa

Eine „starke Frau“ in Bulgariens Politik (Porträt)
aus OWEP 4/2002  •  von Johanna Deimel

Dr. Johanna Deimel ist stellvertretende Geschäftsführerin der Südosteuropa-Gesellschaft in München.

Sie hat sich von Anfang an eingemischt in die Politik, Nadeshda Michajlowa, die ehemalige Außenministerin (1997-2001) der Republik Bulgarien. Geboren 1962, gehört Michajlowa zur jungen Generation, die das kommunistische Erbe abschütteln und die demokratische Zukunft Bulgariens mitgestalten wollte. Heute ließe sich auch ihr Studium der spanischen und englischen Sprach- und Literaturwissenschaften an der St. Kliment Ohridski-Universität in Sofia als ein Zeichen dafür interpretieren, dass sie andere Kulturen zu verstehen und kennen zu lernen und so aus dem engen ideologischen Raum des kommunistischen Bulgarien auszubrechen suchte. Nadeshda Michajlowa hat über 300 Gedichte aus dem Spanischen und Englischen übersetzt, und nach einigen Jahren als freie Journalistin stürzte sie sich 1990 in die Politik.

Michajlowa begann ihre politische Laufbahn als Mitglied der Radikaldemokratischen Partei. Damals, als Bulgarien quasi über Nacht und schockartig pluralisiert wurde, gründeten zehn verschiedene Parteien das oppositionelle Bündnis Union Demokratische Kräfte (UDK), eine sehr heterogene Sammelbewegung konservativer Gruppierungen, deren einzig einigendes Moment aus der klaren Ablehnung der kommunistischen Macht- und Parteiideologie bestand. Auch die Radikaldemokraten schlossen sich der UDK an.

Politisch unerfahren, aber wohl nicht zuletzt wegen ihrer Sprachkenntnisse, wird die junge Nadeshda Michajlowa 1990-1991 Leiterin der außenpolitischen Abteilung der Radikaldemokratischen Partei, bevor sie 1991 das Pressezentrum der UDK als Chefin übernimmt. Im Rahmen eines Austauschprogramms des US-Kongresses geht sie 1991 in die USA. Nadeshda, was auf Bulgarisch Hoffnung heißt, schließt 1992 ihrem Praktikum bei dem Kongressabgeordneten David Dreier – ihm wird sie 1997 als Außenministerin wieder begegnen – einen Management-Kurs an der Harvard-Universität an, steigt zur Sprecherin der UDK auf und wird 1994 erstmals in die Bulgarische Nationalversammlung als Abgeordnete der UDK gewählt, wo sie dem Außenpolitischen Ausschuss angehört.

Frauen in der Politik sind in Bulgarien spätestens seit kommunistischer Zeit ein gewohntes Bild. Doch vor 1989 hatten sie eher plakative denn tatsächliche Entscheidungskompetenzen. Eine hohe Frauenrepräsentanz hatte sich seit 1990 in der Bulgarischen Sozialistischen Partei gehalten (die ehemalige Bulgarische Kommunistische Partei benannte sich im April 1990 in Bulgarische Sozialistische Partei – BSP – um). Für die Frauen, die sich in die neuen Parteien, in neue Organisationen, in die „hohe“ Politik nach der Wende einzumischen begannen, war es gerade in der UDK schwer, ernst genommen zu werden. Die Schriftstellerin und erste Vizepräsidentin Bulgariens von 1992 bis 1994, Blaga Dimitrowa (UDK), zog nach ihrer Amtszeit ein bitteres Resümee: In den „Korridoren der Macht“ seien Frauen eine Ausnahmeerscheinung, sie würden von den männlichen Kollegen „herablassend“ behandelt und nur unzureichend in den Informationsfluss eingebunden. „Ich möchte versuchen, meine sicher voreingenommenen Beobachtungen eines Territoriums zu skizzieren, das streng als ‚Männersache‘ bewacht wird und in dem Frauen nur hier und da als modisches Beiwerk der Demokratie auftauchen“, schrieb sie in ihrem Essay zum Thema Frau und Macht.1

Allerdings war es in den ersten Jahren nach 1990 für die junge Demokratie in Bulgarien insgesamt schwer, Fuß zu fassen und sich zu stabilisieren. Als Nadeshda Michajlowa 1994 ins bulgarische Parlament einzog, hatten nach der Verfassunggebenden Versammlung 1990 bereits zwei gewählte und zwei sogenannte Expertenregierungen die Geschicke des Landes geführt. 1994 war nach vorgezogenen Parlamentswahlen die BSP mit absoluter Mehrheit in die Nationalversammlung eingezogen. Und es war während der Amtszeit von Žan Widenow (BSP), als Bulgarien in den Abgrund zu stürzen drohte. Im annus horribilis 1996 stand Bulgariens Wirtschaft vor dem Kollaps, und die bulgarische Währung befand sich im Sturzflug. Als Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise hatte die soziale Lage der Bevölkerungsmehrheit den Stand eines Dritte-Welt-Landes erreicht. Motiviert durch die Ereignisse in Belgrad und unterstützt von führenden bulgarischen Oppositionspolitikern setzten im Januar und Februar 1997 Tausende in täglichen Demonstrationszügen dem sozialistischen Machtanspruch den bürgerlichen Druck auf der Straße entgegen. Am 4. Februar 1997 gelang es dem bulgarischen Staatspräsidenten Petar Stojanow, die BSP von der Notwendigkeit vorgezogener Parlamentswahlen zu überzeugen. Nadeshda Michajlowa, die mehr als zwei Monate die Demonstrationen durch öffentliche Reden unterstützt hatte, sagte später zu den Ereignissen im Februar: „Bulgarien stand damals am Rande eines Bürgerkriegs“.

Nach den vorgezogenen Parlamentswahlen am 19. April 1997 übernahm Iwan Kostow (UDK) die Regierungsgeschäfte und Nadeshda Michajlowa wurde mit 34 Jahren Außenministerin. Ihre Ernennung hat in den ersten Monaten ihrer Amtszeit in den bulgarischen Medien Wogen geschlagen. Die Ettikettierungen reichten von der „zarten Diplomatie“ bis hin zu „Wagemut und Schönheit“. Vizepremier Aleksandar Bozhkov fühlte sich aufgerufen, Michajlowas Amt mit folgenden Worten zu kommentieren: „Mit Nadja zu arbeiten, ist gut, weil sie schön ist, aber nicht allein deshalb. Die Männer schauen auf sie, weil sie schön ist, doch ist sie außerdem auch noch klug.“2

In der Tat wurde Michajlowa hineingeworfen in das hohe Amt, musste plötzlich die nationalen Interessen Bulgariens nach außen vertreten. War sie dabei zunächst als eine hübsche Repräsentantin eines am Boden liegenden Landes milde belächelt worden, erwies sie sich im Laufe ihrer Amtszeit als eine hervorragende und auch hartnäckige Diplomatin. Und das gerade als Frau, wie sie in einem Interview mit Inge Bell im Bayerischen Rundfunk 1999 zu verstehen gab: „Ich würde nicht sagen, dass mich mein Frausein gehindert hat. In der Welt von heute werden die Leute nach ihrer Qualität und Leistung bemessen, nach ihrer Fähigkeit, Herausforderungen zu bestehen. In meiner persönlichen Erfahrung war mein Geschlecht nie ein Hindernis. Allerdings gerade in den Perioden der Krise, der schweren Situationen, vertrauen Frauen auf ihre rein weibliche Intuition, und das ist meist entscheidend für eine schnelle und effiziente Lösung von Problemen. Es ist die Suche nach einer Balance und nach rein menschlichen Kompromissen, und dazu neigt eine Frau eher. Vor allem in der Diplomatie ist das sehr nützlich.“

Dazu hatte sich die Regierung Kostow viel vorgenommen und auch mit enormen außen- und sicherheitspolitischen Krisen zu kämpfen. Noch 1997 wird Bulgarien auf einen klar trans-atlantischen und europäischen Integrationskurs gesetzt. Zugleich sucht das Balkanland den Ausgleich mit den Nachbarstaaten Türkei und Mazedonien. War Bulgarien nach 1990 aus Rücksichtnahme auf russische Interessen zunächst dabei, in eine politisch indifferente Grauzone auf dem Balkan abzurutschen, so hat mit Nadeshda Michajlowa ein Strukturwandel der bulgarischen Außenpolitik eingesetzt, der bis heute nachwirkt. Als sie 1997 in die USA aufbricht, merkt die „Washington Post“ an: „Foreign ministers urging the membership in NATO, a club of tough-talking men at ease with the jargon of armies, training, and military hardware, now have female competition in their endeavors to strike a strategic pose.“

Die bulgarische Solidarität mit den westeuropäischen Ländern und den USA wurde während des NATO-Einsatzes im Kosovo auf eine sehr schwere Probe gestellt. Bulgarien, dessen Bevölkerung dem anvisierten NATO-Beitritt absolut gespalten gegenüberstand, hatte seinen Luftraum für die NATO-Operation frei gegeben und musste erleben, dass mehrere fehlgeleitete NATO-Bomben auf seinem Territorium aufschlugen. Außerdem wurde die bulgarische Solidarität durch die Meldung diskreditiert wurde, der deutsche Außenminister Joschka Fischer habe im Frühjahr 1999 den so genannten „Hufeisenplan“ von Bulgarien erhalten. Nadeshda Michajlowa hat diese Behauptung heftigst bestritten und die Unterstützung Bulgariens für den NATO-Einsatz mit den Worten begründet: „Wir wollen keine Balkanisierung des Balkans mehr.“ Noch im April 1999, also während der NATO-Bombardierungen im angrenzenden Serbien und im Kosovo, besuchte der britische Premierminister Tony Blair Sofia und ehrte die Außenministerin mit den Worten: „You, Nadeshda, have become the symbol of the wider Europe – of a whole Europe – a Europe of solidarity.“

Europa hat sich solidarisch gezeigt. Bulgarien wurde im Dezember 1999 vom EU-Gipfel in Helsinki mit dem Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen belohnt. Mit dem Beschluss von Helsinki war bestimmt einer der Höhepunkte in Nadeshda Michajlowas bisheriger politischer Karriere erreicht. Und doch gab es auch Fehlschläge, Fehltritte in ihrer Laufbahn. Einmal wäre sie beinahe gestolpert, als nach einer Wahlkampfveranstaltung – offenbar für die Ministerin unbemerkt – die Mikrofone weiterliefen und Nadeshda unflätige Drohungen in Richtung ihrer politischen Gegner aussprach, die dann in den Medien über die Ticker liefen. International politisches Porzellan hatte Michajlowa zerschlagen, als sie Ende 2000 damit drohte, Bulgarien werde aus dem Stabilitätspakt für Südosteuropa ausscheren, falls es nicht von der schwarzen Liste der Visa-Regelungen der EU gestrichen werde. Aber auch das konnte sie schließlich für ihre Amtszeit als Haben zu verbuchen: mit Wirkung vom 10. April 2001 wurde die Visumspflicht aufgehoben.

Seit Februar 1999 ist Nadeshda Michajlowa Vizepräsidentin der Europäischen Volkspartei. Sie hat Hillary Clinton nicht nur in Washington besucht, sondern die First Lady im Oktober 1998 in Sofia zur ersten internationalen Frauenkonferenz „Women in the 21st Century: Transcending the Boundaries of Sustainable Development in Southeast Europe“ begrüßen können. Mit zwölf ihrer Amtskolleginnen (darunter Madeleine Albright) unterzeichnete Nadeshda Michajlowa im September 2000 eine Erklärung, in der sie „als besorgte Frauen“3 einen entschlossenen Kampf gegen HIV und AIDS forderten.

Ihre Sympathiewerte waren aber auch in Bulgarien hoch. Selbst nach der katastrophalen Wahlniederlage der UDK im Juni 2001, als Simeon Sakskoburggotski, der aus dem Exil zurück gekehrte Zar, mit seiner Nationalen Bewegung Simeon II. die absolute Mehrheit erringen konnte, äußerten sich noch zwei Drittel der Bulgaren positiv über die Ministerin. Seit Juni 2001 aus der Außenpolitik hinaus katapultiert, unterstützte sie zunächst Petar Stojanow bei seinem Versuch, im November 2001 als Staatspräsident wieder gewählt zu werden. Stojanow verlor überraschend in der Stichwahl gegenüber seinem Herausforderer von der BSP, Georgi Parwanow, und die UDK befindet sich seither in der tiefsten Krise seit ihrem Bestehen. Geschockt von den vernichtenden Wahlergebnissen, wird die Regierung Iwan Kostows mit schwerwiegenden Korruptionsvorwürfen belastet. Wer aber glaubte, Nadeshda Michajlowa würde sich aus der Politik zurückziehen und nur noch für ihre Familie, für ihren Mann, einen Unternehmer, und ihre beiden jugendlichen Töchter da sein, der hatte sich in ihrer Kämpfernatur getäuscht. Selbstbewusst gab sie im Februar 2002 ihre Kandidatur für den UDK-Vorsitz bekannt. Am 11. März 2002 wurde sie auf der UDK-Versammlung zur Vorsitzenden gewählt, ganz nach ihrem Motto: „Wenn du weißt, was du willst, kannst du immer die richtige Wahl treffen. Ein Problem ist es nur, wenn du zweifelst. Das ist dann ein echt menschliches Problem, nicht nur eines der Frauen. Aber wenn du klar bist mit dir und weißt, was du willst, dann bin ich überzeugt, dass der Erfolg früher oder später kommen wird.“

Nadeshda Michajlowa ist aus der bulgarischen Politik nicht mehr wegzudenken.


Fußnoten:


  1. Blaga Dimitrowa, Ironie der Geschichte, Veliko Tarnovo 1996, S. 110. ↩︎

  2. Johanna Deimel, Bewegte Zeiten. Frauen in Bulgarien gestern und heute, München 1998, S. 255. ↩︎

  3. September 13, 2000: Women foreign ministers of 13 nations sign statement on HIV/AIDS (http://www.aegis.com). ↩︎