Das Verhältnis zwischen Ungarn und Rumänien

aus OWEP 4/2004  •  von Peter Bognar

Mag. Peter Bognar ist der Ungarn- und Rumänienkorrespondent der österreichischen Tageszeitung „Die Presse“.

Ungarn und Rumänien gehören zu den Nationen, deren Verhältnis zueinander sich nur historisch verstehen lässt. Die gemeinsame Geschichte der beiden Völker war über weite Strecken von Konflikten, Kriegen und Unterdrückung bestimmt. Ihr Verhältnis ist denn auch bis heute von wechselseitigem Misstrauen und Ressentiment geprägt.

Ort und Zankapfel der ungarisch-rumänischen Auseinandersetzungen war stets die Region Siebenbürgen (Transsilvanien) – heute eine Provinz des rumänischen Staates. Im kollektiven Gedächtnis beider Nationen nimmt Siebenbürgen einen mythisch überhöhten Platz ein. Denn sowohl für die Rumänen als auch für die Ungarn gilt die Region gleichsam als „historische Wiege“ ihrer Nationen. Vor diesem Hintergrund nimmt es denn auch kaum Wunder, dass zwischen den Politikern, Historikern und Intellektuellen der beiden Länder von alters her ein Streit darüber tobt, welches Volk zuerst in Transsilvanien war.

In Rumänien wird von der Mehrzahl der Historiker schon seit Jahr-hunderten die Theorie vertreten, wonach die Rumänen die Nachfahren der Daker seien, die nach ihrer Unterjochung durch den römischen Kaiser Traian 106 n. Chr. sich mit den Römern vermischt und deren Sprache übernommen hätten. Die ersten rumänischen Gelehrten, die die Theorie von der so genannten „dakorumänischen Kontinuität“ schriftlich verarbeitet und in Siebenbürgen in Umlauf gebracht haben, waren Samuil Micu-Klein (1745-1806), Petru Maior (1760-1821) und Gheorghe Şincai (1750-1816), die als „Siebenbürger Trias“ in die Geistesgeschichte der Rumänen eingingen.

Von den meisten ungarischen Historikern wird die dakische Herkunft der Rumänen freilich heftig bestritten. Sie weisen darauf hin, dass die Magyaren Ende des neunten sowie Anfang des zehnten Jahrhunderts Awaren und Bulgaren – nicht aber Rumänen – aus dem heutigen Gebiet Siebenbürgens vertrieben hätten. Demnach hätten sich die Rumänen (vlach) – zu jener Zeit noch ein Hirtenvolk – erst Anfang des 13. Jahrhunderts in Transsilvanien niedergelassen. Zur Untermauerung dieses Standpunktes führen die Historiker zum einen die Etymologie der transsilvanischen Ortsnamen ins Treffen, deren Herkunft ausschließlich aus dem Ungarischen und Slawischen sei. Zum anderen verweisen sie darauf, dass in der Zeit zwischen dem Rückzug der Römer aus der Provinz Dakien 271 n. Chr. und dem zwölften Jahrhundert die Rumänen keinerlei Erwähnung in den schriftlichen Quellen Transsilvaniens fänden. Das vorhandene zeitgenössische Quellenmaterial scheint die ungarischen Historiker diesbezüglich zu bestätigen. Demzufolge wanderten die Rumänen zwischen dem dreizehnten und fünfzehnten Jahrhundert in mehreren Wellen nach Siebenbürgen ein. Die ethnisch-demographische Gliederung Transsilvaniens sah Ende des fünfzehnten Jahrhunderts folgendermaßen aus: Die Bevölkerungsmehrheit stellten die rund 400.000 Magyaren und Székler1. Überdies lebten in Siebenbürgen damals rund 100.000 Sachsen2 und etwa 200.000 Rumänen.

Die Rumänen, eine benachteiligte Nation in Transsilvanien

Von den vier genannten Völkerschaften in Siebenbürgen standen die Rumänen, die vornehmlich Hirten und Fronarbeiter waren, in der sozialen Hierarchie ganz unten. Ihre Benachteiligung manifestierte sich nicht zuletzt in jenem Bündnis, das die drei anderen Völker Transsilvaniens 1437 über ihre Köpfe hinweg miteinander schlossen. In jenem Jahr hatten sich Ungarn, Sachsen und Székler als die „drei ständischen Nationen“ Siebenbürgens proklamiert, infolgedessen die Rumänen nur eine Nation „zweiten Ranges“ bildeten. Sie sollten bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein eine wirtschaftlich wie politisch benachteiligte Nation in Siebenbürgen bleiben.

Nach der Einnahme Ungarns durch die Osmanen (1526/1541) erlangte Siebenbürgen den Status eines souveränen Fürstentums. Zwar musste es fortan seinen Tribut an die Porte in Konstantinopel entrichten, doch konnte es seine Souveränität weitgehend bewahren. In der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts stand Transsilvanien sodann ganz im Zeichen der Reformation. Inmitten der tobenden Glaubenskriege in Europa galt Siebenbürgen damals als friedliche Insel toleranter Religionspolitik. Innerhalb kurzer Zeit wurde im Fürstentum sowohl die lutherische (1557) als auch die calvinistische Glaubenslehre (1564) als Religion anerkannt (religio recepta). Späterhin wurde auch der Unitarismus, der die Trinität ablehnt, zugelassen (1568). 1571 wurde schließlich die rechtliche Gleichstellung der katholischen, lutherischen, calvinistischen und unitarischen Kirchen festgeschrieben. Im Schatten der vier „anerkannten Religionen“ hatte die griechisch-orthodoxe Kirche, zu deren Gläubigen fast ausschließlich die Rumänen zählten, lediglich den Status einer „geduldeten“ Konfession. Als solche sollte sie bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein Zielscheibe von Diskriminierungen sein.

Nach den Massenmigrationen im späten Mittelalter schwappte zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts aus der benachbarten Walachei eine neue Welle rumänischer Einwanderer nach Siebenbürgen. Dies hatte zur Folge, dass die Rumänen Ende des achtzehnten Jahrhunderts mit einem Anteil von knapp 60 Prozent an der Gesamtbevölkerung die größte Volksgruppe in Transsilvanien stellten. Gleichwohl fristete das Gros der Rumänen ein Dasein unter dem Joch der Fron. Grund und Boden befanden sich fast ausnahmslos im Besitz der zwei „privilegierten Nationen“, der Ungarn und Sachsen, deren Willkür die Fronarbeiter auf Gedeih und Verderb ausgesetzt waren.

Vor diesem Hintergrund kam es 1784 zum bis dahin größten Bauernaufstand in Siebenbürgen. Unter der Führung der drei rumänischen Bauern Nicola-Vasilii Urs (Spitzname: Horea), Ion Oarga (Cloşca) und Giurgu Marcu (Crişan) lehnten sich rund dreißigtausend Fronarbeiter – vorwiegend Rumänen – gegen das bestehende Fronsystem auf. Der Aufstand konnte erst nach mehreren Wochen niedergeschlagen werden. Als Vergeltung wurden Horea und Cloşca öffentlich hingerichtet, Crişan nahm sich kurz nach seiner Ergreifung das Leben. Die Historiker sind sich einig darin, dass hinter der Revolte von 1784 aber nicht nur sozioökonomische Motive standen. Mit dem Aufstand verband sich nicht zuletzt auch ein nationales Aufbegehren der „rechtlosen“ rumänischen Bauern gegen die „privilegierten“ ungarischen Lehnsherren.3

Der Bauernaufstand markierte damit den ersten ethnischen Konflikt in der Geschichte Siebenbürgens. In der Folgezeit wurde unter den Rumänen der Hass auf die Magyaren weiter geschürt. Dieser richtete sich nun aber nicht mehr auf die ungarische Aristokratie (die Lehnsherren) allein, sondern wurde auf das gesamte magyarische Volk projiziert. Der ungarische Adel antwortete seinerseits mit fortgesetzter Unterdrückung.

Griechisch-katholische Kirche als geistiges Zentrum

Im achtzehnten Jahrhundert trat in Siebenbürgen eine neue Konfession auf den Plan: die griechisch-katholische Kirche. Vorangetrieben wurde die Etablierung der neuen Kirche vom katholischen Herrscherhaus der Habsburger4, deren Ziel es war, die griechisch-orthodoxe Kirche in Transsilvanien zurückzudrängen. Die mit dem päpstlichen Rom unierte orthodoxe Kirche erwuchs rasch zum geistigen und emanzipatorischen Zentrum der Siebenbürger Rumänen.5 So wurde in ihren Klöstern nicht nur die erste Generation einer rumänischen Intelligenz in Transsilvanien herangezogen. Infolge der ausländischen Studienaufenthalte des griechisch-unierten Klerus machten sich die Rumänen auch mit den zeitgenössischen Geistesströmungen Westeuropas (Aufklärung) vertraut. Unter den namhaftesten Vertretern der neuen griechisch-katholischen Intelligenz befand sich die bereits erwähnte „Trias von Siebenbürgen“ (Micu-Klein, Maior und Şincai). Zu den größten Verdiensten der „Trias“ gehören unter anderem die Durchsetzung des lateinischen Alphabets (gegenüber dem bis dahin gängigen kyrillischen Alphabet), die Erhebung des Rumänischen zur Schriftsprache und die wissenschaftliche Aufbereitung der Theorie von der dakisch-rumänischen Kontinuität.

Mitglieder des griechisch-katholischen Klerus waren auch die Federführer bei der Abfassung eines Memorandums (Supplex Libellus Valachorum), das im Jahr 1791 Kaiser Leopold II. unterbreitet wurde. Darin wird Leopold II. aufgefordert, die Siebenbürger Rumänen aus ihrer benachteiligten sozialen Stellung zu befreien und in den Rang einer „ständischen Nation“ – gleichberechtigt mit den Ungarn, Széklern und Sachsen – zu erheben. Das Memorandum blieb jedoch in Wien ohne Reaktion, worauf die Rumänen ein Jahr später (1792) einen neuerlichen Versuch unternahmen, allerdings wieder vergeblich.

Mehr als ein halbes Jahrhundert später, in den Wirren des ungarischen Volksaufstandes gegen die Habsburger 1848/49, sahen die Rumänen ihre Stunde gekommen, um den Ungarn in den Rücken zu fallen. Nachdem die Siebenbürger Magyaren den Großteil ihrer Militärverbände zur Unterstützung des Volksaufstandes nach Ungarn verlegt hatten, bliesen die Rumänen zum Angriff auf die in Transsilvanien verbliebenen ungarischen Truppen. Die arglosen Ungarn wurden von den rumänischen Partisanen6 rasch in die Knie gezwungen. Allerdings währte die Freude der Rumänen darüber nur kurz. Innerhalb weniger Monate konnten die Ungarn die Aufständischen zurückschlagen und unter dem polnischen General Józef Bem die Kontrolle über Transsilvanien wiedergewinnen.

Die Ungarn behalten die Macht in Siebenbürgen

Trotz der Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes konnten die Magyaren gegenüber den anderen Nationalitäten in Transsilvanien die Oberhand behalten. Die ungarische Aristokratie vermochte nicht nur den Großteil ihre Besitztümer zu bewahren, sondern auch ihren politischen Einfluss. Die großen Verlierer des Bürgerkriegs in Siebenbürgen waren indes die Rumänen, denen nicht einmal die territoriale Autonomie zugestanden wurde. Gleichwohl brachten die darauf folgenden Jahre zumal für die Rumänen einschneidende Neuerungen mit sich. Mit der Abschaffung der Leibeigenschaft 1854 erlangten nahezu 174.000 rumänische Bauernfamilien nicht nur die Freiheit. Vielmehr wurden sie auch infolge der Entschädigungen zu unabhängigen Landbesitzern. Außerdem wurde den zwei rumänischen Kirchen – der griechisch-orthodoxen und der griechisch-katholischen – die Autonomie zuerkannt.

In den rumänischen Fürstentümern Walachei und Moldau, die östlich beziehungsweise südöstlich von Siebenbürgen lagen und bis ins 19. Jahrhundert Vasallen des Osmanischen Reiches waren, vollzogen sich derweil gleichfalls historische Ereignisse. 1861 vereinigten sich die beiden Gebiete zu einem Fürstentum. Fünf Jahre später (1866) wurde der Staat Rumänien ausgerufen, zu dessen Staatsoberhaupt Fürst Karl von Hohenzollern-Sigmaringen bestimmt wurde. Im Gefolge des russisch-türkischen Krieges (1877/78) und der damit einher gehenden Zurückdrängung der Osmanen erlangte Rumänien 1878 schließlich die staatliche Unabhängigkeit. 1881 wurde Karl zum König von Rumänien ausgerufen.

Im Habsburger Reich konnten Ungarn und Österreich unterdessen einen Ausgleich erzielen (1867). Die Monarchie – die bis dahin vom hegemonialen Status Österreichs geprägt war – war fortan eine Doppelmonarchie. Mit dem Ausgleich erhielten die Magyaren, die von da an eine mehr oder minder „gleichberechtigte Stellung“ neben Österreich genossen, die Oberhoheit über Transleithanien, die östliche Hälfte des Reiches. Siebenbürgen kam damit wieder unter ungarische Kuratel. Aus ihrer neuen Machtposition heraus setzten die Ungarn fortan eine aggressive Magyarisierungspolitik in Gang. Das Ungarische wurde als Amtssprache eingeführt, anderssprachige Kultureinrichtungen wurden verboten und Schulen, deren Unterrichtssprache nicht Ungarisch war, wurden massenweise geschlossen. Dies veranlasste die Rumänische Nationalpartei Ungarns dazu, ein Memorandum an den österreichischen Kaiser Franz Joseph aufzusetzen (1892). In der Denkschrift geißeln die Rumänen nicht nur die „künstlich ausgeweitete Hegemonie“ der Ungarn, sondern auch deren aggressive Magyarisierungspolitik. Doch wie so oft in der Geschichte der Siebenbürger Rumänen wurden ihre Forderungen und Bedenken einmal mehr ignoriert.

Umgekehrte Vorzeichen

Der Erste Weltkrieg endete für Ungarn mit einer „nationalen Tragödie“. Nachdem das Land an der Seite der Mittelmächte den Ersten Weltkrieg verloren hatte, wurde es im Friedensvertrag von Trianon 1920 von den Siegermächten erbarmungslos zerstückelt. Ungarn verlor damals ein Drittel seiner Bevölkerung und zwei Drittel seines Territoriums an die Nachbarstaaten. Rumänien, das sich nach anfänglicher Neutralität im Sommer 1916 auf die Seite der Entente – sprich: der späteren Siegermächte – geschlagen hatte, bekam bei der Zerstückelung Ungarns neben Siebenbürgen das Partium, den südlichen Teil von Maramureş, das Gebiet um Körös sowie das östliche Banat. In diesen Gebieten lebten zu jener Zeit mehr als 1,7 Millionen Ungarn.

In der Zwischenkriegszeit setzten die Magyaren unter dem Reichsverweser Miklos Horthy alles daran, um die Beschlüsse von Trianon wieder rückgängig zu machen. Ungarn verfolgte nun eine Politik, die sich mit Haut und Haaren der Revision der 1920 gezogenen Grenzen verschrieb. Dies führte unweigerlich dazu, dass sich die Kluft zu den Nachbarländern – insbesondere zu Rumänien – weiter vertiefte.7 Indes hatte auch Rumänien seinen Anteil an der Vergiftung des ungarisch-rumänischen Verhältnisses. Zum einen konstituierte sich das Land als homogener Nationalstaat, ungeachtet der erklecklichen ungarischen Minderheit. Zum anderen traten in Rumänien in der Zwischenkriegszeit massenhaft ultranationalistische Bewegungen auf den Plan, deren fanatischer Chauvinismus sich neben den Juden auch auf die Ungarn entlud. Die bekannteste und berüchtigtste dieser Bewegungen war die „Eiserne Garde“ („Garda da fier“).

Im Zweiten Weltkrieg konnte Ungarn unter der Schirmherrschaft Adolf Hitlers seine lang gehegten Revisionspläne verwirklichen. Von Hitlers Gnaden riss Ungarn 1938 und 1940 (Erster und Zweiter Wiener Schiedsspruch) den Großteil jener Gebiete, die es nach dem Ersten Weltkrieg verloren hatte, wieder an sich. Rumänien sah sich dabei gezwungen, Nordsiebenbürgen, die Gebiete um Maramureş und Nord-Körös abzutreten (1940). Der nationale Freudentaumel der Magyaren über die „ungarische Wiedervereinigung“ währte indes nur kurz. Die militärische Niederlage Hitlerdeutschlands bedeutete auch für „Groß-Ungarn“ das jähe Ende: Die 1940 besetzten Territorien wurden den Nachbarstaaten wieder angeschlossen, womit die Grenzen von „Trianon“ wiederhergestellt waren.

In der Ende 1947 neu konstituierten Volksrepublik Rumänien genossen die Minderheiten anfangs weitreichende Rechte. Unter KP-Sekretär Gheorghe Gheorghiu-Dej wurde den Siebenbürger Magyaren 1952 sogar die Autonomie zuerkannt und eine Ungarische Autonome Provinz eingerichtet. Die Toleranz gegenüber der ungarischen Minderheit war allerdings nur von kurzer Dauer. Ab der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre sahen sich die Ungarn in zunehmendem Maß einer aggressiven Assimilationspolitik ausgesetzt. Diese Politik gipfelte unter dem Nachfolger von Gheorghiu-Dej, Nicolae Ceauşescu, in der Abschaffung der ungarischen Autonomie (1968).

Ceauşescu, der einem nationalistisch geprägten Marxismus anhing, unternahm alles, um der ungarischen Minderheit in Rumänien das Leben schwer zu machen. Die gegen die Ungarn gerichteten Repressionen und Schikanen wurden schließlich so weit getrieben, dass Anfang der achtziger Jahre nicht weniger als 50.000 Magyaren das Land Richtung Ungarn verließen.

Die Gegenwart

Nach dem Sturz Ceauşescus und dem damit einher gehenden Zusammenbruch des stalinistischen Systems in Rumänien (Dezember 1989) wallten die nationalen Vorurteile und Ressentiments auf. Unversehens stand die ungarische Minderheit in Rumänien wieder im Verdacht des Separatismus und Irredentismus. Die daraus resultierenden Anfeindungen erreichten in einer blutigen Straßenschlacht zwischen Rumänen und Ungarn in der Stadt Tirgu Mureş im März 1990 ihren traurigen Höhepunkt. Bei den Zusammenstößen kamen damals acht Menschen ums Leben. Entspannung zwischen den zwei Nationen brachte erst der 1996 unterzeichnete bilaterale Grundlagenvertrag, der neben der Unverletzbarkeit der Grenzen die sprachlichen und kulturellen Rechte der ungarischen Minderheit festschrieb. Im selben Jahr beteiligte sich überdies die einzige parlamentarische Vertretung der Ungarn in Rumänien, das Ungarische Demokratiebündnis (RMDSZ), zum ersten Mal an der Regierung.8

Trotz solcher Fortschritte kam es zwischen den beiden Nationen auch später immer wieder zu Spannungen. Diese entluden sich etwa im Sommer 2001 nach der Verabschiedung des ungarischen „Statusgesetzes“ durch das Parlament in Budapest. Das Gesetz, das die Unterstützung der Auslandsungarn9 im Kultur- und Bildungsbereich beinhaltet, rief damals den heftigen Protest Rumäniens – und der Slowakei – hervor. Ungarn musste das Gesetz in der Folge mehrfach überarbeiten. Es trat schließlich erst Ende 2003 in Kraft.

Für Irritationen sorgten in der jüngsten Vergangenheit auch die neu belebten Autonomieforderungen der ungarischen Minderheit in Transsilvanien, an deren Spitze der reformierte Bischof László Tőkés steht. Da die Fronten in dieser Frage bis zum heutigen Tag verhärtet sind – die Rumänen lehnen eine Autonomie kategorisch ab –, scheinen weitere Spannungen in den kommenden Jahren vorprogrammiert zu sein. Konfliktstoff zwischen Magyaren und Rumänen barg in den letzten Jahren auch der Vormarsch der griechisch-orthodoxen Kirche in Siebenbürgen, sehen doch die Ungarn darin eine von langer Hand geplante Verdrängung der drei großen ungarischen Religionsgemeinschaften in Transsilvanien, der römisch-katholischen, der reformierten und der unitarischen Kirche.

Ungarn und Rumänen müssen noch einen langen und steinigen Weg zurücklegen, wollen sie eine nachhaltige Versöhnung, die auf wechselseitigem Vertrauen und Respekt basiert.


Fußnoten:


  1. Die Székler, ursprünglich ein Turkvolk, vermischten sich im Verlauf der Völkerwanderung mit den Magyaren und übernahmen deren Sprache. ↩︎

  2. Die Sachsen siedelten sich Mitte des zwölften Jahrhunderts auf Betreiben des damaligen ungarischen Königs Géza II. in Südtranssilvanien an. Vgl. zu ihrer Geschichte auch Johannes Toaspern, Vielspurig zum Himmel – Kirchen in Rumänien, in: OST-WEST. Europäische Perspektiven 3 (2002), S. 163-174, bes. S. 170-173. ↩︎

  3. Dies fand damals vor allem in der Wendung „Ungarischer Herr, rumänischer Knecht“ seinen Ausdruck. ↩︎

  4. Die Habsburger hatten nach der Zurückschlagung der Osmanen 1686 (Schlacht bei Buda) bis 1867 die Oberhoheit über Siebenbürgen inne. ↩︎

  5. Gleichwohl blieb die griechisch-orthodoxe Glaubenslehre die führende Religion unter den Rumänen. Vgl. Toaspern (wie Anm. 2), S. 163-168. ↩︎

  6. Einer der Anführer der rumänischen Partisanen war damals Avram Iancu. Dieser sollte eine nachhaltige Wirkung auf die nationalistischen Bewegungen in Rumänien ausüben. ↩︎

  7. Um für einen militärischen Angriff Ungarns gewappnet zu sein, schloss Rumänien 1921 Militärbündnisse mit der Tschechoslowakei und dem Serbisch-Kroatisch-Slowenischen Königreich (Kleine Entente). Vgl. auch Lothar Maier, Schlaglichter auf die Geschichte Rumäniens, in: OST-WEST. Europäische Perspektiven 3 (2002), S. 175-185, bes. S. 182. ↩︎

  8. Das RMDSZ hat seither sowohl mit der konservativen (1996-2000) als auch mit der sozialdemokratischen Regierung in Rumänien (seit 2000) zusammengearbeitet. ↩︎

  9. Unter „Auslandsungarn“ sind die ungarischen Minderheiten in den Nachbarländern Ungarns gemeint. ↩︎